PHILIPP HOCHMAIR & DIE ELEKTROHAND GOTTES "WERTHER!" VS. MIRA MANN "ICH MAG DAS": WORT ÜBER KLANG
Der Volksmund lehrt uns, dass ein Bild mehr als 1000 Worte sagt. Ist es aber andersherum nicht überaus spannend, die treffenden Worte für das zu finden, was einen berührt? Und damit vielleicht den Leser (oder Hörer) ebenfalls in Mark und Bein trifft?
[image:image-1]Das hat Johann Wolfgang von Goethe mit der Veröffentlichung seinem Briefroman "Die Leiden des jungen Werther" anno 1774 jedenfalls erreicht. Gleich einem Erdbeben erschütterte das Buch über den Rechtspraktikanten Werther, der sich in die bereits verlobte Charlotte unsterblich wie unglücklich verliebt, was ihn am Ende in den Selbstmord treibt, die Zeitgenossen. "Ganz schön Emo", würde man heute dazu sagen.
Immerhin hat dieses Musterbeispiel der Epoche des "Sturm und Drang" einige kontroverse Diskussionen entfacht. Konservative sahen in Werther einen morallosen Unruhestifter des Bürgertums, der zudem den Selbstmord glorifiziert und sensible Menschen damit beeinflusst (tatsächlich haben sich nach Erscheinen des Buches einige Menschen davon inspirieren lassen und den Freitod gewählt - darunter auch, wenngleich erst vier Jahre nach Romanveröffentlichung, Christiane von Laßberg, eine gute Bekannte von Goethe, was ihm sehr zugesetzt haben soll). Die überwiegend jungen Leser hingegen verehrten Werther geradezu kultig. Er wurde zum regelrechten Pop-Star seiner Zeit inklusive Merchandise: Es gab die "Werther-Mode", eine bestimmte Art von Kleidung, wie sie auch der Protagonist getragen hat, Teetassen wurden mit Szenen aus dem Roman bemalt, sogar ein "Eau de Werther" wurde kreiert.
Große Werke der Weltliteratur bestechen vor allem durch ihre Zeitlosigkeit. Selbst wenn der gesellschaftliche Rahmen ein anderer war, kann doch jeder die Leiden, die der junge Werther durchlebt, sehr gut nachempfinden. Spannend wird diese Geschichte vor allem aber dann, wenn sie in die heutge Zeit transportiert wird. Der österreichische Schauspieler Philipp Hochmair hat genau dies getan und sich mit seiner Band Die Elektrohand Gottes auf die Suche nach dem adäquaten "Werther-Sound" für das 21. Jahrhundert gemacht.
Herausgekommen ist "Werther!". Ein Statement mit Ausrufezeichen! Verdichtet und auf die Innenschau des vor Liebe und Leidenschaft rasenden Hauptakteurs ausgelegt, schickt der Mime und seine KLagfrickler den über alle Maßen fühlenden und gleichwohl belesenen Hauptakteur in unsere heutige Welt.
Aus den Briefen werden innere Monologe, die durch die psychedelischen Klänge, die Synthesizer und Gitarre liefern, zu einem halluzinogenen Road-Trip anschwellen. Hochmair nutzt dabei nicht nur seine eigene Erfahrung aus dem bereits bühnenerprobten Stück - immerhin hat er diese Version des Literaturklassikers bereits mehr als 1500 mal gespielt und 2003 eine reine Hörbuchausgabe eingesprochen - sondern setzt technische Hilfsmittel und die Musik als emotionales Vehikel ein.
Sätze wiederholen sich wie im Fieberwahn und hallen nach. Nonsensetexte, Wiener Schmäh und linguistisch moderne Versatzstücke werden der hochgeistigen Lekture entgegengestellt und versinnbildlichen somit auch die Gleichzeitigkeit unserer Epoche. Denn kaum in einer anderen Zeit könnten Goethes Aphorismen so folgenlos neben beispielsweise "Schnappi, das Krokodil" stehen. Unsere Sozialen Medien machen es möglich.
Doch vielmehr passt dieser Werther mit Ausrufezeichen in unser heutiges Leben, weil es sich um einen unglaublich egozentrischen Charakter handelt, der sich in den Mittelpunkt seiner Welt setzt und all sein Tun und das der anderen bewertet. Würde Werther heute als reale Person existieren, er würde sich schleunigst einen Instagram-Account zulegen und seine One-Man-Tragödienshow wirkungsvoll in Szene setzen. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht authentisch wäre.
