7/22: ASSASSUN, NEXUS, MANSIONS IN THE SEA, ULTIMA RADIO, FEDERATION, SOCIAL UNION: NACH(T)ARBEIT TEIL II - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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7/22: ASSASSUN, NEXUS, MANSIONS IN THE SEA, ULTIMA RADIO, FEDERATION, SOCIAL UNION: NACH(T)ARBEIT TEIL II

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2022
Bei Alexander Donat hat man das Gefühl, dass er gar nicht still sitzen kann. Wenn er nicht gerade als Vlimmer einen selbst gezogenen Post-Punk präsentiert (sein neues Album "Menschenleere" wird demnächst auch auf UNTER.TON besprochen; Spoileralarm: Es ist bislang das beste Vlimmer-Werk), mixt er andere Künstler, die er auf seinem Label Blackjack Illuminist Records beheimatet, ab. Nun ist er seit Frühjahr 2022 auch als Assassun unterwegs. "Sunset Skull" enthält die gleiche melancholische Energie wie die Vlimmer-Veröffentlichungen, die Wahl des musikalischen Gewands ist jedoch eine ganz andere. Der Mann lässt dieses Mal knorrige Synthesizer und fordernde Beats auf die Hörer los. Die Songs besitzen die Unmittelbarkeit einer Live-Aufnahme. Man höre sich "Your Scheme?" an: Es fehlen nur noch die frenetisch jubelnden und mitklatschenden Zuschauer im Hintergrund. Die vordergründig unperfekten, leicht körnig wirkenden Aufnahmen sind aber der exakt platzierte Special Effect, der dem Album die nötige Dynamik verleiht. Hört man es sich das erste Mal und ohne weitere Informationen an, man würde "Sunset Skull" nicht im Jahr 2022 verorten, eher mindestens 35 Jahre zurück. Hackstückelige Sounds wie in "Achilles Tendon" oder unruhig machende, an den Tönen vorbeischrammende Sequenzen bei "Burial Shroud" erinnern an den freigeistigen und künstlerisch anspruchsvollen Umgang mit der Elektronik wie es einst die Vertreter der Prä-New-Romantic-Ära praktizierten. Data Bank A und Fad Gadget kommen da einem in den Sinn, um das zu beschreiben, was man bei Assassun entdeckt. Vergleiche dieser Art sind aber nur ein schwaches Mittel, um die Platte stilistisch einzugrenzen. Um die wahre Magie zu erfahren, hilft nur eins: selber hören!

Griechenland ist als Exporteur melancholischer Musik nicht gerade marktführend, aber die jüngere Vergangenheit hat bereits bewiesen, dass die Szene dort durchaus lebendig ist - durch die wirtschaftlich schwierige Situation vielleicht sogar so lebendig wie nie. Doch schieben wir die äußeren Gegebenheiten beiseite und konzentrieren wir uns auf die Musik. Diese ist bei Nexus' neuestem Album "Ninouki" ein liebevoll arrangierter Hybrid aus klassischen Goth-Strukturen wie man es von The Mission her kennt, in die aber das neue Post-Punk-Verständnis der Editors injiziert wurde. "The Words That Got Away" und das shuffelige "Turn Me On/Turn Me Off" vereinen diese beiden Stile perfekt miteinander. Mike Pougounas hat eine solide Basis geschaffen, auf die sich der Mastermind aber nicht ausruht, sondern diese auch gleich wieder verlässt. "Voyager" baut die Gruftie-Gitarren in einen spacig-psychedelischen Track ein, der von einem hörspielartigen Intro eingeleitet wird. Ebenso wird "Star Thief", bei dem Pougounas eine stimmliche Meisterleistung abliefert, die stark an Wayne Hussey erinnert, mit porösen Breakbeats gekreuzt, was dem Stück etwas rätselhaftes verleiht. Das gleiche gilt für "Do You Remeber+", bei dem die sphärische Gniedelei gegen Ende der Nummer selbige in transzendente Schichten befördert. Dass Pougounas ein alter Hase ist, hört man "Ninouki" sofort an. In der Tat gestaltet der Mann die hiesige Gothic-Szene mit seinen verschiedenen Projekten, allen voran New Zero God, mit. Nexus existierte bereits zwischen 2000 und 2005, es jetzt wieder aufleben zu lassen, war vor allem der Pandemie geschuldet, als Pougounas nicht mehr auftreten konnte. Die Entscheidung, das Projekt neu zu starten, war goldrichtig. "Ninouki" ist ein rundum gelungenes Album zwischen klassischem Goth und experimentellem Electro geworden.

