VATER-SOHN-SONGS: PROTOTYPISCHE HASSLIEBE
Wenn der Vater mit dem Sohne... wie viele Geschichten ranken sich um die Beziehung des Familienoberhaupts und des männlichen Nachfolgers, dem die Bürde aufgelastet wird, ebenfalls seine Position als Patriarch zu erkämpfen. Nun: So extrem sind die Zeiten heutzutage nicht mehr. Aber die jahrhundertealte Tradition bietet immer noch genügend Stoff, um sie beispielsweise in aussagekräftigen Songs zu verhandeln. Wir haben fünf mehr oder weniger bekannte Werke beleuchtet.
PLATZ 5: KAREL FIALKA "HEY MATTHEW" (1987)
Einer eingängigen und kecken Synthesizermelodie ist es zu verdanken, dass "Hey Matthew" Ende 1987 zu einem überraschenden Top-Ten-Hit in England geworden ist und bei uns immerhin Platz 15 erreichte. Das eigentlich Famose an diesem Stück ist jedoch die Zweisprache Fialkas mit seinem damals sechsjährigen Sohn Matthew. Als besorgter Vater unterhält er sich mit ihm über das, was der Sprößling im Fernsehen tatgtäglich sieht. "Do you see the guns, do you see the bombs?", fragt er und kritisiert damit auch das Medium selbst. Matthews Antworten allerdings sind nicht nur unschuldig, sondern auch wunderbarer Zeitkolorit: Er schaut sich "Daffy Duck", "Dallas" und das "A-Team" an und möchte seinen TV-Helden nacheifern, will unter anderem "Soldier", "Policeman" oder "Captain of a boat, big boat" werden. Matthews Passagen werden dabei von einem synthetischen Windspiel musikalisch getragen, was die Naivität seiner Aussagen unterstreicht, gleichzeitig aber auch eine gewisse Bitterkeit in sich birgt. In Karel Fialkas Nummer vermischt sich die Liebe die Vaters mit der Sorge um die Zukunft seines Filius, von dem Matthew selbst aber nichts so richtig mitbekommt. Er lebt noch in seiner kleinen Phantasiewelt, fernab von den Alltagsproblemen der Erwachsenen. Was Matthew heute macht, weiß man nicht. Karel Fialka jedenfalls ist das Schicksal eines One-Hit-Wonder-Produzenten beschieden. Nach seinem kurzen Erfolg konzentrierte er sich auf das Komponieren von Werbejingles. 2016 gab es noch mal ein musikalisches Lebenszeichen von ihm.
PLATZ 4: CAT STEVENS "FATHER AND SON" (1970)
Weder "Father", noch "Son" kommen explizit im Text vor, aber sie sind präsent und reden miteinander, wie das Väter und Söhne in der Idealvorstellung eben so tun. Cat Stevens hat in seiner bestechenden Einfachheit und Ruhe ein kleines Juwel geschaffen, welches das Thema des Generationenkonflikts popmusikalisch verhandelt. Im Original ist "Father And Son" auf seinem Meisterwerk "Tea For The Tillerman" erschienen. Cat Stevens hat die unterschiedlichen Rollen dadurch markiert, dass die Passagen des Sohnes eine Oktave höher angelegt worden sind. Der Text an sich bleibt vage und arbeitet sich an keinen konkreten Beispielen, sondern reinen Befindlichkeiten ab. Der gutmütige Vater beschwört den Sohn, sich erst einmal zu entspannen, doch dieser will seine eigenen Erfahrungen machen. "From the moment I could talk, I was ordered to listen", beschwert er sich und weiß "Now there's a way, and I know I have to go away". All dies geschieht nicht im Streit, sondern beschreibt in nicht mal drei Minuten das Abnabeln des Sohnes, der als Stürmer und Dränger die Welt erkunden will, während derweise und lebenserfahrene Vater weiß, dass alles nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Wie allgemeingültig dieser Song ist, konnte Yusuf am eigenen Leib erfahren, als er 34 Jahre nach Erstveröffentlichung "Father and Son" zusammen mit Ronan Keating eingesungen hat. Yusuf übernahm dabei den Part des Vaters, der er nun schon rein vom Alter her sein konnte. Es wurde abermals ein großer Erfolg.
