FRAMHEIM: "BEVOR WIR ETWAS VERÖFFENTLICHEN, KRITISIEREN UND FEILEN WIR AN UNSEREN IDEEN UND AUFNAHMEN, BIS NUR DAS FILTRAT ÜBRIG BLEIBT" - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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FRAMHEIM: "BEVOR WIR ETWAS VERÖFFENTLICHEN, KRITISIEREN UND FEILEN WIR AN UNSEREN IDEEN UND AUFNAHMEN, BIS NUR DAS FILTRAT ÜBRIG BLEIBT"

Im Gespräch

Framheims Werk ist noch schmal, ihre Fangemeinde aber bereits solide. Und sie dürfte sich mit dem diesjährigen Auftritt beim Wave-Gotik-Treffen in ihrer Heimatstadt nochmals vergrößert haben. Doch Sängerin Dorain und die beiden Musiker Ray und Leo kämpfen vor allem mit der wenigen Zeit, die ihnen als "Freizeitband" abseits alltäglicher Verpflichtungen bleibt. Ein Umstand, der auch mal zu kleineren Reibereien in der Band führte, wie sie freimütig im Interview erzählten.

Wie so oft, beginnt die Recherche zu einem Interview mit dem Blick in ein bekanntes Internetsuchportal. Da konnte ich dann erfahren, dass Framheim eigentlich ein Basislager in der Antarktis vom Polarforscher Roald Amundsen war. Wieso habt ihr Euch nach einem Ort am Südpol benannt?
Leo: Dorain berichtete von einer Doku über die besagte Südpol-Expedition, die sie gesehen hat. Der Vorschlag, uns Framheim zu nennen, kam also von ihr und war der erste, der nicht sofort abgeschmettert wurde wie so einige andere, die im Vorfeld kursierten. Mir persönlich war ehrlich gesagt erst mal nur die Phonetik wichtig. Die hat mir sofort zugesagt. Als der Name Framheim fiel, haben wir die Sucherei sofort ad acta gelegt. Das war einfach ein Volltreffer.
Dorain: "Fram" ist norwegisch und bedeutet übersetzt "vorwärts". Die Gründungsintension des Projekts war und ist noch immer, zusammen musikalisch zu experimentieren und neue Klanglandschaften zu entdecken. Daher erschien mir der Name auch von seiner Bedeutung her recht passend.

Gott sei Dank stammt ihr aber nicht vom Südpol, sondern aus dem hübschen Leipzig, das alljährlich zu Pfingsten durch das Wave-Gotik-Treffen zum Mekka der Gothic-Szene avanciert. Hat Euch die starke Präsenz dieser Jugend-/Subkultur stark beeinflusst, als ihr angefangen habt, Musik zu machen?
Leo: Nicht direkt. Wir hätten auch unabhängig davon genau das gemacht, was wir gerade machen. Wir können gar nicht anders. Zumal das auch nicht die ersten Berührungspunkte zur Gothic-Szene sind, denn wir haben schon vor Äonen zusammen auf der Bühne gestanden - damals noch mit dem Projekt Formfleisch. Mehr oder weniger eine Goth-Rock Kapelle...
Ray: Jeder von uns hat regional und zeitlich unabhängig mit dem Musizieren begonnen. Da waren eher der Sound und die Performance einiger Bands oder gar nur gewisse Alben, die man besonders schätzt, ausschlaggebend. Und die sind nicht unbedingt szenetypisch.

Seht ihr Euch überhaupt der Gothic-Szene zugehörig?

Leo: (überlegt) Ab wann kann man von sich selber behaupten, Teil einer Szene zu sein? Ich besuche recht viele kleine Konzerte, auf denen Wave- und Electrobands usw. spielen. Oftmals sieht man die gleichen Gesichter im Publikum. Das alles, mal das WGT außenvorgelassen, hat schon etwas vertrautes.
Ray: Die Frage ist nicht ganz eindeutig zu beantworten, da die Szene, von der man so gern als Einheit spricht, doch sehr, sehr bunt ist und ohne Überschneidungen mit anderen Stilrichtungen in ihrer Vielfältigkeit gar nicht denkbar wäre. Ist doch schön, wenn sich Punk, Wave, Industrial, Synthie-Pop und all ihre Stilblüten auch in dieser Szene wiederfinden.

