7/23: PETER MERGENER, TORUL, AIRMAN, RAHEL, FIREBIRDS - AUS DEM WELTRAUM ZURÜCK AUF DEN TANZBODEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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7/23: PETER MERGENER, TORUL, AIRMAN, RAHEL, FIREBIRDS - AUS DEM WELTRAUM ZURÜCK AUF DEN TANZBODEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2023
Als in den 1980ern der Computer langsam aber sicher Einzug in die Wohnstuben der Republik hielt, hat sich Peter Mergener zusammen mit Michael Weisser dem neuen und spannenden Thema angenommen und unter dem Alias Software ein multimediales Projekt gestartet, das seinerzeit einmalig gewesen ist. Mittlerweile sind die Heimrechner fester Bestandteil der digitalen Kultur, die es sogar dem noch so untalentiertesten Stümper erlaubt, ein halbwegs passables Musikstück zu komponieren. An die klangliche Meisterschaft eines Peter Mergener ist aber schlechterdings beizukommen, egal wie ausgefeilt heutige Musikprogramme auch sein mögen. Das liegt zum einen an der langjährigen Erfahrung des mittlerweile 72-jährigen, andererseits an den zündenden Ideen, die sich auch auf seinem neuesten Werk "New Horizons" in großer Anzahl wiederfinden. Man merkt deutlich, dass der Mann in der Zeit von Klaus Schulze und Jean Michel Jarre seine ersten musikalischen Schritte unternommen hat. Jedenfalls hört man der neuen Platte den Charme alter Meister an, die sich in den sphärischen Intros manifestieren, teilweise auch von Vierviertelbeats durchkreuzt. Das Schlagwerk bildet dabei ein spannendes Momentum, ist sie gleichermaßen rhythmisierend, aber nie zu aufdringlich, um dem Schwebezustand der gesamten Komposition zu zerschneiden. Dadurch werden Songs wie "Kosmonaut" trotz pumpender Beats zu keiner Zeit zu krass aus dem Gesamtkontext, der sich natürlich um die Erforschung des Weltraums und das Entdecken neuer Welten dreht, gerissen. "New Horizons" klingt routiniert, aber nicht altbacken. Peter Mergener weiß eben ganz genau, was er will.

In Sachen elektronischer Musik gehört Torul zu Sloweniens erfolgreichstem Exportschlager. Von Infacted Recordings unter die Fittiche genommen, überraschen sie seit 2011 mit konstant hochwertigen Produktionen, von denen das aktuelle Album "End Less Dreams" einen weiteren Höhepunkt in der Karriere des Trios bildet. Zum Glücksfall erweist sich vor allem der seit 2016 neu dazugestoßene Sänger Maj Valerij, der seinen Vorgänger Jan Jenko abgelöst hat. Denn sein Bariton besitzt noch mehr Variabilität und reicht bei Stücken wie "Hero Material" oder "Falling Apart" fast schon an die früheren gesanglichen Qualitäten eines Dave Gahan heran. Aus diesem und einem weiteren Grund ist die neue Platte der Osteuropäer jedem ans Herz gelegt, die von dem aktuellen Material von Depeche Mode nichts mehr anfangen können: Torul besitzen eine unbändige Spielfreude und versuchen, das genre Synthie-Pop so weitgreifend wie nur möglich zu erfassen. "Resonate" gleitet dabei wie Schäfchenwolken an einem strahlend blauen Himmel vorbei, während "Willing To Connect" extrem verschmutzte Drumloops nutzt, und das beatbasierte und minimale "We Don't Care" offenbart Toruls musikalische Sozialisation, die ganz klar im Techno und House liegen. Am Ende hinterlässt das surreale "Loneliness 9000" eine ganz eigenwillige Atmosphäre, die noch lange bestehen bleibt, obgleich das Stück längst verklungen ist. All diese verschiedenen stilistisschen Mosaiksteine verbindet Torul auf "End Less Dreams", das ebenfalls als künstlerischen Antwort auf die Corona-Zeit verstanden werden soll, zu einem homogenen Hörerlebnis durch die verschiedenen Gemütszustände des Menschen. Großes Kino made in Slowenia.