Die Anklage lautet Befangenheit. Denn bei Mansions In The Sea fällt es dem Autor dieser Zeilen schwer, Objektivität zu wahren. Sascha Blach ist nicht nur ein toller Musiker, sondern auch schreibender Kollege. Die Wege kreuzten sich ein paar Mal im Internet und auch außerhalb, wenn man gemeinsam über Gothic-Großveranstaltungen berichtete. Blach ist ein ruhiger, aber messerscharfer Beobachter, der einen regen und fantasievollen Geist besitzt. Nach verschiedenen Ausflügen in obskure, hochtheatralische Metal-Gefilde, hat er mit Mansions In The Sea so etwas wie seine musikalische Mitte gefunden. Die Songs wirken in sich ruhend, unaufgeregt und drängen sich zu keiner Zeit auf. Wer aber Sascha Blach kennt, weiß um seine lyrischen Fähigkeiten, weswegen es nicht verwegen ist, ihn mit großen Singer/Songwritern wie Leonard Cohen oder Bob Dylan zu vergleichen. "Terra" ist zu einem tönernen Reiseführer geworden. Denn alle Songs beziehen sich auf verschiedene Orte auf der Welt. Diese fasst Blach gekonnt in Noten. Die kontemplative Freiheit in "Pacific Ocean View", das dezent beschwingte "One Night In Summery Barcelona" oder das sehnsüchtige Moment in "Lonelytown": Jeder Song holt den Hörer ab und verfrachtet ihn an diese Orte. Sascha erzählt seine Geschichten mit brüchig-sonorem Timbre, die allen Stücken auch eine große Portion Melancholie verleiht. Vielleicht liegt die Intensität von "Terra" in der Tatsache begründet, dass Mansions In The Sea während des Ausbruchs der Corona-Pandemie ins Leben gerufen wurde. Und wir erinnern uns: Reisen war da nicht! Also blieb nur die Kraft der Imagination, die "Terra" wunderbar befeuert - auch jetzt, obwohl es keine Einschränkungen mehr gibt.


Nach den ruhigen Klängen von Mansions In The Sea setzen wir die Gitarren wieder unter Strom und landen direkt bei den österreichischen Krachmachern Ultima Radio. Als das Quintett anno 2015 ihre erste selbstbetitelte Platte auf den Markt warf, zeichneten die Songs noch eine unbändige Liebe zum Stoner Rock aus. Doch dieser wich nach und nach, um anderen Ideen Platz zu machen. Sieben Jahre und fünf weitere Veröffentlichungen später ist die Band um Sänger Zdravko Konrad an ihren eigenen Ideen gewachsen, wie man bei "Sleep Panic Repeat" nun hören kann. Zwar sind die psychedelischen Momenten immer noch präsent, manifestiert im Triptychon (die Betonung liegt auf "trip") "Deaf When Hearing", "Mute When Spekaing" und "Blind When Seeing", die das Album unterteilen. Dem gegenüber aber stehen mittlerweile kompromisslose harte Bretter. Schon mit dem Opener "Rush" zerlegen Ultima Radio die Heimstereoanlage und hinterlassen ein Gefühl der Beklemmung, aber auch der Karthasis bei der geneigten Hörerschaft. Denn "Sleep Panic Repeat" ist eine Tour de Force durch die gesellschaftlichen Missstände und unappetitlichen Wucherungen unserer modernen Zivilisation. Kein Wunder, dass solche Gedanken in dystopisch-hart rockenden Nummern verpackt werden. Das macht beispielsweise "Borderline" zu einer psychotischen Fahrt ins Ungewisse, die einem die Eingeweide nach links dreht und keine Zeit zum verschnaufen lässt. Ultima Radio singen vom Individuum im Kontext der Zeit und Gesellschaft. Das haben natürlich auch schon andere Musikerinnen und Musiker gemacht. Aber selten knallten sie einem die Erkenntnisse mit derart massiven Riffs und ohne Aussicht auf Besserung um die Ohren.


