THE BIRTHDAY MASSACRE "DIAMONDS" VS. BLACKIEBLUEBIRD "GOODBYE IN JULY": LAUT, LEISE, LIEBENSWERT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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THE BIRTHDAY MASSACRE "DIAMONDS" VS. BLACKIEBLUEBIRD "GOODBYE IN JULY": LAUT, LEISE, LIEBENSWERT

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Wie die Zeit vergeht: Als The Birthday Massacre mit ihrem zweiten Album und solchen Wahnsinns-Nummern wie "Video Kid" einen frischen, energetischen lila schimmernden Synthie-Rock zum Besten gab und damit das Herz des Autors dieser Zeilen gewann, gab es noch kein Facebook, Geeorge W. Bush galt als unberechenbarer Präsident Amerikas (mein Gott, was waren wir unwissend!) und der eine oder andere rechnete immer noch Euro in D-Mark um, die erst seit wenigen Monaten das Zeitliche gesegnet hat.

Seitdem sind eineinhalb Dekaden vergangen. The Birthday Massacre ist immer noch da - keine Selbstverständlichkeit in diesem schnelllebigen Business. Und sie machen auch noch immer Musik, der sich von ihrem genialen Zweitwerk nicht großartig unterscheidet. Was man an anderer Stelle als Selbstkopie verhöhnen würde, funktioniert bei dieser fröhlichen dunkelbunten Truppe aus Toronto nicht. Das liegt an einem entscheidenden Punkt: The Birthday Massacre haben eine Corporate Identity geschaffen, ein Alleinstellungsmerkmal entworfen, dass sie seitdem nicht mehr großartig verändert haben. Und dieser liegt natürlich in ihrer unverkennbaren Musik.

Der stark elektronifizierte Rock geht über alle Maßen verschwenderisch mit seinem Instrumentarium um. Auf "Diamonds" gehen The Birthday Massacre noch ein Stück weiter und verändern das Mischverhältnis zwischen Elektronik und Gitarren erneut. Das teilweise brachiale Moment früherer Aufnahmen weicht einem etwas filigraneren Klangbild. Sängerin Chibi belässt es mittlerweile auf klaren Gesang. Fieses Krächzen oder extrem süßes Tirilieren in höheren Lagen finden sich auf "Diamond" nicht mehr. Das ist verständlich: Auch die Sängerin entwickelt sich innerhalb ihres selbst geschaffenen Kosmos weiter, wird reifer und nachdenklicher. Das schimmert in ihren Darbietungen durch.

So rückt bereits beim klassischen Intro "Enter" der Pop-Aspekt weiter in den Vordergrund. Die schrammeligen Gitarren halten sich zurück, während flirrige Synthiespielereien wie Laserstrahlen durch den Raum zucken. Bereits bei "The Sky Will Turn" werden alle Tugenden von The Birthday Massacre deutlich: kraftvoller Sound mit einer unbändigen Eingängigkeit, getragen von klar definierten Rollen für alle Beteiligten: Die Elektronik glitzert, die Gitarren prahlen und der Rhythmus fräst sich durch die Komposition.

Im Vergleich zu den früheren Veröffentlichungen achtet das Sextett auf eine größere Homogenität. "Diamonds" bildet in dieser Hinsicht das Konzentrat all ihrer bislang gemachten Erfahrungen. Abgeklärt wirkt das achte Album jedoch nicht, nur gefestigter. Der geneigte Fan kann sich indes wieder auf solide Synth-Rock-Unterhaltung freuen, die vor allem bei "The Last Goodbye" besonders gut gelungen ist.

Auf der anderen Seite des Großen Teiches, genauer gesagt: in Kopenhagen, wird unterdessen eine andere engelsgleiche Stimme ins Rennen geschickt. Heidi Lindahl wählt allerdings den Weg der Kontemplation und propagiert eine fast meditativ zu nennende Ruhe auf "Goodbye In July", dem zweiten Album von BlackieBlueBird. An Lindahls Seite hat Nils Lassen sich das entsprechende Soundgerüst für ihr sanftes Organ ausgedacht. Und hier erkennen wir mit all den verhallten Gitarren und dezenten Americana-Anspielungen eine deutliche Hinwendung zum verträumten Dream-Folk-Pop einer Hope Sandoval nebst ihrer Begleittruppe The Warm Inventions.

Damit verfolgt BlackieBlueBird den Weg weiter, den sie auf ihrem Debüt "Ghost River" zu beschreiten begonnen haben. Und wie auch beim Debüt glänzt das Schlagzeug einmal mehr durch seine Abwesenheit. Doch wird es nicht im Geringsten benötigt. Elektrische wie akustische Gitarren sowie zirpende Mandolinen sorgen für einen romantischen Countryside-Sound. Der Einsatz von Lap-Steel-Gitarren taucht die ganze Szenerie in ein melancholisches Abendblau.

"Goodbye In July" feiert auf ganzer Linie die hochemotionalen Momente des Lebens. Liebesschwüre werden ebenso getätigt wie auch sich am Leiden gelabt. Bredete Titel wie "Many Many Many Tears Ago", das sehnsuchtsvoll intonierte "Who Loves The Lover" oder "Sorry Lives Here No More" eröffnen eine Welt der großen Gefühle im Leinwandformat. Und sie erreichten einen ganz tief drin, obwohl oder gerade weil Heidi sie in einer ganz und gar unprästentiösen Art und Weise näher bringt.

Wie die Pusteblume auf dem Cover strahlen die Stücke auf "Goodbye In July" eine flüchtige Schönheit aus, die beim ersten Windhauch zu ersterben drohen. Mehrstimmige Stücke wie das abschließenden "Summersnow" treiben den Sehnsuchtsfaktor ein großes Stück weiter voran. Am Ende dieses kleinen aber feinen Meisterwerks ist man von einer eigenartigen Melancholie ergriffen. "Goodbye In July" macht uns grundlos angenehm betrübt.


Wenn die alten weißen Männer von der Frau als unbekanntes Wesen sprechen, klingt das meistens despektierlich. Der Autor dieser Zeilen jedoch nutzt diese abgedroschene Phrase durchaus mit Respekt. The Birthday Massacre und BlackieBlueBird erschaffen in ihren musikalischen Visionen eine Mystik, die vor allem durch die jeweiligen Stimmen (und in zweiter Linie natürlich auch von der Musik) getragen und manifestiert wird. Dieses Gefühlvolle und gleichsam seltsam Distanzierte beherrschen Frauen mutmaßlich besser als Männer. Die beiden Alben sind auf jeden Fall starke Argumente für diese These.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 27.03.20 | KONTAKT | WEITER: NACHRUF AUF GABI DELGADO LÓPEZ>

Webseite:
www.thebirthdaymassacre.com
blackiebluebird.bandcamp.com

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COVER © METROPOLIS RECORDS (THE BIRTHDAY MASSCARE), AENAOS RECORDS/ALTONE (BLACKIEBLUEBIRD)

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