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ECKI STIEG "HINTERLAND": KLANG, VERWEILE DOCH!

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Unsäglich, ja geradezu schauderhaft, was der Berufsstand des Radiomoderators (und der Radiomoderatorin) heutzutage über sich ergehen lassen muss. Bis zum Erbrechen lustig und mit dummdusseligen Witzen bewaffnet, sorgen diese androiden Hampelmänner (und -frauen, soviel Zeit muss sein) im Gute-Laune-Modus für stumpfsinnige Beiträge zwischen dem bereits vorher schon in die Computer eingespeisten Musikprogramm.

Das war irgendwann mal, vor langer Zeit, ganz anders. Da war der Radiomoderator eine Koryphäe, ein Gatekeeper, ein Richter über Aufstieg oder Fall eines oder einer Musizierenden. Er (damals waren es dann doch überwiegend Männer) entschied über gute oder schlechte Musik, stöberte in den Plattenläden nach den entsprechenden, vielversprechenden, noch ungehörten Sensationen. In England war es ein gewisser John Peel, dessen Expertise unbestritten war, und jeder, der in seiner Sendung eine der legendären Sessions ergattern konnte, konnte sicher sein, dass dies in der Regel einen Bekanntheitsschub zur Folge haben würde.

Einen ähnlichen Stellenwert hat auch Ecki Stieg, der bereits in den frühen 90ern mit seinen "Grenzwellen" bei dem damals kultigen Radio ffn, dessen Gründungsmitglied er war, eine feste Größe bildete. Seine sonnabendliche, drei Stunden dauernde Rundfunksendung war ein Schaulaufen subkultureller Musik und ein klares Statement gegen formativen "Dudelfunk". Doch mit der Neuausrichtung des Senders in eben diese seichteren Gewässer, kam es 1997 zum Bruch mit dem Vorstand des Senders und die "Grenzwellen" verschwanden. Für Ecki aber kein Grund, nicht mehr weiterzumachen.

Der Mann liebt nämlich die Musik und kann nicht ohne sie. Deswegen gelang er über Irrungen und Wirrungen immer wieder zu ihr zurück - sei es als freier Journalist für Print- und Onlinemedien sowie als Manager von zwei Plattenfirmen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass jemand, der derart viel Musik um sich herum hat, nicht auch irgendwann selbst zu den Instrumenten greift.

Seine ersten musikalischen Gehversuche unternahm er bereits in den 1990ern, unter anderem mit dem kurzlebigen Projekt Accessoires, bei dem er auch als Sänger tätig war. Der Erfolg jedoch war bescheiden. Vielleicht musste erst diese lange Zeit vergehen - und mit ihr alle persönlichen Höhen und Tiefen durchlebt werden - damit "Hinterland" entstehen konnte. Zumindest klingt das, was auf dem aktuellen Longplayer zu hören ist, wie die erste Inventur eines Lebens, das zeitweilig das eines Rockstars glich. Ecki war kein Kind von Traurigkeit, wie er UNTER.TON bereits 2014 im Rahmen seiner Reaktivierung der "Grenzwellen" erzählt hat.

Der Mann aus Rehren im Auetal hat viel zu erzählen, aber er tut dies auf "Hinterland" nicht mit Worten, sondern nur mit der Musik. Drei Instrumentale, "Shoreland 2", "Path" und "Hinterland" umfasst das Album, wobei die ersten beiden Nummern wie die Preluden zum epochalen Titelstück wirken, das mit 41 Minuten Spielzeit barocke Ausmaße angenommen hat.

Verhaftet zwischen Drone- und Ambient mit einem Hauch Klassik erschafft Stieg Klanglandschaften, die der Bedeutung des Begriffs "Hinterland" (das, ähnlich wie "Weltschmerz", Einzug im englischen und auch französischen Wortschatz gefunden hat) ziemlich nahe kommt: eine Gegend, meistens einer größeren Stadt hintergelagert, mit einfacher Infrastruktur und geringer Besiedelung. Für die Realisierung dieses Projekts ist vor allem auch George Kochbeck hervorzuheben, dessen musikalisches Wissen Stiegs Stücken die entscheidenden Highlights verpasst hat. Sein Anteil ist derart wichtig für Stieg, dass er "Hinterland" über die Bandcamp-Seite von Kochbeck veröffentlicht (wo es sich zudem empfiehlt, auch in Kochbecks früherere Werke reinzuschnuppern).

Die Kompositionen wirken wie eine Kamerafahrt in Zeitlupe, in der jedes Detail der Landschaft wahrgenommen wird. Die langgezogenen Töne, teilweise nur minimal verändert, besitzen einen kontemplativen und entschleunigenden Effekt. Der Hörer findet in diesen Liedern die Kunst der Langsamkeit wieder. Klang, verweile doch! Ecki Stieg nimmt diese frei nach Goethes "Faust" zitierte Redewendung wortwörtlich und gibt den Flächen den nötigen Raum, den sie verdienen. Ohne Hast und den Drang, einen Höhepunkt nach dem anderen zu konzipieren. Die Klimax bilden die Stücke selbst, Spannung entsteht durch die teilweise unmerklichen Veränderungen innerhalb des kompositorischen Gefüges. Zen in der Kunst der Tonsetzung.

Der stets in Schwarz gekleidete Mann mit markanter Kopfbedeckung, die mittlerweile zu seinem Markenzeichen geworden ist, nutzt seine musikalischen Ausflüge immer auch zur seelischen Selbstreinigung, wie er selbst gesagt hat. Deswegen schienen die früheren Werke von einer inneren Rastlosigkeit getrieben. "Hinterland" jedoch offenbart eine ganz andere Seite: die, eines Mannes, der auch noch mit über 60 Jahren wissbegierig ist, der sich aber weder selbst noch anderen etwas beweisen muss. In der Ruhe seiner Lieder entdecken wir das wahre Wesen des Ecki Stieg, der nach all dieser langen Zeit anscheinend seine Mitte gefunden hat.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 18.01.22 | KONTAKT | WEITER: IM GESPRÄCH: BERND-MICHAEL LAND>

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