8/16 NOBODY KNOWS, MESSER, LISAWARS, MANTUS, EINHORN: MIT EIGENEN WORTEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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8/16 NOBODY KNOWS, MESSER, LISAWARS, MANTUS, EINHORN: MIT EIGENEN WORTEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2016

Die deutsche Popmusiklandschaft: Es wimmelt von Steine fressenden Lieblingsmenschen, für die man aber gerne nachts das Licht anlässt. Bei einer von 80 Millionen müsste sogar Musik dabei sein, andernfalls trägt man sie durch die schweren Zeiten, schließlich ist die Welt klein und wir sind groß. Wer jetzt stirnrunzelnd und brauen-hochziehend nur noch Bahnhof versteht, dem sei gesagt, dass diese kleine Geschichte zeitgenössische deutsche Radiotitel präsentiert. Man kann erahnen, in welch desolatem Zustand sich dieses Genre befindet. Es fehlt vor allem wahren Emotionen, zumindest aber auch an guten Geschichten.

Solche, wie sie beispielsweise "Urbane Camouflage" bereithält. Das mittlerweile 13. Album der Jungs von Nobody Knows aus Tangermünde beschreibt unsere Gesellschaft in Zeiten wachsenden Fremdenhasses genauso pointiert wie auch kleine Alltagserlebnisse oder auch allgemeingültige Betrachtungen. Wenn sie beispielsweise in "Kanalisierte Aufmerksamkeit" sich als Musiker über die Wand aus Handys bei ihren Konzerten beklagen, sprechen sie dabei nicht nur einigen Kollegen aus der Seele. In "Nicht Polyglott" schaffen sie es zudem, der deutschen Sprache mit einem Augenzwinkern zu huldigen, ohne dabei in deutschtümelndes Fahrwasser zu geraten oder gar nationalistische Sprachsäuberungsphantasien zu befeuern. Alles geschieht mit einer Leichtigkeit, getragen von einem mondänen und spielfreudigen Mischung aus Irish Folk und Polka, gewürzt mit einer Prise Country, Rock sowie Singer-Songwriter-Elementen. In ihren Texten beziehen Nobody Knows erfreulich klare Haltung, während sie musikalisch es sich zum Ziel gemacht haben, zwischen den Stühlen zu verweilen. Was wunder also, wenn das Quintett auch auf dem einen oder anderen Medieval-Sampler vertreten sind, besitzen gerade ihre Folk-Einlagen durchaus pop-mittelalterliche Manierismen, wie man sie von Schandmaul beispielsweise her kennt. In erster Linie aber sind sie eine kabarettistisch gefärbte Truppe mit feinem Sprachwitz und großem Wissen über die deutsche Literatur. Ihr Vorgängerwerk "Drei Minuten Gehör" widmeten sie dem vielleicht größten deutschen Schriftsteller der Neuzeit: Kurt Tucholsky.
Seine mahnenden Worte an eine Welt am Vorabend des totalitären Faschismus sind mittlerweile nur noch zu Postkarten- und Kalendersprüchen verkommen. Nobody Knows wissen um die Wichtigkeit dieses Menschen. Und sie wissen auch, wie man es nach Tucholsky-Tradition anstellt, die bitteren Pillen dem Publikum in der süßen Hülle des Humors zu verabreichen. So wie bei "Wat soll ich noch hier": Die Hölle ist hier eine Vorstadt-Reihenhaussiedlung mit frisch getrimmten Vorgärten und belangloses Palaver der Nachbarn, deren größte Sorge das Einhalten der nächtlichen Ruhezeiten ist. Eigentlich lustig, wenn es nicht so verdammt wahr wäre.

Die Wahrheit spielt auch seit jeher eine Rolle bei der Münsteraner Post-Punk-Formation Messer – wenngleich sie sich hinter metaphorischer Poesie versteckt. Mit dem dritten Album "Jalousie" kehrt allerdings auch der Mut zur Eingängigkeit und Opulenz ein. Schließlich prägten viele bandinterne Veränderungen die letzten Jahre. Messer hat nicht nur einen neuen Gitarristen in ihren Reihen, sondern mit Trocadero auch gleich ein neues Label. Schon "So sollte es sein" atmet diesen Geist der Erneuerung: Unterstützt von Trompeter Micha Acher (The Notwist) und Sängerin Stella Sommer (Die Heiterkeit), setzt diese Düster-Ballade im Stile eines Nick Cave gleich ein tiefschwarzes, fettes Ausrufezeichen. Weg von der Garagenatmosphäre, hin zum theatralen Ausdruck. Sänger Hendrik Otremba bleibt aber seiner Messer(scharfen)-Linie treu und beobachtet die Welt mit gepflegter Hoffnungslosigkeit. So ist "Niemals" eine träumerische Aneinanderreihung trostloser Szenen, unterlegt mit Metall-Patterns, bedrohlich heulenden Synthesizer-Brummen und angenehm deprimierten Gitarren. Ganz von ihrer alten Linie weichen Messer aber nicht ab. So zeigt "Meine Lust" genau das, was das Fünfergespann einst so berühmt gemacht hat. Die freiheitsliebende, eruptive Lyrik Otrembas zählt zu den schönsten dieses Landes, auch weil sie immer wieder Bezug zum gesellschaftspolitischen Klima in Deutschland nimmt. So fungiert das angespannte "Schwarzer Qualm" als Abrechnung mit einer kleingeistigen Gesellschaft, deren diffuse Angst vor einer "Islamisierung des Abendlandes" sich wieder öfters in Brandanschlägen äußert.
"Ich schaue in den Himmel. Alles was ich sehe: schwarzer Qualm." Kein Zweifel, die Wahrheit lässt sich nicht ausblenden, auch nicht durch eine Jalousie. Sie erreicht uns immer wieder - wenn auch gebrochen. Was bleibt, sind Träume. Doch was tun, wenn sie wie bei "Schaumbergs Vermächtnis" eher Beklemmung denn Hoffnung vermitteln? Nur die letzten, das Album beschließenden Orgel-Akkorde streicheln den Hörer sanft, als ob sie ihm zuflüstern wollen: "Alles wird gut." Allein, es ist schwer zu glauben, nachdem man "Jalousie" gehört hat.

