APOPTYGMA BERZERK: IRRUNGEN UND WIRRUNGEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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APOPTYGMA BERZERK: IRRUNGEN UND WIRRUNGEN

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Es gibt Songs, die vielleicht nicht gleich die ganze Welt, aber doch die Welt eines Einzelnen verändern können.

Bei mir war es "Love Never Dies Part I" von Apoptygma Berzerk. Denn Stephan Leonard Groth, der Mann hinter dem Zungenbrecher-Projekt, ist durch sein künstlerisches Wirken dafür verantwortlich, dass ich mich für den Rest meines Lebens mit der Schwarzen Szene befassen werde.


Obwohl: Damals wusste ich noch gar nicht, dass APB Musik für "Grufties" macht – und Stephan war es wahrscheinlich auch weniger recht, auf diese Art und Weise gebrandmarkt zu werden. Im besten Falle war es ihm egal.


Jedenfalls kamen seine Klänge einer regelrechten Offenbarung gleich. Vom kommerziell ausgeschlachteten Kirmes-Techno und dem immer peinlicher werdenden Euro-Dance gelangweilt, war ich auf der verzweifelten Suche nach neuen Impulsen in der elektronischen Klangerzeugung.

In "7", dem zweiten Apoptygma-Album, fand ich sie: Synthie-Pop wie aus den 80ern, nur etwas härter und sinister gespielt, dazu einige surreale Klangcollagen und Ambient-Spielereien, die dem Longplayer die nötige Kantigkeit verpassten.

Es war neu, es war aufregend – und es war alles nur geklaut! Apoptygma Berzerk zeichnet sich nämlich vor allem dadurch aus, eine sehr gut funktionierende Recycling-Truppe zu sein, die sich aus verschiedensten Genres bedient, um am Ende dann doch etwas Eigenes zu schaffen.


So wie bei "Love Never Dies": Das Orgelintro entnahm Stephan "Toccata und Fuge" von Bach, im Refrain ertönt das altbekannte "O Fortuna" aus Orffs "Carmina Burana". In dieser Kombination jedoch war es einfach unvergleichlich schön. Bis heute ist es mir daher unerklärlich, warum in der Wiederauflage dieses Albums im Jahre 2002 der Refrain von diesem Sample bereinigt wurde. Vielleicht waren es rechtliche Gründe?


Wie dem auch sei: Von diesem Moment an war die Gruppe mit dem fast unaussprechlichen Namen meine persönliche Neuentdeckung. Und sie sollte die erste Band in meinem Leben sein, deren Konzert ich besuchen würde. Fast kein Tag verging, an dem meine HiFi-Anlage nicht "7" abspielen musste.

Dieses Erweckungserlebnis geschah vor 19 Jahren.

Doch was ist vom einstigen, juvenilen Enthusiasmus für diese Ausnahmeerscheinung übrig geblieben?


Nun: Ich höre mir immer noch gerne ihre Alben an. Aber je weiter die Zeit voranschreitet, desto stärker beschleicht mich Wehmut dabei. Denn ab einem gewissen Punkt verwandelte sich Stephan vom einstigen Electro-Freigeist in ein fragwürdiges Emo-Abziehbildchen. Schlussendlich versuchten Apop sogar, im Fahrwasser der Depri-Rocker Placebo Erfolge zu feiern.


Kurzzeitig ist ihnen das sogar gelungen: Vor zehn Jahren erschien "You And Me Against The World".

Es war das fünfte Album und markierte einen Wendepunkt im Klangbild von APB. In den deutschen Charts erreichte es einen für damalige Verhältnisse sensationellen Platz 18. Ihre Singleauskopplung "Shine On" verpasste sogar nur knapp den Eintritt in die Top 10.

Doch zu welchem Preis geschah dies?

Stephan Groth biederte sich kompromisslos dem Zeitgeist an. Statt vertrackter Sequenzen dominierten nun hübsch aufpolierte und fett eingespielte Keyboard-Akkorde. Dazu noch etwas Gitarren-Geschrammel – fertig war die Laube, die aber auf sehr wackeligen Füßen stand.


Denn dass es gerade "Shine On", eine Coverversion der Rockgruppe The House Of Love war, die von allen Singleveröffentlichungen des Albums den größten Erfolg feierte, zeigte schon, dass das eigene Material wohl nicht genug ausrichten konnte, um die Massen zu bewegen.


Allerdings waren und sind Neuinterpretationen das Steckenpferd des Sängers.

