UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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Sie sind keine One Hit Wonder im eigentlichen Sinne, wenngleich mit dem Namen Kissing The Pink viele den Song "Certain Things Are Likely" verbinden. Doch die Band aus London, eine Zusammenkunft aus Musikhochschülerinnen und -schülern, erdachte sich eigenwillige, höchst kreative Popsongs, die zwischen experimentellen Synthie-Sounds bis hin zum soulinduzierten Dance reichten. "Anthology 1982-2024" vereint ihre ersten drei Werke mit Remixen und unveröffentlichten Songs.
Liebeskummer ist ein gutes Schmiermittel für Künstlerinnen und Künstler, um großartige Werke hervorzubringen. Louise Lemón, die hochsensible schwedische Künstlerin, legt mit ihren Werken ihr Seelenleben ziemlich offen. Bei "Lifetime Of Tears" fügt sie ihren dramatischen Texten einen ansprechenden, souligen Rocksound hinzu, der ihrer musikalischen Vision immer mehr zu entsprechen scheint.
Sie haben es nie gern zugegeben, aber Ralf Hütter und Florian Schneider selig verdanken Karl Bartos einen großen Anteil am Erfolg von Kraftwerk. Denn seine kompositorischen und vor allem rhythmischen Fähigkeiten übersteigen bei Weitem jene der übrigen Mitglieder. Nun überrascht der 71-jährige mit der Vertonung eines deutschen Stummfilmklassikers: "Das Cabinet des Dr. Caligari" von Regisseur Robert Wiene aus dem Jahre 1920.
Darum geht es doch am Ende: eine eigene musikalische Handschrift. Manche Künstlerinnen und Künstler brauchen dafür manchmal etwas länger, andere wiederum haben bereits nach den ersten Proben eine glasklare musikalische Vision. Wie lange die folgenden Bands und Projekte gebraucht haben, bis sie so klingen, wie sie eben klingen, ist nicht bekannt - und letzten Endes auch völlig latte. Hauptsache ist doch: Sie sind sofort wiedererkennbar unter abertausenden Gruppen und Acts.
Ein Album zur rechten Zeit. "Erregung" von Klez.e funktioniert auf vielen Ebenen: Als Kommentar auf das aktuelle Zeitgeschehen, als Rückblende auf die Jugend des Sängers Tobias Siebert und als groß angelegte melancholische Fingerübung, das vor allem durch des Autors Feingefühl für die deutsche Sprache herausragend gelungen ist. Mit Superlativen gilt es, sparsam umzugehen. "Erregung" ist jedoch zweifelsfrei heißer Anwärter auf das Album des Jahres.
Ohne Zweifel ist Berlin, die arme aber sexy Stadt, in Sachen Pop- und Subkultur immer noch der "place to be". Das Eigengewächs Grossstadtgeflüster um Sängerin Jen Bender verortet Punk und Elektronik in die deutsche Hauptstadt und hat mit "Das Über Icke" eine freche und freshe Antwort auf alle Fragen des Zeitgeists parat. Psycho Weazel indes sind zwar Schweizer, aber auch dem pulsierenden Dark Disco Sound, der dank Berliner Acts wie Local Suicide und Curses dort prosperiert, verfallen. Kein Wunder, dass ihre EP "Mains D'Argiles" auf Local Suicides Label Iptamenos Discos erscheint.
Der Mensch schafft sich gerade selbst ab, indem er seine Lebensgrundlage zerstört und gleichzeitig den angerichteten Schaden mental verdrängt und auf Warnsignale des Heimatplaneten gar nicht oder nur unzureichend reagiert. Wegsehen funktioniert jedoch nicht mehr, Lösungen müssen her. Aber welche? Das Wiener Frauentrio Zinn hat darauf eine Antwort:Sie rufen das "Chthuluzän" aus, um den Fortbestand der Menschheit zu gewährleisten. Inspiriert wurden sie dabei von einem Buch, das so anspruchsvoll und gleichzeitig faszinierend wie Zinns Musik selbst ist.
In jüngster Vergangenheit hat sich eine Handvoll Sampler durch ihre intelligenten Zusammenstellungen, hinter denen sich großes musikalisches Wissen verbirgt, hervorgetan. Die letztjährige, exquisite "Next Wave Acid Punx Deux" von DJ und Musikproduzent Curses  gehört dazu und bekommt ein spannendes Addendum namens "Secret Cuts" nachgereicht, während das Label Cold Transmission mit "Zeitgeist Chrome Vol. 02" ihr Vinyl-Kompendium um eine weitere Folge bereichert, auf der sich feinste subkulturelle Elektronik wiederfindet.
Ein letzter Blick zurück: Auch dieses halbe Dutzend Veröffentlichungen von 2023 sollte zwingend in aller würzigen Kürze vorgestellt werden. Neben Real und Creating. Paradise, die ihre Veröffentlichung in, sicherlich mühsamer, Eigenregie vertreiben, gibt auch Vlimmer einen kleinen Nachschlag zum sehr hörenswerten Album "Zerschöpfung". Und als mAcht treten die einstigen Mitglieder der Kult-Punktruppe S.Y.P.H. wieder auf den Plan.
Während das schwedische Trio Spunsugar sich auf ihrem zweiten Album "A Hole Forever" der Vergänglichkeit mit Shoegaze und Post-Punk entgegentritt, haben Yama Uba aus Amerika den Darkwave auserkoren, um ihn auf "Silhouettes" originalgetreu nachzubauen - und an einigen Stellen überraschende Sounds einzubauen. Am Ende finden beide Projekte zu einem sehr persönlichen Sound, der melodieverliebten Melancholikern sicherlich aus dem kleinen dunklen Herzen spricht.
Nicht erst seit Sportfreunde Stillers Fußballabzählvers "54, 74, 90, 2006 (oder wahlweise 2010)" tauchen Jahreszahlen in (Pop)Songs auf. Viele davon haben sich auch in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Als zum Beispiel Zager & Evans (und später auch Visage) ihre radiotaugliche Dystopie "In The Year 2525" vorgetragen haben, dienen die Daten als Verweis auf die Zukunft. Bei den folgenden fünf Songs handelt es sich (meistens) um das Intensivieren des Zeitkolorits.
Sagen wir es doch, wie es ist: 2023 war auf so vielen Ebenen zum Vergessen. Krieg, politische Erdbeben und eine erdumspannende Klimakrise sind Grund genug, um sich nicht mehr an dieses Jahr zu erinnern. Doch scheint sich das Klischee zu bewahrheiten, dass in den dunkelsten Zeiten die Kunst am hellsten strahlt. Die Menge an guter Veröffentlichungen überstieg dabei wieder unsere Erwartungen, sodass wir gar nicht alle tolle Scheiben von 2023 unterbringen konnten. Doch das holen wir jetzt nach.
Das Dutzend ist voll: Die "Grenzwellen"-Reihe geht in ihre zwölfte Runde. Wie seit einigen Jahren üblich, veröffentlichte Radiomoderator Ecki Stieg den Sampler auch 2023 als tönernen Adventskalender, sodass zum Heiligen Abend 24 Songs von Künstlerinnen und Künstlern, die auch in seiner gleichnamigen Sendung zu hören sind, das Kompendium vervollständigen. Einmal mehr gilt für die Musikauswahl: alles außer gewöhnlich.
Ein Vierteljahrhundert in der Musikbranche zu überleben, ist sicherlich kein leichtes Unterfangen. Deswegen machen es die Golden Apes, eine der authentischsten Goth-Rock-Formationen Deutschlands, genau richtig: Zum Jubiläum gibt es nicht nur mit "Our Ashes At The End of The Day" eine erneut makellose Platte, sondern mit "Schattered Light" eine digitale Veröffentlichung, auf denen sich musikalische Weggefährten höchst unterhaltsam dem Oeuvre der goldenen Affen angenommen haben.
Für die letzte "Kurz angespielt"-Ausgabe dieses Jahres tauchen wir noch einmal in die wunderbare Welt der Instrumentale ein. Das Ambient-Projekt B. Ashra beglückt uns sogar mit zwei Werken, Igor Yalivec zaubert verspielte Etüden aus seinen elektronischen Kisten und Brueder Selke zollen zwei tierischen Kosmonauten mit ihrer Live-Performance Tribut. Entspannender, aber auch anspruchsvoller Wohlklang für die finalen Tage eines in jeder Hinsicht chaotischen Jahres.
Deutsch-Pop wird erst dann interessant, wenn die Stücke nicht so rundgelutscht daherkommen. Dagoberts sechstes Album "Schwarz" und Mamorés selbstbetiteltes Debut sind die besten Beispiele, wie man mittels großer Geste Stereotypen unterläuft, sie von innen aushöhlt und so grandiose Platten zaubert. Bei Voodoo Beach ist das "Wonderful Life" ein psychedelisches Stelldichein, bei dem man gar nicht mehr so sicher ist, ob das Leben wirklich so wundervoll zu sein scheint, wie es uns der Albumtitel weismachen will.
Electro-Punk mit Inhalt und Sinnhaftigkeit zu füllen, gelang Egotronic wie kaum einer anderen Band. Torsun Burkhardt hat seine klare antifaschistische Weltanschauung in seinen Songs und auch in diversen anderen Aktivitäten dargelegt. Für "Das Unbehagen in der Kultur..." suchte sich der an Krebs erkrankte Musiker seine liebsten Stücke zusammen. Ein Streifzug durch das Wirken einer Band, deren Einfluss für die deutsche Indie-Szene gar nicht zu hoch bemessen werden kann.
Gestartet als EBM-Projekt in den späten 1980ern, hat X Marks The Pedwalk einen radikalen stilistischen Wandel hin zu einem anschmiegsamen Synthie-Pop mit Retrofeeling vollzogen. Projektleiter Sevren Ni-Arb alias André Schmechta treibt diese Entwicklung mit "Superstition" nun auf die Spitze. Das zwölfte Album in 35 Jahren Bandgeschichte kann mit Fug und Recht als das eingängigste und ausgefeilteste Werk des Münsteraners bezeichnet werden.
Es bleibt in der Schwebe: Blindzeile aus der Schweiz und All diese Gewalt, das Soloprojekt von Die-Nerven-Sänger Max Rieger lieben die metaphorischen Möglichkeiten, welche die deutsche Sprache bietet. In ihren Stücken werden Wörter zu kleinen Gesten und berühren die Hörerschaft, ohne konkret oder explizit Sachverhalte darzustellen. Am Ende bleibt nur das Gefühl als universelles Bindeglied zwischen den Künstlern und ihren Anhängern.
Es herrscht schwere Millenial-Depression. Was bleibt der heranwachsenden Generation am Ende denn noch übrig, wenn die Welt im Chaos versinkt? Der drohenden Apokalypse das schönste Lächeln zeigen vielleicht? Zumindest haben Culk und Miblu auf ihren Alben die Hoffnung noch nicht ganz verloren, auch wenn der dröhnende Post-Punk (Culk) und die schummrige Melange aus R'n'B, House und Trip-Hop (Miblu) was ganz anderes vermuten lässt.
Zu behaupten, dass Midge Ure und Soft Cell die musikalischen Vordenker der 1980er sind, ist vielleicht übertrieben. Dass ihr musikalisches Wirken das Jahrzehnt aber maßgeblich mitgeprägt hat, steht außer Zweifel. Die beiden üppigen Wiederveröffentlichungen ihrer Debüts - "The  Gift" und "Non-Stop Erotic Cabaret" - erzählen die Geschichte ihrer Entstehung bis zur letzten Note und halten einige wundervolle, bislang noch nicht gehörte Überraschungen bereit.
Bei Marí ist der tieftraurige Klang, den sie auf "Making Peace With Uncertainty" ausbreitet, kaum verwunderlich, stammt die Musikerin doch aus Dänemark und hat daher die skandinavische Tristesse mit der Muttermilch aufgesogen und impft sie geschickt in ihre Indie-Folk-Nummern. Dass aber die Folk-Sängerin Janda aus Leipzig mit "Apnoe" ebenfalls den ruhigen und eher nachdenklichen Tönen frönt, die sie mit einigen orchestralen Elmenten verziert, überrascht etwas mehr. Über jeden Zweifel erhaben bei beiden Chanteusen sind aber ihre kraftvollen, unter die Haut gehenden Gesänge.
Wien, Wien, nur du allein: Einmal mehr kommt aus der kaiserlichen Stadt Großartiges in Form von Buntspechts fünftem Album mit dem nobelpreisverdächtigen Titel "An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte" und Werckmeisters dunkelviolettes Zweitling "Maruschka". Anarchischer Stilmix auf der einen Seite, gruftiger Singer-Songwriter-Sound auf der anderen. Und ein messerscharfes Gespür für unkoventionelle Texte auf beiden Seiten. Ein musikalischer wie auch literarischer Hochgenuss.
Es geht wieder einmal auf die Zielgerade: Der Herbst steht traditionell im Zeichen starker Veröffentlichungen. 2023 bildet da keine Ausnahme. Eighties-induzierter Electro-Rock, Martyriums-Post-Punk, Jangle-Pop im Geiste von The Smiths, feinster Art-Punk, Verliererstraßen-Austro-Rock und trashiger Rave-Pop mit weiblichem Autotune-Gesang: Die 17. Folge "kurz angespielt" ist so bunt wie die Blätter, die gerade von den Bäumen fallen.
FELINE LANG "DAS PUPPENHAUS" / "THE DOLL'S HOUSE": KOMM SPIELEN
Bislang hat sich Feline Lang als wandelbare Chanteuse ihrer Steampunk-/Dark Cabaret-Truppe Feline & Strange in der hiesigen Gothic-Szene einen Namen gemacht. Nun ist sie auch unter die Schriftstellerinnen gegangen. Ihr erster Roman "Das Puppenhaus" ist aber nur Teil eines Gesamtkunstwerk. Flankiert wird das Buch, dessen physische Anschaffung sich allein wegen des wunderbaren Grafikkonzepts lohnt, von einer CD, bei der unter anderem NDW-Urgestein Pyrolator und Schwarzkittel-Koryphäe Christian Van Aster mit von der Partie sind. Ein wagnerianisches Gesamtkunstwerk über ein ganz besonderes Puppenhaus, über das Feline im Interview mit UNTER.TON ausführlich Auskunft gibt.
Während die Bonner Band Smile sich auf ihrem Debüt "Price Of Progress" in nostalgischem Post-Punk schwelgt, stammt das Projekt Alice Under Water aus der Zukunft. Ihr "Fuckomania" schickt die fiktive Podcasterin aus dem Jahr 2047 mit jeder Menge Elektronik und angedeutetem HipHop. In beiden Alben klingt dabei die Angst der jungen Generation über die momentane Lage der Welt an. Trotz der Melancholie, die "Price of Progress" und "Fuckomania" verbreiten, fühlt man sich nicht bedrückt, sondern eher angriffslustig.
Sich komplett frei machen von seinen Vorbildern kann man als Musiker höchstwahrscheinlich nie ganz. Aber man kann versuchen, sich keinen großen Kopf um ohnehin obsolete Genreschubladen zu machen. Bei The Vacant Lots und Feu Follet hat das geklappt, und so präsentieren die beiden Gruppen zwei herrliche, weil absolut nicht eingrenzbare Alben, bei der jeder Song wie eine Wundertüte funktioniert.
Wen überkommt dieser Tage nicht das Gefühl, dass es um die Menschheit nicht gut bestellt ist? Die große Gesellschaftskritik findet allerorten statt, auch aus Wien, der "morbidesten Stadt der Welt", wird der Zeitgeist kritisch beäugt. Laut Fragen sind dabei der musikalische Molotow-Cocktail, ihr "Age Of Angst" eine kompromisslose Konfrontation mit unserer kapitalistische Konsumgesellschaft. Neuschnee dagegen pflegen auf "Der Lärm der Welt" die Abschottung von eben dieser. Electro-Punk gegen Kammer-Pop, jedoch vereint in ihrer Weltabgewandtheit.
