MARTY ZÄNKERT (PSEUDOKRUPP PROJECT): "DAS LEBEN IST SCHÖN - MAN MUSS ES NUR ZULASSEN" - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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MARTY ZÄNKERT (PSEUDOKRUPP PROJECT): "DAS LEBEN IST SCHÖN - MAN MUSS ES NUR ZULASSEN"

Im Gespräch
Das typische Muskeln-und-Schweiß-Thema sind Marty Zänkerts Sache nicht, obgleich er mit seinem Pseudokrupp Project einen klassischen EBM auffährt, der gerne das maskuline Moment auskostet. "Mein Name ist Mensch", so der Titel des neuen Albums, zeigt den Musiker als einen nachdenklichen, freiheitsliebenden Menschen. Zusammen mit seinen Mitstreitern kann er aber mit buchstäblich pfeffrigen Live-Auftritten auch die Sau rauslassen. Ein spannendes Gespräch über Wendekinder, Waldpaziergänge und einer ganz besonderen Berliner Luft.

Marty, mal für diejenigen, die noch nie vom Pseudokrupp Project gehört haben (soll es geben): Beschreibe mal, was den geneigten Hörer erwartet...
Es ist immer schwer, die eigene Musik zu beschreiben. Ich würde sagen, Pseudokrupp Project ist im Electro/Industrial Bereich angesiedelt. Meine Musik soll Spaß machen, tanzbar und eingängig sein und die Texte sollen den Hörer auch mal zum Nachdenken bewegen. Live ist es einfach nur eine riesen Party, die wir feiern, und das steckt das Publikum an!

Als ich euren Namen das erste Mal las, dachte ich, dass ihr eine Krupps-Coverband seid. Beziehst Du Dich da aber bewusst auf Die Krupps?
(lacht) Nein! Pseudokrupp ist ja eine Kinderkrankheit. Mein Bruder hatte diese auch als Kleinkind und typisch ist bei diesem Krankheitsbild eine röchelnde Stimme. Das fand ich damals irgendwie passend zur Musik und zum Genre. Ich finde auch, dass das Wort etwas Kraftvolles besitzt.

Euer neues Album "Mein Name ist Mensch" erscheint dieses Jahr. Wie aufgeregt ist man da, nach fast 15 Jahren im Musikbusiness, überhaupt noch?
Aufgeregt ist man immer, egal wie viele Alben man schon veröffentlicht hat. Du sitzt im Studio und schreibst Songs, die von Deiner momentanen Stimmung geprägt sind. Du kannst nie im Voraus sagen, ob das neue Album den Fans besser oder schlechter gefällt, ob sie mit den Songs oder auch mit den Texten überhaupt etwas anfangen können. Ich schreibe ja auch sehr persönliche Texte über Themen, die mich bewegen oder über mein Leben und ich weiß nicht, ob das die Leute am Ende interessiert oder ob sie sich damit identifizieren können.

Der Titel erinnert natürlich an die gleichnamige Nummer von Rio Reiser. Auch wenn der Song thematisch nichts mit dem Klassiker zu tun, besteht da trotzdem eine Verbindung zu Rio Reiser?
Definitiv! Ich mochte Rio Reiser früher schon sehr, besonders mit seiner Band Ton, Steine, Scherben zusammen. Seine Texte waren mega, und "Mein Name ist Mensch" ist einfach ein Wahnsinnssong, der mich natürlich inspiriert hat, über den Menschen an sich nachzudenken. Diese Gedanken habe ich natürlich in meiner Version zum Ausdruck gebracht.

Es scheint fast so, als wenn dieses Album einen persönlicheren Touch besitzt als die Vorgänger. Zumindest wirkt "Halbe Stadt" sehr authentisch. Singst Du da über Dein Leben?
"Halbe Stadt" handelt tatsächlich von meiner Jugend und ich denke viele "Wendekinder" finden sich in diesem Text zumindest stellenweise wieder. Es war für die Menschen in der ehemaligen DDR eine absolut krasse Zeit. Alles war plötzlich aus den Fugen geraten. Lehrer, Polizisten, Soldaten mussten auf einmal andere Götter anbeten, andere Werte vermitteln und andere Normen einhalten. Was gestern noch weiß war, war heute plötzlich schwarz und in dem Grau dazwischen irrten die Menschen umher. Viele mussten sich beruflich neu orientieren. Fabriken oder staatliche Betriebe wurden verkauft oder ganz geschlossen, viele standen vor dem Nichts. Meine Mutter absolvierte neben ihrer Arbeit noch ein Abendstudium, um beruflich wieder Fuß zu fassen. Mein Vater musste sich bewerben, weil es den Betrieb, in dem er beschäftigt war plötzlich nicht mehr gab. Da blieben die Kinder, die sich auch erstmal in dem neuen Staat zurechtfinden mussten manchmal auf der Strecke, weil die Familie in dieser Zeit einfach hinten anstehen musste.

