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PILOCKA KRACH "SUGAR CANE & THE LOST AMIGOS" VS. SOULWAX "FROM DEEWEE": SPASS MUSS SEIN!

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Wer sich auf musikalische Augenzwinkerei versteht, ist meist im Vorteil. Denn  seine Materie zu beherrschen, sie aber nicht sklavisch-konservativ nach irgendwelchen künstlich gesteckten Parametern umzusetzen, sondern ein gewisses laissez-faire durchscheinen zu lassen, kommt den Inbegriff der Coolness sehr nahe.

Pilocka Krach ist so eine coole Socke. Ihr Album "Sugar Cane & The Lost Amigos" klingt so, als existieren für die Berlinerin die Worte "müssen", "sollen" und "dürfen" überhaupt nicht. Erlaubt ist, was Spaß macht. Dies ist die einzige Maxime, die Frau Krach sich als ultimativen Leitfaden ihrer Kunst ans Revers gehftet hat.

So freigeistig ihre Post-Rave-Klänge, so eigensinnig ist auch ihre Veröffentlichungspolitik. Konzipiert als Doppel-Vinyl, erhält man als CD-Käufer nur einen Ausschnitt, quasi ein "Best Of" des Albums. Lediglich jene beschnittene Fassung liegt der Redaktion vor. Aber das macht nichts. Denn sie reicht vollkommen aus, um die Intention von Pilocka Krach zu verstehen.

Ihr Faible für die alten Techno-Sounds ist an allen Ecken und Enden des Werkes hörbar. Gerade die belgische New-Beat-Ära scheint es ihr angetan zu haben. Jedenfalls schafft sie es immer wieder, schräge Sequenzen, die alle Stilgrenzen überwinden, als homogene Füllmasse ihrer Kompositionen dergestalt zu verfugen, dass sie einerseits eingängig klingt, andererseits sich aber nie anbiedert.

Bestes Beispiel bildet "Fresh", das mit leicht spacigen Sounds ein sehr getragenes Grundgerüst bildet, auf dem sich Pilockas distanzierter Sprechgesang den Platz teilt mit surrealistischen Klangschnipsel und derlei experimentellen Tönen mehr. An anderer Stelle, namentlich "One Day I Left (I Would Not Dress)", arbeitet sie sich an funkigen Rhythmen ab, die in Kombination mit einer blubbernden Basslinie und etwas ungelenken, männlichen Hip-Hop-Einlagen ihern ganz eigenen Garagen-Charme versprühen.

Bewanderte in elektronischer Klangkunst werden indes bei "Clarita's Song" eine bestimmte Verbindung ziehen: nämlich jene zu "Los Niños Del Parque" von Liaisons Dangereuses. Zwar wirkt Pilockas spanischsprachiger Underground-Sommerhit nicht so knackig und fordernd wie der über 35 Jahre alte Übersong (das liegt wohl auch an der einmaligen Polyrhythmik, die Liaisons Dangereuses damals angewedent haben). Der Spaß aber, mit pseudokubanischem Elektro über Clarita zu singen, die zum Strand gehen und dort eine Papaya verspeisen will, ist ein weitaus größerer als bei der doch immer sehr auf Akkuratesse bedachten deutschen Truppe um Beate Bartel und Chrislo Haas selig.

So wandert Pilocka Krach durch ihr selbst gebautes Synthesizer-Wunderland und zeigt sich voll kindlicher Freude über die Möglichkeiten, die der kleine Kasten für sie bereithält. "Sugar Cane & The Lost Amigos" lebt von ihrer provokanten Art, sich nicht um irgendwelche Konventionen zu scheren, dabei aber durchaus sehr abgebrüht zu wirken. Selbst das im Titel etwas schmalzig anmutende "La Luna Y El Sol" entpuppt sich als ultrasmoothes Stück Minimal-Synthie-Pop.

"Enjoy The Ride" spricht Pilocka uns zu Beginn des Albums, einer überfreundlichen Stewardess gleich, an und verspricht uns damit nicht zu viel. "Sugar Cane & The lost Amigos" ist eine bisweilen wilde Fahrt durch den dadaistischen Klagkosmos einer Künstlerin, die nicht umsonst hohes Ansehen bei den älteren Elektro-Musikern genießt.

