VERNEBLUNG "READY TO DROWN" VS. EDNA FRAU "MY EGO IS BIGGER THAN YOURS": DER ERSTE SCHUSS EIN TREFFER - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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VERNEBLUNG "READY TO DROWN" VS. EDNA FRAU "MY EGO IS BIGGER THAN YOURS": DER ERSTE SCHUSS EIN TREFFER

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Schon für das Albumcover verdient Verneblung eine gesonderte Bewertung. Entgegen aller Gothic- und Düster-Gepflogenheiten hat das Kölner Duo um Soundtüftler Adnan Abbas und Sängerin Nadin Klein sich für ein fast schon urlaubsreifes Bild in pastelligen Farben entschieden. Doch ist Vorsicht geboten! Denn bei genauerer Betrachtung wird aus dem einladenden Swimmingpool dann doch ein Wassertank und die sonnendurchflutete Umgebung eine karge Steppe. Melancholie findet sich auch in den vermeintlich idyllischen Momenten.

Eindeutig ist dagegen das, was das Duo auf ihrem Erstling präsentiert. Reduzierte Synthieflächen von der todbringenden Schönheit einer unendlichen Eiswüste, gepaart mit der einzigartigen Stimme Nadins, die seltsam über der Koposition schwebt. Diese Distanziertheit lässt die Sängerin wie ein ätherisches Wesen anmuten, wie die Stimme der eigenen Seele, die zu einem spricht.

Und schon in "Ich sehe nichts" wundert sie sich über die Umwelt. "Manchmal möcht' ich es nicht wissen, manchmal weiß ich viel zu viel" - Weltabkehr auf einen Satz eingedampft. Dazu mäandert die Elektronik wie eine undefinierbare Masse, in der sich Zeit und Raum aufzulösen scheinen, umher. Noch drastischer ist "Zeit zu Staub" ausgefallen, ein in stoische Beats und scheppernden Sequenzen eingepackter Vanitas-Gedanke. Gerade dieses Stück gehört mit zu den stärksten des Albums, das als Debut allein schon durch die klare und scheinbar abgeschlossene Vorstellung davon, wie Verneblung zu klingen hat, besticht.

Besonders die extreme Verlangsamung der Musik sticht ins Ohr. Denn "Ich kenne mich selber nicht" könnte beispielsweise auch gut als Electro-Punk-Nummer funktionieren. Aber Verneblung belassen es bei Geschwindigkeiten, die meist unter 100 BpM angesiedelt sind, und so wird auch dieser existenzialistische Track zu einem fatalistischen Manifest, in der es keine Möglichkeit zu geben scheint, das Bestehende zu verändern.

Nur am Ende werden die Gedanken vermeintlich eskapistisch - und die Komposition passt sich dem an. Zwar bleibt der unterkühlte Synthetik-Klang in "Free Me" weiterhin präsent, doch die Harmonien sind warm, strahlen etwas sehr hoffnungsvolles aus. Das Heil finden Verneblung aber eben nicht in die Rückkehr zur Emotion. "Free me from my feelings, so I can be me." Erst das komplette Veröden der Gefühle komplettiert das lyrische Ich - ein betrüblicher Gedanke, aber selten so ästhetisch in Noten verpackt.

Derart schockgefrostet geht es bei Edna Frau und ihrem Erstling "My Ego Is Bigger Than Yours" nicht zu. Dafür versprühen die breitwandigen Gitarren immer noch zu viel Emotionen. Das Brainchild des Multiinstrumentalisten Andrea Fioravanti aus Italien, genauer gesagt: aus Ravenna, steht dabei im krassen Gegensatz zu seiner bisherigen musikalischen Laufbahn. Denn als Teil der Gruppe Postvorta zeichnete er sich bislang durch pompösen Apokalypsen-Metal aus. Doch bereits hier konnte man sein Faible für subtile Klanglandschaften zumindest erahnen.

Nun bietet sich Edna Frau als Spielwiese idealerweise an. Andrea beherrscht den druckvollen Post-Punk, wie man es beispielsweise von den frühen Werken der Editors oder auch She Wants Revenge her kennt (besonders "Rooms" mit seinem markanten Bassspiel wird Fans der eben genannten Bands schnell überzeugen). Dazwischen findet der Mann aber auch Zeit, sich auf experimentellen Intermezzi wie das selbsterklärende erste Stück "Open",dem in der Mitte postierten "Break" und dem finalen "Closed" auszutoben. In diesen Fällen wird deutlich, dass Edna Frau sich auch in der avantgardistischen Elektronik gut auskennt.

Wie gut und vor allem herrlich brachial Edna Frau mit den Synthesizern umgehen kann, belegt "After Sex", der nicht davor zurückscheut, mit übersteuerten Bass-Drums das komplette Lied zu verzerren. Was andernorts als technischer Fehler gerügt werden würde, erhebt Andrea Fioravanti zum Stilprinzip und kreiert damit einen schweißtreibenden, brutalen Electro-Track, in dem man vice versa seine Erfahrungen von Postvortem raushören kann.

Seinen schönsten Moment hat "My Ego Is Bigger Than Yours" aber in der Ballade "D1A", in der eine verhallte Gitarre und wie aus der Ferne aufgenommener Gesang von Vincenzo "Vins" Baruzzi etwas zutiefst beruhigendes ausstrahlt, ehe die Elektronik des Abschlusstracks sich bereits am Ende von "D1A" ausbreitet und in auditives Gewitter mündet.

Es ist sicherlich ein bisschen Machogehabe dabei, wenn Edna Frau einen solch selbstbewussten Albumtitel raushaut. Tatsächlich kann sich das Projekt diesen aber für ihren Erstling durchaus leisten. "My Ego Is Bigger Than Yours" strotzt nur so vor frischen Einfällen, die dem Post-Punk-Genre durchaus einige interessante neue Denkansätze verleihen. Neben tradierten Songmustern und Instrumentierungen bringt die Gruppe die notige Portion Eigenständigkeit mit, die es braucht, um in der Menge an Neuerscheinungen in diesem Genre dieser Tage aufzufallen.

Geleitet vom Wunsch, eine eigenständige Platte zu kreieren, sind Verneblung und Edna Frau zwei wunderbare Erstlinge geglückt, die bereits einen ganz eigenen Stil vorweisen. Vielleicht ist es noch etwas zu früh für überschwängliche Jubelarien. Für den Moment aber können "Ready To Drown" und "My Ego Is Bigger Than Yours" den Genres Cold-Wave und Post-Punk einige interessante neue Akzente verleihen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.07.21 | KONTAKT | WEITER: LAUT FRAGEN VS. SPITZWEGERICH>

Webseite:
verneblung.bandcamp.com
ednafrau.bandcamp.com

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Cover © Blackjack Illuminist Records (Verneblung), 22 Dicembre Records (Edna Frau)

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