PRINCIPE VALIENTE "OCEANS (DELUXE)", GOLDEN APES "KASBEK", SILVERMANNEN "MITT I BILDEN": ZWEITER LABEL-FRÜHLING - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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PRINCIPE VALIENTE "OCEANS (DELUXE)", GOLDEN APES "KASBEK", SILVERMANNEN "MITT I BILDEN": ZWEITER LABEL-FRÜHLING

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Wir erklären uns für schuldig! Und zwar im Sinne der Anklage, die da lautet: Befangenheit! Denn seit dem ersten Kontakt mit dem afmusic-Label waren wir hellauf begeistert von den schummrigen Klängen, die uns Chef Falk Merten in kurzen Abständen präsentiert hat. Auch wenn er seine Firma mittlerweile und ohne große Vorankündigung in Aenaos Records umbenannt hat, ist die Freude über die nächsten Outputs ungebrochen.

Zunächst beginnen wir aber mit einer Wiederauflage eines Meisterwerks: "Oceans" von Principe Valiente. Dieses bereits vor zwei Jahren erschienene Album besitzt für unser Magazin eine spezielle Bedeutung, hat es uns nicht nur diese wunderbare schwedische Band um den charismatischen Sänger Fernando Honorato nähergebracht, sondern auch das Interesse für das afmusic-Label entfacht, auf dem Principe Valiente ihre bislang drei Alben veröffentlicht haben.

Wie üblich mag man angesichts des überbordenen Einfallsreichtums auf Melodie-Ebene und dem allumfassenden Rauschzustands dieses Albums wieder in einem Dilemma stecken: afmusic (oder jetzt eben: Aenaos) mag als Label nicht die ganz große Reichweite besitzen, die es eigentlich benötigt, um diese Gruppe einem größeren Publikum bekannt zu machen. Andererseits könnte so ein "starker" Partner gleichzeitig in das Werk Principe Valientes hineinpfuschen. Und das wäre geradezu fatal.

Denn "Oceans" hält die Balance zwischen einer unnachahmlichen "Catchyness" ihrer Stücke, die sie zeitgleich aber mit Shoegaze-Pathos aufpolstern und dadurch den in ihrem Kern doch eher poppigen Songs um eine fatalistische Nuance erweitern. Bereits "Wildest Flowers" zeigt sich in einer auffälligen Weise eingängig und doch nicht komplett greifbar. Wir zitieren uns an dieser Stelle und ohne Selbstbeweihräucherung einfach mal selbst, weil diese Ansicht bis heute Bestand hat: "Ihre untrügerische Liebe für die Grandezza alter 80er-Rock-Nummern hört man bereits bei 'Wildest Flowers' durch, das bei aller Schuhstarrer-Manierismen auch Vergleiche mit Simple Minds oder gar U2 zulässt. Dabei profitiert das Ensemble vor allem von seinem Frontmann Fernando Honorato. Seine Stimme erinnert in Duktus und Klangfarbe überdeutlich an David Bowie, was allein schon ein Hinhörer ist."

Den acht bereits bekannten Nummern sind in der Deluxe-Ausgabe noch einige Remixe angehängt. An dieser Stelle scheiden sich seit Jahrzehnten die Geister. Denn wie sinnvoll sind diese "Zweitverwertungen" eigentlich? Im Falle von "Oceans" muss man sagen: sehr! Denn die vier Neuinterpretationen, je zwei zu "Wildest Flowers" und zwei zu "Strangers In The Night" arbeiten die verschiedenen Elemente heraus, aus denen sich rückwirkend in der Wiederzusammenführung der komplette Principe-Valiente-Sound ergibt.

Mister Monell hat in seiner reduzierten Version von "Strangers In The Night" den elektronischen Aspekt hervorgehoben und das Stück zu einer schwelgerischen Synthgaze-Nummer umgemodelt. Gleich zweimal haben New Canyons zugeschlagen und beide Songs neu abgemischt. Besonders "Wildest Flowers" lebt von einer fiebrigen Collage der Gesangs-Parts und erinnert in seiner erfrischend einfallsreichen Art an die Hochzeit der Remixkultur in den 1980ern.

