ROTERSAND: "BILDUNG IST ANSTRENGEND. BILDUNG MUSS MAN WOLLEN. MEINUNG ZU HABEN, IST EINFACHER." - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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ROTERSAND: "BILDUNG IST ANSTRENGEND. BILDUNG MUSS MAN WOLLEN. MEINUNG ZU HABEN, IST EINFACHER."

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UNTER.TON: Hallo Krischan. Sieben Jahre zuvor hattet Ihr Euch mit dem Album "Random Is Resistance" über die Gleichförmigkeit der Gesellschaft lustig gemacht. Hört man sich nun das neue "Capitalism™" an, scheint alles nur noch schlimmer zu sein, oder?
Krischan: Wir sind ja Berufsoptimisten und haben wenig Freude an Dystopien und "Allesschlimmerwerden". Wir versuchen nur, unsere aktuellen Beobachtungen, Eindrücke in einer reflektierten Form lyrisch zu verarbeiten. Fragen, die sich mit Medienkonsum und ihrem Wechselspiel mit Gesellschaft und Individuum befassen, sind quasi einer der thematisch roten Fäden in Rotersand, die sich zum Beispiel bereits in "Content Killer" aus dem Album "Truth Is Fanatic" oder "Meaning Is The Drug" von "1023" wiederfinden
neben natürlich Liebesliedern und Songs, die uns alle oder einzelne von uns in Lebenslagen beschreiben...

Schon das Cover ist eine Provokation. Ihr beide, übermäßig photogeshoppt und "gelabeled" mit verschiedenen Symbolen, in einem güldenen Kranz, deren Ende ein Stier und ein Bär zieren, Symbole der Börse. Wird der Kapitalismus zur Religion?
Tatsächlich erscheint es uns bisweilen so, als ob Geld und Konsum an sich mit einer absoluten Qualität versehen werden und damit fast götzenhafte Züge erhalten. Die Quasi-Gleichsetzung von Leistung und Geld/Konsum scheint mir mittlerweile ziemlich einseitig und eindeutig als Massstab gesellschaftlich verankert. Solche klare Wertungen finden sich an vielen Stellen: "Mein Haus, Mein Auto, Mein Boot" ist mittlerweile durchaus ein Mem geworden, auch wenn das ursprünglich mal als Negativ-Klischee in einer Werbung genutzt wurde. Das Cover symbolisiert und überzeichnet diese Fixierung auf Dingliches.
In der Masse an Status-Symbolen und Warentand, den wir jeder anhäufen, verschwimmt unsere Identität und reduziert sich auf eine Matrix an Symbolen und Marken in einer solchen Vielfalt und Vielgestalt, dass sie fast zum zusammenhangslosen Bilderrauschen werden. Daneben hat Kapitalismus als Wirtschaftssystem nach dem Niedergang der Sowjetunion eine Alleinstellung als Erfolgsmodell erlangt, die auch absolute und religiöse Züge zeigt. Fukuyama bezeichnet daher nicht ganz zu Unrecht das Jahr 1989 als "Ende der Geschichte", da es keine konkurrienden Wirtschaftsmodelle mehr nach dem Sieg des westlich-demokratisch-kapitalistischen Systems gäbe. Mittlerweile mehren sich aber die Zeichen und Symptome, dass der Kapitalismus in seiner neoliberal-globalisierten Form nicht endlos weiter funktionieren könnte.

Bei genauerem Hinsehen erkennt man auch die Büste Lenins innerhalb des Kranzes. Was hat der denn da zu suchen?
Tatsächlich nix programmatisches. Auf dem Cover, sowie im Innenteil des Booklets finden sich reichlich Dinge, die wir im Laufe unseres Lebens angehäuft haben. Diese konkrete Büste habe ich 1989 von einem Schüleraustausch mit der damaligen Sowjetunion (genauer gesagt zwischen Gelsenkirchen und Schachty) mitgebracht.

Der entscheidende Satz aus dem Titelsong umrahmt das Bild. "You Dwell In Our Matrix, Like Monkeys In A Tree, Controlled By Informatics, Believing That You Are Free". Sind wir tatsächlich nur noch dem Anschein nach frei? Was bedeutet für Euch der Begriff "Freiheit"?
Diese Frage nach freiem Willen hat ja den philosophischen Diskurs als Topic in den letzten Jahren schwer beschäftigt. So tief können wir da nicht eintauchen, ohne an unserer intellektuellen Grenzen sowie die Limitierungen von Songs als Vehikel von Inhalten zu stossen. Da nehmen wir uns erstmal nicht so ernst. Zumindest hat es sich durch die Beschäftigung und Verarbeitung dieser Fragen in unseren Texten bei uns verfestigt, dass das so eindeutig gewiss nicht zu beantworten ist. Auf uns prasselt viel an Informationen ein. Tagtäglich. In Form von Nachrichten, Werbung, Social Media, zwischenmenschlicher Kommunikation... Es wäre absurd, davon auszugehen, dass wir frei und unbeeinflusst davon bleiben könnten. Musik zu machen ist für mich ein Form von Freiheit. Als Rotersand erschaffen wir ein Lied aus dem nichts. Der Labelmanager von Underground Resistance Cornelius Harris sagte mal in einem Interview, dass das eine Form der Magie sei, Musik zu schreiben und Tracks zu produzieren: "Create something, out of nothing". Das ist schon eine grosse Menge Freiheit.

Der Kabarettist Volker Pispers hat das amerikanische System als „Kapitalismus im Endstadium“ bezeichnet. Wie beurteilt ihr die jetzige Lage nach dem überraschenden Wahlsieg von Trump?

