SPARKS: "THE GIRL IS CRYING IN HER LATTE" VS. SWANS "THE BEGGAR": WENN DIE KUCHEN REDEN, HABEN DIE KRÜMEL PAUSE
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Ein Satz, und alle sind getriggert. Vom "Boomer" bis zum "Woken". Russel und Ron Mael, die sophistischen Pop-Bespaßer von den Sparks, haben ihr mittlerweile 26. Album "The Girl Is Crying In Her Latte" getauft. Das Cover dazu zeigt eine leicht melancholisch dreinblickende Frau, mit vom Tränenwasser kajalverschmierten Augen, während das Brüderpaar distinguiert hinter ihr auf einem Sofa sitzt, Zeitung lesend und Kaffee schlürfend.
Wer aber nun den Jungs auf den Rücken klopft und ihnen Beifall zollt, weil sie der neuen, vermeintlich verweichlichten Generation den Spiegel vorhält, irrt gewaltig. Nichts liegt den beiden ferner, als sich über die (gesellschaftspoltischen) Dinge zu stellen. Eher üben sie den Schulterschluss mit denjenigen, denen das Leben bevorsteht, die sich aber in einer absoluten Orientierungslosigkeit befinden ob der vergangenen Jahre, die alles haben unsicher werden lassen.
Sparks wären aber nicht Sparks, wenn sie dieses melancholische Gefühl nicht in überspitzt skurrilen Songs verarbeiten würden. Wie bei "Nothing Is As Good As The Say It Is", bei dem ein gerade mal 22 Stunden alter Säugling den Entschluss fasst: "Ach nee, das ist hier alles nicht so prickelnd, ich mach 'nen Schuh und gehe zurück in Mamas Bauch", begleitet von einem klassischen 70s-Glam-Rock mit einer wunderbaren Hookline. Das humoristische wie auch nachdenkliche Video fängt das Momentum dieses Liedes perfekt ein, das nichts weniger als eine eiskalte Abrechnung mit der Gesellschaft ist, die den Planeten zu einem Ort aus "Ugliness, anxiety and phony tans" gemacht haben.
Aber nicht nur die ganz Jungen hauen in den Sack, auch die alten Meisterinnen wollen nicht mehr. "The Mona Lisa's Packing, Leaving Late Tonight" dreht sich um den Aufbruch des vielleicht berühmtesten Gemäldes der abendländischen Kultur gen Ungewiss, begleitet von archaischen Trommeln und elektronischem Flitterregen. Dass also das Girl in ihre Latte cryt, wer soll es ihr verdenken? Hinter der spark'schen Clownerie verbirgt sich viel Bitterkeit, aber auch geniale Gedankengänge. Wie in "We Go Dancing", bei dem der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un als erfolgreicher DJ umgefruchtet wird, dem sogar Skrillex und Diplo nicht das Wasser reichen können. Damit teilen Sparks sowohl politisch als auch kulturell aus, indem sie den Diktator als Witzfigur degradieren und den Absolutismusanspruch der DJs kritisch hinterfragt. Das ist große Kunst, die zum Nachdenken anregt.
Die Gebrüder Mael sind jedoch weit ab von irgendwelchen moralinsauren Texten. Denn wie keine zweite Band haben sie es verstanden, dass Popmusik in erster Linie Spaß machen muss. Dieser Umstand dürfte auch der Grund sein, warum Sparks immer noch, nach über 50 Jahren, präsent und musikalisch bedeutend sind. Sie sind musikalische Karikaturisten, die mit spitzer Feder ein Weltgefühl der allgemeinen Ausgebranntheit überzeichnen.
Der Absurdität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Sowohl inhaltlich wie musikalisch. Im Titelsong setzt Ron seine Synthesizer unter Starkstrom, während "Take Me For A Ride" in barockem Streicher-Pop tatsächlich "very british" daherkommt. Die Gebrüder Mael hüpfen durch alle Stile und bleiben dabei immer erkennbar als die beiden Spaßmacher mit Botschaft. Und wenn sie am Ende "Gee, That Was Fun" anstimmen, das zunächst Sinatras "My Way" zu zitieren scheint, um dann in einen beatles-esquen Refrain reinzusteuern, wird man ihnen zustimmen: Popmusik kann tatsächlich noch Freude machen.