Die Wiederveröffentlichung eines Teils des Backkatalogs von Crime & The City Solution in diesem Jahr gestaltete sich als perfekter Auftakt für das neue Werk "The Killer", einer außergewöhnlich intensiven Meditation über die Gewalt in seinen verschiedensten Ausformungen, und wie man in Zeiten des - zumindest gefühlten - allgemeinen Werteverfalls den Glauben an die Menschheit nicht verliert. Das Werk ist Ergebnis der strikten australischen Lockdown-Regeln - und vielleicht das beste Album der Band um Sänger Simon Bonney.
Der Berliner Musikproduzent Luca Venezia alias Curses ist einer der schillerndsten Figuren des Dark Disco, einer Musikrichtung, welche die Dekadenz der 70er Jahre mit der dunklen Melancholie von Post Punk und Dark Wave zusammenbringt. Seine Zusammenstellung "Next Wave Acid Punk" vereint alte und fast vergessene Klassiker mit der neuesten Musikergeneration. Zu denen gehören auch Local Suicide, ein griechisch-deutsches Pärchen, das nicht nur atemberaubend schöne Tanzmusik macht, sondern mit Iptamenos Discos eines der prosperierendsten Untergrund-Labels ins Leben gerufen haben. "Iptamenos Diskotek Vol. 1" ist ein spannender Querschnitt durchs Roster zum Zweijährigen.
Als produktivster Vertreter der Berliner Schule bringt Robert Schroeder mit "Into The Light" sein mittlerweile 45. Studioalbum heraus, das sich dieses Mal um die Kraft des Lichts dreht, die er mit warmen Synthieflächen vertont. Musikerkollege Lambert Ringlage (dessen Label Spheric Music auch Schroeders Album verlegt) würzt auf seinem aktuellen Album "Bon Courage" den überwiegend elektronischen New-Age-Sound mit einigen Rhythmuseinlagen. Es darf geträumt werden!
Seit mehr als 100 Jahren fasziniert das Kino mit seinen bewegten Bildern und den erzählten Geschichten. Die folgenden fünf Neuerscheinungen nehmen Bezug darauf. Mal ganz direkt wie bei "Cinéaste" von Ego Amp, mal um die Ecke gedacht wie es Symphonic Noise Cult bei "Behind The Curtain" machen. Und manchmal schaffen Songs die berüchtigten Filme im Kopf, geradezu meisterlich bei den Releases von Mind.In.A.Box und George Kochbeck umgesetzt - letzterer ist auch als Soundtrackkomponist sehr erfolgreich. Licht aus, Spot an.
Sicherlich könnten Public Speaking und Alice Does Computermusic massentaugliche Songs produzieren. Stattdessen haben sich die beiden Musikprojekte auf ihren aktuellen Alben aber dazu entschieden, ihre im Kern poppigen Stücke mit jeder Menge überbordender Avantgarde-Kunst auszuschmücken. Die daraus sich ergebende Dynamik aus Anspruch und Eingängigkeit machen "An Apple Lodged In My Back" und "Shoegaze 5G" zu großartigen Alben.
Keine Ahnung, wie die das hinbekommen. Aber das frannzösische Duo Atoem mischt auf ihrem ersten Album "Entropy" Disco, Techno und Wave so geil zusammen, dass man schon vom nächsten heißen Scheiß seit Daft Punk redet, und Kalipo (alias Jakob Häglsperger von Frittenbude) wirft mit "Wut" uns einen dreckigen Dark-Disco-Brocken vor die Füße. Der Herbst wird heiß und die Bässe fett wie Bratensauce!
Natürlich mal wieder die Skandinavier: Geht es um gehaltvolle Songs voller Melancholie, sind die Nordeuropäer meistens ganz vorne mit dabei. Dieses Mal geben uns die Chanteusen Heidi Lindahl von BlackieBlueBird und Anna Sundström alias Mirny Mine auf ihren aktuellen Werken die gediegene Portion Schwermut, um in den schummrigen Stunden bei Kerzenschein und einem Glas Rotwein einfach auf sich selbst zurückzufallen.
Geteiltes Leid ist doppeltes Leid. Mick Harvey, als Teil der um Hoffnungslosromantiker Nick Cave umherschwirrenden Bad Seeds berühmt geworden, hat sich mit der mexikanischen Sängerin Amanda Acevedo kurzgeschlossen und ein berauschend schönes Mitternachtsalbum namens "Phantasmagoria In Blue" herausgebracht. Harry Stafford, als Vorsteher der Inca Babies zu Szeneruhm gekommen, macht indes ein weiteres Mal gemeinsame Sache mit Marco Butcher, was in dem rumpeligen, aber nicht minder superben "We Are The Perilous Men" mündet. Zwei Alben so gehaltvoll wie ein schwerer Rotwein.
Spannend waren die Veröffentlichungen von Alben, die während Corona entstanden sind und im Kontext dieser außergewöhnlichen Zeit gedeutet werden konnten. Nicht minder aufregend muten aber auch alle Scheiben, die nach den restriktiven Maßnahmen gemeinsam im Studio wieder aufgenommen worden sind. Bei Nation Of Language und The Slow Show hat sich diese wiedererlangte Freiheit auf ganz unterschiedliche Art und Weise in ihren neuesten Alben manifestiert.
Da gibt es Bands respektive Künstlerinnen und Künstler, die sich in stilistisch vorgegebenen Grenzen bewegen. Das ist natürlich keine Schande. Um wieviel spannender es jedoch ist, wenn versucht wird, Klänge zu generieren, die man sonst nicht dargeboten bekommt, zeugen die folgenden fünf Werke, die sich auf Nischensuche begeben haben - erfolgreich, nebenbei bemerkt.
Auch bei dieser Ausgabe von "Kurz angespielt" gilt: Eigentlich haben die fünf vorgestellten Werke eine tiefergehende Betrachtung des Materials verdient. Deshalb, liebe Leserin und lieber Leser: Begreife diese kurzen Besprechungen nicht als leidliche Fingerübung des Autors, sondern als verbindliche Einladung, sich mit den Alben eingehender zu befassen. Denn ihre Songs bergen, jeder in ihrem Genre, einige Überraschungen.
Jeder, der sich für Indie-Musik aus Deutschland interessiert, sollte mindestens eine Veröffentlichung des Berliner Labels Staatsakt sein Eigen nennen. Immerhin tummeln sich in der von Maurice Summen gegründeten Plattenfirma so namhafte Künstlerinnen und Künstler wie Masha Qrella, Chris Imler sowie die Bands Die Türen (wo Summen selber mitspielt), Die Kerzen und noch einige mehr. Zum 20. Geburtstag von Staatsakt haben Summen und PR-Chef Markus Göres "Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint" herausgebracht, ein literarisches Kompendium, das die Werdegänge ihrer Schützlinge nachzeichnet.
Bislang analysierte Jérôme Reuter mit seinem Neofolkprojekt Rome oftmals historische Ereignisse unter dem Aspekt der Freiheit und Brüderlichkeit. Doch durch den aktuellen Ukraine-Konflikt, den Rome zum Inhalt von "Gates Of Europe" macht, verschwindet die historische Distanz, was das Werk, bei allem überdeutlichen Patriotismus, aber auch zu einem impulsiven und flammenden Appell an die Menschlichkeit avancieren lässt.
Natürlich hätte Hozier so weiter machen können wie bisher. Als er vor rund einer Dekade mit "Take Me To Church" eines der schönsten Lieder der 2010er Jahre veröffentlichte, wäre es ein leichtes gewesen, den jubilierenden Soul-Pop bis ultimo auszureizen. Doch bereits der Nachfolger "Wasteland, Baby!" von 2019 bewegte sich von den bekannten Pfaden weg. "Unreal Unearth" nun hat Dantes "Göttliche Komödie" als geistliches Fundament - und das musikalische Experiment als Stilprinzip.
Dieser Cliffhanger war fast schon unmenschlich lang: Ganze sechs Jahre hat uns Mind.In.A.Box Mastermind Stefan Poiss warten lassen, bis die dystopische Cyber-Punk-Saga um Mr. Black weitererzählt wird. Das siebte Kapitel stellt das direkte Duell mit Blacks Intimfeind Mr. White in den Fokus. Und wie es das Artwork es schon orakelt: Es kommt zu einem dramatischen Showdown, der allerdings nicht das Ende der Geschichte markiert. Daneben darf man(n) (und natürlich auch frau) fleißig Bezüge zur eigenen Gegenwart herausarbeiten, während musikalisch (fast) alles beim Alten bleibt - und das ist auch gut so.
Am Ende bleibt die Erinnerung: John Lydon, besser bekannt als Johnny Rotten, schenkt das Lied "Hawaii" seiner Frau Nora Forster, die dieses Frühjahr an den Folgen der Demenz mit 80 Jahren verstorben ist. Das Lied schließt auch das aktuelle Album "End Of World" ab, welches wohl ob des Verlustes (Rotten und Forster waren über 40 Jahre liiert) trotz einiger Gassenhauer sehr nachdenklich geworden ist.
Dieses Label verbreitet Langeweile - wenn wir ihren Namen für bare Münze nehmen. Doch Boredomproduct aus Marseille ist nichts weniger als DIE Instituition, wenn es um analogen Elektro-Pop made in France geht. Jüngst verwöhnte sie uns mit La Machines zweiter Single, eine düstere Coverversion von Righeiras "Vamos A La Playa" und dem zweiten fulminanten Album von The Overlookers, "Videodrama" betitelt.
Das mit dem Sommer war dieses Jahr nicht der Hit. Die folgenden fünf Alben jedoch sind es (welch elegante Überleitung). Zwischen schrammeligen Gitarren und pumpenden Beats wird alles gegeben, um den Körper in Bewegung zu halten. Am Ende geben uns Remote zumindest musikalisch ein bisschen das sommerliche Gefühl mit ihren entspannten Downbeat-Klängen zurück.
Seit einigen Jahren gehört Cold Transmission zu den federführenden Labels im Cold-Wave- und Elektronik-Sektor. Es ist schon erstaunlich, mit welch untrüglichem Bauchgefühl Andreas Herrmann, der Chef der Plattenfirma, einem Trüffelschwein gleich, die besonderen Bands aus der Unmenge an mediokren Freizeitcombos herauszufischen versteht. Sie finden sich auf "Cold Grooves" wieder, einem Kompendium, das, wie der Name es andeutet, die elektronische Tanzbarkeit in den Vordergrund stellt und Highlights aus den letzten Jahren zusammenträgt.
Der österreichische Performancekünstler Patrik Huber lotet mit seiner aktuellen Produktion "Hades 2.0" die imaginären Linien zwischen Dies- und Jenseits aus. Der einstündige Parforceritt gerät zu einem surrealistischen Fiebertraum, bei dem Popkultur, assoziative Lyrik und griechische Mythologie aufeinandertreffen und sich zu einem großen Gedankenmonster vereinen, dem der Protagonist Herr zu werden versucht.
Für UNTER.TON heißt es "winke, winke". Nein, wir hören nicht komplett auf. Wir gönnen uns nur eine kleine Sommerfrische und legen gleich noch diese sechs wunderbaren Platten ins Reisegepäck. Ein bisschen abzappeln in lauen Sommernächten kann nämlich gar nicht schaden. Natürlich erheben wir dabei den Anspruch, substantielle Tanzmusik zu präsentieren, bei dem Eingängigkeit und Gesellschaftskritik durchaus Hand in Hand gehen.
Nachdem sich Cherry Red in aller Ausführlichkeit um die musikalischen Strömungen der 1980er gekümmert hat, blickt das Label nun auf die Wendejahre und den aufregenden neuen eklektischen Sounds, die vornehmlich aus Manchester kamen und sinnigerweise das Etikett "Madchester" verpasst bekommen haben. Auf vier CDs schmeckt die Kompilation einer Zeit nach, in der mit dem Wegfall politischer Systeme auch in der Musik kurzfristig ein ungeheurer Freiheitsdrang sich breit machte.
Von Österreichern lernen heißt: von den Coolsten lernen. Zumindest in musikalischer Hinsicht. Denn da ist das Alpenvolk uns Deutschen eine Mozartkugel voraus. Besonders im alternativen Bereich gibt es immer wieder lässige Musikerinnen und Musiker, die mit einer Selbstverständlichkeit intelligente, aber nie zu verkopft klingende Musik produzieren. Dabei residiert Hollis "Der erste gute Tag" eher im experimentellen Folk, während Efeus EP "Alle" funkigen 80er-Jahre Pop und Rock wieder aufleben lässt. Beide Veröffentlichungen passen zum nahenden Sommer.
Junge Hüpfer, alte Hasen, anschmiegsame Songs und sperrige Kompositionsbrocken. Wieder einmal stellen wir bei der elften Ausgaben von "Kurz angespielt" Alben gegenüber, die in ihrem Musikverständnis ziemlich weit auseinanderdriften. Auf der einen Seite dominieren Harmoniebedürftigkeit in Ton und Songstruktur, auf der anderen herrscht vermeintlich Anarchie, die des Hörers Ohr schon zu strapazieren vermögen. Aber wer hat gesagt, dass Musik wohlklingend sein muss, um als gut durchzugehen? Eben: Keiner.
Vielleicht ist es nur ein Gefühl. Aber Sparks und Swans, jeweils bestehend aus Musikern weit jenseits des Renteneintrittalters, klingen subversiver und spannender als mancher Novize, dem man Sturm und Drang nachsagt. Die emotionale Ausgangslage variiert dabei erheblich: Auf der einen Seite der pythonesque Nonsense-Humor von Sparks, auf der anderen Seite der tonnenschwere, lärmende Indie-Rock von Swans. Zusammen sind sie das beste Mittel gegen beginnende Vergreisung und dem aufkeimenden Interesse für die Farbe Beige.
Für Artaud Seth ist Gothic-Rock nur immer Mittel zum Zweck gewesen. Interessanter sind die Ideen hinter seinen Projekten. Wie bei The Garden Of Delight, eines der führenden Gruppen aus diesem Genre in den 1990ern. Trotz des Erfolgs sollte Artauds Band nur sieben Jahre existieren - was sie auch tat. Mittlerweile hat sich der Musiker mit Alphavox und Near Earth Orbit neue Spielwiesen für seine dystopischen Geschichten erschlossen. Die Ergebnisse sind bombastisch und bedrohlich zugleich.
Der Titel klingt nach einem tiefgreifenden Einschnitt. Nach dem Schreiben letzter Worte zur Fertistellung eines Kapitels. Sicherlich hat Erin Elizabeth Birgy alias Mega Bog den gleichnamigen Song als Banner ihres siebten Albums nicht zufällig ausgewählt. Denn auf "End Of Everything" entdeckt die sonst eher für vertrackten Indie-Folk und psychedelisch-jazzige Nummern bekannte Musikerin den feinen Synthie-Pop für sich und tut gerade so, als ob sie nie etwas gemacht hätte. Was gleich geblieben ist, sind ihre zutiefst melancholischen Texte.
Es gibt ja solche und solche Debütalben. Die einen wirken noch unschlüssig und tasten sich vorsichtig an den Sound heran, der später im besten Fall Aushängeschild der Band respektive der Künstlerinnen oder Künstler sein soll. Und dann gibt es das Premierenalbum von Antiage, "Aphrodisiac Odyssey", welches sich bereits stilistisch fest positioniert hat und das Gefühl vermittelt, als sei es das natürlichste auf der Welt, mit der ersten Scheibe gleich durch die Decke zu schießen.
