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THEN COMES SILENCE "NYCTOPHILIAN": SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD

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In welch tragikomischen Zeiten wir doch leben!

An jeder Ecke grinsen uns weißzahnig gut gelaunte, den Oberkörper zeigefreudig enthaarte Six-Pack-Männer von Plakatwänden an; sportlich-schlanke Frauen beschwören im TV den grünen Smoothie-Gott (jede Menge Antioxidantien inklusive!) oder Hyper-Mega-In-Drei-Minuten-Alle-Falten-Weg-Cremes.

Selbst die als lukrative neue Käuferschicht betitelte "Generation 60plus" wird geradezu genötigt, nordisch zu walken, sprich: an Stöcken zu gehen; selbst, wenn sie diese eigentlich (noch) gar nicht nötig hätte. Die Makramee-Eule weicht dem Marathon, die Kaffeefahrt dem Kanu-Rafting. Früher galt Udo – Gott hab ihn selig – Jürgens' Je-Oller-Je-Doller-Gassenhauer "Mit 66 Jahren" noch als augenzwinkernde Hommage an die sympathische Virilität im gesetzten Alter.

Mittlerweile klingt das Ganze aber fast schon wie eine Drohung: "Mit 66 Jahren ist noch lange nicht Schluss". Wehe dem, der an diesen "be young, have fun"-Ritualen nicht teilnimmt...

Doch wofür das alles?

Um dem düsteren Gevatter ein Schnippchen zu schlagen - und dem unvermeidlichen letzten Akt alles Irdischen zumindest mental aus dem Weg zu gehen.

Selten wurde der Tod derart an den Rand unserer Wahrnehmung gedrängt wie in unser paranoiden Höchstleistungsgesellschaft. Höchst ungesund das alles – finden auch Then Comes Silence aus Stockholm.

Für Sänger Alex Svenson ist der Tod eine Notwendigkeit, die ihren furchterregenden Schrecken ganz sicher nicht dadurch verliert, dass man sie einfach mal ignoriert.

Eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem ultimativen Ende gehört zum Leben einfach dazu.

Alex tut dies auf musikalischste Art und Weise: Zusammen mit seinen Mitstreitern brachte er bereits zwei apokalyptische Endzeit-Werke heraus, die das Jenseits als chaotisch-surrealen Ort skizzieren – vergleichbar mit den ausufernd-monströsen Bildern eines Hieronymus Bosch.

Auch auf "Nyctophilian" kommt das dämonische Element stilecht zur Geltung: Bereits das Cover, ein mit dem Bandnamen verziertes Hexenbrett alias Ouija, welches für das allseits bekannte "Glaserrücken" genutzt wird, deutet unmissverständlich auf die gewünschte Verbindung zwischen dem Hier und der sagenumwobenen Anderswelt hin.

Fürwahr grüßen sie an jeder Ecke des Tonträgers, die Geister aus dem Jenseits.

Überdeutlich vernehmen wir ihr laut schallendes "Memento Mori": Der Tod ist allgegenwärtig; auch und besonders in den dumpf-verzerrten Gitarrenlinien, die mit viel Getöse den musikalischen Reigen eröffnen. "Strangers" offenbart dabei vor allem eines: Then Comes Silence lassen einen Großteil des psychedelisch-sperrigen Klanggerüstes früherer Werke beiseite - und wenden sich den einprägsameren Gothik-Rock-Sounds zu.

Der Schlagzeuger feuert seine Bass-Drum-Schläge punktgenau in die Magengegend, während Gitarre und Bass zu einem tönernen Monster verschmelzen, das alles verschlingt, was seine Wege kreuzt. Dazu zischelt und wispert Alex, als wäre er der Leibhaftige selbst – oder zumindest ein diabolisch grinsender Handlanger aus Luzifers Entourage.

"Nyctophilian" ist ganz schön sinister, keine Frage.

"She Loves The Night", "Death Rides" und "Animals" besitzen sogar einen regelrechten Sex-Appeal, erotische Todessehnsucht. Sie sind aber nur der wohltemperierte Vorhof zur Hölle.

Das Tor zum Hades stößt letztendlich "Feed The Beast" auf: Wie einst Rumpelstilzchen um sein Feuer, kreist hier eine flüchtig angeschlagene Orgel um eine zweitönige Synthie-Sequenz. Alex' Organ wird zudem äußerst effektvoll durch eine Flüstertüte gejagt. Man hat das ungute Gefühl, als sei der Antichrist höchstpersönlich in ihn eingefahren.

Gegen Ende wabern das knapp zweiminütige Instrumental "Wendy" sowie das elegische "Everywhere And In My Head", einer giftgrünen Todeswolke nicht unähnlich, bleischwer über dem Haupt des Hörers.

Verwaschene, leicht leiernde Saiteninstrumente konkurrieren mit bedrohlicher Elektronik um die furchteinflößendsten Momente, während der Frontmann gerade im Begriff scheint, den finalen Atemzug zu nehmen.

Im größeren Rahmen betrachtet, gelingt Then Comes Silence auf ihrem dritten Album etwas wahnsinnig Spannendes: Der Tod wird auf "Nyctophilian" weder dämonisiert noch glorifiziert; sondern schlicht und ergreifend akzeptiert.

Mit all seinem Schrecken; mit all seiner Kraft. Die Schweden haben einen kitschfernen Zugang zu diesem Sujet gefunden - und lassen die Menschheit gerne daran teilhaben.

Und diese sollte sich wirklich öfters mit dem (eigenen) Ende beschäftigen - denn irgendwann schrecken den Sensenmann auch keine grünen Smoothies mehr...

||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 03.03.15 |  KONTAKT |  WEITER: INTERVIEW MIT ALEX SVENSON >




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Website
thencomessilence.bandcamp.com


COVER © NOVOTON.

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