VIECH "NIEMAND WIRD SICH ERINNERN, DASS WIR HIER WAREN" VS. BUNTSPECHT "WER JAGT MICH WENN ICH HUNGRIG BIN": AUSTRO-ANTIPOP - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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VIECH "NIEMAND WIRD SICH ERINNERN, DASS WIR HIER WAREN" VS. BUNTSPECHT "WER JAGT MICH WENN ICH HUNGRIG BIN": AUSTRO-ANTIPOP

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In Österreich scheint alles immer ein bisschen skurriler als in Deutschland abzulaufen. Das zieht sich durch alle Bereiche des dortigen Lebens und macht natürlich erst recht nicht vor der Kunst Halt. Mit dem Ergebnis, dass es bei unseren alpenländischen Nachbarn nicht nur schmackhaften, weil größtenteils intelligenten Austro-Pop, sondern auch eine nicht weniger begabte Untergrund-Szene gibt.

[image:image-1]Dass die Jungs von Viech ihr Album "Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren" betiteln, ist eigentlich fishing for compliments oder augenzwinkerndes Understatement. Denn es handelt sich hierbei um die immerhin fünfte Platte, die das viechige Trio auf die Menschheit loslässt. Das spricht dann doch für ein gewisses Interesse seitens des Auditoriums.

Dieses trifft bei "Niemand..." nun auf eine Band, die nach dem vagabundösen Vorgänger "Heute Nacht nach Budapest" eine persönliche Innenschau wagt. Schließlich sind Sänger Paul Plut, Bassistin Martina Stranger und Schlagzeuger Christoph Lederhilger in den erlauchten "Ü-30-Club" eingetreten. Und wie so viele, machen auch Viech eine kleine Bestandsinventur und betrachten, was sie nach gut einem Dritteljahrhundert Verweildauer auf Erden erreicht haben - und was noch so alles geht.

Man kennt diese musikalischen Retrospektiven auch im Deutsch-Pop; sie sind sogar schwer en vogue. Allerdings läuft das ganze nach sehr gängigem Strickmuster ab. Wie bei einem piefigen Klassentreffen begegnet man alten Schulkameraden (Johannes Oerding: "Hundert Leben"), feiert um der guten alten Zeiten Willen in der gleichen Eckkneipe aus den 90ern (Revolverheld: "Das kann uns keiner nehmen") oder betrachtet die einzelnen Lebenswege der ehemaligen Weggefährten (Max Giesinger: "Die Reise").

Fast allen Songs ist der dröge Schnack gemein: "Früher war alles besser". In dieses Horn blasen Viech nicht, obgleich auch sie mit "Schneekanoneteich" eine kleine Story des Heimkehrers in den Schoß der Familie zum Besten bringt. Wo sich aber der deutsche Barde gerne mit flachen Zeilen auf Kalenderspruchniveau geradezu hilflos und ungelenk auszudrücken versucht, blickt das Dreiergespann schlaglichtartig auf einige Momente und lässt den Zuhörer die Geschichte am Ende selbst zusammenbringen. Da wird darüber sinniert, dass der alte Toyota noch anspringt und man am Ende der Feier mit einem Brummschädel bei der Oma sitzt. Es ist ein Song, der zwar wenig Glanz besitzt, aber menschliche Wärme ausstrahlt.

Mit einem Mal kommt dann auch die Erkenntnis, dass man "ein Erdapfel beim Obst" oder "ein runder Stein bei Tetris" ist. So bringt "Manchmal ist alles an mir falsch" den zweifelnden Mittdreißiger Plut mit geschmeidigen TripHop-Reminiszenzen und exquisiten Versinnbildlichungen hervor. Das ist existentialistischer Pessimismus, befreit von jeglicher Gefühlsduselei und konfromierter Sprache. Vor allem aber gelingt es Viech bei noch so zweifelnder Lyrik, nicht die Hoffnung zu verlieren und sich auch nicht all zu ernst zu nehmen.

Das markiert am Anfang und unmissverständlich "FAQ", ein Stück, das eben alle gemeinhin brennenden Fragen dieser Generation zusammenfasst: "Wo siehst du dich in 15 Jahren?" und "Werde ich ein guter Vater sein?" werden dabei mit Alltäglichem wie "Warum stimmt das Passwort nicht?" oder "Sollen wir getrennt bezahlen?" vermischt und so ihre fundamentale Wichtigkeit in Frage gestellt.

Schließlich will "Niemand..." keinen emotionalen Zuckerguss über ihre Songs träufeln. Dafür ist auch der kernige Indie-Rock mit markantenm 90er-Jahre-Touch viel zu direkt und Pluts Stimme zu reibeisig. Viech beobachten an der Mini-Bar des Lebens ihr eigenes Glück sowie Unglück und pflegen ihren Nihilismus mit liebevoll knorriger Attitüde.

[image:image-2]"Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren" - dieser Satz trifft bei den anderen Austro-Künstlern von Buntspecht sicherlich nicht zu. Immerhin hat es ihr in diesem Jahr erschienenes Album "Draußen im Kopf" in die Top-Ten der österreichischen Charts geschafft. Folgten die Jungs den marktüblichen Strategien, hieße das erst einmal: Füße ausstrecken und den durchaus überraschenden Erfolg genießen oder mit Auftritten in Funk undd Fernsehen sowie einer Konzertreise ihre Popularität am Laufen halten.