Elektronische Körpermusik verleitet in der Regel zur textlichen Kraftmeierei. Das ist beim Pseudokrupp Project grundsätzlich nicht anders. Seinen Schwerpunkt legt Marty Zänkert, der kreative Kopf des Projekts, aber eher auf philosophische Grundfragen denn auf latent splatterartige Horrorstories. Nicht umsonst trägt das kommende Album den Rio-Reiser-Titel "Mein Name ist Mensch". Wir wollten den Menschen hinter dem Projekt näher kennen lernen.
Es sind die Menschen im Hintergrund, die den Laden am Laufen halten. Einer davon war Frank Merkel, der seit den 80ern regelmäßig Konzerte und Tourneen organisiert hat. Anfang des Jahres erlitt er einen Schlaganfall, an dem er starb. Wie wichtig seine Arbeit war, wird nun anhand dieses liebevoll gestalteten Samplers "A Tribute To FFM" deutlich, auf dem namhafte Musikerinnen und Musiker, mit denen Merkel zusammenarbeitete, diesem für die Öffentlichkeit eher "unbekannten Helden" die letzte Ehre erweisen.
Die einen sind in Bodennähe, die andere mit ihren Köpfen über den Wolken. Dennoch sind alle Alben, die wir in unserer zehnten Kurz-Angespielt-Folge präsentieren, von einer ätherischen Schwerelosigkeit durchzogen. Oftmals liegt in diesem vermeintlich Leichten auch eine melancholische Schwere, die sich aber hier nur flüchtig zu erkennen gibt wie ein sublimes Parfüm, das die Songs umflort.
Wenn sich Ronan Harris an die Rechner und Synthesizer setzt, passiert etwas sonderbares: Seine Songs sind bei aller maschinellen Strenge ein einziger Gefühlsausbruch. Doch derart emotional wie auf "Electric Sun" hat man das Future-Pop-Projekt VNV Nation bislang noch nie gehört. Man kommt nicht umhin zu sagen, dass dieses Album einen absoluten Höhepunkt in Ronans Schaffen markiert und das beste seiner Laufbahn geworden ist.
Der April 2023 entpuppte sich als hervorragender Musikmonat mit einer Fülle an qualitativ bestechenden Veröffentlichungen. - und das stilübergreifend. Weswegen Nummer neun unserer "Kurz angespielt"-Ausgabe auch wieder einem beseeltes Hopsen durch die Musiklandschaft gleicht: kunstvoll arrangierter Pop, aufbrausender Shoegaze, Indie-Pop mit Haltung, Dark Rave auf die zwölf und psychedelisch-melancholischer Rock.
Schon immer tanzt der Mensch. Sei es aus religiösen oder sportlichen Gründen. Natürlich schwingt der Homo Zappelphilipp sein Tanzbein auch nur für sein privates Plaisir. Im besten Fall erreicht dieser die Schnittstelle zwischen Freizeitgestaltung und transzendenter Erfahrung, wie es die Techno-Raves weiland versuchten (natürlich unter Zuhilfenahme einer illegaler Substanzen). Opera Multi Steel und Sundl stellen sich ganz im Dienst des Tanzes. Ihre aktuellen Alben sind exquisites Clubfutter.
Vordergründig beschreibt die amerikanische Musikjournalistin Amanda Petrusich den skurrilen Mikrokosmos der Sammler alter Schellackplatten, den so genannten 78ern. Doch eigentlich geht es ihr in dem launig wie einfühlsam geschriebenen "Um keinen Preis verkaufen" um den seltsamen Zauber alter, zerkratzter Songs von den Urvätern und -müttern des Blues und Folk, deren Einfluss auf die (amerikanische) Popkultur immens war und immer noch ist.
Das vierte Album in rund 30 Jahren Bandgeschichte: Final Selection machen von außen betrachtet den Anschein, als ob sie sich sehr viel Zeit mit ihren Werken lassen. Tatsächlich verhinderten immer wieder vertriebliche Probleme das Wachsen ihrer Bekanntheit. Doch mit Infacted Recordings als neuen, stabilen Partner und dem atemberaubenden jüngsten Album "Siren's Call" will die zum Quintett vergrößerte Gruppe endlich mehr Fans für sich gewinnen.
David Sylvian und Jungstötter zusammen zu besprechen, liegt auf der Hand. Letztgenannter brachte 2019 mit seinem Debüt "Love Is" die sophistische Eleganz von Japan in die Popkultur zurück. Während Jungstötter auf seinem Nachfolger "One Star" weiter in lyrischer Schönheit zu sterben droht, bleibt Sylvian auf der Wiederveröffentlichung des 2012er "Wandermüde", einer Kollaboration mit dem deutschen elektroakustischen Musiker Stephan Mathieu, stumm.
Wieder einmal schickt das Cold Transmission Label den Hörer auf eine aufregende Reise durch zeitgenössische Clubmusik für die Schwarzgewandeten. Die zweite Folge der "Zeitgeist"-Reihe vereinigt unveröffentlichtes und exklusives Material von Bands sowohl vom Label als auch von außerhalb. Erlaubt ist, was Spaß macht und in die Beine geht. In dieser Beziehung haben die Macher seit jeher ein glückliches Händchen bewiesen. Das ist auf dieser Kompilation nicht anders.
Da weint der Geldbeutel, aber die Seele lacht. Crime & The City Solution, die sich aus der Asche von The Birthday Party erhoben, bringen ihre Meisterwerke "Shine", The Bride Ship" und "Paradise Discotheque" erneut auf Vinyl heraus, und die schrulligen Elektro-Humoristen Telex aus Belgien packen ihr gesamtes Oeuvre neu abgemischt in eine ganze Box. Sicherlich kein billiger Spaß, aber die Investition in das Ergattern dieser kultigen Alben lohnt sich ohne Frage.
Es ist das alte Luxus-Problem: Sehr viele sehr gute Veröffentlichungen erreichen uns, und wir sind bemüht, jedem in irgendeiner Weise gerecht zu werden. Die vier folgenden Tonträger sind deswegen trotz ihrer Kurzbesprechung nicht weniger spannend. Ganz im Gegenteil: Die Musikerinnen und Musiker, allesamt Vefechter elektronischer Klangerzeugung, bestechen mit zündenden Ideen zu bereichern wissen. Die achte Ausgabe besteht aus unsagbar guten Geheimtipps.
In den Wirren der Pandemie hat das Berliner Label Anomic Record seine Arbeit aufgenommen und einige Künstler unter ihre Fittiche gebracht, deren Verständnis von guter Rockmusik zweifelsohne sehr durchdacht ist. Die beiden Debütalben von Kaery Ann aus Italien und Errorr aus Schweden wandern dabei zwischen psychedelischem Wüsten-Rock, Noise sowie Shoegaze und loten die dunkelsten Ecken unserer Seelen aus.
Zwischen den schwebend-orbitalen Klängen von Peter Mergener und dem partyerprobten Rockabilly von den Firebirds liegen (Parallel)Welten. Dazwischen geben Torul, Airman und Rahel ganz viel Achtziger-Liebe, jeder auf seine Weise. Veredelter Synth-Pop, verspielter DIY-Electro und verträumter Indie-Pop stehen zwischen dem Anfangs- und Endpunkt unserer nicht verflixten siebten Kurzbesprechung.
Das Großartige an elektronischer Musik ist, dass sie Töne und Klänge generieren kann, die kaum ein klassisches Instrument im Stande ist, hinzubekommen. Dabei reicht die Bandbreite dieser Geräusche von extrem dekadent bis extrem dystopisch. Nuovo Testamento und Assassun verkörpern diese beiden Pole: 80s Italo Disco auf der einen Seite, vertrackte Endzeit-Elektronik mit EBM-Garnitur auf der anderen. So sehr sie auch stilistisch auseinanderdriften, so vereint sind sie doch in ihrer Perfektion.
Nachdem sie sich mit "A Worthy Compensation" eindrucksvoll zurückgemeldet haben, liefern Beborn Beton erneut ein deutliches Statement ab: "Darkness Falls Again" ist nichts weniger als perfekt produzierter Synthie-Pop, in der sich die für die Band typischen Harmonien zu neuen Sphären aufschwingen, während es textlich bisweilen dystopisch zugeht. Eingängiger hat Gesellschaftskritik kaum geklungen.
Deutlich neben der Spur befinden sich die nächsten fünf Alben - und das ist auch gut so. Schließlich haben Hanging Freud,The Livelong June, Vogon Poetry, Acud und Martin Dupont einen ganz eigenwilligen Klangkosmos errichtet, der flüchtig gängige Szenecharakteristika streift, um sie im nächsten Moment aber wieder zu negieren. Dieser Umstand macht ihre Alben zwar etwas anspruchsvoller, aber dafür auch um einiges spannender. Denn mit einmal Durchhören ist es nicht getan. Diese Werke wollen Schicht für Schicht entdeckt werden.
Sie haben sich wiedergefunden: Daniel Green und Carl Albrecht sind als Hotel California unterwegs, ebenso wie Ledfoot und Ronni Le Tekrø unter ihren eigenen Namen. Zudem sind deren aktuelle Alben "Family" und "Limited Edition Lava Lamp" fein ausgeklügelter Americana und Folk, der zwischen unbeschwert und erdig changiert und kleine, feine Alltags- auf der einen und liebenswürdige Verlierergeschichten auf der anderen Seite bereithält.
Im ausklingenden Winter wirken sich gemächlich aufbauende Songs besonders intensiv aus. Das deutsch-schwedische Projekt Hansan setzt auf die Grandezza erhabener Streicherhsätze und schwedischer Lyrics, während Philipp Selway, Drummer von Radiohead, auf seinem dritte Album gleich ein kleines Orchester für die Realisierung seiner hymnischen Post-Rock-Songs organisiert hat. Beide klingen wie ein eiskalter klarer Morgen im Februar, wenn die Sonne sich über die reifbedeckten Felder erhebt.
Querfeldein durch den musikalsichen Gemüsegarten, Teil drölftausend: 80s Pop, Psy-Rock, Dark Wave, Art-Pop, Düsterdisco und geradliniger Punk. Alles geht, und alles ist geil. Für sich genommen sind die einzelnen Bands und Projekte für ihre jeweiligen Genre nicht unerheblich, und für die subversive Musik an sich ein Segen. Schließlich wird wieder einmal deutlich: Musik, egal welcher Couleur, kann immer noch bis aufs letzte begeistern.
Seit rund zehn Jahren gehören Karies zum Stuttgarter Post-Punk-Establishment und konnten im Dunstkreis von Die Nerven, dessen Frontmann Max Rieger auch schon die erste Karies-Platte produzierte, für feine trübsinnige Momente sorgen. Auf "Tagträume an der Schaummaschine I" sagen sie sich noch einmal stärker von der Depri-Mucke los. Das bedeutet aber nicht, dass die neue Platte ein beseeltes Hopsen durch eine bunte Blumenwiese ist. Ganz im Gegenteil!
Die geballte Ladung Musikwissen strotzt uns entgegen: David Sylvian (Japan), Escape With Romeo, Kontrast und die seit Anbeginn ihrer Karriere unterschätzten Twice A Man präsentieren unveröffentlichtes und bekanntes Liedgut in teilweise neuem Gewand, während eine Band namens Automatic sich anschickt von den alten Meistern zu lernen und den Klang der Achtziger für sich zu entdecken. Ein Reigen wunderbarer Stücke zwischen Nostalgie und Neuerung.
1982 markierte für die elektronisch generierte Popmusik ein wichtiges Datum, da in diesem Jahr der anfangs als schrullig angesehene Synth-Pop den Mainstream enterte. "Musik, Music, Musique 3.0" beleuchtet dieses Jahr ausgiebig, in dem auch ein gewisser Sven Väth angefangen hat, Platten in Diskotheken aufzulegen. Mit seinem üppigen "What I Used To Play" bekommen wir einen erhellenden Einblick in die musikalische Sozialisation des Frankfurters.
Nach fünf Jahren Pause meldet sich Adrian Hates mit einem erstaunlich intensiven Album zurück, das den bereits überbordenden Backkatalog der ikonischen Dark-Wave-Band einen weiteren Meilenstein hinzufügt. In solchen Sphären schwebt Tess de la Cour, die angetraute von Weltschmerzmusiker Henric de la Cour, noch nicht, doch auch ihr Zweitling "From The Bones" festigt ihren Ruf als Hoffnungslosromantikerin allererster Güte.
Für die dritte Ausgabe von "Kurz angespielt" blicken wir auf einige Sampler, die bereits im vergangenen Jahr erschienen sind. Sie sind gleichzeitig Moment- und Bestandsaufnahme der subkulturellen Sounds, die sich über treibend-tanzbar bis hin zu klassisch-entspannt erstreckt. Alle vier Kompendien suchen nicht die großen Namen, sondern die großen Klänge, die so eine Zusammenstellung erst interessant machen.
Der große Pomp war Tim Scott McConnell alias Ledfoot schon immer fremd. Doch mit "Coffin Nails" schafft er alle Zwischenstationen einer Albumaufnahme ab und spielt im Alleingang in zwei Tagen die Songs ein und lässt sie ohne großes Rumdoktorn vom Band auf Platte pressen. Es war der entscheidende Schritt, der "Coffin Nails" so intensiv und authentisch macht. Atemberaubender hat Americana und Gothic-Blues selten geklungen.
Das aufstrebende Independent Label kommando-84 aus München sollte man auf dem Schirm haben. Denn sie besitzen mit Pirx und Wildes zwei bemerkenswerte Gruppen, deren Alben "Lamina" und "Klischee" schnörkellos gespielter Indie-Sound in allen Schattierungen enthält. Zwischen Umweltbewusstsein und grenzenlosem Hedonismus greifen die beiden "female-fronted" Gruppen das Gefühl von früher auf und packen es ins Heute. Und das in richtig gut!
Was, wenn alles nicht mehr greift? Wenn selbst "independent" als Begriff in Zeiten von Krieg, Umweltzerstörung und Pandemie nicht funktioniert? Die Welt ist einem krassen Wertewandel unterlegen und die Musik reagiert darauf. Während an der Oberfläche eskapistischer Hochglanz-Pop die Szenerie beherrscht, geht es ein paar Meter tiefer höchst hoffnungslos zu. Die Sauna und Billy Zach stehen beispielhaft für die Musik gewordene Ausweglosigkeit einer von Zukunftsängsten zerfressenen jungen Generation.
Richtig gelesen, heute geht es tatsächlich um Schlager im eigentlichen Sinne. Doch bitte nicht die Augen verdrehen und an irgendwelche halbgaren Schunkelcombos aus dem ZDF-Fernsehgarten denken. Die folgenden fünf Songs zeigen, dass auch in diesem Genre ernste Themen verhandelt werden, die weit davon entfernt sind, den ewig gleichen Liebesschnulzen nachzueifern. Eine kleiner, interessanter Ausflug mit Anschauungsmaterial.
Es ist das Dilemma unserer heutigen Zeit: Wir leben mit einem kulturellen Überangebot. Musik ist dank der Digitalisierung überall und in Hülle und Fülle greifbar, die früheren Gatekeeper in Gestalt von Radiosendern und Plattenfirmen funktionieren nur noch bedingt. Das macht Kunst tatsächlich demokratischer, aber auch unübersichtlicher. Im schlimmsten Fall rutschen dann solche Indie-Juwelen wie die von PMad, Frenchy And The Punk und Phomea durchs Raster. Gut, dass UNTER.TON engmaschig genug arbeitet.