Auf diesem schmalen Grat zwischen überpathetischer Gefühlsduselei und wahrer Emotion bewegt sich "Werther!" ziemlich sicher und schickt ein Stück Weltliteratur mit Karacho in die neuen sozialen Kanäle. Eine Impact wie bei der ersten Veröffentlichung des Romans von vor über 230 Jahren wird "Werther!" zwar nicht erreichen, aber Hochmairs Mischung aus Hörspiel und Performance lässt zumindest eine Ahnung zu, wie "weird" dieser Roman damals gewesen sein muss.
[image:image-2]Das unmittelbare Empfinden muss sich aber nicht in einer explosionsartigen Übersprungshandlung wie beispielsweise Werthers Suizid ausdrücken. Auch die blumig detaillierte Beschreibung jeder noch so kleinen Beobachtung der Natur, die bei Goethes Heißblut als Metapher für das unruhige Seelenleben herhält, vermag auch nicht mehr zu sagen, als das, was uns Mira Mann auf ihrer ersten EP "Ich mag das" in knappen Sätzen erzählt.
Denn auch bei ihr geht es um erste Begegnungen, erste Berührungen, erste Gefühle. Doch diese werden nicht markerschütternd und blumig beschrieben, sondern auf die Unmittelbarkeit des Moments eingedampft. Statt Pauken und Trompeten, ertönen bei Mira Mann leiernde Soundscapes, surreale Klanggebäude und sperrige Rhythmuscollagen, die sich auf den Moment des Kennenlernens konzentrieren und dabei die komplette Umwelt aussperren und den Schlüssel gut versteckt halten.
Es ist eine überraschendes Werk, das uns die Münchnerin hier präsentiert. Schließlich ist sie als Bassistin und Sängerin der Band Candelilla eher einem lärmenden Post-Punk zugetan. Ihre fragmentarisch niedergeschriebenen Beobachtungen über zwischenmenschliches Verhalten bleiben allerdings bestehen, sind Markenzeichen einer im literarischen Kontext selbstbewusst agierenden Frau, die in Ludwig Abraham zudem noch einen kongenialen Partner für die klangliche Unterfütterung ihrer Poeme gefunden hat.
Da wird selbst ein Date irgendwo in der Stadt mit einem mitgebrachten Fläschen Rosé zu einem intimen Moment, der aber gleichzeitig ein Scheitern in sich birgt, das nachfolgende "Du bist auch traurig" intensiviert noch einmal diesen Moment von der fürchterlichen Einsamkeit in der Zweisamkeit.
"Fehler, Träume, Angst und Liebe" zählt Mann im abschließenden, vergleichsweise anschmiegsamen "Einfach" auf und gibt schlaglichtartig das Spannungsfeld ihrer Poesie preis. Bei "Ich mag das" gleiten die Momente des Zusammentreffens in einen somnambulen Zustand, der es den Protagonisten ermöglicht, sich selbst und ihre Emotionen zu begutachten. Sie werden zu den eigenen Regisseuren ihrer Leidenschaft. Ein interessanter Aspekt, der teilweise kafkaeske Zustände erreicht, in dem man nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden kann.
Für einige mag so eine metaphysische Auseinanderstzung zu sehr nach schwarzweißer Arty-Farty-Arte-Dokumentation klingen. Der Einfachheit halber aber will der Autor dieser Zeilen den Titel der EP als conclusio nutzen: Ich mag das.
In jenem Moment, wenn Wörter gesprochen werden, gehen sie in die Welt hinaus und führen zu Reaktionen, welcher Art auch immer. Wenn sich dazu dann noch Klänge und Rhythmen gesellen, können Eindrücke verflachen oder vertiefen. Bei Philipp Hochmair und Mira Mann gibt es dazu keine zwei Meinungen. Sie haben zwar das Wort über den Klang gestellt, aber dennoch befruchten sich beide Künste eindrucksvoll in ihren Werken und lassen eine tiefere Empfindung zu.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 12.11.19 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 9/19>
Webseite:
www.philipphochmair.com
www.elektrohand.com
www.dq-agency.com/dq_artists/mira-mann/
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