Natürlich kann man auch ganz klassisch an der Welt verzweifeln und sich gepflegt in mollschwangere Kompositionen hüllen. Oder man lässt den ganzen Frust einfach ungefiltert an alle aus, die es hören wollen. Oder man macht beides. So jedenfalls verfährt Michael Gira ebenfalls seit über 40 Jahren mit seiner Band Swans. Seine extrem experimentierfreudige Auslegung der Sparte Rock hat Kritiker schon immer in Verzückung versetzt und den Hörer auf eine schmerzhafte Zerreißprobe gestellt. Besonders die Liveauftritte, die als die lautesten auf diesem Erdball gehandelt werden und dazu geführt hatten, dass Menschen ohnmächtig geworden sind oder die Polizei die Gigs beenden musste, festigten den Ruf der Swans als eine absolute Ausnahmeerscheinung. Veranstalter: "Michael, wie laut soll der Gig werden?" Michael: "Ja!"
Vom lärmenden Heavy-No-Wave-Post-Rock (oder so) sind der Mastermind und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter (übrigens immer wieder fluktuierend, Swans ist in erster Linie der Gira selbst) dieses Mal weit entfernt. Getragen geht es bei "The Beggar" zu, ja, geradezu angenehm für Swans-Verhältnisse. Zwar brodeln die Bässe und surren die Synthesizer bedrohlich wie im Titelsong, und "Los Angeles: City Of Death" zitiert den lärmenden Sound früherer Tage nur noch im Finale kurz an, doch die Songs lassen bewegen teilweise auf psychedelisch-melancholischen Pfaden, die, kurzzeitig zumindest, Lou Reed oder Nick Cave eingedenken.
Beschleicht den Mann mit der sonoren Erzählerstimme etwa die Altersmilde? Diese Zweifel können genommen werden. Um noch einmal "The Beggar" als Beispiel zu bemühen: Aus der anfänglich umherschleichenden Komposition erwächst ein tönerner Tornado, schweres Getrommel und ununterbrochene Beckenschläge auf den zweiten und vierten Takt inklusive, während Echokammer-Gitarren und Giras priesterhaftes "Aaah" eine unheimliche, fast schon exorzistische Stimmung hervorruft. Ebenso lotet "Ebbing" und "No More Of This" die Kraft der Redundanz aus und verharrt in einigen Passagen auf einer Note, die Swans ins Unendliche ziehen und damit für Schwindelgefühle beim Hörer sorgen.
Gira selbst hat die Lieder alle in der Pandemie zu Papier gebracht, stets mit dem Hintergedanken, dass es die letztenfür Swans sein könnten. Das erklärt vielleicht auch den Umstand, dass bei "The Beggar" die ungefilterte Wut einem fast schon erschöpften Zustand gewichen ist. Doch selbst in dieser vermeintlich dramatischen Lage ist er immer noch zu Höchstleistungen fähig. Diese gipfeln hier zweifelsohne im 44(!) Minuten langen "The Beggar Lover (Three)", einem surrealistischen Konglomerat aus verschiedensten Stilen, die aufzuzählen einfach keinen Sinn macht. Selbst hören lautet da die Devise, das Stück wird als Online-Bonus der Doppel-Vinyl beigelegt.
Schließlich macht es Gira nicht unter fünf Minuten - oder zumindest nur sehr selten. Für seine tiefsinnigen Gedanken, die auch immer aus seiner eigenen Biografie entspringen, braucht es ausladende Songstrukturen, welche die Band aber vortrefflich zu füllen verstehen. Auch wenn "Michael Is Done" irgendwie sehr final klingt und man das Ende der künstlerischen Laufbahn Giras aus den Zeilen herauslesen kann, will man nicht glauben, dass dieser Mann, der für die Indie-Rock-Szene so viel geleistet hat, jemals aufhört.
Angesichts dieser wieder einmal herausragenden Alben (denn ehrlicherweise ist man von Sparks und Swans nichts anderes gewöhnt), wirken die "jungen Wilden" eher wie ein zu belächelnder Haufen Poser. Oder frei nach dem Volksmund: "Wenn die Kuchen, haben die Krümel Pause."
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.06.23 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 11/23>
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