Zu unseren ständigen Begleitern in der Redaktion gehören die beiden Plattenfirmen Avant! Records und Cold Transmission, deren Künstlerinnen und Künstler den innovativen Geist von Post-Punk und Dark-Wave weiter in sich tragen. Die elektronisch generierte Traurigkeit, die Hørd aus Frankreich und Iamnoone aus Italien mit ihren neuesten Werken kredenzen, bleibt aber nicht tonnenschwer auf einem liegen, sondern flirrt wie feiner Glitter durch den Raum.
Dem spröden Charme analoger Elektronik kann man sich nur schwer entziehen. Und es scheint fast so, dass mit dem Fortschreiten der Zeit die Sehnsucht nach den frühen Synthesizerklängen größer denn je ist. Vielleicht weil sie eine glorifizierten Futurismus propagierten, der sich nur bedingt bewahrheitet hat. Robert Schroeders Neuauflage seines zweiten Albums "Floating Music" von 1980 besitzt diesen positiven Technikglauben noch, und La Machine träumen sich mit ihrer ersten EP in diese Zeit zurück.
Eifrige Leserinnen und Leser wissen bereits, dass wir es hier auf UNTER.TON, trotz unseres schwarz-weißen Erscheinungsbilds, musikalisch recht bunt treiben. Auch in der zweien "kurz angespielt"-Ausgabe sind wieder verschiedenste Stilrichtungen vertreten - von klassischem Goth-Rock über Electro bis hin zu folkigen Kleinoden. Hier passt folgender abgedroschene Werbesatz wie Arsch auf Eimer: Da ist für jeden etwas dabei!
Dass es immer noch nötig ist, Frauen in der Öffentlichkeit - sei es als Politikerin, Schauspielerin oder eben auch Musikein - besonders herauszustellen, zeigt, dass es noch ein langer Weg zur Gleichberechtigung ist. Auch UNTER.TON weist immer noch gerne darauf hin, dass der weibliche Anteil in der (Sub)Kultur viel zu wenig Beachtung findet. Dabei sind Culk-Frontfrau Sophie Löw alias Sophia Blenda und ewiger Geheimtipp Sarah P. mit ihren aktuellen Werken ganz weit vorne in Sachen Authentizität und Innovation.
Irgendwann waren Remixe cool. Irgendwann später wurden sie langweilig. Weil sie inflationär fast jedes Album und jede Single mit uninspirierten Sounds unnötig in die Länge zogen. Doch die Geschichte dieser Kunstform ist damit nicht jäh zu Ende erzählt. Auch wenn die große Zeit interessanter Neuabmischungen bereits hinter uns liegt, zeigen Dioramas "Fast Advance Fast Reverse" sowie die "Eros Anikate Remixes" von Local Suicide, welche Freude es bringen kann, Songs in anderem Gewand neu zu entdecken.
Obligatorischerweise beginnt das neue Jahr noch mal mit einigen Retrospektiven. Denn so viel Musik ist anno 2022 auf den Markt gekommen, dass UNTER.TON den veröffentlichungsarmen Januar nutzt, um noch alle wichtigen Alben vom vergangenen Jahr abzuarbeiten. In der ersten Ausgabe von "Kurz angespielt" widmen wir uns vier wunderbaren Instrumental-Platten, die (fast) völlig ohne Texte auskommen.
Das mit dem Patriotismus ist in unserem Land besonders delikat. Eigentlich verbietet unsere Geschichte ihre Glorifizierung. Musikalisch gesehen können wir aber doch stolz auf unser Land sein: Besonders in der elektronschen Klangerzeugung können wir dank Kraftwerk und Konsorten mit breit geschwellter Brust umherstolzieren. Welle:Erdball und Reakton überführen dieses Erbe mit ihren aktuellen Longplayern ins 21. Jahrhundert.
Von wegen besinnliche Zeit: Green Lake Project, Amount und Terence Fixmer lassen es im letzten Monat des Jahres ordentlich krachen. Von discoiden Trance-Nummern bis hin zu angeknacksten Techno und EBM lässt sich der Frost gut aus dem Leib schütteln. Für das kollektive Zappeln, das viele Menschen während der Pandemie sehnlichst vermisst haben, sind diese drei Alben wärmstens zu empfehlen.
Nur schwer lässt sich erklären, was eine gute Stimme von einer außergewöhnlichen unterscheidet. Sicherlich spielen subjektive Aspekte keine geringe Rolle. Manchmal hebt auch die Wahl des Genres die Qualität eines Organs. Nero Kane, Katharina Nuttall und Karo Lynn besitzen zweifelsfrei wiedererkennbare, markante Organe. Doch erst in Verbindung mit ihrer Musik erstrahlen sie in hellstem Glanz.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: André Schmechta alias Sevren Ni-Arb ist seit drei Dekaden mit seinem Projekt X Marks The Pedwalk eine feste Größe im Bereich der synthetischen Klangerzeugung. Sein Filius schickt sich nun an, als LMX es dem Vater gleich zu tun. Eine perfekte Rahmenbedingung, um beide Werke gegenüberzustellen - und zu beobachten, wieviel von der Elterngeneration an die Nachkommen mitgegeben wurde und an welchen Punkten sie völlig auseinanderdriften.
Kerngeschäft des Post-Punk ist zweifelsohne die Kultivierung des gepflegten Trübsinns. Diese Tatsache haben Vlimmer, Suir und THe Secret French Postcards, drei diesem Genre zuzuordnenden Projekte, ohne Frage verinnerlicht. Gepaart mit der herbstlichen Jahreszeit, entfalten ihre aktuellen Alben einen unwiderstehlichen Sog in die tiefsten Tiefen der romantischen Hoffnungslosigkeit. Und ganz nebenbei deuten sie diese Spielart melancholischen Musikzierens teilweise neu.
Das Jahr geht mit großen Schritten seinem Ende entgegen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass wir Mitten in ein Krisenjahrzehnt geschlittert sind, aus dem es momentan keinen vernünftigen Ausweg gibt. Da ist der Moment der inneren Einkehr kurz vor dem Heiligen Fest sicherlich nicht verkehrt.  Zunächst entledigen wir uns im Tanz zur Musik von Oriom und B.Ashra unserer Sorgen, finden in den Stücken von Klangwelt zur Ruhe und sind am Ende bei den minimalen Klängen von N ganz auf uns selbst zurückgeworfen. Klingt nach New Age, ist aber einfach nur die Magie der Töne.
Das x-te 80er-Kompendium über die nihilistischen Popper der frühen 80er? Das stimmt bei "Music For New Romantics" nur bedingt. Denn das Label Cherry Red hat mit diesem Sampler dem im Titel befindlichen Terminus sehr viel Spielraum gegeben. Das Ergebnis ist eine drei CDs umfassende musikalische Achterbahnfahrt, die auch Disco, Goth- und Glam-Rock sowie Punk nicht ausspart. Schließlich gehören diese Genres zu den maßgeblichen Einflüssen dieser kurzen popkulturellen Phase, deren Auswirkungen aber bis zum heutigen Tag immer noch spürbar sind.
Das Dutzend ist voll: Die vergangene "Kurz angespielt" - Episode ließ bereits erahnen, dass da noch einiges auf dem Schreibtisch liegt, was gehört und besprochen werden muss. Der Grund ist wieder der gleiche: Die Alben sind zu wichtig, um sie einfach zu ignorieren. Vor allem, da es sich um Bands handelt, die nicht mit großem Label oder fetter Promoagentur im Rücken medienwirksam auf sich aufmerksam machen. Die Bands repräsentieren mit ihren Platten das, was man als "wahren Underground" bezeichnen könnte. Vor allem aber enthalten die Platten wichtige, weil innovative Musik.
Auch wenn wir in einer Zeit leben, in der wir durch manische Körperoptimierung versuchen, dem Jenseits so lange wie möglich ein Schnippchen zu schlagen: Irgendwann holt uns der Sensenmann. Sich dessen bewusst zu sein, kann auch auf künstlerischer Ebene viele Energien freilegen. Denn bei dem spannenden Projekt Ungemach und den Neuen Deutschen Todeskünstlern von Oberer Totpunkt bleibt der Gevatter stets in Sicht- und Hörweite. Das ist einerseits gruselig, andererseits - höhöhö - todesspannend.
Die 1980er sind immer noch da. Und wenn man einen Blick auf die aktuellen Charts wagt, sogar mehr denn je. Schöne Melodien aller Orten und ein Gefühl von Leichtigkeit, das sich im krassen Kontrast zum gegenwärtigen Leben verhält und ein tönernes Utopia verspricht, während die Realität nur noch wenig Hoffnung macht. Elektronischer Pop entwickelt sich weiter - auch bei Primer, den Kerzen und xPropaganda, der Neuauflage der berühmten Art-Elektroniker Propaganda. Es darf getanzt und geschwelgt werden.
Aus persönlichen Gründen lag UNTER.TON in den Sommermonaten auf Eis. Mittlerweile schafft es der Autor dieser Zeilen, in den späten Stunden des Tages die sich stapelnden Alben zu beackern. Bei einigen wünscht man sich dann auch, man könnte sie etwas ausführlicher besprechen. Doch das würde den Rahmen sprengen. Bei den folgenden sechs Alben sollte, ja muss, wenigstens ein kurzer Blick drin sein. Schließlich handelt es sich um teilweise unerwartet gute Werke, die man schlicht und ergreifend einfach nicht ignorieren kann.
Anno 1979: Thomas Leer und Robert Rental veröffentlichen "The Bridge", ein vergessenes Meisterwerk anarchisch-experimenteller DIY-Synthesizermusik. Anno 2022: "The Bridge" ist wieder via Mute erhältlich. Auch anno 2022: I Am The Fly veröffentlichen mit "Pattern/Function" eine LP, die sehr nach anno 1979 klingt. Ergo: Trotz rasenden Fortschritts im Bereich der elektronischen Klangerzeugung sind die schroffen, künstlichen Sounds analoger Musikmaschinen immer noch beliebt. Und ihre Faszination bleibt ungebrochen.
Vor fast 20 Jahren prägte Berlins damaliger Bürgermeister Klaus Wowereit eine pointierte Beschreibung der Hauptstadt: "Arm aber sexy". Doch auch hier tobt die Gentrifizierung mit unnachgiebiger Wut, sodass von dem Spruch nichts mehr übrig ist. Chris Imler, gebürtig aus dem beschaulichen Augsburg stammend, zog es irgendwann mal ebenfalls an die Spree. Mit seinem neuesten Album "Operation Schönheit" wiederbelebt er - wenigstens auf musikalischer Ebene - all das, was das arme sexy Berlin einst so amziehend und charismatisch gemacht hat.
Auf der Suche nach dem Besonderen in der Musik herrscht absolutes Scheuklappenverbot. Denn ein unvoreingenommenes Stöbern nach den erinnerungswürdigen Momenten  macht vor keinem Genre Halt. So besitzt der postnukleare Dark Wave von Clichée ebenso große Anziehungskraft wie der handfeste Rock von Ronni Le Tekrø oder der ungefiltert wütende Punk von Heiße Projektile. Zusammen mit anderen drei nicht minder spannenden Projekten bilden sie das dreckige halbe Dutzend, das auf Mainstream pfeift und so wahre Größe zeigt.
Wer elektronische Musik als stumpfes Bumm-Bumm abtut, vergisst dabei, dass es unter den rauschenden "Beats per Minute" auch durchaus philosophisch zugehen kann. So findet sich bei HVOB aus Österreich, den "Drei von der Bassstelle" Moderat, sowie dem französischen DJ Vitalic viel nachdenkliche Momente, denen auch das Bassdrumgewitter nichts anhaben kann. Im Gegenteil: Der redundante Rhythmus intensiviert die existenzialistischen Gedanken dieser Werke
Angesichts eines neuen, verheerenden Krieges auf europäischem Boden sind Musikkritiken vielleicht das Unwichtigste, was die Welt im Moment braucht. Auf der anderen Seite tut solch ein Stück Normalität in Zeiten absoluter politischer Verwirrungen auch ein bisschen gut. Und letzten Endes können die fünf besprochenen Projekte und Gruppen ja nichts dafür, dass die Welt gerade so bescheuert ist. Sie machen sie aber mit ihren kleinen und großen Veröffentlichungen ein Stück weit erträglicher.
Vielleicht ist es ein bisschen gewagt, sich so früh im Jahr darauf festzulegen, aber "Birth" kann wohl jetzt schon als das Album 2022 bezeichnet werden. Denn was Anita Goß alias Aniqo hier vorlegt, ist nichts weniger als ein extrem vielschichtiges wiewohl in sich kongruentes Werk, voller helldunkler Schönheiten. Irgendwo zwischen Massive Attack, Nick Cave & The Bad Seeds und Noblesse Oblige hat sich die Musikerin klanglich niedergelassen und blickt mit einer gewissen Traurigkeit auf unsere Gesellschaft.
Seit jeher gilt der Spruch: Lieber gut kopiert, als schlecht selbst gemacht. Für Stereoskop und Ava Vox gilt dies. Denn die beiden Projekte bringen sich mit ihren charismatischen Sängerinnen in die Nähe bekannter Chanteusen der 80er Jahre. Stereoskop schielt auf eine eher träumerische Mixtur aus Synth Wave und Dream-Pop mit stimmlichen Anlehnungen  an Marianne Faithfull. Dem steht der melancholische Impetus von Ava Vox gegenüber, der vor allem Fans von Siouxsie & The Banshees in den Bann ziehen dürfte.
Cold Transmission Music sucht nach dem Besonderen in der Post-Punk- und Dark-Wave-Szene. Das macht sie zu einem der einflussreichsten Label dieser Tage. Mit ihrer neu angelegten Sampler-Reihe "Zeitgeist Chrome" werden sie vor allem Schallplatten-Liebhaber besonders glücklich machen. Die zehn Songs von den bei Cold Transmission beheimateten Bands und Projekten erscheinen als limitierte Vinyl-Edition, teils in Schwarz, teils in transparentem Blau.
Nicht alles, aber doch vieles ist durch Kraftwerk in Bewegung gesetzt worden. Vor allem die rein elektronische Popmusik hat durch diese Band ihren Anfang genommen. Die Nachbeben dieses kulturellen Einschlags sind indes bis in die Gegenwart zu spüren. Als Wolfgang Flür Mitglied dieser Band war, agierte Robert Schroeder als Teil der ebenfalls elektronisch geprägten Berliner Schule. Beide haben tiefgründige neue Alben geschaffen, die in H/Ps "Programma", das sich auf die Synthpop-Wurzeln zurückbesinnt, einen nicht minder interessanten Gegenpart findet.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erreichten uns mit schöner Regelmäßigkeit kleine und große musikalische Schätze aus dem Land der Billy-Regale. Da fällt es schwer, Favoriten zu benennen. Dennoch haben es dem Schreiber dieser Zeilen zwei Gruppen besonders angetan: The Search und Principe Valiente. Wohl, weil sie eigentlich viel zu wenig Notiz von ihnen genommen wird, als es ihnen zustünde. Ihre ziemlich zeitgleich erscheinende neuen Alben verorten Schweden einmal mehr als Mekka für gut produzierte Musik im Indiebereich.
Angefangen mit fluffig-unbeschwertem Indie-Rock und endend mit knackigen  Electro-Beats wandert die dritte Folge von "Kurz angespielt" wieder  einmal nicht nur zwischen den Genres, sondern auch den Emotionen. Wobei  sich in diesen fünf Werken eine Besonderheit herauskristallisiert: Trotz  einer hohen Dosis Eingängigkeit biedern sich Pia Fraus, Vonamor, The  Last Hour, The Birthday Massacre und J:Dead zu keiner Zeit plump an.  Ihre Werke streifen den Pop, bleiben dabei stets eigenwillig und  bisweilen sogar schrecklich schön.