Dass aber am Ende der Song in seiner Grundstruktur stimmig sein muss, um erfolgreich beim Hörer anzukommen, zeigt die intime Pianoversion von "When I Learned To Crawl", das die Deluxe-Version von Oceans abschließt. Offenbar mit minimalem Equipment aufgenommen, präsentiert sich Honorato dem Hörer komplett nackt und gewährt ihm einen Einblick in sein Seelenleben. Ein schöneres Geschenk hätte er den Fans damit nicht machen können.

Neben Principe Valiente zählen auch Golden Apes zu den Zugpferden des Labels. Das liegt vielleicht auch ein Stück weit daran, dass die deutschen Melancho-Rocker einfach genau das repräsentieren, wofür die Plattenfirma steht: eine ehrliche, geradlinige Musik, die aus der absoluten Freude an der Sache entsteht und sich nicht etwaigen Trends oder Massengeschmäckern anzubiedern versucht.

So wird manch junger Zuhörer, der hinter jeder Düster-Kombo ein soundgewaltiges Spektakel vermutet, womöglich mit dem bewusst retrograden, aber auch kernigeren Klang vom aktuellen Album "Kasbek" zunächst nicht so viel anfangen. Dabei versteht es das Quartett mit seinem ausdrucksstark vor sich hinbrodelnden Frontmann Peer Lebrecht wie kaum eine zweite Band, das innere Wesen einer Szene auszuarbeiten, die sich in den letzten Jahren zunehmend in einem orientierungslosen Stilmischmasch navigiert hat.

Bereits mit dem Opener "Oblivion" liefern sie nicht nur einen dringlichen Club-Hit ab, sondern haben den vielleicht schönsten Refrain der letzten zehn Jahre erschaffen. Zudem komprimieren sie in diesem Stück ihre gesamten musikalischen Kenntnisse, die den Rock und Wave der 1980er perfekt wiedergibt und gleichzeitig mit einem zackigen, an die Frühphase von Duran Duran erinnernden Gitarrenparts liebäugeln, um am Ende mit wuchtigen Drums und schneidenden Riffs ins große Gothic-Gefühl von The Mission oder The Sisters Of Mercy einzutauchen.

Eindeutig: Der leichtfüßige Umgang mit dem musikalischen Erbe zeichnet "Kasbek" aus und lässt den Wissenden aufgrund der Verweise schmunzeln. So sind in "Voykova (The Healing)" auch einige Gitarrenlinien eingeflochten, die sicherlich nicht von ungefähr an "A Forest" von The Cure erinnern sollen.

Damit markieren Golden Apes ihre musikalische Sozialisation, ohne sie demonstrativ wie einen Wanderaltar vor ihrer Brust herumzutragen. Denn dafür zeigt die mittlerweile zehnte Veröffentlichung zu viel Eigendynamik, will sich nicht einer obsessiven Trauermusik ohne Fortschrittsgedanken unterordnen. Das lässt beispielsweise "Sleep" dann auch wenig hoffnungslos erscheinen, obgleich Peers sonores Organ noch so melancholieversprechend ist. Eher wohnt in diesem Stück so etwas wie Erlösung und Hoffnung inne.

"Kasbek", benannt nach dem Berg, an dem Prometheus der Sage nach angekettet wurde, weil er den Göttern das Feuer gestohlen hat, um es den Menschen zu geben, ist ein essentielles und gewaltiges Werk, das nicht zuletzt auch durch die Endabmischung von Thommy Hein, der Szenegrößen wie Dreadful Shadows oder Zeraphine bereits einen letzten Schliff verlieh, gewonnen hat und nun das gesamte Klangdesign einer Band prägt, welche nach nunmehr 20 Jahren - und auch aufgrund des anhaltenden Post-Punk-Revival - endlich mehr Aufmerksamkeit erhalten sollte.