Aus heimischen Gefilden stammt Stefan Vallbracht, der als Airman seine Visionen synthetischer Musik zu konkretisieren versucht. Diese setzt er vor allem optisch spannend um, beispielsweise mit einem Rosenklavier, wobei jede (echte) Rose einem Ton zugeordnet wird. Vom Rosenklavier zum Rosenkavalier: Airmans neueste Single "The Fun Fair Of Life" ist eine Liebeserklärung an seine Angetraute, die mit ihr "Die Kirmes des Lebens", wie der Titel am besten zu übersetzen ist, beschreitet. Der leicht surreale und düstere Sound bilden die Schwierigkeiten und Hindernisse im Laufe einer Existenz ab, die durch die heleren Momente im Refrain aufgewogen werden. Am Ende steht die zwar nicht bahnbrechende, aber stets erinnerungswürdige Erkenntnis, dass unser Leben erst durch die Höhen und Tiefen, durch euphorische und deprimierende Momente Kontur erhält. All dies packt der Airman in einen eigenwilligen Sound, der sich nicht an irgendwelche Konventionen orientiert, sondern versucht, so eigenständig wie möglich zu klingen, wobei seine Liebe zu den Sounds und Klangstrukturen der 1990er schon deutlich durchschimmert. Auch das Instrumental "Go For", die traditionelle B-Seite, erinnert an die alten Hochgeschwindigkeits-Euro-Dance-Sounds, die er jedoch ein bisschen anders interpretiert und damit eine neue Verständnisebene öffnet. Die zweite Single nach "Geheimer Service" wirkt noch griffiger und belegt, dass Stefan alias Airman im Laufe der Zeit für den einen oder anderen Glanzpunkt sorgen könnte. Weitere Veröffentlichungen seien laut Webseite bereits geplant. Der Airman hat die nächsten Trägerraketen gestartet.


Mag man einigen Radiostationen und Gazetten Glauben schenken, gehört Rahel zu den nächsten aufstrebenden Künstlerinnen anno 2023. UNTER.TON möchte dies unterschreiben und anmerken, dass die EP "Ein sehr schöner Witz" sogar generationenübergreifend funktionieren wird. Denn Rahel bringt die Themen aufs Tablett, von denen die Twentysomethings sich abgeholt werden fühlen. Denn die schnelllebige Welt verursacht immer häufiger die "Quarter Life Crisis", die sich bei vielen Menschen in ihren Zwanzigern aufgrund wachsender Orientierungslosigkeit nach dem Beenden der schulischen Laufbahn breitmacht. "Keine Richtung ist auch eine Richtung, kein Plan ist auch ein Plan" aus "Polly Hütchen" dampft dabei die generationsspezifische Problematik auf einen Satz ein. All denen wird Rahel mit "Ein sehr schöner Witz" aus dem Herzen sprechen. Denn schließlich ist unsere Welt nichts anderes als das: ein absurder Zufall, auf dem wir uns befinden. Diese hyperexistenzialistischen Gedanken verpackt Rahel in einen treibenden Sound mit nach vorne preschendem Schlagwerk, dem sie aber wunderbar hymnische Dream-Pop- und New-Wave-Strukturen entgegensetzt, die den grüblerischen Texten die Schwere nimmt, auch weil sich Rahel in einen teilweise naiven Duktus fallen lässt, der an Annett Louisan erinnert. "He nur da" schafft es sogar, humoristische Elemente in die Gedanken einfließen zu lassen. Ansonsten bleibt "ein sehr schöner Witz" eine ernste Angelegenheit, die sich aber als tiefenentspannte Easy-Listening-Session ausgibt. In dieser Spannung liegt das aufregende Moment von Rahel, von der man in Zukunft sicherlich noch mehr hören wird.

Alt eingesessen dagegen sind The Firebirds, eine Band aus Leipzig, die sich komplett dem Sound der 50er und 60er des vergangenen Jahrhunderts verschrieben haben. So akkurat wie ihre Bühnenoutfits sind auch ihre Interpretationen verschiedener Evergreens. Ihre gemeinsamen Auftritte mit Größen wie Chuck Berry oder Wanda Jackson belegen, dass die Jungs den Rock'n'Roll nicht nur einfach nachspielen, sondern auch lieben. Dabei ist das Ziel, bei allem Anachronismus eine moderne, klare Produktion auf die Beine zu stellen, die verdeutlicht, dass wir es mit einer gegenwärtigen Band zu tun haben. Mit ihrer Jubiläums-CD "Stripes" feiern The Firebirds ihr 30-jähriges Bestehen und bringen ihr ganzes Können konzentriert auf einen Tonträger. Die beiden wunderbaren Coverversionen von The Weeknds "Blinding Lights" und "Step By Step" von den New Kids On The Block belegen einmal mehr, wie man mit etwas Einfallsreichtum einem Stück eine ganz neue Richtung verleihen kann. Generell sind The Firebirds Eklektiker, die ganz genau wissen, aus welchen Töpfen sie sich bedienen müssen, um einen perfekten Retro-Sound zu kreieren. Das Anzitieren anderer Stücke beherrschen sie dabei mit der Eleganz eines Florettfechters "You Don't Like To Rock'n'Roll" lässt "Sympathy For The Devil" von den Rolling Stones anklingen, während "Sweet Kisses" an den Nu-Soul einer Amy Winehouse erinnert, besonders "Valerie" kommt da einem in Erinnerung. "I Love Rock'n'Roll" singen sie schließlich auch auf "My Guitar" und drücken damit noch einmal ihre pure Freude an dieser Musik aus. "Stripes" ist ein für Fans und Musiker gleichermaßen tolles Geschenk.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 31.03.2023 | KONTAKT | WEITER: KAERY ANN VS. ERRORR>

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