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ROME: ANSICHTEN EINES REISENDEN

Im Gespräch


Unser Interview mit Jérôme Reuter hätte eigentlich schon viel früher stattfinden sollen. Schließlich ist "A Passage To Rhodesia", das aktuelle (Gesamtkunst-) Werk seines Folk-Noir-Projekts Rome, seit Anfang August im Handel erhältlich [Review]. Doch wir wurden seiner nicht wirklich habhaft: Der Mann ist ein ewig Reisender, von einem Ort zum nächsten. Ähnlich wie die Protagonisten seiner Alben ist auch der Sänger mit dem wunderbaren Bariton ein rastloser Charakter. Trotzdem nahm sich der hochintellektuelle Luxemburger dann doch mal Zeit für die Leser von UNTER.TON. Schließlich ist das Thema seines aktuellen Werkes dieses Mal ein sehr spezielles: die Geschichte der britischen Kronkolonie Rhodesien, dem heutigen Zimbabwe...

Wie ist es zu dieser doch sehr außergewöhnlichen Idee gekommen?

Ich bin vor etlichen Jahren mal über das Wort "Rhodesia" gestolpert – ich weiß nicht mal mehr genau, wo. Und ehrlich gesagt konnte ich nicht einmal wirklich etwas damit anfangen. Komischerweise aber flogen mir allein beim Vernehmen des Wortes gleich Ideen, Gesänge, Gerüche und alles, was eine neuentdeckte Welt im Allgemeinen so mit sich bringt oder sich in der Erinnerung verankern kann, entgegen. Ich wusste gleich, dass da ein Album darauf wartet, geschrieben zu werden - und fing dann langsam an, mich da reinzuwühlen.

Was genau fasziniert Dich an der Geschichte Rhodesiens, die den meisten, vor allem jungen Europäern, eher unbekannt sein dürfte?

Also, in England ist das den Menschen natürlich noch weit mehr ein Begriff als bei uns, aber das hängt natürlich mit der Geschichte zusammen. Ich habe zwar selbst einige Zeit in England gelebt, aber wie gesagt: Wirklich gewusst habe ich über das Thema nicht sonderlich viel. Es stimmt schon: In Europa, wie wohl auch weltweit, ist das Thema eher vergessen - und bestenfalls eine Randnotiz in der Geschichte der Befreiungskämpfe der sogenannten Dritten Welt, oder eine Fußnote in der Geschichte der zahlreichen Nebenherde des kalten Krieges. Es ist für mich persönlich immer schwer, exakt den Grund zu benennen, wenn ich von einem Thema fasziniert bin: Mir war eben nur klar, dass ich dazu etwas schreiben will - und klar war auch, dass es ausgewogen in der Berichterstattung, aber gleichzeitig keinesfalls neutral sein sollte.

Dementsprechend groß hast Du diese Veröffentlichung angelegt: Zwei CDs, eine DVD, ein über hundert Seiten langer Bildband, Poster, Postkarten...

… und, nicht zu vergessen,
eine 10“ Picture Vinyl!

Damit kostet "A Passage To Rhodesia" rund 100 Euro. Das ist nicht gerade wenig, und einige Fans haben sich schon kritisch gezeigt...
Ich gebe zu, dass es eine große Summe ist, die man hinblättern muss. Aber billiger herzustellen war die Box nun wirklich nicht. Im Vorfeld gab es da natürlich Beschwerden, weil man ja noch nicht wusste, wie das ganze Paket denn jetzt wirklich aussehen würde.

Von einer Herzensangelegenheit deinerseits war die Rede. Ist damit aber nicht auch ein finanzielles Risiko verbunden?
Ganz klar - eine solche Riesenbox mit quasi unbekanntem Thema zu veröffentlichen, und das in Zeiten, wo allgemein kaum mehr für Musik gezahlt wird... Ich muss aber auch sagen, dass ich von allen Leuten, die diese Box letztendlich erstanden haben, nur absolute zufriedene Gesichter gesehen habe.