Tatsächlich sind Buntspecht schwer am Touren. Scheinbar reicht ihnen das aber noch nicht. Und so schafften sie es in der Zwischenzeit, ein weiteres Werk aufzunehmen. "Wer jagt mich, wenn ich hungrig bin", das die Band als "Halbum" bezeichnet, wendet dabei einen besonderen Kniff an. Die Platte besteht bewusst aus angedachten Songskizzen sowie Gedicht-Improvisationen im Poetry-Slam-Stil. Was bei anderen als eher lauer Aufguss mit einem faden Geschmäckle nach kommerzieller Ausschlachtung seiner eigenen Berühmtheit wirkt, ist beim Sextett die eindrucksvolle Zurschaustellung ihrer Kreativität, von dem das Sextett in ihren kleinen Fingern mehr zu besitzen scheinen, als manch hochdekorierter Kollege in seiner ganzen Laufbahn.

Wer sich vom Zauber ihres Vorgängers bereits vereinnahmen ließ, dem wird das gleiche bei "Wer jagt mich..." wiederfahren. Und das beginnt ohne Umwege mit "Mordlust", einem mollschwangeren, gleichzeitig humoresken Moritat für Piano und Streicher, ganz im Stil Wiener Morbidität über die Trauer des Protagonisten, dass sein Gegenüber sich zu einem hilfsbereiten Menschen verwandelt hat und nicht mehr der töten will. Und da öffnet sie sich wieder, diese verschrobene Buntspecht-Welt, in der sich die Realität selbst um die Ecke - ach was - um drei Ecken bringt, um zu schauen, was es noch so alles zu entdecken gibt.

Ganz so, als hätten André Heller und Bertolt Brecht ein Konzert der Dresden Dolls beigewohnt, danach eine Ausstellung von Salvador Dalí besucht und sich nachher mit etwas Absinth ins Studio verschanzt, verquirlen die Österreicher Klezmer, Kammerpop und Cabaret-Punk zu einer entrückten Klangerfahrung mit Texten, die sich ebenfalls allen gängigen Verständnissen und Eindeutigkeiten entzieht. Da wird in "Zebastreifen" aufgefordert, jene zu streicheln und zu umarmen; zuvor besingen die Jungs auf einem Bett aus Field-Recordings und weicher Akustik-Gitarre die "Schlüsselschlange". Und wenn jemand ein Kunstwerk mit einem Speichel benetzten Fingern berührt und "Gegenwind" verspürt, ist er von jenem überfordert.

Nichtsdestotrotz findet sich, bei aller Verschrobenheit und randvoller Gaga-ness, auf "Wer jagt mich..." auch eine moralische Quintessenz, die sich in einigen Momenten deutlicher zu erkennen gibt. "KompromisseN" ist so einer: In dieser beschwingten Nummer mit dem größten Pop-Appeal singen Buntspecht davon, sich anzuzünden und dann rauszugehen, um zu erfrieren oder zu explodieren, "aber nichts dazwischen". Man erinnert sich da an Klaus Kinskis fulminante "Jesus-Christus-Erlöser"-Tour, bei dem der exzentrische Schauspieler in die Rolle eines - ziemlich angepissten - Heiland schlüpft und auf sein Volk losgeht: "Wäret ihr doch wenigstens heiß! Oder wenigstens kalt! Aber ihr seid nur lauwarm, und ich spucke Euch aus." Grundlegend nicht anders sieht es da bei den Butspechten aus. Das Leben greifen, es mit allen Sinnen geniessen: Buntspecht plädieren dafür auf ihre Art und Weise

Wer sich noch an die - fälschlicherweise der Neuen Deutschen Welle zugeschusterten - Combo Foyer Des Arts mit seinem Edel-Satiriker, Nonsense-Lyriker und mittlerweile anerkannten Literaten Max Goldt an vorderster Front, erinnert, bekommt einen Ahnung davon, in welch skurrilem Fahrwasser wir uns bei Buntsprecht befinden. Diese Zeiten, als sich Deutsch-Pop auch mal getraut hat, herrlichen Blödsinn zu produzieren, "Wissenswertes über Erlangen" oder die Nachteile, die ein "Schimmliges Brot" mit sich bringt, zu besingen, gehören leider schon der Vergangenheit an. Dafür braucht es dann doch das lässigere Alpenvölkchen für so etwas.

Und wieder einmal fragt man sich, was der Grund ist, warum es in Sachen Pop- wie Subkultur bei unseren südländischen Nachbarn so viel schwungvoller und lustiger zugeht. Man muss wohl selbst Österreicher sein, um das zu verstehen. Dem "Piefke" bleibt momentan nur die Rolle des stillen Bewunderers.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 03.12.2019 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 10/19>

Webseite:
www.viech.org
www.buntspechtband.at

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Cover © Abgesang (Viech), Phat Penguin Records (Buntspecht)

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