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X-BELIEBIG "COMPLETE WORKS 1980-1982" VS. CHICK QUEST "VS. GALORE": POST-PUNK MADE IN AUSTRIA

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Dem Österreicher im Allgemeinen, und dem Wiener im Besonderen, wird ein unerschütterlicher Hang zur Schwermut nachgesagt.

Blickt man eingehender auf das Idiom der alpenländischen Hauptstadt, wird diese These noch untermauert. Zwei linguistische Beispiele: Während die Siechen in Deutschland das "Krankenhaus" mit Sicht auf Heilung aufsuchen, wandern selbige Bergvölkler ins "Spital". Das Wort, mit langgezogenem, stöhnendem "a" prononciert, klingt dort eher nach letzter Station vor dem Exitus. Wer das Spital aufsucht, kommt höchstens waagerecht - in einem Erdmöbel verpackt - wieder heraus. Auch dem Verb "rauchen" wohnt, Wiener Schmäh sei Dank, bereits das Karzinöse inne - mit rollendem "r" und einem zum offenen "o" mutierten Umlaut "au". Da kann die nächste Zigarette, die so genannte "Tschik", schon die letzte sein.

Kurz gesagt: Wien ist – sprachlich wie architektonisch – das Wohnzimmer des Todes.


Und wie heimelig mag sich der sinistre Gevatter gefühlt haben, als Ende der 1970er Jahre, im Schatten des Kalten Krieges und einer immer massiver wirkenden Umweltzerstörung, sogar die Jugend mit ihrem Dasein haderte!

Wäre der Sensenmann in jenen Tagen schmunzelnd durch die Diskotheken des Landes gestreift, er hätte dem Mann an den Plattentellern mit großer Wahrscheinlichkeit die Scheibe von X-Beliebig in die Hand gedrückt.


Denn die erste und einzige Platte dieser gerade mal zwei Jahre bestehenden Band bildet die Quintessenz dessen, was Post-Punk im Kern ausmachte, bevor es unter dem Überbegriff Gothic langsam zu verwässern begann.

Ehe dies aber eintrat, philosophierten X-Beliebig sich in einen existenzialistischen Rausch und mauserten sich zum Geheimtipp, der souverän unter dem Getöse einer sich anbahnenden Neuen Deutschen Welle durchschwimmen konnte. Und dies so gut, dass tatsächlich kaum einer Notiz von ihnen nahm.

Dabei hat allein schon die streng durchkomponierte Bildsprache der Plattenhülle, mit stilisiertem Blutfleck und einer melancholisch wirkenden Figur am rechten Bildrand, das Zeug zum waschechten Kult-Cover.

Dem französischen Label Infrastition ist es zu verdanken, dass dieses wunderbare Stück Gegenkultur "Made in Austria" nicht komplett ins akustische Nirwana verschwunden ist: Durch ihre profunde Recherche können aktuell nicht nur das Album, sondern auch das "O.Tannenbaum" Demo-Tape sowie die Single "Leben ist Blut" wiederentdeckt werden.

Über zwei CDs erschließt sich dem Hörer so der Werdegang dieser Band um Sänger Rene Adamecz.

Und dieser Weg begann ganz klassisch - sprich: als rumpelig-rotzige Punkcombo, wie die beiden amateurhaften Live-Mitschnitte "Max starb 1519" und "TV-Invariant" belegen, die der offiziellen Album-Version als Bonus-Tracks angehängt wurden.

Der Wandel der Drei-Akkord-Teenager hin zur "Existenzialistenkapelle", wie sie sich selbst nannten, ist aber letzten Endes nur konsequent.

Denn die reduzierten, verwischten Gitarrenläufe von Adamecz, Daróczis verschleppte Bassfiguren und das stoisch-archaische Schlagwerk von Bernd Bechtloff machen jegliche Hoffnung auf eine positive Zukunft zunichte - und schmiegen sich besser an die vielleicht schwärzesten Texte an, die eine österreichische Band je zu Papier gebracht hat.

Bis es aber zu dieser Traurigkeit non plus ultra kam, experimentierte das Gespann freimütig auf "O.Tannenbaum" herum.

"Der Staub" und "Fang an" schafften es beispielsweise nicht auf die endgültige Albumfassung. Vielleicht, weil X-Beliebig hier noch etwas unschlüssig an der Schnittstelle zwischen Punk und Post-Punk flanierten. Dafür sind diese Nummern, wie auch "Planquadrat" und "Stacheldrahtliebe", eindeutige Belege für das poetische Talent Adamecz's.

Seine Bildersprache ist reduziert, aber wirkungsvoll: Alle Grauschattierungen werden ausgelotet, jedes noch so kleine Farbtüpfelchen hastig mit Hoffnungslosigkeit überpinselt.

So bleibt von Nummern wie "Morgen" oder "Antlitz" vor allem der lähmende Weltschmerz übrig; selbst dann noch, wenn die Lieder längst verklungen sind.

