"BLANK & JONES PRESENT: SO80S 9": MAXI-MALE SPURENSUCHE
Hach ja; die gute alte Maxi-Version. Eine an sich wunderbare, mittlerweile völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratene; dennoch immer auch leicht streitbare Kunstform.
Schlimmstenfalls begnügten sich die Mischer von einst damit, ihre Bänder einfach zu doppeln - und einen vormals ordentlichen Song wie zähen Kaugummi künstlich in die Länge zu ziehen. Eine äußerst unschöne Angelegenheit. In den besten Fällen jedoch machten sich die Männer an den Reglern von sämtlichen Konventionen frei – und zauberten auf diese Weise tönerne Gemälde für die Ewigkeit. Bis heute unnachahmlich: Die perfekt zischelnde, scheppernde Überleitung von Soft Cells "Tainted Love" in "Where Did Our Love Go". Und wie sinnlich mutet das Neun-Minuten-Opus "Smalltown Boy" an, das mit einem in sich gekehrten Jimmy Somerville so zaghaft beginnt und am Ende mit homophilen Disco-Beats das neue Selbstbewusstsein der schwul-lesbischen Gemeinde Anfang der 80er zelebriert.
Ähnliche Maxi-Perlen warten jetzt auf der aktuell neunten Runde der renommierten "so80s" Reihe auf ihre Entdeckung durch den Hörer.
Piet Blank und Jaspa Jones zählen hierzulande zu den wenigen Enthusiasten, die sich dieser halb verlorenen Kunst der Alten Schule mit Haut und Haaren verschrieben haben.
Mit allen verfügbaren Mitteln halten die musikproduzierenden DJs dieses 80s-typische Pop-Phänomen am Leben. Und das nicht ohne Erfolg: Ihre "so80s"-Veröffentlichungen gehören vermutlich zu den wichtigsten Releases der vergangenen Jahre.
In ihrem Schatten versuchen mittlerweile auch andere Labels, aus der anhaltenden Maxi-Nostalgie Kapital zu schlagen. Allerdings mit dem feinen Unterschied, dass bei den Nachahmern meist nur der schnelle Euro zählt: Die nicht nur optisch völlig freudlos gestalteten CD-Boxen lassen noch nicht einmal ansatzweise jene akribische Mühe erkennen, mit der Blank & Jones von Musikliebhabern lang gesuchte Versionen aufspüren und einer digitalen Frischzellenkur unterziehen.
Diese rastlose Suche nach raren, musikalischen Perlen gestaltet sich mit fortschreitender Dauer der Reihe natürlich merklich schwieriger.
Spürbar nimmt die Zeit des ungeduldigen Wartens zwischen den einzelnen Veröffentlichungen der zu "so80s"-Sampler zu; dafür hat der klangliche Kosmos an Dimensionalität gewonnen. So luden 80er-Originale wie Alphaville oder Hubert Kah die Musikproduzenten zu einer längst überfälligen Bestandsaufnahme in ihre Single- und Maxi-Archive, und auch die Originalspuren des reizvollen Backprogramms von Trevor Horn-Label ZTT durfte das Duo nach seinem Gusto neu arrangieren.
Einen Großteil ihrer Zeit müssen Blank & Jones allerdings in ihre akribische Recherche-Arbeit investieren, wie die beiden Pop-Connaisseure im wie üblich umfangreichen Booklet von "so80s: Volume 9" erzählen. Ehrensache, dass mit diesem Katalog der Kuriositäten auch sämtliche Cover-Ansichten des ausgesuchten Liedguts frei Haus geliefert werden.
Wie Sherlock Holmes und Dr. Watson, begeben sich Piet Blank und Jaspa Jones für ihre 80s-Inventur auf die Suche nach verlorenen Schätzen, die längst aus dem Repertoire der hiesigen Diskotheken oder Radio-Stationen verschwunden sind. Das zeitraubende Procedere ist eine waschechte Sisyphos-Arbeit: Bis solch ein schiffsbrüchiger Song am Ende nämlich glücklich an Bord der "so80s"-Reihe genommen werden kann, müssen zunächst Urheberrechte geklärt, Originalbänder geortet, eingeholt und digital überarbeitet werden.
