A FLOCK OF SEAGULLS "REMIXES & RARITIES": TREND MEETS TALENT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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A FLOCK OF SEAGULLS "REMIXES & RARITIES": TREND MEETS TALENT

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Im oscargekrönten Musical-Streifen "La La Land" spielt in einer Szene eine Coverband bei einer Pool-Party immergrüne 80er-Nummern. Am Keyboard: Hauptakteur Ryan Gosling. Nachdem "Take On Me" verklungen ist und der Sänger nach weiteren Vorschlägen fragt, tritt Mia Dolan (Emma Stone) vor: "I Ran" von A Flock Of Seagulls sollte gespielt werden. Die Band tut, wie ihr geheißen. Die Leute feiern.

Dieser Filmausschnitt belegt zweierlei: Erstens wird dieser Song auch in seinem 36. Jahr immer noch als fester Bestandteil des goldenen Pop-Jahrzehnts angesehen. Zweitens zeigt er, dass die britische New-Romantic-Truppe eine der wenigen waren, die es auch in Amerika zu veritable Gassenhauern gebracht haben.

Bei dieser Karriere hatte vor allem Gevatter Zufall eifrig seine Hände im Spiel. Beispielsweise war die Frisur vom Frontmann und Keyboarder Mike Score ein ugewolltes Ergebnis. Wie Ziggy Stardust wollte er aussehen, wirkte aber am Ende dann doch eher wie sein kleiner, grobmotorischer Bruder, der das erste Mal mit Haarspray rumhantierte. Und das, obwohl Score selbst als Friseur zuvor sein Lebensunterhalt verdiente. Doch anstatt das ganze Malheur zu korrigieren, wurde es zum auffälligen Markenzeichen des Sängers: federig hochtoupierte Haare an den Seite, in der Mitte glatt nach vorne und zu einer Tolle gestylt, die ein Auge verdeckt. Die New-Romantic-Jugend, damals für jede modische Schandtat zu haben, fand einen neuen Trend, dem sie bereitwillig nacheiferten.


Ein weiterer Zufall war das Video zu "I Ran". Es war eine kostengünstige und wenig professionelle Arbeit. Aber der amerikanische Seder MTV stand am Anfang seines Daseins und hatte das Problem, über nicht genug Material zu verfügen, um die ganzen Sendungen vollzukriegen. So griffen sie auch zu diesem eher unfreiwillig komischen Machwerk, das nicht nur Scores eigensinniges Frisurenverständnis, sondern dankbarerweise auch einen der schönsten Pop-Songs ever der amerikanischen Jugend näherbrachte.

Denn wie sehr auch das Outfit der Jungs "over the top" gewesen sein mag, und wie sehr sie auch gerade deswegen geliebt oder gehasst wurden, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass A Flock Of Seagulls eine Vereinigung respektabler Musiker war, die eine klare Klangästhetik vor Augen hatten und sie auch umzusetzen wussten - zumindest in ihrer Frühphase.

Die nun erschienene Doppel-CD "Remixes & Rarities" spürt noch einmal die Magie des singenden Frisuers und seinen übrigen Fashion-Victims nach. Über "I Ran", "Wishing (If I Had A Photograph Of You)" oder "The More You Live The More You Love" noch irgendwelche Wörter zu verlieren, kommt dem Tragen der Eulen nach Athen gleich. Konzentrieren wir uns daher auf die wesentlich interessanteren, weil wenig gehörten Nebenschauplätzen, die teilweise erstmals auf CD veröffentlicht werden.

Der "Space Age Love Song" mag einigen noch im Gehör sein, aber spätestens mit dem Instrumental "Rosenmontag", der B-Seite der wesentlich düsteren Single "Nightmares" wagte sich die Möwenschar in deutlich exerimentellere Gefilde. Aliengesänge, jede Menge Samples und ein unbeirrt durchlaufender Rhythmus weichen von der sonst eher harmonischen Melange aus unterstützender Elektronik und ätherischem Gitarrenspiel deutlich ab. In der Bearbeitung ihrer Hit-Singles zeigten sich A Flock Of Seagulls ebenfalls nicht zimperlich, wie der Full Moon Mix von "The More You Live The More You Love" belegt. Das Stück wurde in seine Einzelteile zerlegt und nur einige Versatzstücke des Original verwendet, um einen wesentlich konzentrierteren, tanzflächentauglichen Track entstehen zu lassen.

Gerade in dieser Zeit gehörte es aber quasi zum guten Ton, auf den Rückseiten der Singles und Maxis einige gewagte Spielereien zu kredenzen. Es war wie ein indirektes Kräftemessen der Bands um die interessantesten Non-Album-Tracks. AFOS konnte da einiges in die Waagschale werfen. Allen voran das sphärische Instrumental "The Last Flight Of Yuri Gagarin", ebenfalls von der Auskopplung "Nightmares" entfaltet eine ungeahnte Sogwirkung, die noch einmal das optimistische Raumfahrtzeitalter der 1950er Jahre in Noten packte - wie so viele Stücke der Briten Ideen eines positiven Futurismus tragen.

Daneben finden sich auch Live-Mitschnitte von "I Ran", "Space Age Love Song" und "Traveller", letzteres ein Juwel von einem Popsong. Sie alle sind nicht nur eine sehr getreue Wiedergabe der Studioversionen, sondern auch der Beweis dafür, dass die Band scheinbar mühelos den hohen Standard ihrer Produktionen auf die Bühne ohne Qualitätsverlust transprotieren konnten. Scores Stimme sitzt fest und sicher, und das markante Gitarrenspiel von Paul Reynolds drückt den Kompositionen seinen Stempel auf.

Das war vielleicht auch der Grund, warum "Heartbeat Like A Drum" und "Who's That Girl (She's Got It)", die letzten Singleveröffentlichungen vor dem Ende der Band anno 1986, deutlich von den früheren Stücken abfielen. Hier war Reynolds schon nicht mehr mit von der Partie und eine kongeniale Gruppe auseinandergerissen worden. Die Lieder wie auch das gesamte letzte Album "Dream Come True"wendete sich zwar noch deutlicher zum Pop hin, wurde aber letzen Endes ein höchst beliebiges Werk, das nicht mehr an die drei ersten Alben anknüpfen konnte.

Mike Score tritt übrigens immer noch auf. Mit Glatze und wechselnden Musikern. A Flock Of Seagulls bleiben ein Produkt ihrer Zeit, das nur während des New Romantic hatte existieren können. "Remixes & Rarities" bringt noch einmal, gepaart mit einem kurzen Abriss ihrer Entstehungsgeschichte im Booklet sowie einen Überblick über den gesamten AFOS-Backkatalog, dieses Gefühl unbeschwerter und gleichzeitig substanzieller Popmusik zurück.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.03.17 | KONTAKT | WEITER: K.FLAY VS. CANDELILLA VS. LAURA SCHEN>

Webseite:
www.myspace.com/aflockofseagulls


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COVER © CHERRY RED/ROUGH TRDADE

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