POKEMON REAKTOR: FAT SHOW IN VETSCHAU - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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POKEMON REAKTOR: FAT SHOW IN VETSCHAU

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Es läuft alles anders bei Pokemon Reaktor. Das bekommt man auch als Autor dieser Zeilen zu spüren. Wo die meisten Bands sich allenfalls damit begnügen, digitale Versionen ihrer Werke zukommen zu lassen, schicken die "Poki's", wie sie sich selbst nennen, eine gebrannte CD ihres aktuellen Albums "Vetschau", hübsch von den Mitgliedern unterschrieben und mit dem Zusatz "Porno äh Promo" versehen. Und auf die Frage nach einem Foto der Mitglieder für diesen Artikel erhält die Redaktion nebenstehendes Bild mit dem Kommentar, das Bandfotos überbewertet seien.

Dabei verstecken sich Pokémon Reaktor gar nicht hinter ihren japanischen Glubschaugenmonstern, sondern haben sie lediglich als stetige Wegbegleiter und knuffige Maskottchen im Schlepptau. Dank des weltweiten Netzes und einer ziemlich bekannten Online-Videoplattform kann man die Menschen hinter dem Reaktor begutachten. Und sofort fällt auch da auf: diese Truppe ist nicht nur auf Spaß, sondern auch auf Anarchie gebürstet. "EBM kommt für uns aus dem Punk. Wer daran zweifelt, sollte sich mit einschlägigen Publikationen oder Zeitzeugen auseinander setzen", erklärt Sänger Schmu van der Kröt, der sich um genretypische Evil-Attitüden oder Militär-Chic ebenso wenig kümmert, wie um die marketingstrategisch nicht unrelevanten Vorteile eines professionell gedrehten Videoclips. So sieht man den Frontmann in einer textilen Montur zwischen HipHop-Gangsta-Style (stilecht mit Riesengoldkette) und ultra Fußball-Fan. Die Videos werden wahlweise spontan in den eigenen vier Wänden ("War"), an einem öffentlichen Kinderspielplatz ("Anal Way 2 Life") oder auch mal auf einer Autofahrt ("Steam, Pressure Drill & Kick It") abgedreht.

Ein bisschen Spaß muss sein, findet auch Schmu. "Was dieser Szene fehlt, ist körperliche Bewegung, Humor und Allgemeinbildung. Damit meinen wir die düstere Szene als gesamte Gruppe." Das Feindbild für die elektronische Sparte hat er schnell ausgemacht. "Dieser Kraftwerk-Mythos geht einem tierisch auf den Keks. Dazu kann man weder pogen noch wild sich gegenseitig die Kau- und Sprechwerkzeuge polieren. Kraftwerk ist Ökostrom, DAF dagegen ist pures Uran. Das faszinierte den kleinen Schmu in seiner Kindheit. Und besonders im Ur-Berliner steckt ja der Punk schlechthin. Das reduzieren wir jetzt nicht auf einen Stadtteil, der per Sonderzug angesteuert wird. Berliner Mundart, Humor und der Hang zur rotzigen bzw. ungehobelten Lebenseinstellung sind zufällige Blaupausen des frühen Punks. Hier liegen eindeutig die Wurzeln der Poki´s, herangewachsen in Ostberlin der Achtziger. Und eventuell ist der Name Pokemon Reaktor eine unbewusste Hommage an die Einstürzenden Neubauten."

"Vetschau" ist nach "Strahlsund" erst der zweite Longplayer binnen knapp sechs Jahren. Die Zeit dazwischen beschreibt Schmu so: "Mit dem Erfolg von 'Strahlsund' und der Positionierung in den Deutschen Alternative Charts machte sich innerhalb der Gruppe eine beklemmende Euphorie breit. Es wurde gemobbt und intrigiert, was das Zeug hält. Irgendwann kehrten einige Wegbegleiter den Poki´s den Rücken. Einige hielten sich für unverzichtbar und wollten Einfluss auf die Produktion und das Produkt nehmen. Den Vogel schoss aber die eine Keyboarderin ab, die die Präsenz der Poki´s auf den großen Festivals ausnutzte, um an einen daueralkoholisierten Sänger einer blutspritzenden Szene-Kirmestechnoband zu gelangen. Sie musste aber nach unzähligen Beischlafritualen zur Kenntnis nehmen, dass in dieser Band nur das Fake-Keyboard einen strammen Ständer hatte." Soso! Beziehungsweise: huiuiui.

Man mag diese Geschichte für bare Münze nehmen oder sie Schmus überbordender Phantasie zuschreiben. Wie dem auch sei: Seit Anfang des Jahres steht "Vetschau" nun zum Verkauf und präsentiert eine energigeladene, elektronische Körpermusik, die stark in der Alten Schule dieses Genres wurzelt. "Die Grenzen der Akustik und die Physik der Frequenzüberlagerungen und Auslöschungen sind für uns ein bezeichnendes Stilmittel", gibt sich Schmu nun etwas lehrerhaft. "Unsere Vorstellung war eine Emulation wie man sie in den semiprofessionellen Studios Ende der Achtziger vorfand, mit 8-Spur analog auf Kassette. Mit dieser Einstellung und Zielsetzung der Imperfektion haben wir im Sommer 2017 die 'Vetschau' vollenden können." Und diese "Imperfektion" klingt ziemlich perfekt. Eröffnet "Fat Show" noch ziemlich brachial mit schrammeligen Gitarren das Album, wandeln sich die Klänge in "Time Is Tickin'" und "Come Down" zu einem muskelbepackten Blubber-Electro nach Nitzer-Ebb-Vorbild und endet mit "Vetschau" fast schon poppig.

