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CHRIS IMLER "OPERATION SCHÖNHEIT": KLANGLANDSCHAFTENFLANEUR

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Das Menjou-Bärtchen, so verrät es uns eine große Internet-Enzyklopädie, erhielt seinen Namen durch den Filmschauspieler Adolphe Menjou, der in den 1920er Jahren vor allem in die Rolle des distinguierten Gentlemans schlüpfte. Und weiter sagt uns das Wissensprotal: " Der Bart (...) wird heute meist nur noch als ironisches Zitat getragen, z. B. von dem Regisseur John Waters." Andere Beispiele wären auch noch Ron Mael von The Sparks - und eben Chris Imler.

Denn sein zu gleichen Teilen elegantes und doch abgeratztes Aussehen lässt ihn zu einer kuriosen Person avancieren. Da der Mann, der gebürtig aus Bayern stammt, aber schon eine halbe Ewigkeit in Berlin weilt, auch sonst nicht viel über sich preisgibt (sein Alter beispielsweise bleibt ein Mysterium), befeuert er damit seinen Ruf als "Grandseigneur des Berliner Undergrounds", wie die TAZ es einmal treffend formulierte.

Tatsächlich wirkt Imler, dessen Arbeit als (stehender) Schlagzeuger bei den Türen, Oum Shatt oder Jens Friebe essentiell für ihren subkulturellen Erfolg waren, mittleweile wie ein abgehalfter Dandy, der aber immer noch eine Aura des Einmaligen ausstrahlt. Chris Imler ist ein Oscar Wilde der Subkultur, und sein neuestes Album mit dem beredten Titel "Operation Schönheit" ist sein "Bildnis des Dorian Gray", sein absolutes Meisterwerk.

Nach dem urban-hektischen "Nervös" und dem vor vier Jahren erschienenen, zynischen Nachfolger "Maschinen und Tiere", geht der Mann einmal mehr den Weg des größten Widerstands. Seine Songs sind tanzbar und doch kein Clubfutter, melodiös und doch nicht anschmiegsam. "Operation Schönheit" ist daher nicht eine reine Kritik am Optimierungswahn der Menschheit (auch wenn der Titelsong durchaus diese Tendenzen besitzt), sondern eher der Versuch, das Pittoreske in Imlers Werken durch die Störfrequenzen sichtbar zu machen. Wir erleben hier Imler als Chirurg seiner eigenen Songs.

Musikalisch deutliche Anhaltspunkte wie der Motorik-Beat in "Temperature", der blecherne DAF-Basssequenz in "Spooky Action At A Distance" oder das metallisch-perkussive Moment bei "Movies" sowie dubbiges Schlagwerk von "Schau hin" bringen Imlers Lust am Experiment deutlich zum Vorschein. Um diese Versatzstücke ranken unerwartete und aufregende Auswüchse und machen die Songs zu teils bizarren Hörerlebnissen.

In diesen selbst erbauten Klanglandschaften, die teils schroff und grotesk, teils wunderbar anheimelnd anmuten, flaniert der Mann mit seiner ihm eigenen Lässigkeit. Seine Stimme, die zwischen sophistischer Überheblichkeit und aufkommendem Ennui hin- und herpendelt, zeigt Imler als Mann, der seit mehreren Jahren in der Bundeshauptstadt (über)lebt.

Vor allem schafft es der Musiker, mit "Operation Schönheit" an die glorreichen Zeiten eines Berlin zu erinnern, dass unter dem Eindruck des Kalten Krieges und der Mauer die Künstler in Scharen antanzen ließ, auf dass diese sich vom eigenen Charme der geteilten Metropole inspirieren ließen und somit auch zur Ausformung Berlins als den kulturellen "place to be" beitrugen. Seine Sounds atmen den Geist experimenteller Post-Punker und Techno-Musiker, die in Katakomben ihre spärlich besuchten Konzerte und Dj-Sets absolvierten, aber auf diese Weise intensive Momente für die Ewigkeit schufen.

Von diesem Geist, dieser "arm aber sexy" Mentalität, ist in der Realität tatsächlich nicht mehr viel zu sehen, und auch davon berichtet "Operation Schönheit", der sich versteckt mit der Oberflächlichkeit der digitalen Gesellschaft auseinandersetzt. Im Grunde genommen ist und bleibt Imler ein Punker - aber eben ein eleganter, nicht nur aufgrund seines Menjou-Bärtchen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 31.03.22 | KONTAKT | WEITER: STEREOSKOP VS. AVA VOX>

Webseiten:
www.facebook.com/chris.imler

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COVER © FUN IN THE CHURCH/H'ART

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