Dieses Jahr hattet ihr auch die Möglichkeit, bei besagtem Festival aufzutreten. Quasi ein Heimspiel, das man locker angehen konnte, oder war die Anspannung sehr groß?
Leo: Natürlich war da Anspannung im Spiel. Wir wissen ja um die Größenordung und Bedeutung des Wave-Gotik-Treffens. Als "Heimspiel" jedenfalls haben wir das nicht betrachtet. Gerade der WGT-Rahmen bietet ja für unbekanntere Bands die Möglichkeit, entdeckt zu werden, da Menschen aller Himmelsrichtungen zusammenfinden.

Welche Lehren, positive wie negative, habt ihr aus diesem Auftritt gezogen?
Leo: Gitarre stimmen! (lacht) Im Ernst, ich habe den Auftritt ausschließlich positiv in Erinnerung. Von den Veranstaltern war alles sehr professionell organisiert und der Auftritt selber lief wunderbar. Die Resonanz vom Publikum, auch im Nachhinein, war ebenfalls ziemlich gut. Das ist das schönste an der Sache: Wenn Leute nach einem Konzert zu einem kommen und sich bedanken. Das klingt vielleicht ein bisschen egozentrisch, aber es ist einfach ein schönes Gefühl zu wissen, dass unsere Musik den Leuten etwas gibt. Und außerdem ist es eine gute Gelegenheit, interessante Menschen kennenzulernen.
Ray: Eine Erfahrung, die man immer wieder macht: Sich, wie so oft, von all dem Trubel ringsherum nicht ablenken zu lassen. Und, wenn möglich, besser nochmal zurückziehen. Ich hatte zum Beispiel kurz vor unserem Auftritt Probleme mit der Stromversorgung auf der Bühne, und obwohl die Bühnentechniker sehr schnell reagiert haben, befürchtete ich, dass bei mir während der Show die Lichter ausgehen und sich meine Synthies nicht mehr hochfahren lassen. Aber zum Glück ging alles gut und die Reaktion des Publikums während des Konzerts und vor allem auch danach waren schon mehr als ein Kompliment.
Dorain: Für mich war es einfach nur wunderbar. Erstaunlicherweise haben sich wirklich viele Leute unseren Auftritt angeschaut, obwohl wir doch eher unbekannt sind. Sie konnten mit unserer Musik etwas anfangen. Dieser Austausch an Energie zwischen uns auf der Bühne und dem begeisterten Publikum hatte schon etwas magisches. Ich denke, wir sind alle sehr dankbar dafür, dass wir die Möglichkeit hatten, auf diesem großartigen Festival zu spielen.

Framheim existiert seit rund fünf Jahren. Bislang habt ihr zwei EPs herausgebracht, darunter kürzlich "Port". Zugegeben ein noch schmales Oeuvre. Lasst ihr Euch bewusst Zeit für Eure Veröffentlichungen oder seid ihr stark in Euren Berufen/Familien etc. eingespannt?
Leo: Es ist tatsächlich so, dass jeder von uns unterschiedlich stark im Alltag eingespannt ist. Das macht es schwer, sich als Band auf ein Tempo zu einigen und hat, zugegebenermaßen, auch unter uns schon Reibungspunkte erzeugt. In den letzten Jahren gab es immer wieder mal versatzstückhafte Aufnahmeversuche, aber alles in allem haben wir uns da einfach nicht so gut organisiert. Das macht uns alle nicht sonderlich glücklich, aber so ist es nun mal. Wir spielen das Gros der Songs, die wir aufnehmen wollen, live und zumindest ist eine Konservierung von diesem und auch älterem Material in Form eines Konzert-Mitschnitts geplant. Für mich persönlich ist es aber wichtiger, sich musikalisch weiter zu entwickeln und nach vorn zu schauen. Wir haben erkannt, dass wir uns etwas besser organisieren und ein paar Sachen "straighter" verfolgen müssen.
Ray: Zum Zeitmangel kommt noch folgendes hinzu: Bevor wir etwas veröffentlichen, kritisieren und feilen wir an unseren Ideen und Aufnahmen, bis nur das Filtrat übrig bleibt, wo wir auch alle dahinterstehen können.

Natürlich bleibt die Frage: Wann erscheint Euer Debütalbum?
Ray: Ja, das steht schon länger auf der Agenda. Wann genau es erscheint, können wir nicht sagen. Aber spätestens nächstes Jahr sollte es endlich soweit sein.