Wie Du es gerade gesagt hast: Du bist ein "Kind der Wende". Die Mauer ist seit mehr als 30 Jahren weg, aber wie sehr, Deiner Meinung nach, existiert sie noch in den Köpfen?
Ich glaube, es gibt leider immer noch viel zu viele, die im Kopf 'ne Mauer haben. Mir war das schon immer total egal, woher jemand stammt! Es gibt überall Wichser und niemand ist besser oder schlechter als ein anderer, ob er aus dem Osten, Westen oder aus Timbuktu kommt! Bei den jüngeren Generationen gibt es, denke ich, kein Ost/West-Denken, da ja von denen keiner weiß, wie sich das mit einer Mauer in einem Land gelebt hat. Das ist eine Sache der älteren Generationen, und da hat sich das bei einigen festgesetzt – warum auch immer. Ich persönlich habe aber nie Probleme gehabt oder wurde blöd angemacht, weil ich im Osten aufgewachsen bin.

Die Songs, in denen ich bereits reinhören konnte, sind für mich sehr geprägt von einem Freiheitsgedanken. "Halbe Stadt" impliziert die Hoffnung auf erfüllte Lebensträume, "Mach doch was Du willst" propagiert carpe diem und "Raus aus der Dunkelheit" ist lyrische Lebensfreude. Wird "Mein Name ist Mensch" also so etwas wie ein Konzeptalbum?
Ich bin und war schon immer ein sehr freiheitsliebender Mensch, und das hört man auch auf vergangenen Alben schon raus. Aber "Mein Name ist Mensch" ist schon (aus meiner Sicht) mein persönlichstes Album. Ich war noch nie der Typ, der nur über böse, kranke oder blutige Sachen geschrieben hat. Das bin nicht ich, und ich muss auch kein Schauspieler sein, der für sein Publikum einen auf "evil" macht und privat aber gerne im Wald spazieren geht. Das ergibt für mich keinen Sinn! Wir haben nur einen kurzen Augenblick auf diesem wundervollen Planeten und diesen Moment, diesen Augenblick, sollten wir doch so glücklich wie irgendwie möglich verbringen! Das Leben ist schön ­– man muss es nur zulassen!
Aber ein Konzeptalbum ist es nicht. Ich bin selbst oft total planlos, da kann ich ja kein Konzeptalbum machen (lacht). Letztendlich ist es ein ziemlich positives Album geworden, obwohl ich auch wieder ernste Themen anspreche.

Der Freiheitsgedanke steht heutzutage sehr auf dem Prüfstand. Wie empfindest Du die derzeitige Situation, sowohl in Deutschland, als auch in der Welt?
Schwierig…Ein sehr schwieriges Thema, das man stundenlang besprechen könnte und ich sage mit Absicht nicht "diskutieren". Die Freiheit wurde ja coronabedingt meiner Meinung nach schon eingeschränkt und die Auswirkungen auf die Psyche, insbesondere der Kinder, ist ja überhaupt gar nicht absehbar. Speziell in der Coronazeit haben sich so viele verstritten, weil sie einfach die Meinung der anderen nicht akzeptieren konnten. Bei Facebook tummelten sich auf einmal Gesundheitsminister, Wirtschaftsminister und Experten für Außenpolitik. Unter jedem Post, der einem nicht gefallen hat oder der sich kritisch mit den Einschränkungen beschäftigte, schlugen sich die Leute verbal die Köpfe ein, weil sie dachten, sie hätten die Wahrheit für sich gepachtet. Und da fängt für mich die Freiheit an! Bei mir darf jeder seine Meinung haben und das nicht nur politisch, sondern generell. Er soll sie mir bloß nicht aufzwingen! Hab ich das Recht, jemanden zu verurteilen, nur weil er eine andere Meinung hat als ich? Zu Deiner Frage kommt ja noch, dass jeder das Wort Freiheit anders definiert. Für mich ist Freiheit schon, mich ins Auto zu setzen und einfach loszufahren, egal wohin. Ich möchte frei im Denken sein und ich möchte mich frei bewegen dürfen. Wenn das mit Risiken verbunden ist, dann ist das mein Risiko und ich gehe es bewusst ein. Aber ich möchte mich nicht dafür verurteilen lassen, da es meine freie Entscheidung ist. Aber generell muss man sagen, dass Freiheit nie grenzenlos sein kann. Sonst würden wir im Chaos und in Anarchie versinken. Lebensgemeinschaften brauchen Regeln und Gesetze, damit sie funktionieren. Das ist im Tierreich so und bei uns Menschen erst recht.