Wie viel Zeit nahm die Recherche für dieses Thema in Anspruch? Mehr als bei den früheren Alben?
Ja, doch deutlich mehr. Zum Teil lag es aber auch daran, dass vieles schwer aufzutreiben war - und es war auch die eine oder andere Reise nötig, um mich mit einigen Menschen zu treffen, die dieses Projekt mitrealisieren sollten.

Auf der beigelegten CD "House Of Stone" hast Du verschiedene Tondokumente dieser Zeit quasi für sich sprechen lassen - und lediglich sphärische Musik unterlegt. Quasi die objektive Aufarbeitung der Geschehnisse in Rhodesien?

Als objektiv würde ich das keinesfalls bezeichnen. Der Unterschied liegt vielleicht bei diesen Stücken darin, dass die Gegensätze erst im Gesamtzusammenhang aufgezeigt werden - und nicht bereits innerhalb der einzelnen Tracks, wie ich das zum Teil bei meinen Songs mache (wo es eben eine Gleichzeitigkeit der verschiedenen Ebenen aus Musik, Text und Samples gibt). Es kommt hier stets nur jeweils eine Seite zu Wort - und wird mit Musik unterlegt. Musik ist immer emotional; es kann also gar keine neutrale Darstellung dabei herauskommen. Zum Schluss wird es dann aufgelöst. Zumindest ansatzweise.

Musikalisch hast Du Dich wieder auf Deine Wurzeln besonnen. War der konzeptionelle und auch stilistische Ausflug vom Vorgänger "Hell Money", den viele kritisierten, nötig, um "A Passage To Rhodesia" zu machen?

Ja, das war sozusagen ein Befreiungsschlag! Absolut nötig, aber auch in sich von Bedeutung. Ich liebe das Album nach wie vor, auch wenn ich weiß (und auch damals schon wusste), dass es nur bei den wenigsten ankommen würde. Es war ein sehr persönliches Reinigungsritual. Ich glaube, alle paar Jahre tut so etwas ganz gut...

Wie schon bei "Flowers From Exile", "Nos Chants Perdus" und "Die Aesthetik der Herrschaftsfreiheit" kreisen Deine Stücke immer wieder um Exil und Widerstand. Warum sind diese Themen für Dich wichtig?

Mir fällt es schwer, dafür den nötigen Abstand zu haben, um das wirklichkeitsnah zu beantworten. Ich denke aber, dass wohl die ersten Eindrücke, die man als junger Mensch von der Welt sammelt - und sei es auch nur indirekt, durch Musik und Literatur - ja doch bestimmend sind für das, was wir später tun. Meine Eltern waren sehr engagiert im (politischen) Theater, insbesondere zwischen meinem sechsten und 16. Lebensjahr. Peter Weiss, Augusto Boal oder Peter Brook waren keine unbekannten Größen in meinem Alltag: Es gab unzählige, durchrauchte Nächte, bei denen ich unter dem Tisch Mäuschen gespielt habe, während über mir die Kippen und Köpfe qualmten. Es wurde über Stücke diskutiert, deren Inhalt und Aussage - und wie man das am besten auf die Bühne bringt. Es heißt ja: Jeder Künstler hat eigentlich nur ein Thema, das er im Laufe der Jahre auf unterschiedliche Arten beschreibt. Bei mir ist das wohl die Freiheit. Und damit einhergehend eben alles, wozu uns der Freiheitswille veranlasst. Glücklicherweise ist mein Leitmotiv dann doch vage genug ausgefallen, um recht abwechslungsreiche Themenkomplexe miteinander verbinden zu können...

Es ist vielleicht Zufall, aber Deine Alben erinnern in ihrer Stilistik an Schriftsteller wie W.G. Sebald und Alexander Kluge, die in ihren Romanen auch über diese Themen geschrieben haben. Besteht da eine Verbindung?

