1/16 HACKMONOCUT, DRALMS, FRAMHEIM, THE GIRL WHO CRIED WOLF: LIEBE AUF DEN ZWEITEN (DRITTEN, VIERTEN) BLICK
Manchmal können Alben ganz schöne Biester sein. Der Grund: Sie geben sich nicht sofort als das zu erkennen, was sie eigentlich sind. Nämlich amtliche Meisterwerke.
"The Sum Of My Parts" von der österreichischen Formation Hackmonocut ist solch ein Kandidat. Ein Drittel ihres zweiten Longplayers muss erst durch die Gehörgänge mäandern, bis "Dead Born Sister" das Oberstübchen mit violett-dunklem Licht tapeziert. Dieser stoische Basslauf, die angezerrten Gitarren und dazu der sinistre Gesang: Auch wenn der Bandname eher an frickeligen Elektronik-Sound für Berlin-Hipster und Techno-Yuppies erinnert, praktiziert die Formation um den herrlich hoffnungslos klingenden Sänger Daniel Hackmair einen tonnenschweren Melancholie-Rock, oftmals und gerne im schleppenden Dreivierteltakt gehalten. Zwar lassen "We Better Look Away" und "Used Love" noch ordentlich die Muskeln spielen - sie können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier die große Schwermut zum Schwoof einlädt. Hackmonocuts tönernes Vorbild indes ist schnell ausgemacht: "The Ripper (Gimme Back My Love)" könnte ein verschollenes Stück aus Nick Caves "Murder Ballads" sein, und "Love Letter" setzt thematisch auf den gleichnamigen Bad-Seeds-Song, ohne aber dessen Larmoyanz zu adaptieren. Und wie viele weitere Namen fallen als mögliche Referenzpunkte ein: Madrugada, Morphine, ja, gar die Doors könnten da herangezogen werden.
Doch jedwede Vergleiche sind nicht tragend genug, um "The Sum Of My Parts" gerecht zu werden. Und wo das Wort nicht mehr ausreicht, beginnt die Magie dieses Albums.
Für die aus dem kanadischen Vancouver stammenden Dralms und ihrem Debüt "Shook" gilt übrigens das selbe Procedere. Betulich gibt sich der Erstling über weite Strecken. Doch Lied Nummer Sieben, "Objects Of Affection", wird sicherlich all jene "abholen" (wie es die Juroren diverser Musik-Casting-Shows immer so hübsch formulieren), die eine Schwäche für das Saxofon besitzen. Dort quäkt es zwar nur kurz, aber so intensiv und nachhaltig wie nur möglich. Und plötzlich erscheint "Shook" in einem anderen Licht! Dralms-Chef Christopher Smith, der gesanglich entfernt an Jay Jay Johanson erinnert, kann aber mehr. Viel mehr! "Shook" nur auf den zarten Schmelz eines Blasinstrumentes zu reduzieren, wäre engstirnig und eindimensional gedacht. Schließlich verbindet das Album gekonnt psychedelische Rockmuster ("Domino House") mit rosa-wattigem Traum-Pop ("Usage"), eine nicht oft gehörte Liaison. Dabei verdichtet der Sänger seine Songs bis zum Maximum: Kaum eine Nummer dauert länger als vier Minuten und birgt so viele Stile und Ideen in sich, ohne aber theoretisch oder sophistisch zu klingen. Seine großen Momente hat das Werk, wenn sich wie bei "Divisions Of Labour" aus dem Nichts eine satte Synthesizer-Sequenz monolithengleich erhebt und den Raum bis in die kleinste Ecke mit Licht und Erhabenheit füllt. Dann wird einem klar, dass Dralms etwas Großes geschaffen haben, ohne nervös mit dem Zaunpfahl winken zu müssen.
Framheim aus Leipzig bräuchten das auch nicht tun. Sollten sie aber, angesichts der Tatsache, dass sie immer noch labellos sind. Das Trio aus Leipzig geht seit einiger Zeit mit ihrer EP "[w˄n]" hausieren - bislang ohne größere mediale Reaktionen. Dabei ist ihr Verständnis von elektronischer Musik ein höchst anspruchsvolles. Es setzt sich von jenen Gruppen ab, die meinen, mit ein bisschen zusammengekaufter Software und einem begrenzten Sangestalent die Nerven der Hörer zu strapazieren. Gerade mal vier Songs geben Framheim der Öffentlichkeit preis. Diese aber sind von solch einer Strahlkraft und bestechenden Schönheit, dass man kein Prophet sein muss, um zu erahnen, wie vielversprechend dieses Projekt ist. Allen voran Frontfrau Dorain verleiht der Gruppe durch ihre schwere Stimme ein Alleinstellungsmerkmal (in tiefen Lagen meint man gar, Annie Lennox zu hören). Überdies biedert sich "[w˄n]" in keinster Weise beim Publikum an. Zwar bringt "Closer" ein gewisses Maß an Tanzbarkeit mit sich, doch "Blossom", "Walk" und "Jarre" setzen auf düstere Stimmungsbilder und emotionale Innenschau. Das will erst einmal erschlossen werden, ebenso wie die Wahl ihrer Klänge. Hier gehen Framheim den Weg des größten Widerstandes: Anstatt vorgekauter Sequenzen, sucht das Dreiergespann nach neuen Tönen und Harmonien.
Dass hiesige Labels bei Framheim noch nicht Schlange stehen, ist fast schon unglaublich. Bitte signen!
Und wenn die Damen und Herren Plattenbosse gerade dabei sind, solide Bands für 2016 zu suchen: Auch unbedingt The Girl Who Cried Wolf berücksichtigen! "Ruins", das bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, zerreißt einem sprichwörtlich das Herz. Die Band aus Antwerpen schreiben nicht nur einfach Songs: Jedes der zehn Stücke berührt mit einem, wie von Absinth durchtränkten, Breitwand-Sound, der das Innere der charismatischen Sängerin Heleen Destuyer nach außen zu kehren scheint. Ihr leicht rauchiges Organ harmoniert perfekt mit dem tiefschürfenden Trip-Rock - tränenreiche Geigensätze inklusive. Selbst der helllichte Tag verdunkelt sich nach dem Hörgenuss von "Ruins" zusehends. Bis auf wenige Ausnahmen, wie dem energetischen "Silver", herrscht ein, unserer schnelllebigen Zeit entgegenwirkendes, lähmendes Zeitlupentempo, sodass die sägende Basslinie des Titelliedes noch wuchtiger erscheint und die leiernden Gitarren in "This Is Me" eindringlich von Verzweiflung künden. Vor allem in Belgien und den Niederlanden hat The Girl Who Cried Wolf viel positives Feedback erhalten. Hierzulande blieben die sirenengleichen Kleinode allerdings noch ungehört. Das muss sich ändern! The Girl Who Cried Wolf haben mit "Ruins" ein sensationelles Album kreiert, das zum Verweilen und Innehalten einlädt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 20.01.16 | KONTAKT | WEITER: BEBORN BETON: A WORTHY COMPENSATION >
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Cover © Hackmonocut, Fulltime Hobby/Rough Trade (Dralms), Framheim, The Girl Who Cried Wolf
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