ACHIM REICHEL: "EIN ABGESCHLOSSENES KAPITEL AUS MEINER MUSIKALISCHEN SCHAFFENSZEIT HATTE SICH SELBSTÄNDIG GEMACHT" - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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ACHIM REICHEL: "EIN ABGESCHLOSSENES KAPITEL AUS MEINER MUSIKALISCHEN SCHAFFENSZEIT HATTE SICH SELBSTÄNDIG GEMACHT"

Im Gespräch

Achim Reichel hat seinen eigenen Kopf. Als Mitbegründer der Rattles holte er in den 1960ern den Beat von England nach Deutschland, nur um ihm kurze Zeit später Lebe wohl zu sagen und als deutschsprachiger Sänger eine veritable Solo-Karriere hinzulegen. Doch bevor dies geschah, tobte er sich rund fünf Jahre lang musikalisch aus - mit seinem Experimental-Projekt A.R. & Machines, dessen komplette Werkschau als "The Art Of German Psychedelic 1970-74" mit teilweise unveröfentlichtem Material auf 10 CDs wiederveröffentlicht worden ist. Und das, obwohl Reichel selbst schon gar nicht mehr A.R. & Machines auf dem Schirm hatte. Aber die vielen Fans.

Hallo Achim, A.R. & Machines zählt nicht unbedingt zu den bekanntesten, wiewohl aber zu den interessantesten Projekten, die Du je gestartet hast. War dieser psychedelische Krautrock die konsequente Fortentwicklung Deiner Karriere nach dem Ende bei den Rattles?
Ich denke, dass man es so nicht sehen kann. Bei den Rattles ging es extrovertiert und körperbetont zur Sache, während A.R. & Machines sich eher von spiritueller Innerlichkeit leiten ließ.

Die Zäsur Deiner Rattles-Karriere ist auch der Wehrpflicht geschuldet, die Du damals ableisten musstest. Wie wäre es gewesen, wenn Du davon befreit gewesen wärst? Hättest Du als Beat-Musiker weiter Karriere gemacht oder war für Dich schon damals klar, dass dies nie von Dauer sein wird?
In der Nachsicht bin ich nicht unfroh über diese Zäsur mit der Wehrpflicht. So ist mir die Erfahrung erspart geblieben, nach einigen weiteren guten Jahren mit den Rattles, dem engen musikalischen Gestaltungsraum nicht mehr entfliehen zu können. Als Lebensperspektive schien es mir weniger geeignet.

A.R. & Machines erschien in einer bewegten Zeit, die nachfolgende Generationen nur noch durch mannigfaltige Fernsehdokumentationen kennen. Waren die späten 1960er und frühen 70er wirklich so freigeistig, so offen? Oder glorifiziert man heutzutage die Vergangenheit?
Ich war Anfang der 70er noch keine 30 Jahre alt. Irgendwann wurden daraus die "guten alten Zeiten". Wohl auch, weil es damals Träume gab, die es wert waren, geträumt zu werden. Für mich gehörte auch eine gewisse Experimentierfreude dazu, die mich zu neuen Ufern brachte.

Das erste Album hast Du "Die grüne Reise" getauft. In Verbindung mit Deinen meditativen bis trancigen Klängen, die Du Deiner Gitarre entlockst, erscheint vor meinem geistigen Auge ein saftig grünes Marihuana-Blatt...
Da lässt dich dein geistiges Auge nicht in Stich. Das, was früher ein Tabu war, ist heute weniger der Fall.

Um das Drogenthema etwas in den Kontext der Zeit zu rücken: Wie "normal" war damals die Präsenz bewusstseinserweiternder Substanzen in der Musikbranche? Gerade die Hippie-Bewegung wird mit LSD und Marihuana wie selbstverständlich in Verbindung gebracht und man hat auch einiges von Musikern gelesen dazu.

In künstlernahen Kreisen, egal ob in der Literatur, den bildnerischen Künsten oder bei den Musikschaffenden, wurde seit je her ein freierer Umgang mit "Dope" gepflegt und sollte niemand mehr in Erstaunen versetzen. Heute scheint es mir gesamtgesellschaftlich "normaler" geworden zu sein als es damals war.

Erstaunt haben mich die Namen der Songs: "Aufwärmen im Vogelkäfig", "Meerjungfrauen im Whiskeyglas", "Warum Peter nur noch Ferien macht". Sind sie auch aus einer haschumwölkten Laune heraus entstanden?
Die Titel der Tracks sind nach expressionistischer Sichtweise gewählt. Sie sollen sich dem Rationellen entziehen, sind realitätsüberschreitend. Ich hätte die Titel auch durchnummerieren können. Schien mir aber, auch ohne Haschumwölktheit, deutlich langweiliger zu sein.