Die Perfidie von Trumps Sieg, wie auch in den Programmatiken dessen, was sich unter dem Label "rechtspopulistisch" an Pateien und Bewegungen zusammenfassen lässt, scheint mir, dass Sie behaupten, den Verlierern (schwieriger Begriff) oder Abgehängten in der globalisierten Welt eine Stimme zu geben und Ihnen zu dienen. Ihre Wirtschaftsprogramme sind jedoch in Wirklichkeit hochgradig wirtschaftsliberal und anti-sozial. Aber da geht es den Rechtspopulisten in der Opposition ein wenig wie uns Künstlern: Sie haben die Gnade, alles kritisieren zu dürfen und tragen keine Verantwortung, etwas besser machen oder lösen zu müssen. In Finnland ist eine nationalpopulistische Regierung gescheitert, und auch Trump hat mittlerweile einige seiner Kernversprechungen der Wahl relativiert oder gar gekippt.


Gerade Euer Singleauskopplung "Torn Realities" ist ja fast ein Rückgriff auf die alten Werte der Aufklärung. Der Mensch soll das Licht der Erkenntnis erlangen. Aber wie lässt sich das bewerkstelligen, wenn die Sirenen der Sozialen Medien und Unterhaltungsindustrie stärker sind?
Wie oben bereits gesagt: Wir haben als Musiker das Glück, hemmungslos kritisieren zu dürfen ohne Lösungen anbieten zu müssen. Das is nicht unser Job und nicht unser Ziel. Das Aufklärerische "Licht der Erkenntnis" (oder im Song "The Things That Really Matter") scheint mir von Mensch zu Mensch und von Zeit zu Zeit ziemlich verschieden. Da haben wir keinen missionarischen Anspruch.

Immerhin wünscht Ihr Euch in "Disagree" aber mehr zivilen Ungehorsam und Unbeugsamkeit. Leider wird dies momentan von denen praktiziert, die sich im Stich gelassen fühlen, und in ihrer Verzweiflung die größten Schreihälse, ergo Rechtspopulisten, wählen. Was kann man dagegen Eurer Meinung nach tun?
Es war schon immer so, dass die Reduktion von (Lebens-)Komplexität ein vielgesuchtes Ziel ist. Einfache Antworten auf komplexe Fragen. Schwarz gegen Weiss. Sicherheit gegen Veränderung. Viele der gesellschaftspolitischen Entscheidungen seit den 1980er Jahren haben Verantwortung für Lebensrisiken von der Solidargemeinschaft hin auf den Einzelnen übertragen und jeden zu einem Unternehmer seiner selbst zu machen versucht. Durch das beschwören und romantisieren einer besseren Vergangenheit (z.B. "Make America Great Again") und die Überhöhung vermeintlich einfach zu fassender Cluster ("Das Volk") lässt sich da gut eine Sehnsucht antriggern und instrumentalisieren. Da hilft nur Bildung. Bildung ist aber anstrengend. Bildung muss man wollen. Meinung zu haben, ist da einfacher. "Dagegen sein" ist einfacher als "dafür sein".

"Monopole" bildet für mich die Quintessenz Eures Schaffens. Einerseits besitzen Eure Texte Substanz und wollen zu Nachdenken anregen, andererseits verpackt ihr Eure Gedanken in sehr tanzbare Musik. Habt ihr da nicht Angst, dass Eure Gedanken dabei untergehen?
Deswegen sind wir Musiker und keine Literaten und veröffentlichen Musik und keine Bücher. Nein, da haben wir keine Angst vor. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir vorwiegend zur Unterhaltung beitragen. Diejenigen, die sich darüber hinaus mit den Texten beschäftigen, darin was oder sich (wieder-)finden, was Sie anspricht, inspiriert, zum Nachdenken anregt, sind willkommen das zu tun. Aber es wird nicht unser Anspruch sein, unseren Hörern eine Meinung vorzusingen in dem Versuch, unsere Sicht der Dinge zu der ihren zu machen. Wir machen Rotersand eben auch zu grossen Teilen für uns.

Wie reagieren Fans auf
"Capitalism™"? Setzen sie sich mit den Texten oder doch eher mit Eurer Musik auseinander?
Erfreut nehmen wir zur Kenntnis, dass der Anteil an Fans, die auch bezüglich der Texte mit uns Kontakt aufnehmen, steigt.

Ihr prangert die Gesellschaft als mittlerweile ziemlich seelenlose Zombies an, die ihre Leere nur noch mit Konsumgüter zu füllen versuchen. Höchste Zeit zum Umdenken also. Wie versucht ihr, das in Eurem Alltag zu integrieren?
Uns ist klar, dass wir eigentlich auch nur verlogene Scharlatane sind, die über Social Media in Texten mosern, in Reimform Kapitalismus kritisieren aber schlussendlich trotzdem Facebook nutzen und unsere Musik auf dem Markt verkaufen. Auch wir tragen Markenkleidung und inszenieren uns. Da liegt uns dein Zombie versus Seele-Bild als das-eine-oder-das-andere fern.

Zum Schluss noch Eure Prognose: Wie glaubt ihr, wird sich das kapitalistische System in den kommenden Jahren eingedenk der tiefen politischen Umwälzungen in Europa und Amerika entwickeln?
Ehrlich gesagt ist es mir ziemlich egal. Die Form des Wirtschaftsmodells ist zweitrangig. Spannender find ich die Frage, wie sich die Demokratie entwickelt. Und noch spannender, wie sich die Gesellschaft entwickelt.

|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 12.12.16 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS: "ACTION, TIME, VISION" >

Website
www.rotersand.net

Foto © Philipp Niggemeier, Meike Willner
Cover © Trisol/Soulfood

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