Bei manchen Versionen, wie dem "US Club Mix" von Ultravox's "One Small Day", gestaltet sich dieses Unterfangen deutlich leichter, da jene Version bereits eine gut nachvollziehbare Vorgeschichte besitzt – und von Blank & Jones bereits im Rahmen einer Extended-Zusammenstellung von Ultravox-Singles veröffentlicht worden ist. Deutlich abenteuerreicher gestaltet sich da schon die langwierige Schatzsuche nach sagenumwobenen Diamanten wie Latin Quarters "Radio Africa"; einem selten gehörten Charmebolzen mit mahnender Botschaft.
Für die neunte Ausgabe der "so80s" blickten die Produzenten übrigens nicht selten über den großen Teich. Denn viele Maxi-Versionen wurden eigens für den amerikanischen Markt nochmals durch das Mischpult gejagt – teilweise derart druckvoll, dass sie am Ende nur mehr wenig mit dem Original gemeinsam hatten.
So findet sich Duran Durans "All She Wants Is" im "US Master Dub" auf seine Rhythmik eingedampft und von sämtlicher Lyrik befreit.
Das gleiche Schicksal ereilte auch New Orders "Touched By The Hand Of God", der sich als "Touch By The Hand Of Dub" vor allem über die markante Bass-Linie aufbauen darf und mit viel "zisch" und "plong" zum hektisch-fiebrigen Alter Ego des Originals entwickelt.
Solche Versionen mögen puristischen Gemütern durchaus die eine oder andere Träne in die Augen treiben, sind aber gleichzeitig der lebendige Beweis für den freien, künstlerischen Umgang mit dem Material.
Schließlich sprechen wir über das Zeitalter des Samplings - und die extralangen, discofreundlichen Versionen boten dieser neue Technik eine ideale Spielwiese.
Nachgerade exzessiv genutzt wurde die frisch errungene, tüftlerische Freheit übrigens im Rahmen der erweiterten "Hello Again"-Fassung von The Cars: Aufreizende Verzögerungen, kurzatmige Pausen, fahrige Loops sowie Ton-Konfetti (verschiedene Haushaltsgeräte plus heimgebrauchte Fernsehserien) dürften damalige Sample-Maschinen der Marke Synclavier oder Fairlight ordentlich zum Qualmen gebracht haben.
Am Ende des drei CDs umfassenden Kompendiums, das seit der achten Ausgabe übrigens ohne den obligatorischen Non-Stop-Mix auskommen muss, steht ein musikalischer Monolith, mit dem die Grenzen zwischen Pop- und Hochkultur nun endgültig verabschiedet werden.
Yellos viertelstündiges "Live At The Roxy N.Y. Dec. 83" winkt noch einmal mit großer Geste den (noch) bestehenden Song-Strukturen zu - und zitiert hier und da den "Bostich", während flackernde Electro-Beats den surrealistischen Ton-Cocktail in eine psychedelische Tour de Force verwandeln. Dieses fiepend hämmernde Monstrum wäre vermutlich die perfekte Untermalung für eine zeitgenössische Kunstinstallation. Wer an jedem Abend im "Roxy" zugegen war, muss diese synthetischen Sphären wohl als völlig anderer Mensch verlassen haben. Denn was das Duo Infernale seiner klangfreudigen Maschinerie hier an Tönen entlockt, dürfte den damaligen Yello-Hörer schwer beeindruckt haben.
Die neunte Ausgabe der "so80s"-Serie ist eben doch mehr als die übliche Ansammlung profaner 12"-Versionen: Hier werden songliche Qualitäten aufgedeckt, die eine Radio- oder Albumfassung sonst nur erahnen lässt. Die teils waghalsigen Remix-Konstruktionen illustrieren eindrucksvoll, dass "Pop" immer auch "Kultur" sein kann. Mit ihrer maxi-malen Spurensuche sorgen Piet Blank und Jaspa Jones dafür, dass diese auch lebendig bleibt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER / ANTJE BISSINGER | DATUM: 09.02.15 | KONTAKT | WEITER: SARA NOXX "ENTRE QUATRE YEUXX" >
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Website
www.blankandjones.com
COVER © SOUNDCOLOURS/SOULFOOD; FOTO © SOUNDCOLOURS/BJÖRN KOMMERELL.
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