Was mir besonders an Euch auffällt, ist die stilistische klare Linie, die ihr fahrt. Während viele Newcomer noch deutlich von anderen Bands beeinflusst sind und dementsprechend wie eine Kopie klingen, scheint sich bei Euch bereits ein eigener Weg herauskristallisiert zu haben: Dorain als Sängerin besitzt ein sehr ausgeprägtes Organ und die teils mystisch, teils archaischen Sounds unterstreichen diese enigmatische Aura. War das ein  langer Prozess, den ihr durchlaufen habt, bevor ihr überhaupt erste Songs veröffentlicht habt, oder "stimmte die Chemie" bereits bei den ersten Bandproben?
Ray: Wir drei kennen uns ja schon lange aus anderen Bandformationen und Nebenprojekten. Zudem wussten wir von unseren musikalischen Ideen, die bis zur Gründung von Framheim in keine unserer Bands passen wollten. Die Chemie stimmte also tatsächlich von Anfang an.
Leo: Bei uns gab es keine Kommunikationsprobleme. Das macht es schon erheblich leichter, Dinge einzugrenzen, auszuschließen, oder einfach geradeaus anzusprechen. Einfach weil man weiß, wie der andere tickt. Nichtsdestotrotz war und ist diese Arbeit ein ständiger Prozess. Es gibt nicht wenige Songideen, die wir verfolgt, nächtelang dran rumgeschraubt und am Ende dann doch der Halde zugeführt haben. Auch das ist Teil des eigenen Sound: zu erkennen, was den eigenen Duktus konterkariert. Dann heißt es oftmals: "kill your darlings".

Würdet ihr dennoch sagen, ihr habt "Euren Sound" bereits gefunden? Klingt Framheim so, wie Framheim klingen soll?

Ray: Gefunden - ja vielleicht, aber nur um zu schauen, wohin uns das treibt.
Leo: Framheim klingt aktuell so, wie Framheim klingen soll. "Unser Sound" entwickelt sich stetig weiter, und wenn man die beiden EPs vergleicht, wird man sicher auch einen Unterschied feststellen. Ich würde schon sagen, dass die "organische" Note auf "Port" noch etwas ausgeprägter ist. Bestimmt wird es bei der nächsten Veröffentlichung auch wieder eine Veränderung oder bestenfalls gar eine Weiterentwicklung geben. Aber egal wie sich der instrumentelle Part entwickelt: Das, was auf seltsame Art und Weise alles zusammenhält und einen großen Teil "unseres Sound" ausmacht, ist der Gesang. Dem würde ich schon am ehesten einen dauerhaften Wiedererkennungswert attestieren.

Apropos: Textlich arbeitet ihr weniger mit konkreten Geschichten als vielmehr mit Assoziationen und aufgeladener Symbolik. Auch die Titel Eurer Songs bestehen immer nur aus einem Wort. Welche "Message" wollt ihr mit den Songs transportieren?
Dorain: Unsere Texte entstehen immer spontan im Zusammenspiel mit der Entwicklung der Gesangsmelodie und greifen die bei mir in dem Moment vorhandenen Emotionen, Gedanken und Bilder fragmentartig auf. Das lässt viel Raum für Interpretationen. Ich mag den Gedanken, dass sich jeder seine eigene Geschichte zum Text denken kann. Das macht das ganze doch viel spannender, als eine fertige Botschaft vorgesetzt zu bekommen. Unsere Ein-Wort-Betitelung hat sich übrigens im Laufe der Zeit so ergeben. Zum einen aus meiner Aversion gegenüber langen Songtiteln heraus und zum anderen auch aus oben genannter Intention, Raum für Interpretationen zu geben. Generell wollen wir keine bestimmte Message mit unseren Songs vermitteln. Wir machen einfach Musik, auf die wir gerade Lust haben. Ohne große Fokussierung auf einen Bedeutungshintergrund.

Bislang veröffentlicht ihr Eure Musik im Eigenvertrieb. Wollt ihr diesen unabhängigen Weg weiter verfolgen oder haltet ihr Ausschau nach Vertriebspartnern?
Leo: Wir schauen schon in verschiedene Richtungen nach potentiellen Partnern, denn wir würden gerne eine höhere Reichweite haben. Bisher ist da aber noch nichts nennenswertes passiert, aber wir behalten das im Auge. Also nein, wir schließen eine Zusammenarbeit mit einem Label nicht kategorisch aus.

Wie sehen Eure Pläne in diesem Jahr noch aus?

Leo: Neue Songs, neue Aufnahmen und hoffentlich bald ein fertiges Album. Nebenbei noch so viel wie möglich live spielen.

|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 25.07.17 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 7/17>

In die beiden EPs reinhören und  sie auch bestellen könnt Ihr hier:
framheim.bandcamp.com

Webseite:
www.framheim-music.de

Fotos © Sebastian Gründel (Bandportrait), HR-pictures.de (Live-Foto)
Covers © Framheim

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                                                         © ||UNTER.TON|MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR| IM NETZ SEIT 02/04/2014.||


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