Das  erste Album "Ships Will Come" hat den Leipziger Jonas Wehner aka Warm  Graves bereits einige kleine Lobeshymnen von Presseseite eingebracht.  Doch wirkt dieses, mittlerweile auch schon wieder über sieben Jahre  alte, Werk wie eine Prelude, wie eine lächelnd absolvierte Fingerübrung  im Vergleich zu dem jetzt veröffentlichten "Ease". Die sich dort  ausbreitenden Klanglandschaften sprengen so ziemlich alle bisherige  Genre-Rahmen. Psychedelisch, surrealistisch, melancholisch - ein Traum  von einem Album.
Die bis auf einige Ausnahmen reinen Instrumentals von Dominik Eulberg und Federico Albanese unterlegen das Frühjahr 2022 mit einem besonderen Soundtrack. Während "Avichrom" die prächtige Farbenwelt der Vögel zum Thema hat, dreht sich bei dem in Berlin lebenden Albanese alles um die Frage nach Erinnerung und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert. Es ist das spannende Aufeinandertreffen zeitloser Electronica-Arabesken auf pianobasierte Kompositionen mit einem Hauch weltmännischem Pop.
Es  ist die Kraft der Weiblichkeit, die bei Bianca Stücker und Gabria  zweifellos zu hören ist. Beide schielen zudem mit ihren Alben "De  Alchemia" und "Gesungene Geschichten" auf  mittelalterlich-folkloristische Klänge, die sie aber in die Gegenwart  transportieren und ganz eigen interpretieren. Die eine mit jeder Menge  analogen und elektronischen Instrumenten, die andere in unaufgeregter  Singer/Songwriter-Manier. Am Ende ist in jeder Note die schöpferische  weibliche Kraft (die eben nur die Frau hervorbringen kann) deutlich  hörbar.
Als  Patrick Huntrods alias Pat Fish im vergangenen Oktober mit gerade mal  63 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb, gab es seitens der  Musikmagazine ein paar rührende Nachworte. Mehr aber auch nicht.  Eigentlich hätte man den Abgang dieses blitzgescheiten Musikers, der als  The Jazz Butcher typisch britischen Humor in herrlichem  Indie-Jangle-Pop goß, viel größer aufziehen müssen. Das hat Fish nun  selbst gemacht, in Form seines Albums "The Highest In The Land", das  unter anderem sein eigenes Ableben behandelt.
Sie  gelten als Englands vielleicht prominenteste Post-Punk-Revival Band.  Doch von diesem Image haben sich White Lies mit jedem Album mehr  entfernt. Der sechste Output "As I Try Not To Fall Apart" besitzt nur  noch textlich düstere Ansichten, während der Sound sich weiter in  Richtung anschmiegsamem Pop-Rock mit elektronischer Verzierung bewegt.  So frei wie auf diesem Album haben sie noch nie geklungen.

Da auch in der Redaktion irgendwann um den 15. Dezember herum die Tastatur ruht, fallen einige Veröffentlichungen aus diesem Zeitraum hinten über. Das heißt aber nicht, dass sie nicht gehört werden. Wie schon die ersten Kurzbesprechungen in diesem Jahr, finden sich in der zweiten "Kurz angespielt"-Ausgabe jene Musikerinnen und Musiker wieder, die bereits 2021 ihre Werke veröffentlicht haben, welche wir jedoch nicht mehr zeitnah rezensieren konnten. Dass wir aber dies noch nachholen würden, war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Fast 30 Jahre lang konstant im Musikzirkus mitzumischen und dabei quasi keine Abnutzungserscheinungen zu zeigen, schaffen den wenigsten. Mesh aus dem englischen Bristol ist dieses Kunststück gelungen. Die Blu-Ray "Tourung Skyward - A Tour Movie" belegt einmal mehr, dass die Jungs um den stets bemützten Sänger und Gitarristen Mark Hockings immer noch jede Menge Bock auf Bühne und Publikum haben.
Mit  einigem zeitlichen Abstand werden wir die Kunstprodukte der frühen  2020er im Kontext der Pandemie interpretieren. Bei manchen Werken ist  der Bezug explizit, doch selbst "Sturm+Drang" von Carlo Onda und  Stridulums "Soothing Tales Of Escapism" können mit der Corona-Schablone  betrachtet werden, da sich in ihren Alben - und nicht zuletzt auch im  Albumtitel selbst - eine tiefe Sehnsucht nach Ausbruch und Neuanfang  manifestiert. Auch wenn gar nicht auf die Pandemie Bezug genommen wird.
Zwar ist Ecki Stieg weder "grau", noch eine "Eminenz", aber sein Urteil hat Gewicht. Als Radiomoderator der "Grenzwellen" spürte und spürt er immer noch zielsicher Trends in der Schwarzen Szene und elektronischen Musik auf. Bands wie Deine Lakaien und Wolfsheim erfreuten sich dank Stiegs Unterstützung großer Popularität, nicht nur bei den Gruftis. Nun wechselt er, wieder einmal, die Seiten und agiert als Musiker. Das hat er nämlich früher schon ein paar Mal gemacht. "Hinterland" ist allerdings sein erstes Solo-Album, bestehend aus drei Instrumentalen von philanthropischer Schönheit.
Seine Wiederbelebung der Radiosendung "Grenzwellen" war Inhalt des ersten Artikel von UNTER.TON. Von daher besteht zwischen Ecki Stieg und unserem Online-Magazin eine besondere Beziehung. Nun bitten wir den kultig verehrten und überaus sympathischen Radiomoderator und Musik erneut zum Gespräch über sein aktuelles (und erstes) Solo-Album "Hinterland". Wie zu erwarten, fiel dies äußerst informativ und unterhaltsam aus.
Das letzte Jahr der 1970er war und ist pophistorisch betrachtet ein unglaubliches. Denn nach dem Wegfall des Punk passierte doch einiges: Auf der verbrannten Erde, welche die rüpeligen Drei-Akkord-Horden hinterlassen haben, gediehen auf einmal eine Vielzahl von Stilen: New Romantic, New Wave, Post-Punk, Ska, Mod und noch vieles mehr. Sie bildeten die Ursuppe, aus der sich sowohl der kommende europäische Mainstream als auch die zukünftigen Independent-Szenen herauskristallisierten. Mit "Revolt Into Style" wird dem Jahr 1979 auf drei CDs gehuldigt.
IM GESPRÄCH - ROTERSAND: "ZWEIFEL GEHÖREN ZUM KREATIVEN PROZESS EBENSO WIE SELBSTBESOFFENE BEGEISTERUNG"
Mit jeder Menge Bonusmaterial ausgestattet, veröffentlichten Rotersand jüngst ihre ersten beiden Alben "Truth Is Fanatic" und "Welcome To Goodbye" erneut. Sie gelten mittlerweile als stilprägende Klassiker der elektronischen Musik im Düster-Sektor. Im Gespräch mit Musiker Jan Eric Wesenberg, genannt Krischan, zeigt sich dieser aber maximal bescheiden. Dass sich nach so vielen Jahren die Menschen für Rotersand interessieren, wundere ihn bis heute.
KURZ ANGESPIELT 1/22: BLINDZEILE, ZEITGENOSSEN, FRAU FLEISCHER, S Y Z Y G Y X, THE BRUTE:, INCA BABIES - NACHZÜGLER TEIL I
Das neue Jahr hat begonnen, aber das alte hängt uns noch nach. Auch musikalisch. Und das ist nicht das Schlechteste. Denn auf den letzten Metern hat es noch einige erwähnenswerte Veröffentlichungen gegeben, die UNTER.TON natürlich unmöglich unter den Tisch fallen lassen kann. Schließlich laufen einem derartige Klangwelten, die uns Blindzeile, Zeitgenossen, Frau Fleischer, S Y Z Y G Y X, The Brute und Inca Babies kredenzen, nicht all zu häufig über den Weg. Und wie die Überschrift es verrät: Da kommt noch mehr aus 2021.
IM GESPRÄCH - BERND-MICHAEL LAND: "JEDE KREATIVE BESCHÄFTIGUNG IST BESSER, ALS STUNDENLANG ZU GAMEN ODER PASSIV VORDER GLOTZE ZU HOCKEN"
Er ist ein Elektroniker alter Schule, in seinem Studio türmen sich die Synthesizer zu Hauf. Denn es geht nichts über den warmen Klang analoger Musikmaschinen. Bernd-Michael Land hat die Aufbruchszeit der elektronischen Musik hautnah miterlebt und sie teilweise mitgestaltet. Seit fast 50 Jahren treibt den gelernten Bauschlosser und Schweißfachmann die Suche nach immer neuen Klängen an. Im Interview lässt er uns an seinem Wissen und seinen Gedanken zur Musik teilhaben.HACKEDEPICCIOTTO "THE SILVER THRESHOLD" VS. CHRIS LIEBING "ANOTHER DAY" VS. ROBERT GÖRL & DAF "NUR NOCH EINER": ZUSAMMENKUNFT DER TITANEN
Man darf davon ausgehen, dass Hackedepicciotto, Chris Liebing und Robert Görl & DAF feinste Studiotechnik für die Realisierung ihrer neuesten Werke zur Verfügung stand. Dennoch leben ihre aktuellen Alben von einem ausgeprägten Archaismus, den man nur so hinbekommt, wenn man den Anfangstagen elektronischer Tanzmusik beigewohnt hat. Oder anders ausgedrückt: Hier trifft moderne Produktion auf wilde Punk-Geister. Das Ergebnis ist ansprechend und ergreifend.
SEI STILL "EL REFUGIO" VS. THE BLACK VEILS "CARNAGE" VS. LA MÉCANIQUE "L'OUBLI DES ORIGINES": KALTE WELLEN AUS ALLER WELT
Es muss nicht immer England sein: Cold Wave und Post Punk von herausragender Qualität gibt es überall zu finden. Sei Still kommen aus Mexiko, die Mitglieder von The Black Veils sind Italiener und das Projekt La Mécanique hat seinen Lebensmittelpunkt im kanadischen Québec. Ihre aktuellen Werke sind tiefe Verbeugungen vor den Altheroen dieses Genres, ohne aber den Blick auf die Gegenwart zu verlieren.
DEINE LAKAIEN "DUAL +" VS. ASP "ENDLICH!": GELIEBT-GEHASSTE PERFEKTIONISTEN
Wenn irgendwo in Deutschland ein Gothic-Festival stattfindet, werden Deine Lakaien und ASP mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur zugegen, sondern auf den Plakaten ganz oben und in größter Schrift aufgelistet sein. Schließlich gehören sie zu den Aushängeschildern der Schwarzkittelkultur - auch wenn viele Szenegänger seit jeher ein Problem damit haben, dass ihre Musik über die Gruftigrenzen hinaus bekannt ist. Diese werden traditionsgemäß wieder gegen die aktuellen Alben "Dual +" und "Endlich" ätzen, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass wir es hier wieder mit hochkarätigen Alben zu tun haben.
VARIOUS ARTISTS "SNOWFLAKES XI": DIE MAGIE DER LEISEN TÖNE
Es ist ein Phänomen, das besonders Stadtmenschen kennen: Nach ergiebigem Schneefall schluckt die weiße Decke den urbanen Lärm, sodass selbst Millionenmetropolen etwas von ihrer unbarmherzigen Hektik verlieren. Vielleicht hat Axel Meßinger deswegen seine von ihm kuratierte Samplerreihe mit akustischen Neoklassik- und Dark-Folk-Stücken "Sonwflakes" getauft: Der neunte Querschnitt durch die aktuellen Strömungen in diesen Genres zelebriert die Ruhe und Kontemplation, die sich auch auf den Hörer überträgt.
IM GESPRÄCH - THE JOKE JAY: "WAS WIR KEINESFALLS TUN WERDEN, IST, UNS SELBST IN EINE SCHUBLADE ZU QUETSCHEN"
Mit Sicherheit dürfte "Awaken" von The Joke Jay das epischste Album dieses Herbsts sein. Joke Jay, Olaf Wollschläger und Hilton Theissen lassen in diesem Doppelalbum ihr Faible für die groß angelegten Alben der 1970er Jahre aufblitzen. Deswegen blieb es auch nicht aus, dass UNTER.TON mit den drei Männern nicht nur über das Album diskutierten, sondern auch über die Gleichförmigkeit der aktuellen Popmusik.
MIN T "SHOT TO PIECES": SOULECTRO MIT NACHHALTIGKEIT
Wer heutzutage immer noch glaubt, es gibt keine Innovationen in der Popmusik mehr, sollte sich die polnische Künstlerin Martyna Kubicz alias MIN_t zu Gemüte führen. Auf ihrem zweiten Album "Shot To Pieces" stellt sie Neo-Soul und anspruchsvolle Elektronik gegenüber und erzeugt so ein kunstvolles Spannungsfeld, das die Definition von weiblicher Popmusik um viele neue Aspekte erweitert. Vor allem aber schafft sie es, einen "uniquen" Sound zu kreieren, der sie zu einer reizvollen Musikerin avancieren lässt.
KURZ ANGESPIELT 18/21: PARTIKUL, ERRORR, JELKA, SJÖBLOM, PALAIS IDEAL, MICHAEL MATTERS - WUNDERBARES VOR DER WEIHNACHTSZEIT
Mit der letzten "Kurz angespielt"-Ausgabe in diesem Jahr (stolze 18 Folgen sind es tatsächlich geworden) fangen wir ein weiteres Mal die interessanten Außenseiter ein, die (noch) nicht jeder kennt, in deren neueste Werke aber reingehört werden sollte. Denn hier findet sich richtig guter Stoff für eine durchtanzte Vorweihnachtszeit.
RELATE "LEVEL UP": SCHUSSFAHRT IN DIE EMOTION
Wenn auf eine Band der Spruch "klotzen, nicht kleckern" zutrifft, dann ist es Relate. Die Gruppe aus dem Ruhrpott lassen auf ihrem neuesten Werk "Level Up" Synthesizer und Rockgitarren mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen und erzeugen eine musikalische Supernova: gleißend, blendend und von einer sich selbst verzehrenden Schönheit. Nehmen Sie den Albumtitel wörtlich, liebe Leserschaft! Das ist "next level shit"!
NATION OF LANGUAGE "A WAY FORWARD" VS. TRAIN TO SPAIN "KÄRLEK?" VS. FRANCESCA E LUIGI "DIRTY DISCO EP 1": NOVEMBERBLUES? NEIN, DANKE!
Natürlich sind wir bei UNTER.TON ausgemachte Melancholiker, die den Herbst lieben und ihn gerne musikalisch adäquat untermalen. All jenen, den diese Stimmung dann doch zu sehr aufs Gemüt schlägt, seien die drei wunderbaren Werke von Nation Of Language, Train To Spain und Francesca E Luigi ans Herz gelegt. Ihre Antidepressiva nennen sich Proto-Synth-Pop und Italo-Disco, die sie ohne Nebenwirkungen verabreichen und selbst dem trübsten Tag einen Regenbogen schenken.
NEU SIERRA "SULPHUR AND MOLASSES" VS. MARISSA NADLER "THE PATH OF THE CLOUDS": WEIBLICHE INTONATION
Sie erzählen Geschichten. Die eine von überwältigend weltschmerzlichen Gefühlen, die andere von konkreten Ereignissen aus der Vergangenheit. Und zwar so, wie es nur Frauen erzählen können. Neu Sierra und Marissa Nadler sind auf ihrem aktuellen Werken "Sulphur And Molasses" und "The Path Of The Clouds" einem dezidiert weiblichen Blickwinkel auf der Spur. Darüber hinaus haben sie melancholische Brillianten geschaffen, die perfekt die aktuelle Herbststimmung untermalen.
