NEUSCHNEE "OKAY" VS. ISOLATION BERLIN "VERGIFTE DICH" VS. DAN SCARY "DUNKELPUNK AUS UNTERWELT": ABGRUND, TIEFE, LYRIK
Es ist vielleicht die einzige tröstliche Erkenntnis dieser Tage: Je mehr sich Deutschland im Taumel zwischen AfD-Hysterie und GroKo-Posse befindet, desto massiver formiert sich künstlerischer Widerstand, der sich nun in drei wahrhaft inkommensurablen Alben manifestiert und dabei gleichzeitig auch den persönlichen Weltschmerz jedes einzelnen Hörer liebevoll betrachtet.
Doch bevor man sich einer schnapsseligen Gedankenschwere in der Kneipe seines Vertrauens hingibt, bewegt Neuschnee Hirn und Füße beidermaßen. In ihrem spröden Elektro-Reißer "Der Zeitgeist macht buh", welches das Album "Okay" eröffnet, wird in Deichkind-Manier nach dem Eintreten der "Post-Postmoderne" gefragt und das Schreckgespenst der "Globalisierung" haarklein auseinandergenommen. Fazit: "Globalisiert wird nicht nur liberal. Die Rassisten treffen sich auch international." Pointierter ist dieses allgemeine Unbehagen selten zusammengefasst worden: Die weltweiten wirtschaftlichen Vernetzungen und Verschränkungen erlauben eben keinen Stillstand. Jene, die aus diesem unbarmherzigen Takt gekommen sind oder sich gar nicht erst darin einfinden konnten, sehnen sich nicht selten nach dem verklärten Konstrukt einer "guten alten Zeit".
Hans Wagner, Chefdenker bei Neuschnee, belässt es bei dieser kurzen, eigentlich tristen Sicht auf die Schlechtigkeit der Welt, zu der sich allerdings prima tanzen lässt. Bis auf die verschleppte Food-Porn-Rumba-Rap-Miniatur "Umami", welches das Herz jedes gastrosexuellen Yuppie sicherlich höher schlagen lässt, verlässt sich Neuschnee danach nur noch auf poetische Musiklandschaften, in der sich Piano und Streicher breitbeinig in Szene setzen dürfen.
Nicht nur musikalisch, auch textlich spielt "Okay" mit doppelten Böden. Wenn in "Dasselbe Lied" der Protagonist seiner angebeteten ein "Lied mit vier Akkorden, nur für dich und das ganze Land" schenken will, darf darin nicht nur die romantisch-verkitschte Sehnsucht eines juvenilen Dichters gesehen werden, sondern auch die Kritik an die neuen deutschsprachigen Pop-Poeten, die nur "Abschieds- und Liebeslieder" schreiben können, wo "die Verben schwitzen". Alles sehr hübsch zwar, doch wenig nahrhaft für den Geist.
Äußerste Vorsicht ist also geboten bei dieser halben Stunde Musikexzess. Denn "Okay" legt geschickt Finten und lässt einen öfter in die Emotionalitäts-Falle laufen, als es einem lieb ist. So croont sich Wagner bei "Denkmal aus Glas" ganz lässig ins Ohr, doch was er singt, hat gemeine Widerhaken: "Erinnerung klebt und Geld fließt schnell. Das Leben ist kein Musical."
Obwohl der Mann am Mikrofon gebürtiger Berliner ist, hat er vieles aus seiner jetzigen Heimat Wien ins Album einfließen lassen. Da ist dieser feine Wortwitz, dieser lakonische, manchmal auch morbid-melancholische Humor, der phasenweise in "Okay" durchschimmert. Und es nicht zuletzt der intensive Verweis auf die Wiener Klassik von Schubert, Mozart und Haydn, dessen schwülstiger Pomp natürlich gerade gut genug ist, um ihn als kuschelweiche Grundlage zu nutzen, auf dem dann kleine Gemeinheiten und gedankliche Folterspiele ausgebreitet werden.
Nur "Okay", wie es uns Neuschnee weismachen will, ist ihr viertes Album beileibe nicht. Es ist mehr als das, nämlich ein zwischen vordergründiger Traurig- und hindergründiger Heiterkeit schwankender Blick auf die Fallstricke unserer Existenz.