Und wie es sich bei Elektronik der härteren Gangart gehört, dürfen einige Kraftausdrücke nicht fehlen. Oder fehlen sie doch? Man ließt einen Songtitel namens "Phoque" und hört vo dem geistigen Ohr...sie wissen es schon, liebe Leser. Dabei ist alles ganz anders. "In fast jedem Song hört man das französische Wort für Robbe (phoque)", gibt sich Schmu ganz unschuldig, wird aber dann grundlegend. "Beim elektronischen Punk geht es ja auch nicht um Melodien oder herzergreifenden Gesang, sondern um eine Lebenseinstellung. Textlich verfolgen wir keinen roten Faden oder irgendein Konzept. Was uns gerade einfällt, wird auf die Festplatte gezwitschert."

Es dürfte mittlerweile eindeutig sein: Bei Pokemon Reaktor steht der Spaß im Vordergrund. Doch dieser muss auch erst einmal erkannt werden. "Fussballverrückte, Liebhaber regionaler Gepflogenheiten und Konflikte, sowie Freunde des sarkastischen Humors verstehen die Energie der Poki´s auf Anhieb. Leider wird dies von den Anhängern der politischen Korrektheit, Bahnhofsklatschern oder Mainstreamgruftis falsch interpretiert. Trägt der oder die dann noch eine Maas-Weitsichtbrille und leidet am Genderwahn oder Hofreiter-Syndrom, kannste gepflegt 'Gute Nacht' sagen. Ein Diskutieren oder Herleiten ist unmöglich, ein Perspektivwechsel ausgeschlossen. Leider schafft es diese Minderheit immer wieder, Leute zu verunsichern oder zu polarisieren. Was vielleicht in Konstanz geklappt hatte, scheiterte aber dann kläglich in Riesa, Berlin oder Greifswald." Damit spielt Schmu auf den Vorwurf an, eine rechte Band zu sein, was eben schon zum Auftrittsverbot und anonymen Drohungen geführt hat. "Wir sind genauso rechts wie Claudia Roth promovierte Akademikerin ist", so sein knappes Statement.

Bei allem beißenden Humor weiß Schmu aber auch um die Problematik der EBM-Szene, deren Anhänger eine Faszination für alles Martialische besitzen. "Kommunikation ist hier das Zauberwort, eine strikte Ausgrenzung aus politischer Ansicht ist der falsche Ansatz, um einen Konsens zu finden oder in eine sachlich-konstruktive Diskussion zu gehen. Das setzt natürlich auch eine gegenseitige Kompromissbereitschaft voraus. Die Marke 'EBM' existiert ja auch nicht mehr wie Anfang der Neunziger. Mittlerweile zählt Kirmestechno und Billig-Trance dazu. Und dieser blutspritzende Kirmestechno bedient hierbei ein Klientel innerhalb der Szene, das emotional schwer zu steuern ist. Das sehen wir als problematisch an. Das sind für uns die fragwürdigen Geschöpfe. Leute, deren Biografie du am Unterarm ablesen kannst. Leute, kaum die Volljährigkeit erreicht, die sich Bandlogos ins Fleisch schneiden um aufzufallen. Und textlich sind die sogenannten neuen 'EBM-Bands' auf dem Niveau eines Borderline-Forums, mit denen sich dann diese Leute identifizieren und ausleben. Sie werden da stehen gelassen und nicht abgeholt. Und die 'Fabrikanten' lassen sich in einigen Fällen in den sozialen Medien für ihre eigene Problematik (zum Beispiel Alkohol oder Minderwertigkeitskomplexe) vom jungen, naiven Publikum abfeiern. Höher, schneller, weiter. Ikarus winkt schon mal. Aber grundsätzlich gilt: Im Pogo sind alle gleich! Man kennt ja einige Leute, und es ist beeindruckend, wenn unwissend der Rechtskonservative mit der staatlich alimentierten Zecke während eines Poki-Konzert eng umschlungen 'Anal Way 2 Life' mitsummt. Das ist unsere Art Leute zu verbinden - anstatt sie zu stigmatisieren." Am Ende werden die Poki's uns eh alle "robben". Phoque you!

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.07.2018 | KONTAKT |  WEITER: KURZ ANGESPIELT 7/18>

Webseite:
www.facebook.com/PokemonReaktor


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COVER © BLACK RAIN ("STRAHLSUND"), POKEOMON REAKTOR ("VETSCHAU")
FOTO © POKEMON REAKTOR

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