Zu denen dürfen sich auch schon Soulwax zählen. Das belgische Brüderpaar Stephen und David Delwaere stammen quasi aus direkter Nachfolge der bereits oben erwähnten New-Beat-Epoche. Vieles davon hat sich bereits, in abgewandelter Form, im Soulwax'schen Klangbild manifestiert. Ihr zwangloses Spiel mit den Polen Rock und Elektronik machten sie bereits Ende des vorangegangenen Jahrtausends zu Vorreitern einer Indie-Dance-Szene, die in den 00er Jahren durch Bands wie MGMT, WhoMadeWho oder Röyksopp erst richtig aufzublühen begann.

Nicht weniger frech ist ihr bunter Remix-Reigen, der Künstler aller Couleur, darunter Pop-Sternchen Kylie Minogue und den Einstürzenden Neubauten, Altmeister des avantgardistischen Lärmes, vereinen. Ihr gleichzeitiger respektvoller wie auch innovativer Umgang mit fremdem Material macht Soulwax zum gern gesehenen Gast, wenn es darum geht, einem Song mehr Ecken und Kanten zu verleihen (einer ihrer Höhepunkte war sicherlich ihre zackige Interpretation von Rolling Stones' "You Can't Always Get What You Want").

Die eigene Schaffenskraft bleibt da zwangsläufig etwas auf der Strecke. Zwar brachten sie seit ihrem letzten offiziellen Longplayer "Nite Versions" von 2005 immer wieder Mixe heraus und gönnten sich sogar eine eigene Internet-Radiosendung sowie einige Nebenprojekte, doch Soulwax-Songs waren nicht wirklich in Sicht.  Nun ist endlich ein neues Werk erschienen. "From Deewee" nennt es sich, sprich: direkt aus ihrem eigenen Studio DeeWee kommt die Platte zu uns herübergeflattert und spielt weiter konsequent Elektronik gegen Akustik und Elektrik aus, um am Ende ein versöhnliches, eklektisches Gesamtbild zu erzeugen.

Extrem perkussive Tracks wechseln sich dabei mit indiepoppigen Halbbaladen und frickeligen Elektronikstücken ab. Soulwax haben die Behauptung, dass sich Gegensätze anziehen, total verinnerlicht und verfahren bei ihren Kompositionen exakt nach dieser Maxime. Dabei ist es geradezu beängstigend, mit welcher Präzision sie ihre Songs auf Linie bringen. Selbst wenn es wie bei "It Is Always Binary" von Breaks und Wendungen nur so wimmelt, bleiben auch solche Nummern nachvollziehbar und spannend.

Natürlich verfolgen die Delwaere-Brüder den Weg, den sie seit Anbeginn ihrer Karriere eingeschlagen haben, weiter. Dass "From Deewee" aber vielleicht noch eine Spur organischer klingt als die Vorgänger, liegt wohl daran, dass die Band sich dieses Mal entschlossen hat, ein gleiches Line-Up im Studio aufzustellen wie während ihrer Live-Auftritte. Musiker und Maschinen agieren trotz der natürlichen Barrieren in perfekter Eintracht.

Auch hier gilt: Ein bisschen Spaß muss sein. Obgleich nämlich "Here Come The Men In Suits" ein wenig an die kühle Noblesse eines John Foxx erinnert, konterkarieren sie diese Film-Noir-Ästhetik, die der Titel verspricht, mit einem immer mehr aus den Fugen geratenen Sound, bis am Ende nur noch verqueres Geschepper und undefinierbarer Lärm übrig bleibt.

So kann sich "From Deewee" also gar nicht richtig entscheiden, ob es nun ein rockiges Elektroalbum, eine elektronisch unterfütterte Rockplatte, oder vielleicht doch ein tüddeliger Indie-Pop-Schinken sein möchte. Und genau das mact die Faszination aus. Jedes Stück ist eine musikalische Wundertüte, gespickt mit jeder Menge musikalischem Humor, der etwas feiner und abgebrühter daherkommt, als die ungestüme, anarchische Komik einer Pilocka Krach.

Beide Werke jedoch setzen Maßstäbe in einem unverkrampften Umgang mit Genres und belegen einmal mehr, dass aalglatte Elektro-Produktionen, so schön sie auch sein mögen, nie die Spannung und auch den Spaß besitzen werden, wie es die vermeintlich etwas rumpeligeren Tracks dieser beiden Projekte ausstrahlen.


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 26.06.17 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS: "SILHOUETTES & STATUES - A GOTHIC REVOLUTION 1978-1986 >


Webseite:
www.pilockakrach.com
www.soulwax.com

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Cover © Greatest Hits International/Rough Trade (Pilocka Krach), PIAS/Rough Trade (Soulwax)

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