DIORAMA "FAST ADVANCE FAST REVERSE" VS. LOCAL SUICIDE "EROS ANIKATE REMIXES": HAND DRAUF! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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DIORAMA "FAST ADVANCE FAST REVERSE" VS. LOCAL SUICIDE "EROS ANIKATE REMIXES": HAND DRAUF!

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Sie haben es wieder getan. Und es war zu erwarten, dass es berauschend werden würde. Die Reutlinger Dark-Wave-Formation Diorama, Spezialisten für melancholisch-surrealen Elektronikklang mit Hang zum tönernen Experiment, brachte bereits 2005 mit "Repale" eine CD mit wunderbaren Remixen heraus, die den Blick auf die Kompositionen von Mastermind Torben Wendt neu justiert.

"Fast Advance Fast Reverse" beschränkt sich dieses Mal nur auf das beeindruckende 2020er Album "Tiny Missing Fragments" und kann als ausladend schöner Epilog zum genannten Werk betitelt werden. Nach dem Prinzip eines Schlagabtausches zwischen Diorama und den befreundeten Musikern, die sich dem künstlerischen Material gewidmet haben, wechseln sich Remixer und von der Band selbst neu abgemischte, überraschende Versionen ab. Denn Torben Wendt ist ein klassisch ausgebildeter Musiker, der die Kunst des Songschreibens beherrscht, so dass die Lieder auch dann noch funktionieren, wenn man sie von sämtlichen elektronischen Effekten befreit.

So schafft die Band es,"Gasoline", den vielleicht ausdrucksstärksten und auch tanzbarsten Song auf "Tiny Missing Fragments", komplett neu zu arrangieren. Ihr Guitar Edit verwandelt den Track in eine intime Kammer-Pop-Ballade, die aber nicht weniger Spannung und Dynamik besitzt als das Original. Das von der Band umgemodelte "Patchwork" erinnert bisweilen sogar an Dioramas Anfänge, als Torben noch mehr oder weniger solo seine Stücke aufgenommen hat. Ebenso wird die klangliche Verschrobenheit von "Horizons" auf "Fast Reverse Fast Advance" in geradezu träumerische Strukturen aufgelöst, während Torben den Text teils hypnotisch einspricht.

Für die eingängigen und ergo elektronischen Momente sorgen aber andere, allen voran Zoodrake, die sich ebenfalls an "Horizons" gewagt haben, dem Stück aber eine Future-Pop-Gradlinigkeit verpassten. Faderhead indes verewigt sich mit seinem Remix von "Iisland" und arbeitet die Trance-Komponente, die vielen Diorama-Stücken durchaus eigen ist, besonders heraus. Auch der Broken Spencer Remix dieses Tracks verleiht dem Stück dank knackiger Bassläufe und knalliger Beats einen ganz anderen Anstrich, der die Subversivität der Diorama-Songs mit zeitgemäßen Soundproduktionen schlüssig vereint.

Besonders für die Fangemeinde ist "Fast Advance Fast Reverse" ein großartiges Geschenk, da die Remixe, sowohl von den Gastmusikern als auch von der Band selbst, stets die Stücke als ganzes im Blick behalten, durch geschicktes Weglassen oder Dazugeben aber neue Sichtweisen eröffnen. Am Ende stehen die Neuinterpretationen den Originalen in nichts nach. Und zwar durchgängig! Eine Seltenheit bei Remix-Alben.

Ob es so etwas wie Schicksal gibt? Oder welche überirdische Kraft hat den gebürtigen Münchner Brax Moody und die aus Thessaloniki stammende Vamparela zusammengeführt? Jedenfalls setzt ihre Zweisamkeit künstlerische Synergien frei, die ihr gemeinsames Projekt Local Suicide zum heißen Scheiß avancieren lässt. Mittlerweile in Berlin ansässig hat das Duo mit ihrem Debut "Eros Anikate" eine deutliche Duftmarke gesetzt, deren Geruch sich schnell verbreitete, sodass auch andere Kollegen kurzerhand die Fährte aufgenommen haben.

Ganz unbekannt sind die beiden aber nicht, da sie bereits schon seit Jahren viel um den Erdball gedüst sind und verschiedene Kollaborationen mit anderen Künstlern sowie eine Menge EPs realisieren konnten. Auftritte unter anderem beim Lollapalooza- und dem Melt!-Festival zementieren ihren Nimbus als nicht mehr so geheimen Geheimtipp. Mit ihrem Sound, einer Mischung aus Dark Techno, EBM und Wave - sie nennen es Technodisco -, gelingt ihnen eine perfekte Mischung aus Hedonismus, Melancholie und Anarchie.

Wie gesagt, die Kollegen spitzten nicht nur die Ohren, sondern fuhren auch ihre Maschinen hoch, um die Songs neu abzumischen. Das ganze entwickelte sich zu einem regelrechten Remix-Marathon, bei der am Ende vier EPs zu Buche standen, aufgeteilt in die "Adonis", "Artemis", "Apollo" und "Aphrodite" Remixe, die über den Herbst veröffentlicht wurden. Zuletzt wurde das Album als Vinyl-Bundle mit den EPs als Dubplates auf den Markt geworfen.

Dieses schlägt zwar mit 99 Öcken ordentlich zu Buche, aber das Geld ist tatsächlich gut angelegt, denn es lohnt sich auf jeden Fall, die Original-Songs zum Vergleich bereitzuhalten, um die Veränderungen der Songs nachzuvollziehen. So ist der rollende Hard-House-Touch von "Moustache" im You-Man Remix einem gezähmteren House-Sound gewichen, während "Like Follow Subscribe" in seiner Ursprungsform ordentlich Schmutz in sich trägt, aber im Biesmans Remix zu einer discoiden Synthie-Pop-Nummer umgemodelt wurde, die an Erasure oder Bronski Beat erinnert. Es sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen sollen, wie stark sich die Neuabmischungen von den Originalen unterscheiden. Genau das ist es nämlich, was einen guten Remix ausmacht: Er muss überraschen, muss einen Aha-Effekt beim Hörer bewirken, sodass er den Track neu denkt und die neue Lesart im besten Fall genauso annimmt wie die konventionelle.

Doch ist gerade dies in den letzten Jahren immer schwerer geworden, da oftmals Remixe nur als schlampig hingeschluderte Lückenfüller für Alben oder Singles in den letzten Jahren an Wert verloren haben. Die Remixe zu den Stücken von "Eros Anikate", ebenso wie Dioramas "Fast Advance Fast Reverse" zeigen, dass es auch anders geht.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.01.23 | KONTAKT | WEITER: SOPHIA BLENDA VS. SARAH P.>

Website
www.diorama-music.com


COVER © ACCESSION/INDIGO (DIORAMA), BELIEVE/GOOD TO GO (LOCAL SUICIDE)

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