In diese tappen Isolation Berlin nur zu gerne und auch mit Ansage rein. Doch im Gegensatz zum Wahlwiener Wagner, der seine Texten auch immer mit ironischer Distanz betrachtet, lebt Sänger Tobias Bamborschke den Traum eines jeden Existenzialisten, der sich in diese Welt hineingeworfen und zum Leben verdammt sieht. Viel verändert hat sich seit ihrem Debüt "Aus den Wolken tropft die Zeit" nicht. Oder vielleicht eines: Im Versager-Walzer "Serotonin" träumt Bamborschke, während er in der deutschen Hauptstadt den Tag im Park "zerlatscht" unvermittelt von Wien - und grüßt damit womöglich die Weltschmerz-Kollegen von Wanda, die das österreichische Pendant zu Isolation Berlin bilden und mindestens genauso so heillos abgefuckt sind wie sie. Wenig später greift Team Bamborschke mit "Marie" dann auch die kaputt-schönen Beziehungskisten der Österreicher auf und interpretiert sie auf ihre ganz eigene, bittersüße Art und Weise.
Während aber Wanda immer ein bisschen nach leichtem Testosteronüberfluss und rockigen Halli-Galli-Drecksau-Parties klingen, leidet Isolation Berlin offenkundig auf dem aktuellen "Vergifte dich" in vollen Zügen. Stets wissend, darin auch die Berechtigung ihrer Kunst zu sehen. Bamborschke pflegt sein Image des manisch-depressiven Frontmannes, der im Titelsong den ausgiebigen Rausch als einzige Option anbietet, um dem Moloch Großstadt zu entfliehen.
In den aggressiven Phasen holt er zum Rundumschlag aus - auch gegen sich selbst ("Wenn ich eins hasse, dann ist das mein Leben") und regt sich authentisch über "Die Leute" auf, die als emotional degenerierte Zombies durch das Leben laufen und unter Sprechdurchfall leiden. Oder wie es Bamborschke pointiert zusammenfasst: "Die Leute reden so viel Scheiß, es ist nicht zu glauben." Dem folgt "Kicks", eine Hardcore-Sinnsuche, die unter prügelnden Beats, ohrenbetäubenden Fuzz-Gitarren und Rückkopplungsorgien zwar keine Lösung bringt, aber wenigstens die angestaute Wut eines saturierten Individuums, dessen Leben keine Überraschungen mehr für ihn bereithält, ungefiltert rauslässt.
Bamborschke kann Bambule, zweifelsohne. Zeitgleich zermübt ihn aber das Leben zutiefst, was sich in der trügerischen Ruhe einer Lagerfeuergitarre manifestiert, die er bei "Vergeben heißt nicht vergessen" herausholt, nur um seine jämmerliche Existenz zu beweinen. Wie ein geschundenes Tier schleicht der Protagonist nach dem Ende einer Beziehung in der anonymen Großstadt umher und kotzt seine Existenz in U-Bahnschächte - schöner kann urbaner Weltschmerz nicht beschrieben werden.
Fürwahr: Es besteht keine Hoffnung. Selbst, wenn man den Versuch wagen möchte, glücklich zu sein, ist da immer noch dieser schwarze Fleck auf dem Herzen, der in "Antimaterie" geradezu astronomische Ausmaße annimmt und in "Mir träumte" den Protagonisten gedanklich zu den Sternen reisen lässt, ehe er in der Kneipe wieder aufwacht, um sich weiter zu besaufen. "Vergifte dich" ist so abgerissen wie ein Roman von Michel Houellebecq, gleichzeitig aber dermaßen verständnisvoll für all jenen Existenzen, deren Leben eine widerliche Drecksau ist. Das Vierergespann kultiviert ihren Hass auf der Welt, stilisieren ihn bisweilen als Pose, um damit die ganzen bemitleidenswerten Verlierer einzufangen und ihnen ins Ohr zu flüstern: "Isolation Berlin versteht Euch. Das sind Eure Songs". Dennoch wird nie der Punkt überschritten, an dem ihre Attitüde zur sinnentleerten Hülle und somit gegenstandslos wird.
Isolation Berlin festigt mit seinem zweiten Meisterwerk in Folge seinen Ruf als resignierender Rettungsanker für all jene Perönlichkeiten, die an der Großstadt seelisch zerbrochen sind; die nur noch Verachtung für das hektische Treiben ohne tieferen Sinn haben und sich in ihrer empfindlichen Seele zutiefst gestört sehen. Eine Lösung für die Probleme ist "Vergifte dich" nicht, das Album nimmt aber jene Versager in diesem unbarmherzigen System Metropole liebevoll in den Arm.