Die gleiche Resonanz zu erzielen, wird bei Silvermannen zugegebenermaßen etwas schwieriger. Denn der Sound von Tobias Borelius, dem Mann hinter diesem Projekt, entzieht sich tatsächlich jeglicher Kategorisierung. "Mitt I Bilden", zu deutsch: "In der Mitte des Bildes", ist kein typisches Schweden-Synthie-Pop-Album; es werden höchstens durchsichtige Fäden in diese Richtung gesponnen. "Öland" gibt als Eröffnungsnummer die Marschrichtung des ganzen Albums vor: verträumt, schwelgerisch und verspielt melancholisch geht es zu, fette Produktion mit druckvollen Beats sucht man hier vergebens. Dafür kann eine sehr intime Platte entdeckt werden, die bei "Vi Kan Vänta" gar so klingt, als würde Borelius einen akkubetriebenen Moog aus seinem Rucksack holen und am Lagerfeuer irgendwo in der skandinavischen Einöde anfangen, zu musizieren.

Als Teil des Duos Emerald Park, das ebenfalls beim vormaligen afmusic eine Heimat gefunden hat, lotete er bereits die Möglichkeiten eines angetrübten Indie-Pops aus. Als Silvermannen und weiterhin bei Aenaos unter Vertrag bricht er das bereits Erdachte nun auf seine Grundstrukturen runter und gibt dem Kern des Songs durch seinen Lo-Fi-Charme mehr Raum. Dass er zudem noch auf schwedisch singt, erhöht für Nichtmuttersprachler den Kuriositätsfaktor dieser Platte erheblich.

Silvermannens Texte sind jedoch keineswegs von einer pastelligen IKEA-Fröhlichkeit durchzogen, auch wenn es das Klangdesign an manchen Stellen vermuten lässt. "Tildigt I Maj" ("Früh im Mai") beispielsweise wirkt in seinen Akkorden entspannt und schwelgerisch, jedoch fußt seine Lyrik über die Menschlichkeit auf den Eindrücken, die Tobias Borelius während der Neo-Nazi-Demonstrationen vor den Wahlen in Schweden gewonnen hat. Und auch das vorher bereits erwähnte "Vi Kan Vänta" ("Wir können warten") behandelt nicht gerade ein Pop-Thema: autistische Kinder.

Selbst "Gryning", ein vor sich hinpluckerndes Up-Tempo-Instrumental, das sich wie eine 90er-Jahre Rave-Nummer anhört, dem man aber komplett den Starkstrom entzogen hat, besitzt eine Message: Als Vertonung unseres von Hektik und Stress geprägten Alltags will das Stück mit seinen harmonischen Orgelparts auch daran erinnern, das wir nicht für ein Leben auf er Überholspur geschaffen sind.

Ruhe und Kontemplation bilden daher auch die Eckpfeiler von "Mitt I Bilden", das sich zwischen entspanntem Sonntags-Pop und arabeskem Ambient eine Nische gezimmert und in die er sich kommod zurecht gemacht hat. Selten stringent hat sich ein Musiker oder eine Band einem Vergleich mit anderen Künstlern verweigert wie Silvermannen. Selbst die vom Pressetext ins Feld geführten Einflüsse Borelius', darunter David Bowie, Peter Gabriel und Yazoo, können nicht annähernd die Stimmung dieses Albums beschreiben, das in seiner ganzen Konzeption Vergangenheit und Gegenwart ausblendet, um etwas Nachhaltiges für die Zukunft zu erschaffen.

Ob nun afmusic oder Aenaos: Nachwievor sitzen die selben Leute in den Geschäftsräumen, stets auf der Suche nach dem Besonderen im Kleinen. Mit diesen drei Veröffentlichung nach der Umbenennung kann man sicher sein, dass der Name sich zwar geändert hat, die Qualität der Veröffentlichung aber weiterhin auf ein beeindruckendes Niveau geblieben ist.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 08.07.2019 | KONTAKT | WEITER: WAS MACHEN EIGENTLICH DIE PERLEN?>


Webseite:
www.principevaliente.com
www.goldenapes.com
www.facebook.com/silvermannenmalmo

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COVERS © Aenaos Records/Altone Ditributions

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