Federation machen auch Rock - sagen sie. Tatsächlich haben sie mit E-Gitarren so viel am Hut wie Nick Cave mit dem Ballermann zur Hauptsaison. Federation nennen es: "Rock, but with synths only". Was ein bisschen prätentiös klingt; hat aber durchaus seine Berechtigung. "Heartfelt" streicht die Pop-Komponente aus ihren Elektronikkompositionen und ersetzen sie durch einen alternativen, kantigeren Sound mit jeder Menge Amps und auch Live-Drums. Tatsächlich fühlt man sich bei vielen Songs, wie dem Titeltrack oder dem nach vorne preschenden "All Lovely" an U2 erinnert, eben nur ohne Edges Gitarrenkünste, dafür mit viel knarzigen Sequenzen. Die Nähe zu den irischen Stadionrockern ist auch durch den klaren Gesang verstärkt. Gemeinsamkeiten lassen sich aber auch bei Indie-Elektronikern der späten 2000er ausmachen. Namen wie MGMT dürften da dem einen oder anderen noch flüchtig durch die Hirnwindungen geistern. Dass das schwedische Trio es tatsächlich schafft, so viel Rock-Breitbeinigkeit in ihre fast rein elektronischen Stücke zu implementieren, liegt vielleicht auch daran, dass alle drei Mitglieder zunächst tatsächlich handgemachte Musik gemacht haben. Der Schritt vom Punk zum Retortensound ist, die Musikgeschichte lehrte es uns, gar nicht so groß. Dennoch haben sich Federation eine ganze Dekade Zeit gelassen, ehe sie sich nun mit ihrem ersten Album an die Öffentlichkeit trauten. Der lange Vorlauf, so sagt es Nisse Axman, liege darin begründet, dass alle Mitglieder verstreut über ganz Schweden sind und eine gemeinsames Zusammenkommen sich nicht immer als ganz einfach erwiesen hat. Dieser lange Reifeprozess hat auch was Gutes: Federation besitzen auf ihrem Debüt bereits eine klare eigene Handschrift, was nicht jeder Band bei ihrem Erstling gelingt.

Wir haben mit Alexander Donat angefangen, wir hören mit ihm auf. Beziehungsweise mit Social Union, die auf Alexanders Label Blackjack Illuminist Records beheimatet sind. Dass der Mann nicht nur selber gute Musik macht, sondern auch das richtige Händchen für die Perlen des Underground besitzt, macht er mit dieser Band deutlich. Vanilla Martin und Luke Penrose sind die beiden hochkreativen Musiker, die sich auf ihrer Debut-EP "Fall Into Me" in der Tristesse der Existenz austoben. Social Union spielt dabei mit den Genres. Vordergründig will "Fall Into Me" dem gemeinen Schwarzkittelträger und Todessehnsüchtler gefallen. Doch es ist weder Gothic noch Wave, was wir hier geboten bekommen. Vielmehr klingen Social Union wie ein Alternativ-Hipster, der sich aus Versehen in einem Gruftie-Schuppen wiederfindet, es dort aber doch ganz nett findet und beschließt, zu bleiben. Klammert man den mit Zement-Beats versehenen Social Sport Remix des Titeltracks, der garantiert für gut besuchte Tanzflächen sorgen wird, mal aus, bringen Social Union einen distanzierten, aber doch recht lässigen Gesang mit klassischer 80er-Düsternis zusammen. Die depressiv gestimmten Gitarren bilden das Fundament der Stücke "Choke", "Abscond" und "Our Hands Don't Fit", die Elektronik knüpft wohlig-schaurige Klangteppiche, während die Gesangslinien mit einigen kleinen Effekten versehen worden sind. Diese EP ist stark in der Qualität der Songs und intelligent in ihren Arrangements. Vielleicht wird es noch einige Zeit dauern, bis man die Bedeutung von Social Union versteht. Denn ihr "Hipster-Post-Punk" könnte der Beginn von etwas ganz Großem und Neuem sein.


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 29.11.2022 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "MUSIC FOR NEW ROMANTICS">

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