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ALPHAVILLE "SO 80S PRESENTS": MARIANS GOLD

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Kaum ist die Single-Sammlung von Hubert Kah im gut sortierten Klangarchiv verstaut, rauscht bereits die nächste Retro-Welle aus dem Hause Blank & Jones an: Aus der Post-NDW-Ära grüßen diesmal die Hochglanz-Popper von Alphaville. Synthetisch eleganter Gold-Regen statt knallbunter Konfetti-Bespaßung also, der mit seinem kühlen Chic seit mittlerweile 30 Jahren für gut besuchte Konzerthallen sorgt, international klingt– und dabei im behäbigen Münster erdachte wurde. Klar, dass der runde Geburtstag des Trios, das bereits mit seinem Debüt in den Pop-Olymp schnellte, gebührend gefeiert werden muss. Für die so80s-Reihe von Blank & Jones sind Sänger Marian Gold und Melodie-Magier Bernhard Lloyd deshalb noch einmal in die Zeitkapsel geschlüpft: Mit einer üppig bestückten Doppel-CD, die nicht nur rare Maxi-Versionen ihrer Singles versammelt, sondern auch den lang ersehnten B-Seiten ein digitales Sound-Upgrade verpasst, erfreuen Alphaville nicht nur eingefleischte Fans.

Anno 1984 führte kein Weg an Marian Gold, Frank Mertens und Bernhard Lloyd vorbei. Mit ihrem Erstling "Forever Young", den darauf enthaltenen Radio-Evergreens "Big In Japan", "Sounds Like A Melody" sowie dem herrlich hymnischen Titelsong setzte das Trio innerhalb kürzester Zeit gleich mehrere Meilensteine elektronischer Klangerzeugung.

Für immer jung – diese Prophezeihung hat das Alphaville-Debüt tatsächlich erfüllt: Noch heute klingt die Scheibe erstaunlich frisch, bringt mit ihrer knitterfrei cleanen Yuppie-Dekadenz und rüschig sinistrem New Romantic-Pathos den Zeitgeist einer unfassbar rastlosen Epoche auf den Punkt. Dass das Trio mit seiner gleichnamigen Single nicht nur "
Big in Japan" wurde, sondern bald auch die Punktlandung auf die Spitze der amerikanischen Dance Charts gelang, ist da eigentlich nur konsequent; einen derart monumentalen Erfolg zu toppen allerdings, im Grunde kaum möglich.

Deshalb kommt auch das Cover des aktuellen Kompendiums als Hommage an den ewig jung gebliebenen Erstling daher: Mit der hellbraunen Wellpappen-Optik sind Alphaville-Fans der ersten Stunde bereits seit 30 Jahren vertraut. Dass die dezente Tönung so heimelig wirkt und ein seltsames Gefühl von Jugend verkündet, liegt vielleicht auch daran, dass viele von uns bei der Ausstattung ihrer ersten eigenen Wohnung mehr Geschmack als Geld zur Verfügung hatten – und damals das ein oder andere Möbel-Puzzle eines schwedischen Einrichtungs-Riesen, nebst typischem Umkarton, nach Hause geschleift wurde.

Alphaville selbst sind auf ihrem
"so80s"-Cover nur in Miniatur zu sehen: Wie eine Fußnote prangt der briefmarkengroße Titel von "Afternoons In Utopia" am unteren Bildrand, dessen Vogue-Chic an die fotografische Ästhetik des französischen Nouvelle Vague-Kinos erinnert. Dass gerade dieses Portrait gewählt wurde? Mit Sicherheit kein Zufall. Schließlich ließen sich Marian Gold und seine musikalischen Mitstreiter einst vom gleichnamigen Jean Luc Godard-Klassiker zu ihrem klangvollen Bandnamen inspirieren.

Der frühe Erfolg ihres Projekts bescherte den Musikern übrigens
ein derart großes Renommee, dass sie für ihre 12-Inch-Versionen viele hochkarätige Musikproduzenten ins Synthie-Boot holen konnten. Dem tat selbst die Misere des 1989er Albums "The Breathtaking Blue", das unfreiwillig hartnäckig die hinteren Rängen der Deutschen Charts besetzte, keinen Abbruch.

So liefert nun John "Jellybean" Benitez
, der unter anderem für Madonna an den Reglern saß, eine sagenhaft coole "Jet Set"-Variante für diese Werkschau, die der letzten Alphaville-Single aus dem Debüt ein extradickes Sahne-Topping verpasst. Auch ein gewisser Zeus B. Held, einst für Ultravox-Ur-Mitglied John Foxx, Die Krupps oder die hyper-androgyne Dead Or Alive-Formation tätig, durfte ran – und mischte der Maxi-Version von "Big In Japan" eine ordentliche Portion teutonisches Club-Feeling bei.

