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RUFUS WAINWRIGHT VS. ROME: SHAKESPEARIANER UNTER SICH

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Als vor 400 Jahren William Shakespeare in der Holy Trinity Church zu Stratford-upon-Avon zu Grabe getragen wurde, hatte er den Ruf eines Popstars im heutigen Sinne. Doch nicht nur seine Stücke, auch sein mysteriöses, weil nie komplett dokumentiertes Leben, bietet bis in die Gegenwart hinein genügend Stoff für abenteuerlustige Sprachwissenschaftler und Literatur-Exegeten. Mag es auch noch so viele Sagen und Vermutungen, Verschwörungen und Widersprüche geben, bleibt ein Faktum wie in Stein gemeißelt: Kein anderer Schriftsteller besaß einen derart großen Wortschatz.

Shakespeares Talent bestand darin, sowohl derbe Gossensprache als auch höfische Artikulation oder politische Termini glaubhaft zu verwenden. Mit anderen Worten: seine Figuren besitzen Authentizität. Sie fühlen, leben, lieben und hassen in ihren sozialen Milieus und mit einem bis dahin nie gekannten, archaischen Ausdruck.


Die prosaische Kraft seiner Stücke indes bereitet vor allem hierzulande Kopfzerbrechen. Zwar gelten die Schlegel-Übersetzungen nach wie vor als annähernd gelungen, lassen auch sie jedoch viel von dem Original-Wortwitz links liegen – vielleicht, weil eine adäquate Translation unweigerlich mit Reibungsverlusten verbunden sind. Um so erstaunlicher daher der Umstand, dass sich Rufus Wainwright auf seiner aktuellen Platte "Take All My Loves", einer Vertonung von neun Shakespeare-Sonetten, auch für eine deutsche Variante entschieden hat (ob sein deutscher Lebensgefährte Jörn Weißbrodt da die Finger im Spiel hatte, fällt natürlich in den Bereich des Spekulativen).

"All dessen müd", Sonett Nummer 66 in der Sammlung, beweist aber vor allem eines: Rufus Wainwright hat sich für die Auseinandersetzung mit dem englischen Dichterfürsten in keiner Weise von seiner sprachlich wie geschichtlichen Strahlkraft abschrecken lassen. Ungezwungen und frei stellt er die in Deutschland eher
leidlich bekannten Poeme in seine Dienste und macht "Take All My Loves" zu einem "Best Of" in dreierlei Hinsicht: als anspruchsvolles Tribut an den britischen Nationalhelden sowie als Wainwrights persönliche Zusammenstellung seiner Lieblingssonette und als konzentrierte Raffung des musikalischen Verständnisses des US-Kanadiers, der sich im Pop ebenso zuhause fühlt wie in der Klassik.

So verwundert es nicht, dass die Gastsänger und -sprecher (den Kompositionen steht das gesprochene Pendant voran) ebenfalls aus allen Ecken und Enden der Kunst zusammengetragen wurden. Auf "Take All My Loves" trifft die österreichische Sopranistin Anna Prohaska auf Pop-Chanteuse Florence Welch und "Captain Kirk" William Shatner (der sich übrigens bereits an anderer Stelle als leidenschaftlicher Rezitator und Sprecher empfohlen hat).

Dieses unerwartete Klassentreffen der Shakespearianer funktioniert jedoch wunderbar. Prohaskas leidenschaftliche Intonation transportiert nicht nur die überbordenden Gefühle, sondern auch Shakespeares Witz, der sich wie ein Schattenmann am Straßenrand in seinen Gedichten aufhält und den man nur kurz im fahlen Laternenlicht vorbeihuschen sieht. Und Florence Welch lässt juvenil-unbeschwerte Gefühle aufkommen, wenn sie "When In Disgrace With Fortune And Men's Eyes" vorträgt.

Dazwischen singt Wainwright natürlich auch selbst, und sein zarter Schmelz in "Take All My Loves" wird von unverschämt eingängigen, elektronisch unterfütterten Streicherarrangements begleitet. Wer als Connaisseur des Multitalents stilistische Parallelen mit den Stücken aus seiner glorreichen "Want"-Ära erkennt, tut dies nicht zu Unrecht. Marius de Vries
, damals maßgeblich an dem zwei Alben umfassenden Zyklus beteiligt, legt auch hier magische Hand an. Ganz klar: "Take All My Loves - 9 Sonnets" ist ein mannigfarbenes Potpourri.

