8/23: INGOLF, DINA SUMMER, THE WHEAL, KILL SHELTER & DEATH LOVES VERONICA - ZU GUT, UM NICHT WAHRGENOMMEN ZU WERDEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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8/23: INGOLF, DINA SUMMER, THE WHEAL, KILL SHELTER & DEATH LOVES VERONICA - ZU GUT, UM NICHT WAHRGENOMMEN ZU WERDEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
Es ist zwar ein Debüt-Album, aber man merkt "Exil" sofort an, dass Ingolf, der Mann hinter dem Projekt, entweder sehr viel musikalische Erfahrung gesammelt respektive ins Studio eingeladen haben muss. Beides ist richtig: Der Mann aus der ehemaligen DDR  (er wurde in der Nähe von Ost-Berlin groß) war bereits vor der Wende musikalisch aktiv, tourte als Schallplattenunterhalter (wie man weiland den DJ im Arbeiter- und Bauernstaat bezeichnete), ehe er im vereinten Deutschland mit seiner Firma KID Broadcast unter anderem Tonstudios einrichtete. Das illustre Klientel reichte von Rammstein über Clueso bis hin zu Knorkator. Ingolf hat also ein breites Netzwerk aus Musikern geknüpft, das nun ihm bei "Exil" unter die Arme greift. Vor allem der englische Gitarrist Greg Bone, der auch schon für die Pet Shop Boys oder Kylie Minogue tätig war, unterstützte ihn bei seiner Arbeit ebenso wie Drummer Darin Mooney, dessen Kunst Songs von Gary Moore oder Primal Scream veredelte. Zu viele Köche verderben bekanntermaßen den Brei, aber hier bestätigt die Ausnahme die Regel. "Exil" ist ein aufgeräumtes, aber nicht zu überproduziertes Synthie-Pop-Album, das in der Tradition von Bands wie Perfidious Words oder De/Vision einzureihen ist. Ingolfs helle und doch rockige Stimme fügt sich wunderbar in die detailverliebten Kompositionen ein, die zwischen elektronischen Flächen und erdigen Instrumenten eine vibrierende Dynamik aufbauen. "Don't Look Back" oder auch "Friendly Fire" legen die Vorzüge des Musikers offen. Die bombastische Edelschnulze "My Love (Il Mio Amore)" am Ende des Albums deutet schon darauf hin, dass "Exil" erst der Anfang von etwas Größerem sein wird. Ingolf, wo haste nur so lang jesteckt?

Ganz und gar nicht versteckt, sondern ziemlich präsent sind Local Suicide, die wir in den letzten Monaten öfters besprochen haben. Nun sind sie wieder da, aber als Dina Summer, einer Gemeinschaftsarbeit mit dem Berliner Musikproduzenten Kalipo. Der Name ist sicherlich nicht zufällig gewählt: Dina Summer - Donna Summer?! Da rotiert die Discokugel im Kopf. Die Vermutung ist natürlich richtig, wobei die tanzbare Dekadenz hier anders konnotiert ist. Dina Summer ist eher für die Dark-Room-Fraktion als für den ausgelassenen Tanztee-Teilnehmer gedacht - zumindest auf den "Rimini Remixes". Fabrizio Mammarella beispielsweise dekonstruiert in seiner Version des Titelsongs den 80er Italo-Disco mit den Werkzeugen von New-Beat und Acid-House, während im Alexander Robotnick Remix von "Amore" eine gedankliche Brücke zu "Passion" von The Flirts geschlagen wird. Bei "Wunderbar" wird gleich das Genre im Titelzusatz mitgeliefert: Italo Brutalo Remix. Heißt konkret: Wir haben den knackigen Vierviertelbeat und die gegenläufigen Basssequenzen, doch alles verpackt in mollschwangere Sounds und einem Robotergesang, der sich dem sonnendurchfluteten Stücken aus der erfolgreichen Ära wie ein schwarzer Monolith entgegenstellt. Aber genau deswegen funktioniert die Remix-Scheibe so gut: Sie nimmt die, mittlerweile schon klischeebeladenen, Klangstrukturen alter Tanznummern und setzt sie neu zusammen. Daniele Baldelli und Marco Dionigi haben eine Version ihrer Arbeit an "Mars" als "Space Mix" tituliert, was sicherlich aufgrund des Titels Sinn macht, beim Durchhören aber auf das berühmte gleichnamige Studioprojekt aus Frankreich verweisen könnte, das mit "Magic Fly" einen Meilenstein der elektronischen Musik zauberten. "Rimini Remixes" begeistert durch seine vielen Querverweise und bleibt dennoch eigenständig.

