"THE SOUND OF BELGIUM": BUMM BUMM BELGIEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"THE SOUND OF BELGIUM": BUMM BUMM BELGIEN

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Die Diskussion um elektronische Klangkunst ist mittlerweile ein wahnsinnig alter Hut. Besonders in den musikalisch eher trägen Sommermonaten begegnet sie als wohltemperierte Füllmasse der einschlägigen Journale und wird bevorzugt im Doppelpack mit dem obligatorischen Bob Dylan-Cover gereicht – buy one, get one free. Nicht frei von Patriotismus werden die Düsseldorfer Urgesteine von Kraftwerk beklatscht, schließlich kommen die Jungs seit Oktober 2011 ganz offiziell mit musealem Gütesiegel daher. Tangerine Dream fehlt der Nimbus der Hochkultur; glücklich wiedervereint findet sich die intellektuelle Hornbrillen-Elite deshalb erst bei Karlheinz Stockhausen. Irgendwann kommen dann noch England, Skandinavien (mit Fokus auf Schweden) und auch Frankreich ins Gespräch. Beim gleichtönigen fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der einspurigen Autobahn rollt man dabei an einer wesentlichen Ausfahrt vorbei: Schließlich kamen die entscheidenden Impulse der letzten 40 Jahre aus dem Land der Waffeln, Fritten und Schokoladenkunst.

Mit einer umfangreichen 4-CD-Box (und Laune machendem Smiley auf dem Cover) erinnert die Plattenfirma La Musique Fait la Force jetzt an "The Sound Of Belgium".

Die Saga beginnt in den späten 1970er Jahren und feiert die Eroberung der Popmusik durch den Synthesizer. In Belgien erkannte man schnell das Potential der synthetischen Klangerzeugung und nutzte die bisher ungekannten Möglichkeiten zwar teils dilettantisch, doch stets voller Neugier. Was am Ende dabei herauskam, wurde zur Blaupause für viele Spielarten der elektronischen Musik. Bestes Beispiel: Minimal-Electro. Ohne die kaputten Horrorklänge von Neon Judgement und Max Berlin, die von der aufkeimenden Gothic-Szene nur allzu gerne vereinnahmt wurden, wäre dieses Genre heute um einiges ärmer. Die nächste Generation belgischer Musiker fand Gefallen an den trockenen Beats von DAF und Nitzer Ebb. Sie definierten einen neuen, muskulösen Sound – Electronic Body Music. Front 242 waren die Pioniere dieses Genres. Ihr fiebrig-treibendes "Headhunter" gilt als offizieller Startschuss des EBM. Um 1986 setzten DJs und Musiker das bisher Geschaffene neu zusammen und vermischten es mit den Klänge des Acid House. Es war die Geburtsstunde des urbelgischen New Beats, der in den Sounds von Lords Of Acid, T-99, In-D oder Phantasia seine Höhepunkte fand.

Mit jeder CD kommt der Hörer dem Geheimnis belgischer Elektro-Tonkunst ein Stück weit näher – angefangen mit Trans Volta, deren einziger Song "Disco Computer" von 1978 den Auftakt der Kompilation bildet. Bis zum letzten Ton der "Universal Nation" von Push aus dem Jahr 1998 finden sich allerlei Kuriositäten, Verrücktes,Vergessenes, Ungehörtes. Und die Erkenntnis, dass die Belgier sich nicht an Hochglanzproduktionen ihrer Zeit orientiert haben, sondern statt dessen einen ganz eigenen, manchmal billig klingenden Garagen-Sound kreierten, der aber stets den Song als Kernstück im Auge behielt und sich nicht in selbstgefälligen Klangtiraden erschöpfte. Die Stücke blieben in Erinnerung, und manch eine Sequenz tauchte später als Sample bei anderen Künstlern wieder auf – ein weiterer Beleg für den Einfluss dieses kleinen Landes auf das Geschehen in der elektronischen Musik.

"The Sound Of Belgium" ist zugleich Soundtrack des gleichnamigen Dokumentarfilms, der sich mit diesem Phänomen befasst. In Deutschland leider (noch) nicht erhältlich, kann das Werk unter www.tsob.be gegen einen Obulus heruntergeladen werden. Die Trailer versprechen in jedem Fall interessante Einblicke in die jüngere Musikgeschichte eines oftmals verkannten Nachbarlandes.

|| AUTOR: BISSINGER/DRESSLER // DATUM: 08.04.2014 ||                                                                                                          


BILDQUELLE: © LA MUSIQUE FAIT LA FORCE / ROUGH TRADE

Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurde das teils farbige Original-Cover unserem Layout für diesen Artikel angepasst.

                                                                                                                                                                                        © || UNTER.TON 2014 |

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