ISOLATION BERLIN "GEHEIMNIS" VS. ELSA "WELT IM PROFIL": HALLO, LIEBE LEIDENDEN!
Zwar laufen sie ein bisschen Gefahr, sich in ihrer Weltschmerz-Pose zu verlieren, aber die Jungs von Isolation Berlin und Elsa sind so wunderbar selbstmitleidig und scheinen mit Hingabe an der Welt zu verzweifeln, dass man ihnen einfach zuhören muss. Darüber hinaus bringen ihre aktuellen Veröffentlichungen "Geheimnis" und "Welt im Profil" das Lebensgefühl einer ganzen Generation, die zwischen Angst und Hedonismus ihren Platz in einer aus den Fugen geratenen Welt sucht, perfekt auf den Punkt.
THE JOKE JAY "AWAKEN": KEINE KOMPROMISSE
Der Klang dieser drei Namen löst bei den Connaisseuren ein Zungeschnalzen aus. Joke Jay, Olaf Wollschläger und Hilton Theissen haben gemeinsame Sache gemacht und als The Joke Jay gleich ein Statement gesetzt: Ihr erstes Album "Awaken" kommt als Doppel-CD daher und ist nicht weniger als der absolut verschwenderische Umgang mit üppigen Melodien und Arrangements - Synth-Pop von einer barocken Schönheit, wie sie dieses Jahr noch nicht zu hören gewesen ist.
STEINE "WAS IST GUT?" VS. DOC SCHOKO "SKULPTUREN FÜR DIE FLASCHENPOST": DER (UN)SINN DES LEBENS
Reden wir von der Neuen Deutschen Welle. Als von der echten, authentischen NDW. Die entstanden ist in den Wirren der späten 1970ern. Da war mancher Herbst in der BRD ganz schön heiß, und "Anarchy" gab es nicht nur "in the U.K.", sondern auch an Elbe, Spree, Rhein und Isar. Ob Steine und Doc Schoko sich daran erinnert haben, wie viel herrlichen Nonsense in dieser Zeit produziert worden ist? Jedenfalls klingen ihre Alben "Was ist gut?" und "Skulpturen für die Flaschenpost" gerade so, als seien sie verlorene Juwelen dieser Dekade, die auf ihre Wiederentdeckung warten.
VARIOUS ARTISTS "MUSIK, MUSIC, MUSIQUE 2.0" VS. VARIOUS ARTISTS "THE SUN SHINES HERE": EXPEDITIONEN KNAPP UNTER DER OBERFLÄCHE
Selten waren die Grenzen zwischen subkulturellem Underground und glattgebügeltem Mainstream verschwommener als zu Beginn der 80er Jahre. Der zweite Teil von "Musik, Music, Musique", der sich speziell mit dem Synth-Pop aus dem Jahre 1981 auseinandersetzt, und "The Sun Shines Here", eine Kollekton früher Inide-Pop-Perlen aus der ersten Hälfte der1980er, halten diese Entwicklung mit einer superben Auswahl aus mal mehr mal weniger bekannten Stücken und einigen wahren Kuriositäten fest.
KURZ ANGESPIELT 17/21: AUDIOBOOKS, CREUX LIES, KRISTIAN NORD, THE HALO TREES, 10 000 RUSSOS - GEMISCHTE PLATTE
Im Herbst findet sich alles wieder: ein bisschen Altweibersommer, triste Regenstimmung, gemütliche Vorwinterszeit. Genauso bunt wie das Herbstlaub, das die Straßen und Gehwege bedeckt, sind auch die kurz angerissenen Alben, die von überdrehter Elektronik bis hin zu wehmütigem Schwarzrock reichen und den besten Beweis abliefern, dass auch am Ende eines Jahres viele großartige Werke veröffentlicht werden.
THE BLUE BUTTER POT "JEWELS & GLORY" VS. ¡PENDEJO! "TOMA" VS. ADRIAN SUTHERLAND "WHEN THE MAGIC HITS": AUF DER ANDEREN SAITE
Die vertrauten klanglichen Gefilde zu verlassen und sich anderen Genres zu widmen, machen wir nicht nur, um sie, liebe Leser, über den Genretellerrand blicken zu lassen, sondern aus reinem Selbstschutz, nicht "betriebsblind" zu werden. Der Garagen-Blues der Blue Butter Pot, der ungewöhnliche Mariachi-Metal von ¡Pendejo! und der jubilierende Singer/Songwriter-Sound von Adrian Sutherland sind dafür goldrichtig, mal die Ohren freizublasen.
KURZ ANGESPIELT 16/21: PROMETHEA, M00M, 70 DB, "DURCHSTRÖMUNGEN 1 - GLASWOLKEN": SCHWEBEZUSTÄNDE
Der Herbst ist da. Welch Wohltat! Wenigstens für all jene, die der prallen Sonne wenig abgewinnen können. Die dritte Jahreszeit taucht das Land in eine eigenartige Stimmung. Der Pulsschlag verlangsamt sich, man sucht wieder die warmen vier Wände auf, um dem teils ungemütliichen Wetter ein Schnippchen zu schlagen. Musikalisch liegen die besprochenen folgenden Alben voll im Herbst-Trend. Ein bisschen Downbeat passt nämlich ganz gut, wenn es draußen usselig wird.
VITALIC "DISSIDÆNCE - EPISODE 1": RAVE NEW WORLD
Wenn Pascal Arbez-Nicolas alias Vitalic sich anschickt, einen Track zu produzieren, fangen die Synthesizer und Musikprogramme schon zu schwitzen an, noch bevor der erste Ton gesetzt wurde. Mit "Dissidænce -Episode 1" taucht der Franzose in seine musikalischen Lehrjahre ab und erinnert uns mit seinen treibenden Songs zwischen Electro-Punk, EBM, Rave und Trance, wie revolutionär elektronische Tanzmusik einmal gewesen ist - und sie wieder sein könnte.
ASSEMBLAGE 23 "FAILURE" VS. THEE HYPHEN "RE:SOUND" VS. THE ULTIMATE DREAMERS "LIVE HAPPILY WHILE WAITING FOR DEATH": DENKWÜRDIGES VOM DACHBODEN
Altes Zeug wieder an die Oberfläche zu bringen, hat durchaus seinen Reiz - nicht nur für Fans, sondern auch für die Musikerinnen und Musiker selbst, die an die Aufnahmen ihrer alten Werke prägende Momente verknüpfen. Dem Hörer bieten die besprochenen Neuauflagen die Möglichkeit, Alben wieder oder sogar neu zu entdecken. Denn sie sind letzten Endes auch ein Spiegel ihrer Ära - vom Future Pop der frühen 00er Jahre, über perkussiven Synth Pop der mittleren 1990er bis hin zum deprimierenden Post-Punk aus den 80ern.
IM GESPRÄCH - TOM SHEAR (ASSEMBLAGE 23): "ICH WAR ÜBERZEUGT, DIE LEUTE WÜRDEN "FAILURE" HASSEN. GLÜCKLICHERWEISE LAG ICH DA FALSCH."
Future Pop war der heiße Scheiß während der Jahrtausendwende, vornehmlich von skandinavischen Bands vorgetragen. Doch dann kommt auf einmal Assemblage 23 wie aus dem Nichts mit seinem zweiten Album "Failure" herausgeschossen und traf in die Herzen der schwarzen Clubgänger. Nach 20 Jahren hat der Musiker seinen persönlichen Meilenstein noch mal neu aufgelegt. Das haben wir zum Anlass genommen, mit Tom auf jenes Album zurückzublicken, das seine Karriere maßgeblich beeinflusste.
EX LIBRIS: "POTZBLITZ - 31+1 ERLEUCHTENDE LIEBESERKLÄRUNGEN AN MEINEN LIVE-CLUB" - HIER IST MEIN CLUB, HIER DARF ICH SEIN
Zunächst haben sie "erleuchtende Liebeserklärungen an die Popmusik" gesammelt. Das war 2018. Danach wuchs bei den Herausgebern Sebastian Schwaigert und Marc Huttenlocher der Wunsch, Autorinnen und Autoren zu bitten, das Faszinosum Live-Club aus ihrer Sicht zu erklären. Welch Ironie, dass gerade in dieser Zeit besagte Locations pandemiebedingt für lange Zeit ihre Pforten schließen mussten. So schwingt - vielleicht auch ganz ungewollt - im zweiten Teil der "Potzblitz"-Reihe die Nostalgie und Wehmut bei den Autoren scheinbar noch ein bisschen deutlicher mit.
YANN TIERSEN "KERBER" VS. YAN WAGNER "COULEUR CHAOS": ROMANTIK UND NIHILISMUS TRENNT NUR DAS "N"
Der eine, Yann, zählt zu den bedeutendsten Komponisten zeitgenössischer Klassik. Der andere, Yan, vertont mit seinen käsigen Disco-Nummern die Tristesse heruntergekommener Tanztempel, deren glorreiche Zeit schon ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Außer den ähnlich klingenden Vornamen scheinen Yann Tiersen und Yan Wagner nicht viel zu verbinden. Und doch eint sie die Liebe zur Melancholie.
KURZ ANGESPIELT 15/21: BĘÃTFÓØT, BUCK GOOTER, FAUST PROJECT, ADNA, CHRISTIAN FIESEL - VON ABGEFAHREN BIS RUNTERGEFAHREN
Es könnte der Soundtrack für einen Samstagabend sein: Angefangen mit hibbelig-durchgeknallten Rave von Batfoot und verstörend-intensiven Industrial von Buck Gooter, zelebriert der Post-Punk von Faust und Adnas Dark-Pop den Weltschmerz, ehe die flächige Elektronik die After-Hour einläutet. Selbstverständlich können die exquisiten Tonträger auch an jedem beliebigen anderen Tag gehört werden.
PINK TURNS BLUE "TAINTED" VS. VLIMMER "NEBENKÖRPER": DES DEUTSCHEN LIEBSTER WELTSCHMERZ
Obgleich die Gothic-Szene ihre Wurzeln in England hat, sind im Laufe der Jahre vor allem in Deutschland prachtvolle Blüten entstanden - nicht zuletzt dank der weltweit bekannten Festivals wie dem Wave-Gothik-Treffen. Die Riege international erfolgreicher Bands ist dabei lang. Pink Turns Blue und Vlimmer gehören sicherlich dazu, wobei erstgenannte bereits einen Kultstatus erspielt haben, den Vlimmer erst im Begriff sind, aufzubauen. Ihre neuen Alben jedenfalls erfreuen das schwarze Herz, nicht nur hierzulande.
MASSIV IN MENSCH "TÜRKIS UND SCHWARZ" VS. PRINCIPE VALIENTE "DEBUT ALBUM - 10 YEARS": JEDER FEIERT AUF SEINE WEISE: DER EINE LAUT, DER ANDERE LEISE
Jubiläen sind natürlich immer Grund zum Feiern. Die Wahl des Exzesses bleibt dabei jedem selbst überlassen. Massiv In Mensch haben sich anlässlich ihres 25-jährigen Bandjubiläums nicht nur eine limitierte Best-Of gegönnt, sondern mit "Türkis und Schwarz" gleich noch ein neues Album am Start. Da fällt Principe Valientes Ballnacht deutlich bescheidener aus: Anlässlich des zehnten Geburtstages ihres Debut-Albums setzten sie sich noch mal an das Songmaterial ran und interpretierten einige essentielle Songs daraus neu. Beides verdient Beachtung und Anerkennung.
KURZ ANGESPIELT 14/21: HARRY STAFFORD AND MARCO BUTCHER, THE COLD FIELD, KAIZER, DRANGSAL, US AND I: QUERFELDEINLAUF
Ein weiteres Mal wollen wir es wissen und haben uns mal wieder die unterschiedlichsten Genres zur Brust genommen: Ein bisschen abgefuckten Garagen-Blues, etwas schummrigen Post-Punk, epochaler Deutsch-Goth-Rock, intelligenter Anti-Deutsch-Schlager und Electro-Pop "made in India". Eine wilde Mischung, finden sie, liebe Leserschaft? Kann schon sein. Aber wir können nicht anders. Ist eben geil, was Harry Stafford und Marco Butcher, The Cold Field, Kaizer, Drangsal und Us And I da abgeliefert haben.
IM PROFIL: CORDUROY INSTITUTE - DIE MAGIE DES ZUFALLS
Nicht umsonst haben sie sich einen akademisch klingenden Namen ausgesucht. S.A.Morin und W.Ruiz aus San Diego kreieren als Corduroy Institute Musik auf der Schnittstelle zwischen Experiment und Improvisation. Was am Anfang abstrakt anmutet, endet aber in dem wunderbaren dritten Album "Eight/Chance/Meetings", das die Neugier auf diese bislang im Verborgenen gebliebenen Meister des Experimental-Pop weckt.
KURZ ANGESPIELT 13/21: KOIKOI, MURENA MURENA, X-O-PLANET, HALO'S EVE, WHISPERING SONS - UND SONST SO?
Wieder einmal steht die Redaktion vor der Mammutaufgabe, die vielen Veröffentlichungen, die sich in den Frühsommerwochen traditionell häufen, zu sichten. Alle Einsendungen können nicht besprochen werden, bei manchen ärgert man sich vielleicht ein paar Wochen später, dass man ihnen nur eine Kurzbesprechung eingeräumt hat. Aber irgendwie müssen Koikoi, Murena Murena, X-O-Planet, Halo's Eve und Whispering Sons nun mal rezensiert werden. Einfach, weil ihre aktuelle Scheiben mehr als gelungen sind.
VAZUM "V+" VS. KILL SHELTER & ANTIPOLE "A HAUNTED PLACE" VS. DAUGHTER OF DAWN "CRUSHED INTO DUST BY THE WEIGHT OF THE WORLD": TIEFER INS VERDERBEN
Auch wenn sich Gothic laut Kritiker selbst überlebt hat und Spötter die Anhänger als karnevalesken Haufen einstufen, so ist die Musik dieser Szene weiterhin für Überraschungen gut. Die amerikanischen Vazum, der Zusammenschluss Kill Shelter & Antipole sowie die androgyne Daughter Of Dawn bauen die unendliche Geschichte des Düsterrocks um drei weitere spannende Kapitel aus.
ALLTAG "LEBEN AM TRESEN" VS. 21 DOWNBEAT "DUSCHE EP": GEGEN HOCHKULTUR UND VORURTEILE
Ungefiltert und ungestüm: Alltag und 21 Downbeat pusten mit ihrem Rave-Punk und EBM den Staub aus den Lautsprecherboxen der Stereoanlage zu Hause oder im Club. Während Erstgenannte sich aber vor allem durch ihre linksromantischen Texte auszeichnen, steht bei 21 Downbeat die ganze Truppe, die aus Menschen mit Behinderungen besteht, im Blickpunkt. Beiden jedenfalls gelingen wundervoll anarchische Songs, die Gralshütern der Hochkultur und Vorurteilsfetischisten lustvoll den Stinkefinger entgegenrecken.
KURZ ANGESPIELT 12/21: DEATH LOVES VERONICA, HALLOWS, DEAD LIGHTS, NEW HAUNTS, TRAITRS: TANZ AM SEELENABGRUND
Der gemeine Melancholiker braucht nicht unbedingt die tristen Herbst- oder ungemütlichen Wintertage, um seinen Weltschmerz auszuleben. Das geht auch prima unter der heißen Sommersonne, vor allem wenn die neuen Veröffentlichungen von Death Loves Veronica, Hallows, Dead Lights, New Haunts und den Traitrs die Eiseskälte durch die Lautsprecherboxen jagt.