Einen Schritt weiter noch geht das sächsische Projekt LisaWars. Ihr Album "Niemals" kehrt der Hoffnung – sowohl in Klang als auch in Wort – komplett den Rücken zu. LisaWars sind wahre Depri-Punker: Ihre musikalischen Mittel sind bescheiden, das Sangestalent von Micha sehr begrenzt. Töne werden nicht getroffen, der aus Keyboard, Drummachine und Gitarre notdürftig zusammengeschusterte Sound klingt rumpelig, körnig und unsauber aufgenommen oder bricht wie bei "Du siehst mich nicht" unvermittelt ab und präsentiert eine Minute lang nur Stille. Gerade so, als ob das Aufnahmeband gerissen wäre. Und dann ist da noch die Lagerfeuer-Version des eigentlich energiegeladenen "Auf der Flucht", die an eine sumpfige Aufnahme mit einem Kassettenrekorder erinnert. Kurzum: Tontechniker und musikalischer Feingeister würden bei LisaWars die Köpfe schütteln. Und trotzdem bleibt man bei den Jungs hängen, verleibt sich ein ums andere Mal die dissonanten Dystopien auf "Niemals" ein. Denn sie besitzen diese unmittelbare Energie, wie man sie beispielsweise von Joy-Division-Songs her kennt und die sich über die Frage der Ästhetik hinwegsetzen, weil ihre Wahrhaftigkeit alle Zweifel wegwischt. LisaWars kehren mit ihrer Musik zu der tiefsten Wurzel der Gothic-Bewegung zurück (die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so hieß). Und manchmal animieren sie auch zum Tanz. Allen voran "Messer" mit seinem neckisch eingebauten "hu-huuuu" im Refrain lockert ein wenig die durchweg düstere Stimmung auf. Ansonsten könnte "Niemals" als perfekte Untermalung für eine winterliche Aufnahme einer Trabantenstadt dienen.
Dort, wo das Grau der Plattenbauten monochrom in die Wolkendecke übergeht, während kahle Bäume die Wege säumen, ist "Niemals" zu Hause. Trostloser könnte das Leben nicht sein. LisaWars schaffen eine Atmosphäre, in der sämtliche Gefühle im Keim erstickt werden und die Depression in vollen Zügen ausgekostet wird – inklusive des Rausches, der kurzzeitig vergessen macht. Wenigstens klingt der Dreivierteltakt von "Abgründig" wie ein letzter schwankender Tanz eines betrunkenen Pessimisten, der beim Schwoof seine Weinflasche innig umschließt. Traurig und morbid, hoffnungslos und fatalistisch: Selten wurden diese Adjektive so schonungslos und intensiv in Noten gegossen. LisaWars machen keine Kompromisse. Und dafür kann man sie lieben.

