PARADE GROUND "THE 15TH FLOOR" VS. THEE HYPHEN "INCIDENTIAL TOOLS OF CONFUSION": DIE RÜCKKEHR DER VERLORENEN ALBEN
Alben verstricken sich manchmal in Irrungen und Wirrungen des eigenen Schicksals, so dass sie aus irgendwelchen Gründen nie oder zumindest nicht vollständig zum geplanten Zeutpunkt veröffentlicht wurden. Manchmal dauert es Jahre, ja, Jahrezhente, ehe diese dann "wiederentdeckt" werden und ihre Renaissance feiern und gleichzeitig auch Einblick in die Entwickung einer Band, einer Künstlerin oder eines Künstlers geben.
Wenn, wie im Fall von Parade Ground, die Karriere bereits 40 Jahre umfasst, dann ist natürlich der Blick zurück auf die Anfänge besonders spannend. Ohnehin ging und geht das Brüder Jean-Pierre und Marc Pauly in allen Belangen eigene Wege - inklusive einer fast 20-jährige Pause, in der die Belgier unter anderem bei den Arbeiten ihrer Landsmänner von Front 242, mit denen seit Beginn ihrer Karriere eine enge Freundschaft besteht, mit Hand anlegten, anstatt selber Alben herauszubringen.
An dieser Stelle kommt nun "The 15th Floor" ins Spiel, welches das Duo selbst als "lost album" bezeichnen. Denn ursprünglich sollte dem hervorragend besprochenen Debüt "Cut Up" nun um die Wendejahre 1989/90 rum "The 15th Floor" folgen. Die Songs wurden aber aus vorher genannten Gründen eingemottet. Erst mit der Reaktivierung von Parade Ground anno 2007 kam auch wieder Bewegung in das Thema der eingelagerten Stücke. Es mussten aber noch einmal weitere fünf Jahre vergehen, ehe "The 15th Floor" auf Vinyl veröffentlicht werden sollte.
Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Im gleichen Jahr kam nämlich "A Room With A View" auf CD heraus, das einige Lieder aus den Sessions zu diesem verlorenen Album enthielt, aber nicht auf der oben erwähnte Vinyl-Version zu hören waren. Im Jahr der Pandemie, in der Liveauftritte nur schwerlich organisiert werden können, bot es sich daher für Parade Ground an, "The 15th Floor" endlich am Stück dem Publikum zu präsentieren. Sicherlich stünden die Gebrüder Pauly jetzt lieber auf die Bühne, und die Veröffnetlichung alten Materials mag für viele Fans, die mit der Band auf ihren Gigs feiern wollten, nur ein schwacher Trost sein.
Allerdings zeigt "The 15th Floor" ziemlich genau, was Parade Ground so einzigartig macht. Ihre Liebe für die elektronische Körpermusik erweiterten sie um die Aspekte Pop, Wave und musikalischen Dadaismus. "Stirring Hands", "Awaiting" oder auch "A Day At The Park" (neben der Original-Version auch als bislang unveröffentlichter German Mix zu hören) kommen einerseits mit ziemlich genialen Refrains daher, verweigern sich aber durch ihren hektischen Duktus und den schlagartigen Wechseln zwischen Klang und Sampling einer unvoreingenommen Eingängigkeit.
So wie bei "My Morning Friends", das den Stock/Aitken/Waterman-Sound ansatzweise zitiert, ihn aber mit einem ganz eigenen Twist versieht. Die teilweise mangelhafte Qualität der Bänder tut ihr Übriges, um das rohe Moment zu kultivieren. Und während "Self Unmade Man" und "Round" sich in herrlichen Post-Punk-Manierismen ergehen, wirkt der alerte Gesang wie ein Gegenentwurf zum trüben Sound.
Parade Ground haben schon immer nur das gemacht, was ihnen Spaß bereitete. Auf "The 15th Floor" ist das nicht anders gewesen. Damit besaßen sie bereits in der belgischen Subkultur einen Sonderstatus. Gut zu wissen, dass sie das auch 40 Jahre danach nichts eingebüßt haben und immer noch herrlich durchgeknallt sind.