Interessant, dass zum Vergleich gerade Alexander Kluge herangezogen wird, da ich ein großer Fan seiner Arbeit bin - und er auch in der Entstehungsgeschichte von „A Passage to Rhodesia“ äußerst wichtig war für die eigentliche Formgebung. Nun ist die Form jetzt nicht von ihm abgeleitet, aber seine Arbeits- und vor allem auch Erzählweise habe ich mir als Taktik abgekuckt, um überhaupt diesen riesigen Berg an Material und Eindrücken, die es zu kategorisieren und einzuflechten galt, bewältigen zu können. Mehr als von einer rein geschichtlichen Chronik bin auch ich eher von einer Chronik der Gefühle ausgegangen, um dieser Geschichte ein reales, menschliches Gesicht zu geben.

Anhand solcher Alben wie die "AEsthetik der Herrschaftsfreiheit", die an Weiss' "Ästhetik des Widerstands" angelehnt ist, könnte man dich vielleicht als philosophischen Musikanten bezeichnen, oder?

Ach, soweit würde ich nun auch nicht gehen - aber ich setze mich einfach gerne mit solchen Themen auseinander. Ich erfinde da wirklich nichts Neues, ich stelle bloß die Dinge auf meine Art neben- und gegeneinander.

Wie stark sind Musik und Literatur für Dich miteinander verknüpft?

Für mich persönlich wirklich sehr eng, da die meiste Inspiration für meine Musik, mal abgesehen von den Eindrücken meiner Reisen, aus Büchern stammt. Privat höre ich eigentlich keine Musik. Zwar habe ich unterwegs immer einen Mp3-Player mit Stücken meiner alten Helden, Jacques Brel oder Léo Ferré, dabei  - aber eigentlich nur, um im Flugzeug lästigen Sitznachbarn klar
zu machen, dass ich nicht in Konversationslaune bin. Konzept, Haltung oder Form eines Rome-Albums kommen eigentlich immer aus der Literatur: So zum Beispiel Peter Godwins Erzählungen für "A Passage to Rhodesia"; Ernst Tollers "Masse Mensch" stand Pate für "Masse Mensch Material". Inspiration für Songs finde ich allgemein eher in der Literatur als im Radio. Oft sind es auch einzelne Satzfetzen, die eine bestimmte Melodie in sich tragen. So zum Beispiel bei "One Fire" aus dem aktuellen Album: Das ist eigentlich ein einziges Shakespeare-Zitat.

Gab oder gibt es in Deinem Leben ein bestimmtes Buch, das Dich nachhaltig geprägt hat?

Mehr als eins: Die Liste ist recht lang, und ich würde bei einer Aufzählung bestimmt essentielle Sachen vergessen... In meiner Kindheit las ich Herrmann Hesse, Jack London, Jack Kerouac und andere. Ich wollte immer ein Leben führen, wie es in "On The Road" oder "The Sea Wolf" beschrieben wurde. Es ist ja dann auch irgendwie so gekommen. Später kamen dann Burroughs, Brecht, Neruda, Bowles und andere Wanderliteraten dazu. Ich glaube, alle verbindet wohl die Reise - als Thema und Lebenshaltung.

Zum Abschluss: Welches Fazit ziehst Du nach knapp zehn Jahren Rome?

Da kann ich themengerecht doch nur etwas Latein für Angeber anbringen - und mit Cecil Rhodes‘ letzten überlieferten Worten antworten: „Tot facienda parum factum“ - so wenig gemacht, so viel zu tun. So, ich muss dann auch wieder los…


|| TEXT: DANIEL DRESSLER // DATUM: 20.08.2014 ||| DEINE MEINUNG? MAIL SCHREIBEN! || WEITER: INTERVIEW MIT JANUS >>




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FOTOS © ALESSANDRO LEONE & CARLO ROBERTI / SOLOBUIO VISUAL FACTORY.

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