Kein Wunder also, dass er nur einige Zeit nach "You And Me Against The World" mit "Sonic Diary" ein Kompendium aus alten und extra neu eingespielten Coverversionen kredenzte. Auch Apoptygmas letztes "offizielles" Lebenszeichen – eine EP aus dem Jahre 2013 – enthielt Peter Schillings englische Version von "Major Tom".

Sich jedoch nur mit fremden Federn schmücken - das ist Stephans Sache nicht.

Auf seinem letzten Album "Rocket Science" von 2009 offenbarte der Frontmann auch, dass er mit seinen Berserkern in eine künstlerische Sackgasse geraten ist. Zu sehr verwischte die Identität der Gruppe durch eine allzu harte Kommerzialisierung des Projekts.

Der Versuch, nicht nur mittelgroße Clubs, sondern ganze Stadien mit dem APB-Sound zu füllen, ist gescheitert.


Dass sich Chefdenker Groth, der mittlerweile wieder allein sein Projekt betreut, neu orientieren und nicht zur eigenen Epigone verkommen wollte, liegt durchaus in der Natur der Dinge. Jeder Künstler versucht dies.

Doch scheint in diesem Fall mal wieder die Plattenfirma (zu diesem Zeitpunkt waren sie bei Gun Records/Sony unter Vertrag) ihre Vorstellung von margenträchtiger Musik dem kreativen Kopf aufoktroyiert zu haben. Zumindest beschleicht einen dieser Gedanke beim Abspielen von "Rocket Science": Statt großem Apoptygma-Theater blieb die letzte Veröffentlichung ohne markante Stücke hinter den Erwartungen zurück.


Vielleicht ist das mit ein Grund, warum sich der Norweger danach erst einmal rar machte.

Stephan wirkt irgendwie ausgebrannt. Auch bei "Major Tom" vermisst man die Spielfreude und Lust am Interpretieren. Im Vergleich zu seinen früheren Coverversionen wirkt der NDW-Klassiker viel zu routiniert und uninspiriert eingespielt.

Die zuletzt veröffentlichten zwei Vinyl-EPs hinterlassen schlussendlich mehr Frage- als Ausrufezeichen: "Stop Feeding The Beast" und "Videodrome" beinhalten minimale Synthie-Instrumentale mit stark kraftwerk'scher Prägung, die in Apops besten Zeiten höchstens in verkürzter Form als auffrischende Zwischenstücke innerhalb eines Albums gedient hätten.

Wie sind diese letzten Releases zu deuten?

Sie könnten einerseits Stephans Rückbesinnung auf seine alten Tugenden sein, oder nur noch das schwache Glimmen eines einst kämpferischen Geistes bedeuten. In jedem Fall aber bewegt sich der ehemals so stilsichere Klangfrickler nach der kompletten Vermarktung seines Projektes im luftleeren Raum.


Erst das neue Album wird Aufschluss darüber geben, wohin Apoptygma Berzerk steuern wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Jahr noch auf den Markt kommen wird, ist aber äußerst gering.

Deswegen schwelge ich einfach noch mal in Erinnerung und lege die "Welcome To Earth" auf, das vielleicht beste Apop-Album.

Hier gelang dem Musiker eine leichtfüßige Gratwanderung zwischen vertrackt-melancholischer Elektronik und anschmiegsamer Synthie-Liebelei. Zusammen mit den Kollegen von VNV Nation und Covenant bildeten Apoptygma Berzerk damals das Triumvirat des sogenannten Future-Pop.

Doch während sich die anderen mehr oder weniger an einer melodischeren Variante von EBM versuchten, gelang es APB immer wieder, über den musikalischen Tellerrand hinauszublicken. So schaffte es "Kathy's Song (Come Lie Next To Me)", jenes Stück mit der herzzerreißend traurigen Vocoder-Stimme im Refrain, auch in die Techno-Clubs – natürlich dank eines perfekten Remixes vom Trance-DJ Ferry Corsten. Und Metallicas "Fade To Black" in ein rein elektronisches Kostüm zu stecken, hatte anno 2000 etwas von einer revolutionären Geste.

Was also bleibt, ist Nostalgie - und ein Stückchen Hoffnung, dass Apoptygma Berzerk nicht nur zu alter Stärke zurückfindet, sondern auch (wie auf ihren ersten vier Alben "Soli Deo Gloria", "7", "Welcome To Earth" sowie "Harmonizer" geschehen) einzigartige Kompositionen und überraschende Soundscapes zaubert, die dann vielleicht die Welt der nächsten Generation von Musikliebhabern verändern wird.


||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 28.10.15 |  KONTAKT |  WEITER: QUO VADIS EMILIE AUTUMN - SHAKESPEARE VS. HIPSTER-SCHLAPPEN >



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