Von Indie-Pop ("A Woman's Face") über Operetten-Anleihen ("For Shame") bis hin zu cineastischen Kompositionen ("Unperfect Actor") legt Rufus Wainwright, der mit elisabethanischer Würde aus dem Cover blickt (auch hier sitzt sein Scherz am rechten Fleck), die verschiedenen Facetten des großen Schriftstellers und Wortakrobaten offen und zeigt einen weniger bekannten, aber nicht minder berauschenden Shakespeare.

Nicht nur die Sonette gehören zu den leicht vernachlässigten Diamanten, die im Schatten großer Komödien und Tragödien ihr Feuer kaum entfachen können. Auch politische Theater-Stücke sind ein wenig der Vergessenheit anheim gefallen. "Coriolanus", Shakespeares letztes, fast schon nüchtern verfasstes Römerdrama von 1608, widmet sich dem gleichnamigen, ambivalenten Feldherr und Politiker, in der sich Hybris und Opportunismus zu einem für den Protagonisten todbrigenden Cocktail vereinen.

Dass Jérôme Reuter dieses Stück als Inspirationsquelle für sein aktuelles Album dient, verwundert nicht, beackert er mit seinem Dark-Folk-Projekt Rome seit jeher politisch-philosophische Fragen. So ist "Coriolan" auch eine gedankliche Weiterführung des bombastischen "Die Aesthetik der Herrschaftsfreiheit", welches seinerzeit höchst anspruchsvoll auf drei CDs in aller Breite ge- und erdacht wurde. Dieses Mal liegt aber in der Kürze die Würze: Das Mini-Album fällt mit acht Stücken und einer Spielzeit von einer knappen halben Stunde recht überschaubar aus.

Was vielleicht der einzige Wermutstropfen ist, denn die klangliche Intensität, mit der Rome "Coriolan" eingespielt haben, kann nur mit einem Wort umschrieben werden: grandios. Das Projekt
vereinigt mit seinen, das Album umschließenden, verwaschenen Loops ("Investiture", "Funeratio") ihre frühen Jahre mit einer neuen stilistischen Ausrichtung, die sich vor allem in "Fragments" zur einer prachtvoll schwarzschimmernden Blüte entfaltet. Jémes angezerrtes Organ, fordernde Post-Punk-Gitarren und schweres Schlagwerk vereinigen sich zu einem eingängigen Stück, das in dieser Form nicht von dem Musiker, der eher in bedächtig-schweren Kompositionen zu finden ist, zu erwarten war.

Auch wenn das Titelstück zunächst die alten Tugenden aufruft und mit flirrender Akustikgitarre eine entfernte Lagerfeuerromantik aufkommen lässt
, endet es mit massiven Bläsern und mächtigen Pauken geradezu wagnerianisch. Schließlich entlässt uns Rome taumelnd vor Glück ob der atmosphärischen Dichte mit "Der Krieg". Das lässt zwar martialisches Lied- und Gedankengut vermuten, ist aber tatsächlich ein mahnender Appell an Humanität und Besonnenheit – in Zeiten politisch-gesellschaftlicher Turbulenzen, wie sie momentan überall zu erfahren sind, ein wichtiger Beitrag. So wie Jérôme auf dem Cover aus dem Halbschatten auf einem Soldatenfriedhof in die Kamera blickt, so klagt das Stück all jene an, die sich beteiligen an "der Völker grausamstes Spiel".  

Auch vier Jahrhunderte nach dem Ableben des omnipräsente
n Schriftsteller berufen sich Künstler aller Couleur auf Shakespeares Oeuvre  – sei es in Form direkter Adaption wie im Fall von Rufus Wainwright oder als veritabler Ideengeber, der wie bei Rome die eigene Schaffenskraft beflügelt. In diesen beiden Fällen führt die Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Großmeister zu fruchtbaren und spannenden Ergebnissen, die zwischen Kitsch, Klassik, Pop und Rock changieren, aber in jedem Fall wahrhaftig und erfreulich ungezwungen ausfallen. Denn genau das ist es, was Shakespeare ausmacht: seine Freude an der kunstvoll geklöppelten, musikalisch gefärbten Sprache, deren Kraft nicht nur Zeiten und Moden übersteht, sondern sich allen Genres und Stilen perfekt anschmiegt. Und das, so scheint es, noch für mindestens weitere 400 Jahre.
||TEXT:   DANIEL DRESSLER  | DATUM: 17.5.16 |    KONTAKT  |  WEITER:  KURZ ANGESPIELT 4/16>

Webseiten:
www.rufuswainwright.com

www.facebook.com/romeproject


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COVER © DEUTSCHE GRAMMOPHON/UNIVERSAL MUSIC (RUFUS WAINWRIGHT), TRISOL/SOULFOOD (ROME)


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