HANSAN "BLOD ELLER BLÄCK" VS. PHILIP SELWAY "STRANGE DANCE": BOMBASTISCHE KLANGREISE
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Geht es gegen Weihnachten, ist Sofia Talvik nicht weit. Die schwedische Musikerin bringt jedes Jahr zum Fest einen Song heraus, wobei sie das Thema ganz unterschiedlich aufgreift und alle Aspekte rund um das heilige Fest erörtert. Doch daneben hat die Künstlerin auch andere Eisen im Feuer; Hansan zählt zu den ganz heißen. Es ist die Verschmelzung von Talviks entspannt-betörender Stimme mit den musikalisch sehr durchdachten Ideen von David Floer, einem über Gebühr talentierten deutschen Musiker mit besonderem Schwerpunkt auf Streichinstrumente.
Diese bilden, wie bereits beim Vorgänger "Nattflykt" die Basis, zu der aber auch nicht mehr großartig hinzugefügt wird. "Blod eller Bläck" (deutsch: Blut oder Tinte) lebt von Streicherensembles, die sich in dahinfließenden Melodien ergehen, während Talvik in ihrer seltsam entrückt wirkenden Art wie eine einsame Elfe auf weiter Flur die schwedischen Lyrics vorträgt. Talviks Wahl, in ihrer Muttersprache zu singen, erweist sich als goldrichtig, befeuern sie doch für diejenigen, die des Schwedischen nicht mächtig sind (von denen es mutmaßlich sicher einige geben wird), die mysteriös-skandinavische Melancholie, die sich in allen Songs von Hansan genüsslich breit machen darf.
Obgleich das Konzept natürlich sehr limitiert ist und die Stücke durchweg kontemplativ gehalten sind (mit Ausnahme von "Ett steg fram och tv°a tillbaks" mit dynamisch angeschlagenen Celloklängen), wirkt "Blod eller Bläck" nie langatmig. Denn selbst in den ruhigsten Momenten wie bei "Om vi inte" hört man gebannt Talviks Stimme, die in Mehrstimmigkeit fast schon einem Engelschor gleicht.
Allerdings sind die angeschnittenen Themen bei Hansan keine mystischen Elben- oder Mittelerdegeschichten. Auch wenn "Vårt långa land" zwar so klingt, geht es um Immigration, wärend das umherschleichenden "Vår värld" den Klimawandel thematisiert. In diesen Momenten zeigen sich Hansan als knallharte Sozialrealisten, die genau wissen, wie es um die Welt bestellt ist. Doch auch emotionale Themen - die für's Herz - sind ebenfalls Bestandteil von der Musik des Duos, das in ihrer Art und Weise sicherlich so etwas wie einen eigenen Klang erschaffen haben.
Sofia Talvik und David Floer sind eine äußerst fruchtbare Liaison eingegangen, die bereits in "Nattflykt" funktioniert hat und auf "Blod eller Bläck" weiter verfeinert wurde. Eine wunderbare Platte voller melancholischer Erhabenheit.
Und wenn wir schon vom Weltschmerz reden (was wir bei UNTER.TON ja fast immer machen), ist auch besondere Aufmerksamkeit geboten bei "Strange Dance", dem dritten Album von Philip Selway. Jener hat sich durch seine Arbeit als Schlagzeuger bei Radiohead sowieso schon in die Geschichtsbücher der Popmusik eingeschrieben. Doch auch als Solokünstler zeigt der Mann sehr gut, dass er nicht unbedingt die Unterstützung von Thom Yorke und Co. benötigt.
Dennoch wirkten die ersten beiden Alben "Familial" (2010) und "Weatherhouse" (2014) noch ein bisschen wie eine Suche nach einer ihm eigenen Ausdrucksform. Das Debüt versuchte sich nicht uncharmant an akustischen Strukturen, "Waterhouse" öffnete sich einem komplexer produzierten Sound, der sich dem Post- und Alternative-Rock verschrieben hat. Nun lässt er sich auf "Strange Dance" komplett in diese Richtung fallen und sucht in jedem der zehn Stücke stets die Möglichkeit, in Schönheit zu sterben.
Zugegeben, so einmalig atemberaubend wie in dem zurecht vorab ausgekoppelten "Check For Signs Of Life" ist ihm das selten gelungen. Doch sein Faible für breitwandig arrangierte Kompositionen, denen er seine introvertierte, sanfte Stimme entgegengesetzt, werden im Laufe von "Strange Dance" weitere Highlights erschaffen lassen. Eines davon ist "The Other Side", bei dem klassische Streicherarrangements, ein sanft angeschlagenes Klavier und elektronische Tupfer so etwas wie die musikalische Untermalung vom Übertritt in eine andere Welt bilden.
Seine ersten Schritte als Solokünstler klingen noch bei "Make It Go Away"an, das die Akustikgitarre als Hauptakteur in dieser Komposition stellt, während Geigenparts wie eine sanfte Unterstützung fungieren. Fast wirkt es so, als ob Selway wenigstens musikalisch noch mal zurückschaut. Doch bereits "The Heart Of It All" nimmt wieder ein ausgiebiges Klangbad. Flirrende Streicher, dumpf gefilterte Rhythmen, thereminartige Klänge und in sich ruhende Pianolinien erheben sich mit jedem Takt und öffnen sich zu einem barocken Post-Rock-Juwel.
Beim dritten Anlauf hat Philip Selway wirklich alles richtig gemacht und sich voll und ganz auf seine Intuition verlassen. Nach fast neun Jahren Wartezeit ist dem Drummer ein großartiges Werk gelungen, das ihn, wenn es nicht schon die beiden Vorgänger getan haben, vollends aus dem Schatten von Radiohead heraustreten lässt.
Selway und Hansan bereichern den ausklingenden Winter mit zwei wunderbaren Alben, die der melancholischen Grundstimmung dieser Jahreszeit sehr zuträglich ist, ohne aber einen in seiner Tristesse zu erschlagen. Mehr wird man von einer leichten Traurigkeit umflort, die sich bei "Blod eller Bläck" und "Strange Dance" entwickelt und von der man sich gerne verführen lässt, weil man das Gefühl besitzt, dass es alles nie so schlimm sein kann. Wie auch Selway zum Schliuss singt: "There'll Be Better Days".
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM:28.02.23 | KONTAKT | WEITER: DIARY OF DREAMS VS. MEMORIA>
Webseite:
www.hansanmusic.com
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COVER © MAKRAKI MUSIC (HANSAN), PIAS/BELLA UNION/ROUGH TRADE (PHILIP SELWAY)
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