Einige Stücke
sind dem geneigten Sammler bereits aus Vorgänger-Kompilationen der "so80s"-Reihe bekannt. Darunter auch die wunderbare Extended Version von "Sounds Like A Melody", ein bis heute unerreicht eingängiges Stück Sound-Kultur, dessen verlängertes, orchestrales Finale hier sogar noch größere Strahlkraft besitzt.

Darüber hinaus finden sich mit "Romeos", "Sensation" und "Universal Daddy" auch die bis Dato
sträflich vernachlässigten 12-inch-Underdogs ein. Sie im frisch polierten Klanggewand endlich wiederentdecken zu dürfen, versetzt mit Sicherheit nicht nur hartgesottene Alphaville-Enthusiasten in Schmunzel-Laune. Angesichts der sorgsamen Auslese von Blank & Jones stellt sich dieser Wohlfühl-Modus allerdings fast automatisch ein: Ihr behutsames Remastering bringt die Höhen zum Flirren, die Tiefen zum Grummeln.

Kurz gesagt: Die Songs schimmern silbern, Marians Organ ist pures Gold.

Drei Jahre nahmen sich Alphaville Zeit, um gemeinsam mit Blank & Jones
die Archive zu durchforsten. Es hat sich gelohnt: Pünktlich zum Bandjubiläum spürte Bernhard Lloyd bei der Suche nach seinen Kompositionen nicht nur alle gewünschten Maxi-Singles des Trios auf, sondern konnte endlich auch die Master-Bänder der lange verschollen geglaubten B-Seiten ins neue Jahrtausend befördern.

Auf der zweiten CD sind diese seltenen Schätze nun versammelt;
darunter auch der rare "Big In Japan"-Remix des viel zu früh verstorbenen Frankfurter DJs Torsten Fenslau. Er verpasste dem Song einen Beat, der stark an Enigmas "Sadeness Part I" erinnert. Auf diese Art und Weise wurde die Nummer nicht nur hörbar mystifiziert, sondern damals auch technisch auf den neuesten Stand gebracht.

Allein für diese Zusammenstellung lohnt sich der Kauf des aktuellen Silberlings. Schließlich ist sie der eindrucksvolle Beweis dafür, wie durchgängig qualitativ Alphaville den Freiraum ihrer B-Seiten zu füllen wussten. Das lange gehegte Vorurteil, die Songs auf der Rückseite seien ohnehin nur ein klägliches Abfall-Produkt aus den Studio-Sessions, bestätigt sich hier jedenfalls nicht: Marian Gold und seine Klang-Kollegen nutzten ihre Singles ganz bewusst, um im Windschatten des Titels einen jeweils aktuellen Kommentar zur Lage der Nation zu
formulieren.

So erweist sich "Next Generation" von der 1986er-Single "Universal Daddy" als Reaktion auf den verheerenden Reaktorunfall in Tschernobyl. Und "Sister Sun", die B-Seite von"Mysteries Of Love" aus dem Jahre 1989, greift die aufkeimenden Debatten um die stark bedrohte Ozonschicht auf.

Wer sich für die Geschichten hinter den einzelnen Songs interessiert, ist mit dem detailverliebten Booklet übrigens
mehr als bestens bedient: Ganze 36 Seiten lang lässt Marian Gold hier die Bandgeschichte Revue passieren, gibt unterhaltsame Einblicke in den Bandalltag, erzählt von seinen Anfängen in Berlin – und verrät schließlich auch, warum ihn mit "Sounds Like A Melody" eine seltsame Hassliebe verbindet. Zwei Kontaktbögen, darunter alternative Aufnahmen des legendären "Afternoons In Utopia"-Covers, machen das Vergangene lebendig und versetzen den Betrachter kurzzeitig in die Rolle des Managers: Welches Foto schafft es am Ende auf den Titel?

Natürlich ist die Auswahl längst gesetzt. Trotzdem macht das reich bebilderte Booklet großen
Spaß, lädt nicht nur einmal zum ausgiebigen Schwelgen ein. Schade eigentlich, dass die markanten Band-Portraits und klassischen Platten-Cover nicht auch als Posterbuch zu haben sind.

Die großen Alphaville-Klassiker, sie werden auch die nächsten 30 Jahren mit Bravour überstehen. Egal, ob in radiofreundlicher Kurz- oder clubtauglicher Langversion: Mit den unkaputtbaren Songs bleibt für einen kostbaren Moment die Zeit stehen; ein munter sprudelnder J
ungbrunnen, in den der Hörer immer wieder gerne tauchen will.

|| TEXT: ANTJE BISSINGER / DANIEL DRESSLER / DATUM: 28.10.2014 | KONTAKT | WEITER: "RAVEL: KONZERT FÜR EINE TAUBE SEELE"  >




"SO 80S PRESENTS ALPHAVILLE"



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Bandpage
www.alphaville.info
www.blankandjones.com

BILDQUELLE © SOUNDCOLOURS.

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