Ein paar einschmeichelnde, die Melancholie befeuernde Akkorde sind die eine Möglichkeit, um mit der Gegenwart fertig zu werden. Eine andere wäre, sich gar nicht erst einer derartig fatalistischen Selbstgeißelung zu unterziehen und sich lauthals zu empören. Dan Scary jedenfalls tut es auf seinem Album "Dunkelpunk aus Unterwelt". Vom etwas sperrig-trashigen Titel sollte sich keiner abschrecken lassen. Hier werden keine Untoten zum Leben erweckt oder irgendwelche unterschwellig erotischen Vampir-Stories kredenzt. Und auch der etwas unscharfe Begriff des Punks darf hier nicht mit krakeelenden, dosenbierbefüllten Irokesenträgern geleichgesetzt werden.
Daniel Url, wie Dan Scary bürgerlich heißt, nimmt die wütende Energie des Punk und setzt durch schummrige Elektronik und extrem tiefen (Sprech)gesang einen nachdenklichen Kontrapunkt. Wer sich dabei auch ein wenig an Joy Division erinnert fühlt, liegt da nicht ganz falsch, zumal der Wolfsburger ein belesener, reflektierender Künstler ist, ganz im Sinne eines Ian Curtis, und zudem seine Werke ganz in Eigenregie veröffentlicht. Independent at it's best!
So verlässt "Dunkelpunk aus Unterwelt" schnell ausgetretene Pfade und führt uns dieses Mal vor allem in die vermeintlich angestaubte Welt der klassischen Lyrik eines Heinrich Heine. Daniel schreckt nicht vor dessen anspruchsvollen Oeuvre zurück, ja, er öffnet uns sogar die Augen damit, um gegenwärtige Probleme zu verdeutlichen. Denn seine Interpretation von "Die schlesischen Weber" besitzt in der Frage nach gerechter Bezahlung in Zeiten globalisierter Märkte und unbarmherzigen Lohndumpings größere Aktualität denn je. Und auch "Deutschland, ein Wintermärchen" verweist zumindest im Titel auf Heines gleichnamiges Versepos.
Dazwischen streut der Musiker seine eigenen Gedanken ein, prangert hier den Werteverfall der Kunst an, vergleicht die Arbeitsbedingungen eines Freischaffenden sogar mit Massentierhaltungen ("Tod der Kunst") und malt an anderer Stelle ein beklemmendes Bild von Deutschland, dessen unheilvolle jüngere Geschichte sich zu wiederholen droht ("German Angst"). Selbst das "Neonlicht", von Kraftwerk einst romantisch verklärt besungen, wird bei Dan Scary als Lichtquelle des Grauens transformiert, die pars pro toto für die alles Leben verzehrende Großstadt steht.
Dan Scary hat scheinbar abgeschlossen mit dieser Welt. Denn auch die Menschen um ihn herum wandeln in "Land der 1000 Leichen" wie ferngestuert und hypnotisiert auf ihre Smartphones blickend durch das Leben und an ihm vorbei. Ein "digitaler Holocaust" sei das, was wir erleben. Zugegebenermaßen ein drastisches Bild, das jedoch notwendig erscheint angesichts einer scheinbar sich ständig betäubten Bevölkerung, die sämtliche Ungerechtigkeiten und Frechheiten seitens der Obrigkeiten aus Politik und Wirtschaft klag- und widerstandslos hinnimmt.
Noch einmal sei Heine, auch ein großer Kritiker seines Landes zur Zeit des Vormärz, bemüht, dessen erste zwei Zeilen aus seinem Gedicht "Nachtgedanken" uns mahnender Weckruf seien: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht." Diese Wörter hätten auch in den Köpfen von Neuschnee, Isolation Berlin und Dan Scary herumgeistern können, als sie ihre messerscharf beobachteten, wenig Hoffnung machenden Werke entworfen haben.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 26.02.18 | KONTAKT | WEITER: SIMPLE MINDS VS. ALEX SEBASTIAN>
Webseite:
www.neuschneemusik.org
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danscary1.bandcamp.com
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COVER © Problembär Records/Rough Trade (Neuschnee), Staatsakt/Universal (Isolation Berlin), Dan Scary
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