Geht es um obskuren Electro der härteren Gangart, ist das deutsche Label VUZ nicht weit entfernt. Deren Sublabel Bastet Kitten beherbergt mit The Wheal eine optische wie klanglicher Erscheinung. Der Künstler aus Paris beschreibt sich folgendermaßen: "THE WHEAL is the daughter of Mylene Farmer and Rebeka WarrioR - Lady Gaga, Marilyn Manson & David Bowie." Seit einigen Jahren ist der queere Musiker, der zuletzt Bauhaus' "Bela Lugosi's Dead" sehr amtlich gecovert hat (auf der Bandcamp-Seite nachzuhören) und mit dem Zusatz "Faggoths Of the World Unite" die homosexuellen Schwarzkittelträger eingedenkt, mit einigen interessanten Songs untewegs, "The Body" nun ist als CD-R in kleinster Auflage erschienen. Ursprünglich als exklusive Veröffentlichung für eine Südamerika-Tour gedacht, ist die Compact Disc nicht rechtzeitig zum Start der Konzertreise fertig geworden. So kommen nun alle in den Genuss dieser vier Track kleinen Veröffentlichung, bestehend aus bereits veröffentlichten Songs in überarbeiteten Versionen. "Body" vereint den originären Gothic-Sond mit EBM-Schlagwerk; man ist irgendwo zwischen Front 242 und Alien Sex Fiend gefangen. Und man möchte da nicht mehr raus. Denn The Wheal ist zwar durch und durch musikalischer Anachronismus, aber diese raue, unmittelbare Aggressivität, wie sie auch bei der Shari-Vari Version von "40 coups de poing" zu hören ist, findet sich kaum noch in vergleichbaren aktuellen Songs wieder. Mehr dient die "Body" CD-R daher nicht als repräsentative Veröffentlichung von The Wheal, sondern als ein erster Impuls, sich mit dem bisherigen Oeuvre des Künstlers auseinanderzusetzen. Das Debüt-Album "Maleus Meleficarum" ist bereits angekündigt.

Am Ende wird es schlüpfrig. Denn Pete Burns aka Kill Shelter und Death Loves Veronica, zwei gestandene Persönlichkeiten im elektrifizierten Dark Wave, kredenzen uns ein "Sex Tape". Und zwar in echt! Eine richtige VHS-Kasssette gibt es zu kaufen. Beziehungsweise: gab. Denn das Video-Tape, auf dem sich ein exklusiver Musikclip befindet, ist bereits vergriffen. Mit der Nutzung des in die Jahre gekommenen Mediums hat es aber eine andere Bewandnis. Kill Shelter und Death Loves Veronica hinterfragen in Zeiten allzeit zugänglicher Musik den Stellenwert des Künstlers. "The Sex Tape Sessions" wird daher als EP über verschiedene Wege verkauft: digital, als CD, USB-Stick Musikkassette, verschiedenfarbige Schallplatten und eben Videokassette. Das ganze mit einer ganz kuriosen Bitte: "Owners of the bootleg tapes and VHS videos are encouraged, where possible, to copy, share and redistribute the material in whatever way, and by any means, they see fit." Der Happening-Charakter der "Sex Tape Sessions" lässt fast vergessen, dass wir es hier zudem mit einem druckvollen Titeltrack inklusive Mörderbasslinie zu tun haben, die vom lasziven Text, eingesungen von Veronica Stich, pornös umgarnt wird. Neben weiteren Mixen von "Sex Tape", gibt es mit "The Sinner", "Resist" und "Death Kiss" weitere spannende Nummern, die sich zwischen markigen EBM-Beats und schummrigen Dark-Wave-Klängen ihre Nische gebaut haben. Besonders "Resist" kann man wegen der breitwandigen Sounds und der unvermittelt einschlagenden Gitarrenriffs nicht "widerstehen". Sollten einigen Männern es ob des Titels schon gewaltig im Scrotum ziehen: Das "Sex Tape" ist eher züchtig. Schließlich geht es um etwas anderes!


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 21.04.2023
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