PLATZ 3: UGLY KID JOE "CATS IN THE CRADLE" (1993)
Ursprünglich stammt der Song von Harry Chapin, der ihn bereits 1974 veröffentlichte und damit einen Nummer-Eins-Hit landete - es sollte auch der einzige bleiben. Rund 20 jahre später haben Ugly Kid Joe den Song wiederentdeckt. Die Geschichte vom Vater, der nie Zeit für seinen Sohn hat und am Ende erkennen muss, dass als Folge sein erwachsenes Kind keine Beziehung zu ihm pflegen will, passte gut zum Grunge-Pop der Band, die damit auch die Befindlichkeiten einer Generation, die sich als verloren inmitten einer immer stärker von ökonomischen Zwängen geprägten Gesellschaft sehen, wiederspiegelte. Wo das Original, das übrigens 2011 in die Grammy Hall Of Fame aufgenommen worden ist, in klassischer Singer-Songwriter-Manier mit einem Touch Country im Refrain eher traurig-mahnend daherkommt, schrammeln die Gitarren bei Ugly Kid Joe brachial umher und Sänger Whitfield Crane schmettert die Zeilen wütend und anklagend. Immer wieder prophezeiht der Junge am Ende der Strophen "I'm gonna be like you, Dad" - was am Anfang als Bewunderung und Aufschauen zum großen Vorbild gemeint war, endet mit der harten Realität, dass er seinem Vater tatsächlich dahingehend nacheifert, keine Zeit mehr für seinen alten Herren zu haben. Das Telefongespräch in der letzten Strophe lässt erahnen, dass er es aber vielleicht doch besser machen will. "The kids have the flu" argumentiert der Junior, dass er momentan Daddy nicht treffen kann. Das Wohl seiner Kinder stehen dem Anschein nach höher als die Zusammenkunft mit seinen Eltern - ein kleiner Lichtblick in einer sonst traurigen Geschichte.
PLATZ 2: TON STEINE SCHERBEN "ICH WILL NICHT WERDEN WAS MEIN ALTER IST" (1971)
Noch eine Spur kaputter ist die Vater-Sohn-Beziehung in der brachialen Proto-Punk-Rock-Nummer "Ich will nicht werden was mein Alter ist" der legendären Ton Steine Scherben, dem ersten Song ihres Debüts "Warum geht es mir so dreckig?" Es ist die perfekte Eröffnung für eine Band, die Zeit ihres kurzen Daseins immer eine Musik mit Haltung machten. "Ich will nicht werden..." repräsentiert ein neues, bundesdeutsches Denken, das, ausgelöst von den Studentenunruhen in den späten 1960ern, die Vätergeneration und ihre Rolle im NS-Regime hinterfragt. Diese bewusste Konfrontation gießen die Scherben in ungestüm dahinrumpelnden Rock und rotzig vorgetragenen Texten. "Ich will nicht werden was mein Alter ist. Ich möchte aufhören und pfeifen auf das Scheißgeld. Ich weiß, wenn das so weitergeht, bin ich fertig mit der Welt". Der Protagonist will sich aus dem Spießbürgertum befreien, keinen Konventionen mehr hinterherlaufen, nur um irgendwelchen Vorstellungen des Vaters, der seinen Sohn immer noch als hart schuftenden Ernährer und Patriarchen sieht, gerecht zu werden. Es ist sicherlich die radikalste Nicht-Beziehung zwischen Vater und Sohn, bei der das vermeintliche Familienoberhaupt nur als "alter Mann" degradiert wird, mit dem man möglichst wenig zu tun haben will. Ton Steine Scherben schreiben aus Sicht eines Heranwachsenden, der mittendrin im gesellschaftlichen Paradigmenwechsel ist und die Umdeutungen der Rollen von Frauen und Männern für sich ordnen muss. Zumindest beim Vater funktioniert die Rebellion. Auf der Arbeit, so verrät es der Text, bleibt die Faust noch in der Tasche.
PLATZ 1: JANUS "ISAAK" (1998)
Während andere Musiker sich eher sporadisch mit dem Thema der Vater-Kind-Beziehung auseinadersetzten, widmete Janus sein Debüt komplett diesem Phänomen. "Vater" beleuchtet unterschiedliche historische Vaterfiguren und setzt sie in einen ganz speziellen Kontext. "Isaak", gleichzeitig auch der erste Club-Hit für die düsteren Deutsch-Rocker, greift einen prägnanten Moment der Bibel auf. Abraham wird von Gott aufgefordert, auf einem Berg seinen Sohn Isaak ihm zu opfern. Gottesfürchtig wie er ist, gehorcht er, wird aber in letzter Sekunde von einem Engel abgehalten und für seine Gottesfurcht vom Allmächtigen belohnt. Während die Bibel das Hauptaugenmerk auf Abraham und seiner inneren Zerrissenheit legt, tauchen Janus in die Sicht des Kindes, der zu Recht fragt: "Was verlangt Dein Gott von Dir?". Und wo die Heilige Schrift diese Beinahe-Tragödie noch in ein Happy End umwandelt, frieren RIG und Toby die Szene ein, indem sie Isaak sagen lassen: "Ich bin kein Opfertier!", gefolgt von einem herzzerreißenden Schrei. Bei Janus ist nicht mehr sicher, ob Abraham seinen Sohn nicht doch opfert. Das Lied greift die vielleicht archaischste Form des Vater-Sohn-Konflikts auf, nämlich jene zwischen den Menschen und dem "Allvater", der - nicht nur in der christlichen Konfession - Schöpfer und Beschützer, aber auch Forderer und spiritueller Lehrmeister der Menschen ist - und ihnen teilweise drakonische Strafen verpasst. In diesem Urzwist zwischen Mensch und Gottheit- beide übrigens in der Regel männlich konnotiert - liegt vielleicht auch der Grund für die Spannung dieser besonderen Beziehung.
||TEXT: DANIEL DRESSLER| DATUM: 13.05.21 | KONTAKT |WEITER: NICK HUDSON "FONT OF HUMAN FRACTURES">
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