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DESERTER "EUROPA": ELECTRO-SCHENGEN-POP

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Der Traum eines geeinten Europas: Selten bröselt diese Idee vor unseren Augen weg wie in diesen Tagen vor der Europawahl. Nationale Alleingänge, Austrittsphantasien rechtspopulistischer Lager und eine zunehmend konservative Gesinnung in vielen Ländern erschweren ein vernünftiges, kooperatives Handeln auf kontinentaler Ebene.

Da kommt Deserters zweites Album "Europa!", eine musikalische Komplettverhandlung mit dem großen Konstrukt des internationalen Zusammenlebens und -agierens, gerade recht. Besteht doch nicht der Hauch eines Zweifels, welche Meinung dieses Ein-Mann-Projekt von Europa hat - und das bereits bevor man auch nur eine Note vernommen hat. Der Blick auf die blaue Flagge und das hinter den Titel gesetzte Ausrufezeichen positionieren den Musiker klar als Pro-Europäer: Für ihn ist dieser Staatenzusammenschluss eine der besten Errungenschaften der Menschheit.

Fast logisch also, dass der Titelsong als Eröffnungsstück musikalisch richtig vom Leder ziehen muss. Doch die Erwartungen einer positiven Grundeinstellung übertrifft Deserter bei Weitem. Die Titelnummer erhält durch die Vocoder-Stimme und der breiten Produktion etwas festliches, etwas euphorisches. Ja, es scheint gar so, als wolle er uns alle beschwören, die kommende Europa-Wahl zu nutzen, um unsere Stimme einer Partei zu geben, die den Gedanken einer schrankenlosen Gesellschaft vorantreibt. Als alternative Erkennungsmelodie der Eurovisions-Sendungen hätte dieses Lied ohne Zweifel seine Berechtigung (und wird in der neunminütigen Reprise am Ende des Albums noch einmal zu einem tönernen Prachtgebäude hochgezogen, der einen fast besoffen vor Freude zurücklässt). Noch mehr feiert "My Favourite Dream" den Gedanken einer internationalen Einheit, die alle Grenzen überwunden und staatliche Egoismen wie selbstverständlich über Bord geworfen hat.

Das übrigens ist der große Pluspunkt dieser Produktion: Sie liegt vor allem in seiner überraschenden Kombination. Der leichtfüßige, verspielte Synthie-Pop wildert ganz ungeniert auf dem Dachboden von OMD, Kraftwerk oder The Human League (und ganz entfernt auch Electric Light Orchestra) und schafft damit einen dynamischen Kontrapunkt zum eher schweren Thema EU. Das Album tut damit auch dem Genre einen großen Gefallen, da es eben nicht wie üblich Herzschmerz-Thematiken zum drölftausendsten Mal verhandelt, sondern das funkelnde Moment in den Kompositionen für die Betrachtungen auf das in seiner Grundidee höchst charmante Konstrukt Europa nutzt und den süßen Klängen, von Kritikern als zu seicht empfunden, eine gewichtigere Daseinsberechtigung schenkt.

Wo andernorts Zweifel und Unbehagen die Euro-Debatten beherrschen, feiert Deserter und spielt zum Tanz auf. Seine Wahrnehmung ist jedoch nicht komplett rosarot (oder in diesem Fall besser gesagt: euroblau). So treibt ihn in "Plan B Planet B" die Angst um, dass wir Menschen es nicht schaffen, mit den Ressourcen vernünftig hauszuhalten und Profit und Kapitalismus immer über das ökologische Wohlergehen steht. Aber es gibt eben keinen Plan B und erst recht keinen Planeten B. Nicht weniger mahnend das schleppend-glammige "(Everything Leads To) War", dessen Inhalt sich bereits im Titel erschließt. Sie bilden aber nur kleine Störfeuer in einem sonst hingebungs- und hoffnungsvollen Gesamtbild, das uns alle daran erinnern sollte, wie großartig doch die Idee Europa an sich ist, auch wenn es im Detail sicherlich noch Verbesserungen braucht.

Es besteht kein Zweifel, dass Deserter eine fast schon hippieesk zu nennende Vorstellung eines gemeinsamen, friedliebenden Europas besitzt, die in diesen Tagen allgemeinen EU-Bashings nur wenig populär ist. Doch der unendliche Optimismus auf "Europa!" ist dringend notwendig, um sich daran zu erinnern, warum in den 1950er Jahren der Versuch unternommen worden ist, diese Staatengemeinschaft ins Leben zu rufen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.05.18 | KONTAKT | WEITER: COLL. D'ARNELL-ANDRÉA VS. LIGHTHOUSE IN DARKNESS VS. GOING TO CATALUNYA>

Webseite:
www.deserter-music.com

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Cover © Mira Records

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