Noch einen kleinen Abstecher zu Euren Live-Aktivitäten, die man nicht unerwähnt lassen sollte. Ihr seid nämlich die einzige Band, die auf der Bühne eine Pfeffibar aufbauen und das kultige Getränk ans Publikum verteilt. Wie kam es zu dieser Idee?
Unsere berühmte Pfeffibar (lacht). Die Idee dazu kam mir vor vielen Jahren. Wenn man noch unbekannt ist und irgendwo als erste oder zweite Band an dem Abend auftritt, sind die Leute noch verhalten und gucken erstmal aus sicherer Entfernung, was man da denn so macht. Dieses Problem kennt glaube ich jeder, der anfängt live zu spielen. Man bekommt den Haufen schwer nach vorne. Und da kam mir die Idee mit einer Bar auf der Bühne. Gratisgetränke, Yeahhhh! (lacht) Man kann ja keine Cocktailkarte aufhängen, also mussten wir uns auf ein Getränk konzentrieren. Es war damals als Spaß gedacht, aber wir dürften heute, glaube ich, ohne Pfeffibar gar nicht mehr auftreten. Unsere Pfeffidame Isa macht auch so einen verdammt guten Job und heizt das Publikum mega an. Das muss jetzt wohl in alle Ewigkeit so bleiben.

Nun die Gretchenfrage: Original "Pfeffi" oder "Berliner Luft"?
Ich mag "Berliner Luft" schon lieber, aber viele trinken lieber den grünen (für mich unglaublich süßen) "Pfeffi". Also live grün und sonst lieber weiß!

Das Getränk hat einen hohen Kultfaktor in Ostdeutschland, während im Westen nur wenige Notiz davon genommen haben. Schwelgt ihr mit der Pfeffibar dann auch ein bisschen in Nostalgie?
Ostalgie sagt der Ossi! Aber: Jein. Klar ist Pfeffi irgendwie typisch Ost, aber das war nicht der Grund, warum wir uns damals für Pfeffi entschieden haben. Wir wollten eher einen Likör als z.B. Vodka oder andere hochprozentige Sachen. Die Fans sollen ja feiern und nicht reiern. Pfeffi trinkt irgendwie auch jeder und so war das damals ziemlich schnell beschlossen.

Wie sehen die nächsten Ziele für dieses Jahr aus? Was erwartet das Pseudokrupp Project und natürlich auch die Fans?
Wir wollen natürlich gerne noch ein paar Konzerte spielen und freuen uns auf die neue CD-Veröffentlichung. Wenn wir da ein ungefähres Datum haben, werden wir uns auch intensiv mit der Planung beschäftigen. Unsere Bookerin Tina ist schon an ein paar Sachen dran und ich hoffe, dass wir dieses Jahr noch ein wenig durch die Republik tingeln. Es wird neues Merch geben und natürlich auch wieder ein Video zum Album. Dann habe ich auf einer alten Festplatte gerade nie veröffentlichte Songs aus den Jahren 2013-2015 gefunden. Die werden wir im Laufe des Jahres mit einem Downloadlink, als kleines Dankeschön für die Fans, gratis online stellen. Ansonsten freuen wir uns auf alles, was kommt und auf ein paar Pfeffis mit unseren Fans!

|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.05.23 | KONTAKT | WEITER: OPERA MULTI STEEL VS. SUNDL>

FOTOS ©  STEPHANIE OPITZ

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