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STREHMANN "LEGENDE": LIEBE LIEBER (UN)GEWÖHNLICH

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Positiver Rassismus ist ein weit verbreitetes Phänomen. Wie beim klassischen Rassismus auch, werden verschiedene Ethnien und Gesellschaftsschichten durch Stereotype stigmatisiert. Allerdings handelt es sich um nicht diskreditierende Eigenschaften. Afroamerikanern wird automatisch ein Sanges- und Tanztalent zugesprochen, Chinesen und Japaner gelten als besonders höflich und so weiter. Welch herbe Enttäuschung, wenn solche Vorurteile auf einmal nicht greifen.

Auch das Bild homosexueller Menschen folgt einigen gut gemeinten, aber dennoch einengenden Charakterzügen. Lesben gelten als hemdsärmelige Kumpeltypen, Schwule als besonders kunstaffin. Außerdem lieben sie es, den Alltag künstlich zu überhöhen (Stichwort: camp). Doch wer mag ernsthaft daran glauben, dass gleichgeschlechtliche Paare jeden Tag ihren Mini-Christopher-Street-Day abhalten?

Dennoch sind manche Klischees nicht von der Hand zu weisen, und einigen scheint es auch ganz recht zu sein, sich als bullige Kampflesbe oder angeknipste Tunte zu inszenieren, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Das Gros der Menschen sind aber wie du und ich - oder wie Ronny Strehmann.


Das eXcubitors-Mitglied hat bereits im Vorfeld der Veröffentlichung mit einigen interessanten Auskopplungen, darunter die Nummer "Schwur", die Frank M. Spinath (Seabound, Edge Of Dawn) als prominenter Gastsänger unterstützt, aufhorchen lassen. Von besonderem Interesse ist das dazugehörige Video, das in seiner Handlung entfernt an den berühmten Coming-Out-Clip von Bronski Beats "Smalltown Boy" erinnert.

Während aber jener Evergreen sich musikalisch an die discoiden Maschinensequenzen von Gorgio Moroder orientiert und damit wieder einem weiteren Klischee der Gay-Community entsprach, verzichtet Strehmann bewusst auf eingängige und oberflächliche Partituren. Auch hierfür ist "Schwur" ein perfektes Beispiel. Filigrane, arabeske Melodien setzen das Stück zunächst in eine pastellige Kulisse, ehe die Stimmung im letzten Drittel kippt und es düster-manisch wird. "Schwur" ist keine Disko-Hymne, sondern ein stimmungsvolles Seelenbild eines Menschen auf der Suche nach der Liebe, das von Hoffnung und Verzückung bis hin zur Raserei und Ohnmacht changiert.

Auf "Legende" wird die Zweisamkeit nicht zum profanen Fibel-Gedicht, sondern kunstvoll arrangiert und transzendental inszeniert. In vielen Songs stellt Strehmann seinen Angebeteten, einem Gott gleich, auf ein Podest. Das erschafft eine eigenartige, aber gleichzeitig spannende Mischung aus Intimität und Distanz, die sich im teilweise monumentalen Sound wiederspiegelt.

"Legende" versteht sich als ein legitimer Nachkomme der "New Romantics" im wötlichen Sinne. Denn romantisch geht es bei Strehmann immer zu. Selbst in Duktus und Wortwahl lehnt sich der Berliner an die Literatur jener Epoche an. Was beim ersten Hören noch gestelzt und eher künstlich wirkt, offenbart sich zusehends als konsequent eingehaltenes Stilmittel, das dem ganzen Album nicht nur eine Zeitlosigkeit verleiht, sondern auch das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe ohne linguistische Peinlichkeiten behandelt.

Nur selten zeigt sich Strehmann explizit. "Liebe" beispielsweise mausert sich zu einer achtminütigen Ode an die liebevolle wiewohl körperliche Leidenschaft, während "Spielfigur" wie ein persönlicher Kommentar des Musikers zu etwaigen homophoben Strömungen klingt.

Ronny Strehmann schafft etwas grundlegendes: Er zeigt eine andere Seite homosexueller Menschen auf, de vielleicht authentischer ist, als die von den Medien kolportierten, oberflächlichen schwullesbischen Spaßgesellschaft, die ihr sexuelles "Anderssein" über Gebühr feiert. Denn wenn die Liebe in das Leben einschlägt, interessiert es nicht mehr, ob sie an das gleiche oder andere Geschlecht gerichtet ist. Sie macht einfach, dass wir uns unsicher, euphorisch, aber auch am Boden zerstört fühlen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, will uns "Legende" aufzeigen - mit Erfolg.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 21.01.19 | KONTAKT | WEITER: PHILIPP HOCHMAIR & DIE EKLEKTROHAND GOTTES VS. ROME>

Webseite:
www.strehmann-music.com


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COVER © RECORDJET/RONNY STREHMANN

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