Als Parade Ground die 90er quasi an sich vorbei ziehen ließen, hat für einen jungen Mann aus Frankreich seine musikalische Karriere gerade erst begonnen. Später wird er als Member U-0176 vor allem den geradlinigen, chromüberzogenen Electro-Pop der Band Celluloide maßgeblich mitbestimmen und auch als Signal Bruit einige avantgardistische Synthie-Fingerübungen zum Besten geben.
Ganz zu Anfang war er noch als Teil von Thee Hyphen unterwegs. Offiziell gilt "Consolidated Green" von 2004 als das erste Album der Band. In Wirklichkeit haben Sie bereits zehn Jahre zuvor mit "Icidental Tools Of Confusion" den Grundstein für die Musikkarriere gelegt. Quasi in Eigenregie und damals auf Musikkassette und CD-R veröffentlicht, war die Auflage sicherlich überschaubar und die Reaktionen darauf rar gesät.
Der Beipackzettel hält eine perfekte Beschreibung für den Sound dieses Erstlings parat: "Thee Hyphen was maybe too cold to be pop, too pop to be electro, too experimental to be EBM and too EBM to be darkwave". Damit liegen sie stilistisch einer ganz großen Band im Nacken: Depeche Mode. Doch während diese zu jener Zeit ihre dunkelste Phase mit Grunge-Gitarren und Gospel-Chören auslebten, drehen Thee Hyphen die Uhr um ein paar Jahre zurück.
"Incidental Tools Of Confusion" steht stark in der Tradition von "Music For The Masses" oder auch "Black Celebration". Dabei lehnen sich Thee Hyphen beim Gesang aber eher an das flirrende Falsett eines Martin Gore als an den markigen Bariton von Dave Gahan an.
Für die Neuveröffentlichung dieses Albums haben sie die Original Vier-Spur-Tonbänder von sämtlichen Staub befreit und auch die Gesangsspur jegliche Effekte, wie sie im Original zu hören waren, rückgängig gemacht. Der Grund für diesen an sich radikalen Schritt für das Re-Issue: Das Album soll dadurch mehr Klarheit erhalten und dem Hörer so offeriert werden, wie es seinerzeit gedacht gewesen ist.
Ein Song überdauerte übrigens die Platte: "This Aching Kiss" mit seinem herrlich sphärischen Intro und der emotionalen Grandezza, die ungefähr so groß ist wie "Blasphemous Rumours", um Depeche Mode ein letztes Mal zum Vergleich heranzuziehen. Zehn Jahre später findet er sich als 8-Bit-Variante und mit androidem Frauengesang auf der Celluloide-Veröffentlichung "Words Once Said".
Doch dieses Lied, wie auch das ganze Album sind nicht nur der Blick in die musikalische Kinderstube von Member U-0176, in der aber schon alles bereit stand für eine große Karriere als führender Kopf französischen Electro-Pops, sondern auch der erste Beweis für sein großes Können. Obwohl man die musikalische Sozialisation noch deutlich herausgehört hatte, waren Thee Hyphen schon damals weit entfernt, ein weiterer DM-Klon zu sein.
Bei Parade Ground und Thee Hyphen lässt sich nur mit Konjunktiven arbeiten. Denn hätten die Belgier "The 15th Floor" damals noch herausgebracht, wäre eine so lange Pause vielleicht gar nicht mehr möglich gewesen ob der Beliebtheit. Und wäre Thee Hyphens Debüt einer breiteren Masse zugänglich gewesen - wer weiß, wie Member U-0176 heute wohl klingen würde. Dass die beiden Bands ihre verloren geglaubten Werke neu aufgelegt haben, war zweifelsohne richtig und wichtig.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 15.06.21 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 10/21>
Webseite:
www.parade-ground.net
www.theehyphen.online.fr
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COVER © VUZ RECORDS (PARADE GROUND), BOREDOM PRODUCT (THEE HYPHEN)
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