Es war ja mehr ein Zufall, wie Du auf diese "Soundlandschaften" gestoßen bist, nämlich durch "falsches" Bespielen Deines damals neuen Bandgerätes. Heutzutage sind solche experimentellen Fehler meines Erachtens durch die vollständige Digitalisierung der Aufnahmetechnik eigentlich kaum mehr möglich. Schränkt das auch nicht ein bisschen die künstlerische Freiheit im Vergleich zu früher ein?
Wo neue Freiheiten entstehen, gehen andere verloren. Da gilt es, die Vorteile gegen Nachteile abzuwägen.


Gehen wir kurz auf das erste Album ein. "Die grüne Reise" zitiert ja auch angloamerikanische Popkultur wie in "A Book Blues". Doch wie sehr würdest Du dieses Album als "deutsches" Album bezeichnen? Immerhin stehst Du mit dem Kraut-Rock-Sound in einer Reihe mit Tangerine Dream oder den frühen Kraftwerk (die damals noch als Ralf & Florian begonnen haben)...
Obwohl mein Vater ein Schweizer war, ist es zweifelsfrei ein "deutsches" Album. Wenngleich weniger "typisch deutsch", als es zum Image von Kraftwerk gehört. Bei mir spielte die Technik eine andere Rolle und eröffnete mir die Welt der Loopings. Mein Bestreben war es eher, eine eigene musikalische Sprache zu finden.

Kannst Du Dich noch an die ersten Reaktionen von Fans oder Presse erinnern, als "Die grüne Reise" herauskam?
Auch der deutsche Musikjournalismus steckte in den frühen 70ern noch in den Kinderschuhen. "Die grüne Reise" passte zum Zeitpunkt des Erscheinens in keine der gegebenen Schubladen und hatte es damit schwer, positive Erwähnung zu finden. Mein in den 60er Jahren entstandenes Image sorgte zusätzlich für Irritation. Dass ein junger Künstler in seiner Entwicklung steckte und dieser Prozess für Überraschungen sorgte, war manch einem zu radikal und widersprach den Erwartungen marktkompatibel zu sein.

Was hat Dich letzten Endes dazu bewogen, nach mehr als 40 Jahren den A.R. & Machines Katalog wieder zu veröffentlichen?
Weil A.R. & Machines, nachdem ich mich von diesem Projekt längst verabschiedet hatte, einen späten, dafür aber um so kräftigeren Widerhall in der internationalen Musikpresse fand. Parallel dazu erreichten mich im Laufe der Jahre hunderte von E-Mails, in denen nach Wiederveröffentlichung gerufen wurde. Ein abgeschlossenes Kapitel aus meiner musikalischen Schaffenszeit hatte sich selbstständig gemacht, war zeitlos geworden und traf bei nachwachsende Generationen auf reges Interesse. Beste Voraussetzungen für eine Gesamtschau  von A.R. & Machines, dessen Einzigartigkeit den Beweis für ungeahnte Überlebensqualität mit sich brachte.

Schließlich gipfelte die Reanimierung von A.R. & Machines in einem Auftritt in der neu errichteten Elbphilharmonie. Ein Ritterschlag für Dich?
Für mich war dieser Abend ein wahrlich großes Geschenk, für meinen Weg "vom Star Club bis in die Elbphilharmonie" hab ich diesen Ritterschlag gern entgegen genommen. Obendrein wurde mein einst weitgehend unverstanden gebliebenes 70er-Jahre-Musikprojekt 45 Jahre später frenetisch bejubelt. Mir war, als hätte mich das Glück geküsst.

Welches Publikum hast Du vorgefunden? Nur alte Wegbegleiter oder auch neue, junge Gesichter?

Was ich vorfand, war ein ausverkauftes Haus, aber frag mich nicht nach Gesichtern. Mein musikalischer Beitrag bedurfte höchster Konzentration. Da lass ich mich ungern ablenken und studiere Gesichter. Was zählt ist die Performance.

Würdest Du sagen, die Menschen waren damals noch nicht reif für A.R. & Machines, sind es aber jetzt?
Das denke ich tatsächlich, wie anders sollte "das späte Echo" erklärbar sein?

Könntest Du Dir vorstellen, nochmal ein Album im Stile von A.R. & Machines aufzunehmen?
Solang es nur ums Vorstellen geht, ist alles möglich. Ich bevorzuge es, die Dinge auf mich zukommen zu lassen, und dann erst wägen wir ab...

||INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.11.17| KONTAKT | WEITER: NOYCE™ "LOVE ENDS">

Webseite:
www.achimreichel.de


FOTOS © HINRICH FRANCK, MATTI KLATT (PORTRAIT), HANS JÜRGEN DIBBERT (LIVEFOTO)


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