TANYC "TANYC": AUFREGEND UNAUFGEREGT
Keine effektvollen Instrumentierugen, keine überproduzierten Songs - das hat Carmen Tannich alias Tanyc gar nicht nötig. Die Österreicherin, die bereits als Teil des Singer/Songwriter-Duos CAMA ihre musikalischen Duftmarken gesetzt hat, erfindet mit ihrem selbstbeitelten Solo-Debüt nicht nur sich, sondern auch das Verständnis von erwachsener Popmusik neu.
NUOVO TESTAMENTO "NEW EARTH" VS. FLDLPN "ESCALATOR": KEINE EXPERIMENTE!
Ist es mangelnde Inspiration oder doch einfach nur Chuzpe? Egal: Nuovo Testamento und FLDPLN sind Kopisten durch und durch. Erstere wildern durch Italo-Disco-Gefilde und haben ein Werk geschaffen, dass auch vor 40 Jahren hätte stattfinden können. Letztere geben sich ätherischem Dream-Pop ohne etwaige Innovationsanstrengungen hin. Das macht aber nichts, denn beide haben zeitlose Hit-Alben geschaffen.
KURZ ANGESPIELT 11/21: DTORN, KONVOI, DISTANCE DEALER, SYLVAN, HISDOGBINGO - DER SONNE ENTGEGEN
Mit der aktuellen Ausgabe der Kurzbesprechungen bewegen wir uns aus dem expressiven Düsterklang von Dtorn hin zu einem tiefenentspannten, sonnendurchfluteten Sophisten-Pop von Hisdogbingo. Die Bands dazwischen bereiten den Übergang vor. Ihre Wahl der musikalischen Waffen: krachiger Endzeit-Post-Punk (Konvoi), kristalliner Electro-Wave (Distance Dealer) und epochaler Progressive Rock (Sylvan).
LAUT FRAGEN "MEINE SCHREIE" VS. SPITZWEGERICH "LARVENZEIT": AUSTROIRDISCH GUT
Es nützt ja nix: Wir müssen wieder einmal den Österreichern größten Respekt und uneingeschränkte Bewunderung zollen. Aber nicht, weil sie sich so tapfer gegen Italien im Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft geschlagen (und doch verloren) haben, sondern weil ihre vife Subkultur regelmäßig Musikveröffentlichungen parat hält, deren Standards unglaublich hoch sind. Laut Fragen haben sich Texte von der berühmten Ingeborg Bachmann zur Brust genommen, Spitzwegerich verfolgen als Theaterkollektiv sogar einen gesamtkünstlerischen Ansatz.
VERNEBLUNG "READY TO DROWN" VS. EDNA FRAU "MY EGO IS BIGGER THAN YOURS": DER ERSTE SCHUSS EIN TREFFER
Verneblung und Edna Frau eint zwei Sachverhalte: Sie veröffentlichen mit "Ready To Drown" und "My Ego Is Bigger Than Yours" nicht nur ihre Debutalben, sondern besitzen auch bereits eine ganz markante musikalische DNA, einen "unique selling point", wie Businness-Menschen es bezeichnen würden. Diese liegen in der Kunst, althergebrachtes Dark-Wave- und Post-Punk-Material durch winzige Veränderungen an einigen Stellschrauben neu und frisch klingen zu lassen.
SUSANNE BLECH "DIE INNERE SICHERHEIT" VS. LEOPARD "BLAULICHT" VS. BUNTSPECHT "SPRING BEVOR DU FÄLLST": DER SOMMER WIRD GUT!
Plastikpalmen-Synthie-Pop, Abfuck-Punk und ein lustiger Haufen Österreicher, die mit ihrem Bossa-Nova-Klezmer-Gypsy-Gemisch und dadaistischen Texten das Hirn des Hörers auf Links drehen: Für die warmen Monate ist musikalisch aus unseren Breitengraden wieder einmal bestens gesorgt. Susanne Blech sorgt für Entspannung am Pool, Leopard machen die Nächte wild und Buntspecht chillt gemeinsam in der verrauchten Studi-Kneipe.
MONOLINK "UNDER DARKENING SKIES" VS. ALESSANDRO CORTINI "SCURO CHIARO": ELEKTRONISCHE SCHÖNHEITEN MIT UND OHNE WORTE
Dass Musik aus dem Synthesizer per se als eher kühl und emotions angesehen wird, ist eine überholte Meinung, die durch Monolinks "Under Darkening Skies" und "Scuro Chiaro" von Nine-Inch-Nails-Mitglied Alessandro Cortini ein weiteres Mal ad absurdum geführt wird. Ihre Ansätze unterscheiden sich dabei deutlich voneinander. Während bei Monolink der Song im Vordergrund steht, lotet Cortini die Analogizität seiner Maschinen aus, was ihn in die Nähe bestimmter deutscher Elektro-Pop-Pioniere bringt.
HOTEL CALIFORNIA "ORANGE": RUHIG INMITTEN DER WOGEN
Als die Pandemie im letzten Jahr ihren Anfang genommen hatte, war Daniel Green, wie so viele andere Musikerinnen und Musiker auch, mitten im Arbeitsprozess oder an Vorbereitungen für Konzerte beschäftigt. Mit einem Mal wurde er aber zur Untätigkeit verdammt. Das einzige, was ihm blieb: Songs schreiben. Es wurden am Ende ganz viele. Die ersten zwölf finden sich nun auf der hoffnungsvoll entspannten Platte "Orange", die er als Hotel California heraubringt, wieder.
KURZ ANGESPIELT 10/21: A SINISTER LIGHT, ULTRA SUNN, BEAR OF BOMBAY, TENTS - LOCKERUNGSÜBUNGEN
Angesichts der stetig sinkenden Corona-Zahlen darf man verhalten optimistisch sein, was die Rückkehr in eine gesellschaftliche Normalität anbelangt. Sogar die Öffnung von Clubs und Diskotheken scheint in greifbarer Nähe. Neuen Content für die Tanzfläche haben die DJs in mehr als einem Jahr Betriebsverbot sammeln können - und er wird um vier weitere, in höchstem Maße hörenswerte, Platten für die Dance- und After-Hour erweitert.
PARADE GROUND "THE 15TH FLOOR" VS. THEE HYPHEN "INCIDENTIAL TOOLS OF CONFUSION": DIE RÜCKKEHR DER VERLORENEN ALBEN
Ob es an Corona liegt, dass einige Bands sich Zeit genommen haben, ihr altes Songmaterial zu durchforsten und erneut zu veröffentlichen? Kürzlich hatten wir Toyahs "The Blue Meaning" von 1980 besprochen, nun bescheren uns Parade Ground aus Belgien und Thee Hyphen aus Frankreich einige nostalgische Momente mit ihren Wiederveröffentlichungen, deren Reiz sicherlich in der Geschichtsträchtigkeit der Veröffentlichungen liegen. Natürlich ist auch die Musik schnafte, sonst wäre es müßig, über sie zu schreiben.
POOLS "YOU & US": AM ENDE DER LIEBE
Manchmal reichen nur wenige Takte Musik, um zu wissen: Dieses Album ist groß! Pools haben mit "You & Us" genau dies geschafft. Ihr Erstling beginnt vom Fleck weg mit nicht weniger als einer supermelancholischen Mischung aus Blues, Gospel und Americana, die ganz tief in Mark und Bein fährt. Man muss keine Tiefenpsycholigie studiert haben, um zu merken, dass hier aus vollstem Herzen gelitten wird.
THE TINOPENER'S ART "OBSERVATIONS IN A TIME OF CHANCES" VS. CASSETTER "ROBOT ERA": AUS DER VERGANGENHEIT, FÜR DIE ZUKUNFT
Kompromisslos synthetisch sind die Songs von The Tinopener's Art und Cassetter. Dabei ergehen sich Erstgenannte auf ihrem Werk "Observations In A Time Of Chances" in einem ziemlich detailgetreuen Achtziger-Techno-Pop mit Ausflügen gen Trip-Hop, während die Klangkollegen mit "Robot Era" fulminant alle Synth-Wave-Register ziehen und das goldene Jahrzehnt der elektronischen Musik mit dem musikalischen Verständnis der 2020er paaren. So entfaltet jedes Album seine eigene charmante Momente, deren Vergleich jenem zwischen Äpfel und Birnen nahekommt.
VARIOUS ARTISTS "GRENZWELLEN NEUN" VS. VARIOUS ARTISTS "NIGHT VIBES 2": KUDOS AN DIE KURATOREN!
Seit einigen Jahren beweisen uns zwei feine Männer, wie man interessante und intelligente Sampler gestaltet: Eckert "Ecki" Stieg, großer Weiser der Gothic-Szene, und Axel Meßinger, ein ausgewiesener Musiknerd und Eklekitker im besten Sinne. Ihre aktuellen Kompendien "Grenzwellen Neun" und "Night Vibes 2" blicken wie gewohnt über den Tellerrand hinaus und präsentieren Songs, die in Qualität und Ingenuität auf teilweise ganz anderen Levels angesiedelt sind und die Hörerschaft auch ein Stück weit fordern.
TOYAH "THE BLUE MEANING EXPANDED": DER OFFIZIELLE ANFANG VON ETWAS AUSSERGEWÖHNLICHEM
Punk rasierte nicht nur die Popindustrie. Sie schaffte es für eine kurze Zeit, Musikerinnen und Sängerinnen die Möglichkeit zu geben, sich künstlerisch vollkommen zu entfalten, ohne irgendwelche Geschlechterrollen einzuhalten, um den Umsatz der Plattenverkäufe zu steigern. Toyah Ann Willcox, die einfach unter ihrem Vornamen Toyah in der prosperierenden Post-Punk- und New-Wave-Ära ihre Karriere begann, gehörte zu den auffälligsten Chanteusen ihrer Zeit. Ihr "offizielles" Debüt "The Blue Meaning" von 1980 wurde nun wieder neu und mit vielen Extras aufgelegt.
KIRLIAN CAMERA "COLD PILLS (SCARLET GATE OF TOXIC DAYBREAK)" VS. SOLOMUN "NOBODY IS NOT LOVED": SEQUENZEN OHNE GRENZEN
Zunächst einmal haben Kirlian Camera und Solomun augenscheinlich nicht wirklich viele musikalische Schnittstellen. Aber dennoch sind ihren beiden aktuellen Werken "Cold Pills (Scarlet Gate of Toxic Daybreak)" und "Nobody Is Not Loved" eines gemein: Sie verpflichten sich keinem Genre. Und trotzdem wirken die Alben alles andere als fahrig oder ausgefranst, sondern geben sich vielmehr so, als sei es das Stinknormalste auf der Welt, alles musikalische Wissen in eine Platte zu packen. Das macht Kirlian Camera und Solomun vielleicht nicht gerade leicht verdaulich, aber dafür umso spannender.
TRAJEDESALIVA "ULTRATUMBA" VS. ANDREAS DAVIDS & SVEN PHALANX "A PSYCHEDELIC TRIP INTO SPACE": TIEF OBEN
Natürlich können leistungsstarke Synthesizer ein komplettes Orchester imitieren. Aber liegt der Charme dieser klingenden Maschinen nicht gerade in ihrer Fähigkeit, einen völlig eigenen Klangkosmos zu kreieren? Trajedesaliva aus Spanien sowie die Eigengewächse Andreas Davids und Sven Phalanx locken aus ihren Kästen unikate Töne, die ihre Alben zu intensiven Kurztrips in andere Aggregatszustände elektronischer Klangerzeugung avancieren lassen. Hier darf der Synthesizer noch sein, was er ist: ein Inventor wundersamer Geräusche.
KURZ ANGESPIELT 9/21: JACK DALTON & THE CACTUS BOYS, THE VOO, HAWEL MCPHAIL, SIN PLUS, WRECKAGE DANCE - DIE SAITENSPIELE SIND ERÖFFNET
Da freut sich der Luftgitarrero: Mit diesen fünf kurzen und langen Werken gelangt das gute, alte E-Gitarren-Riff zurück in unseren Fokus. Der Bogen spannt sich von psychedelischen Americana-Western-Sonds über wild brodelnde Punk-Schrammeleien bis hin zu molllastigen Endzeit-Akkorden, die so wenig Hoffnung wie nur möglich verbreiten wollen. Und es müsste mit dem Musikteufel zugehen, wenn man nicht bei mindestens einem dieser Alben unweigerlich beginnt, in die imaginären Saiten zu hauen.
KURZ ANGESPIELT 8/21: HIEMIS, RITA TEKEYAN, MARK E MOON, PLEIL, OS BARBAPAPAS - DARF'S NOCH EIN BISSCHEN MEHR SEIN?
Ein Drittel des Jahres ist schon wieder rum. Bislang hat uns 2021 nicht gerade mit guten Nachrichten verwöhnt. Und obwohl gerade Kunst und Kultur darbt und äußerst strittige Aktionen wie #allesdichtmachen hervorruft, läßt zumindest die Fülle an neuen Alben (und einem Nachzügler von 2020), die in der nächsten Ausgabe von "Kurz angespielt" unter die Lupe genommen werden, darauf schließen, dass die Pandemie bei vielen Künstlern schaffensreiche Kräfte geweckt hat.
NICK HUDSON "FONT OF HUMAN FRACTURES": GEFÜHLE NUTZEN BITTE DEN HINTEREINGANG!
Nicht selten sind richtig gute Musiker der breiten Masse kaum bis gar nicht bekannt, genießen aber in ihren eigenen Reihen das größtmögliche Ansehen. So dürfte auch Nick Hudson nur wenigen ein Begriff sein. Der Mann, der sonst der - auch nicht übermäßig namhaften - Band Academy Of The Sun vorsteht, hat aber bereits unter anderem mit Massive Attack oder David Tibet von Current 93 gearbeitet. Sein neuestes Solo-Album "Font Of Human Fractures" zeigt sein ganzes Können im Bereich kunstvoll arrangierten Pops.
TOP 5: VATER-SOHN-SONGS - PROTOTYPISCHE HASSLIEBE
In kaum einer anderen Beziehung wie jene zwischen Vater und Sohn ist so viel Spannungspotenzial. Bereits in den antiken Geschichten wird dieses Verhältnis beleuchtet - Stichwort: Ödipus-Komplex. In der Neuzeit öffneten die Werke des Schriftstellers Franz Kafka in Verbindung mit der aufkommenden Psychonanalyse der Liaison zwischen Vater und Sohn neuen Interpretationsspielräume. Zum Vatertag gibt es daher fünf wunderbare Vater-Sohn-Nummern, die dieses Verhältnis interessant ausleuchten.
IM GESPRÄCH - DEINE LAKAIEN: "ES WÜRDE UNS FREUEN, DURCH UNSERE INTERPRETATIONEN DEM EINEN ODER ANDEREN MUSIKSTÜCK NEUE HÖRER ZU VERSCHAFFEN"
Alexander Veljanov, charismatischer Sänger von Deine Lakaien hat sich Zeit für UNTER.TON genommen, um einige Fragen zu beantworten, die uns brennend interessieren. Denn auf die Idee zu kommen, ein Coveralbum zu machen, ist nicht unbedingt bahnbrechend. Dieses aber dann mit einem weiteren Album zu erweitern, dessen Songs sich direkt auf die neu interpretierten Fremdkompositionen beziehen, wiederum schon.
