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PARADOX NOW "THIS IS NEON": VERSYNTHT UND ZUGEROCKT!

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Sollte die Menschheit in ferner Zukunft auf die kulturellen Strömungen des frühen 21. Jahrhunderts zurückblicken - sie müsste die jetzige Epoche mit dem halbgaren Namen "Stil-Patchwork" versehen.

Denn unter den Labels "Vintage" und "Retro" entstehen derzeit Kunstwerke, die nur allzu gern den larmoyanten Blick zurück richten. De facto stellt dies aber auch eine kreative Bankrotterklärung der Schöpfer dar.


Reproduktion anstatt Innovation – das schale Motto gilt mittlerweile für diverse Bereiche.

Vor allem in der Musik, die sowohl pop- als auch subkulturell nur mehr wenig Spannendes zu bieten hat.


Kunstgeschichte verkommt allmählich zum 24/7-Discounter, bei dem sich der weniger
inspirierte Künstler im Copy & Paste-Modus ungeniert bereits bestehender Genres bedient. Gähn!

Doch es gibt wieder Hoffnung: Die Züricher Formation Paradox Now liefert mit ihrem Album "This Is Neon" einen cleveren Lösungsansatz für das gegenwärtige Dilemma - und zeigt, dass ein fantasievoll-verspielter Umgang mit den Errungenschaften der Synthie-Pioniere von Einst nicht nur sinnvoll, sondern auch möglich ist.


Auf dem spartanisch eingerichteten Cover schimmert ein goldiges Schlagzeug, links davon ragt ein Mikrofonständer in den Vordergrund. Ein erster Hinweis auf handgemachte, ehrliche Rock-Musik. Doch dann dieser Titel: In Schrift und Inhalt erinnert er so sehr an die wirklich dunkle Seite der 80er mit ihren unheilvollen, cheesy  Sounds; munter vorgetragen von dauergewellten Vokuhila-Fetischisten, natürlich stilecht mit den über die Schulter gehängten Keyboards.

Und beim heiligen Casio: Der erste Song beginnt tatsächlich mit eben dieser schrottreifen Synthie-Fanfare, die – kurze Schockstarre! - Van Halens
"Jump" vor dem geistigen Ohr real werden lässt.

Eighties-Grusel der schlimmsten Art ist schließlich zu befürchten, als zusätzlich noch kraftmeierisches Gitarrengegniedel einsetzt. Doch dann tritt plötzlich eine bedeutungsschwangere Stille ein – gespanntes Warten wie zu Beginn eines Theaterstücks, kurz nachdem der Vorhang gelüftet wurde.

In das Schweigen brechen auf einmal markige Bassläufe ein, so funkig-rockig, als würden sie von den Red Hot Chili Peppers
höchstpersönlich stammen. Doch sie haben kaum Zeit, sich zu entfalten, denn scharfkantige Acid-Sequenzen stehen schon in den Startlöchern, um mit marschierendem Schlagwerk das Flair stickiger Kellerdiscos im Stroboskoplicht heraufzubeschwören.

Wohlgemerkt: Wir sprechen immer noch von dem Eröffnungsstück, sinniger W
eise mit "No Compromise" betitelt.

Die vielen überraschenden Wendungen und das in der Tat "kompromisslose" Aneinanderheften verschiedenster Stile wirkt aber eher wie eine vorangezogene Conclusio der geistigen Haltung hinter "This Is Neon".


Das wird aber erst über das gesamte Album hin deutlich, auf dem es dann zwar etwas geordneter, aber nicht weniger spannend zugeht.

So startet "Don't Back Down" mit einer wenig aufregenden Arpeggio-Linie auf dem Synthesizer. Nach und nach gesellen sich Gitarren mit einer ordentlichen Portion Hall dazu, die in Verbindung mit mal computergeneriertem, mal akustischem Schlagwerk einen spacigen Synthie-Rock-Leckerbissen erschaffen.

Was Paradox Now so interessant, aber auch anspruchsvoll macht, ist die bewusst unvereinbare Gegenüberstellung von schmuddeligem Rock und sterilen Synthetik-Sounds.


"So I Fought The Sea" und "Be A Good Soldier" belegen dies: Die Nummern beginnen markant gitarrenlastig, ehe sich auch hier Keyboards unvermittelt einbringen und den Duktus der Stücke komplett neu definieren.

Der Versuch, beide Pole zusammen zu bringen, wird gar nicht erst unternommen. Die daraus entstehende Dynamik macht das Flair von "This Is Neon" aus, verlangt dem Hörer in Zeiten von windiger Popshopping-Sedierung à la "Sing meinen Song" aber auch eine ziemliche Offenheit und Flexibilität ab.


Ein einziges Mal, bei "Give, Take, Enjoy", schießen Paradox Now allerdings über das Ziel hinaus: Das fiebrige Schlagzeug und die hektisch eingespielten Synthie-Melodien zu Beginn wirken wie ein schnell zusammengesetztes Stück progressiver Electro-Jazz-Rock, der irgendwie nicht so recht zum Sound-Konzept des Liedes passen will. Die Schweizer überspannen an dieser Stelle den Bogen – und auch andernorts beschleicht einen manchmal das Gefühl, als wolle "This Is Neon" stets noch  eine Schippe draufsetzen. Dabei wäre das eigentlich gar nicht nötig.

Für die Namensgebung ihres Genre-Gewusels sorgt Paradox Now übrigens selbst: Hybrid-Rock nennen sie das, was sie da machen.


Und dieser funktioniert am besten beim absoluten Ohrwurm "You Want Some More".

Eine Ähnlichkeit mit der Erfurter Formation Northern Lite ist gerade in diesem Song nicht ganz von der Hand zu weisen. Wo die deutschen Crossover-Experten aber Coolness bis zum absoluten Gefrierbrand propagieren, sind Paradox Now die Party-Arbeiter; auch wenn die lässige Attitüde der Bandmitglieder auf den Fotos eine etwas andere Sprache spricht.


Am Ende des Tages zählt aber nur, was unter dem Strich herauskommt. Im Falle von Paradox Now ist dies ein schräg-sympathischer Sound, der knapp 35 Jahre Rock- und Popgeschichte gekonnt auf Albumlänge komprimiert.


||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 23.07.15 |  KONTAKT |  WEITER: TANZMUSIK FÜR TREKKIES - STARS CRUSADERS "NEW HORIZONS" >





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Website
www.paradoxnow.com

COVER © PARADOX NOW.

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