An manchen Stellen wirkt es aber gerade so, als wollten uns X-Beliebig ein bisschen vorführen. Der Sound lädt den Hörer so offensichtlich zum Melancholisch-Sein ein, dass wir uns diesem ungefragt hingeben. Da tappen wir dann allesamt in die Schwermut-Falle – und X-Beliebig lachen sich aufgrund unserer geradezu pawlow'schen Konditionierung vermutlich ins Fäustchen.

Ob es nun also der wirklich tief empfundene Pessimismus einer ungewissen Zeit oder lediglich dessen Karikatur ist, den wir mit dieser Platte zu hören bekommen, bleibt offen.

Diese Frage lassen Chick Quest bewusst und weit hinter sich.

Schließlich haben sich nach mehr als drei Jahrzehnten die Vorzeichen in Pop- und Subkultur gehörig verändert. Ein offenes Zur-Schau-Tragen der eigenen Weltabgewandtheit wirkt im "Reality"-süchtigen Zeitalter leider kaum mehr authentisch. Gegen das Establishment, gesellschaftlich wie kulturell, muss also mit anderen Mitteln vorgegangen werden.

Auf "Vs. Galore" geschieht dies mit einem schlichtweg verrückten Stilmix: Post-Punk wird hier zum dunklen Parkett, auf dem sich die verschiedensten Formen des Indie-Rocks der letzten 15 Jahre elegant bewegen.

Der eigentliche Geniestreich ist aber der Einsatz von Mariachi-Klängen, die sonst eher in den übelsten Spaghetti-Western der 60er und 70er Jahre begegnen.

Hinter diesem witzigen Trash-Abenteuer verbirgt sich Ryan White, ein Amerikaner, der – warum auch immer – aus den Staaten nach Wien übergesiedelt ist. Dieser hat es sich nun zum Ziel gemacht, Musik zu kreieren, zu der er selber gerne tanzen würde. Unterstützt wird er bei diesem Unternehmen von zwei Frauen: Schlagzeugerin Iris Rauh und Bassistin Magdalena Kraev.

Was das Dreiergespann über knapp 40 Minuten hier abfeiert, ist nichts weniger als das vielleicht schrägste und gleichzeitig am schnellsten süchtig machende Album anno 2015.

Doch was ist es, dass "Vs. Galore" solch eine Anziehung verleiht?


Ist es die Chuzpe, wie beim Intrumental "Sounds Like Bruce!" komplett aus der Zeit zu fallen und wie "Misirlou" von Dick Dale zu klingen, dessen gegenwärtiger Ruhm erst durch Tarantinos Kultstreifen "Pulp Fiction" aufkam? Nur, um bei "Somebody Call A Doctor" völlig psycho-pathetisch zum rumpeligen Rock der Marke Black Keys zurückzukehren? Und dann diese schmerzhaft-leiernde Gitarre bei "I'm Tired Of Pretty Girls": Hier wird Post-Punk mit viel Pomp zelebriert, aber gleichzeitig durch den untypischen Text gebrochen.

Das ist jedoch nichts im Vergleich zu "Schatzi": Ryan singt in schrulligem Ami-Wienerisch über ein "Mädel, das man gut lecken kann". Hier driften Chick Quest – höchstwahrscheinlich ungewollt – in einen Indie-Dadaismus, der an Franz Ferdinands "Darts Of Pleasure" erinnert, in dem es einen ebenso sinnbefreiten deutschen Text zu hören gibt ("Ich heiße super fantastisch/Ich trinke Schampus mit Lachsfisch").

Dass ihnen das passiert, liegt einfach an der unkalkulierbaren Freude am Spielen, der sich Chick Quest ausgeliefert haben.

Wie auch das Plattencover in Farbgestaltung und Optik bewusste Verweise auf 50 Jahre alte Manierismen in der Fotografie liefert, um sie zu konterkarieren – wohl einfach dehalb, weil es eben Spaß macht.

Verwunderlich ist es schon, dass es Chick Quest bis jetzt noch nicht geschafft haben, einen lukrativen Plattenvertrag an Land zu ziehen, obwohl sich Labels sonst wie Trüffelschweine auf den nächsten "heißen Scheiß" stürzen. Für das Trio andererseits ein Segen, ohne musikalische Einschränkungen lospoltern zu dürfen. Vielleicht wäre "Vs. Galore" sonst nie in dieser Form veröffentlicht worden.

Auch bei X-Beliebig war es das eher putzige Schallter-Label, das sich ihrer annahm. Die Plattenfirma existiert übrigens wieder in anderer Form und fördert immer noch Interessantes aus dem Wiener Untergrund hervor. Was aber auch nicht wirklich schwer ist, wenn es die Künstler einem so leicht machen. Und das schon seit Jahrzehnten!

||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 13.08.15 |  KONTAKT |  WEITER: TANZMUSIK FÜR TREKKIES - STARS CRUSADERS "NEW HORIZONS" >




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Websites
www.infrastition.com
www.chickquest.com



COVER © INFRASTITION (X-BELIEBIG); CHICK QUEST/RYAN WHITE (CHICK QUEST).



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