CLICKS "G.O.T.H." VS. CIRQUE D'ESS "BLACK SYNTHETIC AND DENSE": DAS NEUE SCHWARZ
Klar, der Gruftie schwooft gerne zu schweren Klängen durch den Raum. Aber seit Nitzer Ebb und Front 242 wissen wir: Es darf auch mal gerne etwas schneller und zackiger zur Sache gehen. Entgegen aller Unkenrufe, die EBM und Dark Wave chronische Stagnation attestieren, beweisen Clicks aus Polen und Cirque D'Ess aus Italien mit ihren aktuellen Werken, dass diese Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt worden ist.
MARQUIS "AURORA" VS. TELEX "THIS IS TELEX": WILLKOMMEN ZURÜCK
Als Marquis De Sade und Telex 1978 anfingen, Musik zu machen, war Europa gerade vom Punk überrollt. Die einen haben Post-Punk geklampft, die anderen auf elektronische Musik gesetzt. Beide Gruppen konnten binnen weniger Jahre Kultstatus erreichen, ehe sie wieder von der Bildfläche verschwanden. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchen sie wieder auf: Die einen nennen sich nur noch Marquis und spielen sich auf "Aurora" von einem Schicksalsschlag frei, die anderen liefern mit "This Is Telex" ein umfassendes Best-Of-Album inklusive unveröffentlichter Aufnahmen ab.
KURZ ANGESPIELT 7/21: LMX, SECRET OF ELEMENTS, ORIOM, NOVOCIBIRSK, ROBERT SCHROEDER - ALTE UND NEUE MEISTER
Ob jung, ob alt - der Synthesizer macht vor keinem Halt! Deswegen stehen in der nächsten Runde der Kurzbesprechungen fünf ganz wunderbare Werke elektronischer Klangerzeugung im Mittelpunkt. Diese werden aufsteigend nach den Lenzen der jeweiligen Künstler präsentiert, denn sie ergeben eine schlüssige Genealogie und präsentieren das Genre in seiner ganzen Diversität.
ZINN "ZINN": HABEN SIE WIEN SCHON BEI NACHT GEHÖRT?
Wäre ein Album eine Stadt zu einer bestimmten Tageszeit, dann ist Zinns selbstbetiteltes Debüt wie Wien zur Geisterstunde. Der verschrobene Psychedelic-Folk und somnambule Frauengesang klingen fast so, als würden die Geister aus den alten Gemäuern der K. und K.-Monarchie durch die Gassen und Bezirke schweben. Angst davor braucht man aber nicht zu haben, im Gegenteil. Zinn klingen wie die etwas nachdenklichen Freunde, die man ab und an gerne um sich hat.
A.A. WILLIAMS "SONGS FROM ISOLATION" VS. DEINE LAKAIEN "DUAL": VON FREMDEN FEDERN UND WIE SIE SCHMÜCKEN
Alben komplett mit dem Liedgut anderer Künstler zu füllen, sind stets zweischneidige Schwerte. Man muss sich daher schon etwas besonderes einfallen lassen, um das Interesse der Hörerschaft zu wecken. A.A.Williams hat sich für einen extrem reduzierten und dadurch sehr intimen Interpretationsansatz entschieden, der auch ihr Leben im Lockdown eingedenkt. Anders Deine Lakaien: Ihr Doppel-Album besteht zum einen aus Coverversionen, zum anderen aus eigenen Songs, die von den Fremdkompositionen inspiriert wurden.
JANUS "TERROR": DAS GESAMTKUNSTWERK ALS KRAFTAKT
Seit jeher gehen mit der Veröffentlichungen der Ausnahmeband Janus die Superlativen seitens der Musikkritiker einher. Ihr neuestes, breitwandiges Werk "Terror" entzieht sich jedoch fast sämtlichen Beschreibungs- und Bewertungsversuchen. Die epochale Erzählung einer real stattgefundenen Schiffexpedition aus dem 19. Jahrhundert, die in eine Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes endete, wird von RIG und Toby intensiv und bis zur Schmerzgrenze vorgetragen. "Eine Schifffahrt, die ist lustig"? Von wegen! Himmel und Hölle hat das Zweiergespann in Bewegung gesetzt, um dieses Album, das zunächst gar nicht so geplant war, zu realisieren, wie sie uns im Interview erzählten.
KURZ ANGESPIELT 6/21: GREY GALLOWS, WISBORG, VEIL OF LIGHT, FEU FOLLET - DEPRI ON THE DANCEFLOOR
Wer sagt denn, dass man Schwermut nicht auch tanzend zelebrieren kann? Schließlich waren bereits die Urväter trostloser Unterhaltung, namentlich Joy Division und Bauhaus, nicht um schwungvolle Nummern verlegen. Diese Grundhaltung findet sich spurenelementartig auch in den neuen Werken von Grey Gallows, Wisborg, Veil Of Light und Feu Follet. Sie haben die Traurigkeit für die Tanzfläche entdeckt.
DELGRES "4:00 AM" VS. CHRISTINE SALEM "MERSI": AUS TIEFSTER SEELE
Spätestens seit #blacklivesmatter wissen wir: Die Gleichheit zwischen allen Völkern dieser Erde existiert nur auf dem Papier, das bekanntermaßen sehr geduldig ist. In der Realität sehen sich Afroamerikaner immer noch einem mehr oder weniger offen zur Schau getragenene Rassismus konfrontiert. Und in den aktuellen Alben von Delgres und Christine Salem scheint sich der Jahrhunderte alte Schmerz, aber auch der Widerstand und die daraus resultierende, eigene Lebensfreude in ihren Werken "4:00 Am" und "Mersi" extrem zu verdichten.
IM PROFIL: LOUISAHHH - DRUCK IM KESSEL
"Sex, Tod, Gott" - das sind nach Louisahhhs Angaben die Themen, um die es sich auf ihrem spektakulären Debut "The Practice Of Freedom" dreht. Doch hinter dem klanglichen Konglomerat aus industriell lärmendem Techno mit punkiger No-Future-Attitüde verbirgt sich noch mehr. Das Album gewährt einen Einblick in die Gefühlswelt einer Frau, die sich nicht mit dem momentanen Zustand der Welt zufrieden geben will.
KURZ ANGESPIELT 5/21: CONTROL ROOM, THE LIVELONG JUNE, STUMPFF, WINFRIED STRAUSS X METANIMOS, SYNNE SANDEN, JUNGSTÖTTER - FÜR EINE HANDVOLL HITS
Kurz kommt gut. Und so präsentieren Control Room, Livelong June, der legendäre Tommi Stumpff, Winfried Strauss, Synne Sanden und Jungstötter mit ihren jeweiligen Mini-Veröffentlichungen ein Konzentrat ihres Könnens. Wie es bei dieser Rubrik Usus ist, betreiben wir auch dieses Mal ein munteres, den geistigen Horizont erweiterndes Genrehopping.
LEDFOOT "BLACK VALLEY" VS. VOYNA "THE CINVAT BRIDGE": KLASSISCHE SCHWARZMALEREI
Back to the roots, baby! Ledfoot und Voyna nehmen auf ihren neuen Alben keine Gefangenen. Und sie scheren sich nicht einen müden Jota darum, das Rad neu zu erfinden. Stattdessen halten sie es mit tradiertem Goth-Rock munter am Laufen. Das liegt vor allem an der unglaublichen Coolness, die "Black Valley" und "The Cinvat Bridge" ausstrahlen.
DER ELEKTRISCHE MANN "MUSIK MUSIK MUSIK" VS. FORETASTE "HAPPY END!": NEUES AUS DER NACHBARSCHAFT
Schweiz und Frankreich können Synthesizer-Musik, das stellen sie bereits seit Dekaden unter Beweis. Aktuell führen Der Elektrische Mann und Foretaste diese Tradition mit frickeliger Elektronik weiter. Diese mutet dank ihrer auf Pop gebürsteten Kantigkeit wunderbar anachronistisch. Da fliegen die Löcher aus dem Käse direkt aufs Baguette.
IM GESPRÄCH - DANIEL GREEN: "DIESES BEWUSSTE RÜCKSICHT NEHMEN KÖNNTEN WIR UNS BEWAHREN"
Krisen machen erfinderisch. Das ist bei Corona nicht anders. Gerade in der Kunst- und Kulturbranche werden Wege und Lösungen gesucht, um den Beruf irgendwie ausüben zu können. Der Folk-Musiker Daniel Green, der 2019 das nachdenkliche "Vanish Like A Cloud In Sunlight" veröffentlicht hat, machte sich während der Pandemie ans Schreiben neuer Songs, die er unter seinem Alias Hotel California zunächst einzeln digital veröffentlicht, ehe die 24 Nummern als haptisches Doppel-Album erscheinen. Im Gespräch mit UNTER.TON berichtet er unter anderem davon, wie er dieses Corona-Jahr wahrgenommen hat.
VISIONIST "A CALL TO ARMS": ROMANTIKER IM MASCHINENLÄRM
Wie sehr ist man dieser Tage geneigt, jedes veröffentlichte Kunstwerk im Kontext der immer noch grassierenden Pandemie zu interpretieren. Und wie sehr lädt uns der Visionist mit seinem Album "A Call To Arms" aber auch dazu ein. Denn die Dissonanz seiner Kompositionen stehen im krassen Gegensatz zum sanften Timbre seiner und der Gäste Gesangseinlagen und zeigen die chaotische Außenwelt, von der sich das Individuum qua auferzwungener Isolation abtrennt und sich doch in ihr zurechtfinden muss.
STEINER & MADLAINA "WÜNSCH MIR GLÜCK": BITTERE PILLEN MIT WEISSWEINSCHORLE RUNTERGESPÜLT
Glück muss man ihnen nicht mehr wünschen, auch wenn Steiner & Madlaina aus der Schweiz dem Titel ihres Zweitlings nach darum bitten. Denn ihre deutschsprachige Stücke klingen nach Deutsch-Pop ohne hohle Phradendrescherei und nach muttersprachlichem Indie-Rock ohne verkopfte Diskurs-Texte zu offerieren. Für dieses erste musikalische Highlight in diesem Jahr benötigt es mehr als Glück. Da steckt ein Plan dahinter.
KURZ ANGESPIELT 4/21: TAMPLE, MASHA QRELLA, ART NOIR, NICK SCHOFIELD - DIALEKTIK DER DISKOTHEK
Die Frage darf gestellt werden: Können Tanznummern auch naspruchsvolle Inhalte vermitteln, oder stören diese nur beim zappeln? Tample und Masha Qrella suchen tatsächlich die Synthese der beiden Gegensätze Tanz und Nachdenklichkeit durch tiefergehende Texte mit Elektronikbeats, während Art Noir fast ausnahmslos instrumental die zerebralen Nervenenden angenehm kitzeln möchte. Am Ende gönnt uns Nick Schofield mit seinen wattigen Ambient-Miniaturen eine Pause von diesem Spannungsfeld.
FEEDING FINGERS "I WON'T EAT THE HORROR": ZURÜCK ZUM NORMALZUSTAND
Würde man Feeding Fingers als romantische Dark-Wave-Band betiteln, ist das nur die halbe Wahrheit. Denn Justin Curfman, Dreh- und Angelpunkt dieses Projekts, zeigte sich in der Vergangenheit sehr experimentierfreudig. Geradezu bodenständig mutet daher das neueste Werk "I Won't Eat The Horror" an, das sich in knappen Stücken stets auf den Kern der Songs konzentriert, ohne die bandtypische Surrealität zu vernachlässigen.
VIAGRA BOYS "WELFARE JAZZ": JAZZ IST ANDERS
Für den Bandnamen sollten sie noch mal gesondert einen Ehrenpreis, am besten von der Pharmaindustrie, erhalten. Dieser plakative Effekt ist aber nur ein Schmunzeln anregendes Beiwerk für ein absolut offengeistiges Album, bei dem so ziemlich alles, was die Subkultur zu bieten hat, kongenial verwurstet worden ist.Vom erwähnten "Welfare Jazz" sind die Jungs folgerichtig auch meilenweit entfernt, auch wenn hie und da ein Saxofon improvisatorisch vor sich hinquäkt.
NEØV "PICTURE OF A GOOD LIFE" VS. LAMBS & WOLVES "NOT A PARTY AT ALL": LEKTIONEN IN SCHWERMUT
Sie sind sicherlich nicht die Feiertiere, wenngleich NEØV aus Finnland und die süddeutsche Formation Lambs & Wolves sich bestimmt nach euphorischem Publikum und Konzerten sehnen. Letztgenannte Gruppe haben mit "Not A Party At All" sicherlich einen zeitgenössischeren Titel gefunden. In puncto verträumter Melancholie steht NEØVs "Picture Of A Good Life" aber in nichts nach.
KURZ ANGESPIELT 3/21: BILLY ZACH, TAUSEND AUGEN, DEAD ASTRONAUTS, DAGOBERT, SIVERT HØYEM - HART, ZART, SMART
Querfeldein geht unsere dritte Runde der Kurzbesprechungen: Depri-Punk von Billy Zach, krautrockiger Post-Punk von Tausend Augen, elektronischer anschmiegsamer Pop von Dead Astronauts, elektronischer widerborstiger Pop von Dagobert und ein unachahmlicher Schmelz von Ex-Madrugada-Bariton Sivert Høyem. Ein wohlschmeckender Ohrenschmaus.
VARIOUS ARTISTS: "ZEITGEIST VOL. 14" & "ZEITGEIST VOL. 15" VS. "LA DANSE MACABRE 9" - OHREN VOLL FÜR PAAR MARK FUFFZICH
Der/Die eine oder andere muss durch Kurzarbeit sicherlich arg mit dem Geld haushalten. Sollten trotzdem noch irgendwie 13 Euro übrigbleiben, können diese in die 14. und 15. Ausgabe der "Zeitgeist"-, sowie der neunten Folge der "La Danse Macabre"-Reihe investiert werden. Als Gegenleistung gibt es exakt 83 aufregende Songs aus den tiefsten Tiefen der Schwarzen Szene rund um den Globus. Ein lohnendes Schnäpperchen!
KURZ ANGESPIELT 2/21: FRANA, MESSER BRÜDER, SIGUR RÓS, SEASURFER, DARK - NACHLESE TEIL II
Und noch einmal blicken wir auf jenes Jahr zurück, das uns allen sicherlich in heftigster Erinnerung bleiben wird. So überwältigend und auch unterschiedlich die Gefühle für dieses vermaledeite 2020 sind, so mannigfatig zeigen sich auch die Endjahresveröffentlichungen, die zwischen noisigem Post-Punk und verträumtem Shoegaze eine karthatische Emotionspalette auffährt, an der die geschundene Seele genesen soll.
CHRISTIAN FIESEL "STATE OF AN UNBORN UNION" VS. SIMONA ZAMBOLI "HYBER NATION": UNDURCHDRINGBARE KLANG(T)RÄUME
Abseits der harmonischen Bespaßung, zu der die elektronische Klangerzeugung natürlich in der Lage ist, suchen manche Musiker nach dem urwüchsigen Moment, den der Synthesizer mitsamt seiner stromaffinen Gefolgschaft liefern kann. So brechen die aktuellen Alben von Christian Fiesel und Simona Zamboli die vertrauten Liedstrukturen auf und kreieren surrealistische Soundlandschaften, deren Intensität einen an die Lautsprecher fesselt.
KURZ ANGESPIELT 1/21: LEIZURE, SUNTRIGGER, WHISPERS IN THE SHADOW, VAINERZ, VLIMMER - NACHLESE TEIL I
2020 war in vielerlei Hinsicht zum Vergessen - jedoch nicht in musikalischer. Da gestalteten sich die letzten Dezemberwochen veröffentlichungstechnisch doch noch recht ereignisreich. Und zwar in solch einem Ausmaß, dass wir die ersten beiden Ausgaben von "Kurz angespielt" im neuen Jahr ausschließlich den vorweihnachtlichen Releases widmen.

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