Liebe hingegen erfährt Sänger Martin Schindler nicht immer. Sein Dark-Romance-Projekt Mantus bleibt für viele Gothic-Verfechter ein rotes Tuch. Hölzerne Reime, extrem verkitschter Orchester-Gothic inklusive quäkender Bläser und opulenter Streicher sind die Vorwürfe der schärfsten Kritiker. Verrissen als billiger Abklatsch von Lacrimosa, die ebenfalls nicht nur Fans haben, scheint es fast so, als würde jeder Mantus meiden wie der Teufel das Weihwasser. Aber es ist ein bisschen wie bei Modern Talking: Obwohl sie unisono als fürchterlich und grauenhaft dargestellt werden, haben sie en masse Platten verkauft. Gut, die Verkaufszahlen eines Dieter Bohlen stehen nicht im Verhältnis zu den bescheidenen Mantus-Verkäufen. Dennoch muss Martin vieles richtig gemacht haben. Andernfalls hätte er sein Projekt schon längst an den Nagel gehängt. Erfreulicherweise werden seine Alben von mal zu mal interessanter, weil sie sich auch explizit mit den aktuellen Geschehnissen in unserer Bundesrepublik auseinandersetzt. Das ist bei dem aktuellen Langspieler "Refugium" nicht anders. Mit "Schande" prangert er all jene Brandstifter an (sowohl auf geistiger Ebene, wie auch im wortwörtlichen Sinne), die aufgrund ihrer wahllosen Furcht und privaten Unzufriedenheit alles Fremde ausmerzen wollen. Zudem bringen sie mit "Traurig bin ich sowieso" ein Stück der Liedermacherin Bettina Wegner, quasi die deutsche Joan Baez, in Erinnerung, deren Zeilen nach fast 35 Jahren aktueller denn je sind. Diese zwei Songs bringen eine deutliche Haltung zum Ausdruck, die vielen anderen Musikerkollegen aus dem Gothic-Segement fehlen.
Gerade weil diese Szene zu nicht geringem Maße von rechter und völkischer Ideologie unterwandert wird, ist ein Flagge zeigen, wie es Martin und seine Mitstreiterin Chiara Amberia machen, immer wichtig und richtig. Wie es der Albumtitel aber schon vorwegnimmt, werden Mantus nie die links-militanten Weltverbesserer werden. Sie beobachten aus einiger Entfernung das Geschehen und sind traurig über so viel Dummheit und Hass. Was bleibt, ist eben das Refugium, der Rückzugsort. Hier hängt Martin seinen Gedanken nach und findet keine Antworten. "Welt in Flammen" und "Kampf der Kulturen" beschreibt das Unfassbare eines religiös motivierten Krieges, "Niemals genug" und "Das Wunder des Lebens" zeichnet unser Sein als privaten und gesellschaftlichen Leistungsmarathon - eine freudlose Existenz, verpackt in weinrotem Melancho-Rock.

Um nun aber nicht vollends einer herbstlichen Depression anheim zu fallen, sollte der Blick schnell auf das Album "Galactica" der Jungs von Einhorn schweifen. Es sei schon mal vorweggenommen, dass wir hier ein wenig aus dem uns gesteckten Rahmen ausbrechen: Es handelt sich bei Einhorn nicht um eine deutsche, sondern österreichische Gruppe, und in ihrem Debüt kommen auch schon mal die einen oder anderen englischen Zeilen drin vor. Das soll uns aber nicht vom Spaß abhalten, den die Jungs uns bringen. Schon das Cover lässt einiges erahnen: Es zeigt – oh Wunder – ein Einhorn, das wie eine Disco-Kugel glitzert und den (Tanz)boden erhellt. Der Rückschluss auf die Musik, den die vier Jungs praktizieren, fällt da leicht. Einhorn sind die gelebte Freude am Dasein, juvenile Blödelei gepaart mit unbekümmerter Spielfreude. Ganz im Gegensatz zu den handfesten Landsmännern wie Wanda, Der Nino aus Wien oder Bilderbuch, bei denen es immer auch nach ausgeschüttetem Bier und überquellenden Aschenbechern riecht, steigt bei "Galactica" höchstens der Geruch einer aktiven Nebelmaschine in die Nase. Der glamouröse, elektronisch aufgehübschte Disco-Funk mag zwar nicht unbedingt eine Weltneuheit bereithalten, aber es ist schon verblüffend, mit welcher Leichtigkeit einfach mal ein ganzes Album eingespielt wurde, das von Anfang bis Ende eigentlich nichts aussagen will und dabei so aussagekräftig bleibt und in seiner Attitüde herrlich subversiv ist. Gerade "Schöner als Berlin" ist ein gelungener Seitenhieb auf die schluffige Club-Szene der deutschen Hauptstadt.
Wortwitz, NDW-Elektronik und nach vorne marschierenden Rhythmen sind die Waffen, mit der sie die hippe Hauptstadt attackieren. Die Einhörner schießen scharf, allerdings mit knallbunten Styroporkügelchen, um den drögen Deutsch-Elektro den Kampf anzusagen. Aber am Ende geht es natürlich auch nur darum, das richtige Mädchen an der Seite zu haben. Allerdings dürfen in dieser Einhorn-Welt auch mal ganz profan Computerspiele gespielt, Science-Fiction-Serien geschaut und eifrig in Comics geblättert werden. Und wer es schafft, das alte Nokia 6410-Handy in seine Texte einzubauen, ist sowieso ganz weit vorne in der Geek-Liga. Ebenso hätte man das Album auch "Nerds In Love" taufen können. Aber hier zeigt sich das Talent der Burgenländer. Ihre Romanzen sind so sonderbar wie die Charaktere von " The Big Bang Theory", aber man muss sie einfach gern haben.

||TEXT: DANIEL DRESSLER|DATUM: 01.11.16 | KONTAKT | WEITER: LOGIC & OLIVIA "PINK" >

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Webseiten:
www.nobodyknows.de
www.gruppemesser.blogspot.de
www.lisawars.com
www.mantus.de
www.einhorn-musik.at


Cover © Prosodia (Nobody Knows), Trocadero/Indigo (Messer), LisaWars, Trisol/Soulfood (Mantus), LasVegas Records/Universal Music (Einhorn)

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