SCHLEIMER K, PTÔSE, MARCEL KANCHE: GENIALE DILETTANTEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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SCHLEIMER K, PTÔSE, MARCEL KANCHE: GENIALE DILETTANTEN

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Jede Bewegung hat ihre glühenden Speerspitzen, die alles andere überstrahlen und in den Schatten stellen. Im Post-Punk gelten zweifelsohne Siouxsie & The Banshees, Joy Division, Gang Of Four oder auch Bauhaus zu den ultimativen Aushängeschildern. Natürlich geisterten abseits dieser dunklen Helden-Brigade viele andere Projekte umher, die es jedoch nie zu solch einer immensen Berühmtheit gebracht haben. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich hier allerdings ein wahrer Schatz ungehörter Genies und positiv Verrückter, die selbst für damalige Zeiten wohl zu radikal in ihrem Kunstverständnis waren, um eine größere Masse anzusprechen. Dank dem französischen Label Infrastition sind diese vergessenen Helden nicht gänzlich ins akustische Nirwana geglitten. Einige aktuelle Wiederveröffentlichungen dieser Plattenfirma stellt euch UNTER.TON an dieser Stelle vor.

SCHLEIMER K: 1981
Nimmt man die Definition Post-Punk wörtlich, atmet diese Stilrichtung immer noch den Geist von "No Future", ohne aber die zerstörerische Attitüde weiter zwanghaft aufrecht erhalten zu wollen. Das englisch-französische Projekt Schleimer K lebte diese Eigenschaften in ihrer Musik aus. Sänger Michael Wolfen und Multi-Instrumentalist Dominique Brethes sind die "Genialen Dilletanten" (man beachte die Schreibweise) – ein Begriff, der eigentlich für die deutsche Spielart des Post-Punk genutzt wurde, aber kaum treffender die Musik von Schleimer K beschreiben könnte. Ihre Tonkonstrukte sind aufgebaut mit frickeliger, eckiger Elektronik, einigen wenigen Gitarrenakkorden und monoton vor sich hintrabenden Drumcomputern; Gastmusiker steuern dem amateurhaften Sound quietschige Saxophone und rollende Bassfiguren bei. Schleimer Ks erstes, selbstbetiteltes Album ist nun als "1981" mit zwei bislang unveröffentlichten Bonus-Tracks wieder erhältlich. Wie aus diversen Quellen zu erfahren ist, verstand sich die Band als Performancetruppe. Ihre Liveauftritte, gerne mit damals noch schockierenden Ledermasken, wurden teilweise mit Darbietungen von Theaterensembles untermalt. Ihre Musik funktioniert aber auch ohne visuelle Unterstützung ganz hervorragend. Scheinbar vom dunklen Glamour eines Fad Gadget und der Distanziertheit von Grauzone beeinflusst, spiegeln Stücke wie das düster-verhallte "Come To Me" und die theatralische Manie in "Nevermore" die unbändige Spiel- und Experimentierfreude einer viel zu wenig beachteten Band wieder, die auch nicht vor Klassikern halt machte. So wurde aus dem coolen Blues-Klassiker "On The Road Again" von Canned Heat ein nervöser Trip, bei dem am Ende nur mehr der markante Basslauf übrig blieb. So genial daneben klangen kaum andere Bands.


PTÔSE: THE SWOOP/FACE DE CRABE
Punk fegte nicht nur die alten Hörgewohnheiten weg, sondern stellte darüber hinaus auch gängige Vertriebsarten in Frage. DIY hieß das Zauberkürzel: Do It Yourself. Ehe man sich zum Sklaven eines raffgierigen Labels erklärte und in künstlerischer Limitierung sein trostloses Dasein fristen musste, war es vielleicht doch keine so schlechte Alternative, seine Werke gleich selber zu vertreiben. Das dachten sich wohl auch Ptôse aus Niort. 1979 gründeten Benoît und Lionel Jarlan das Ptôse Productions Présente Label, auf dem sie nicht nur ihre eigenen Werke, sondern auch Alben befreundeter Künstler veröffentlichten – allesamt auf Kassette. Unorthodoxe Publikationen waren dieser Tage nicht unüblich. So ist das 1984er-Werk "Swoop" nur ein halbes Album: Die B-Seite besteht lediglich aus dem hektisch-elektronischen "Boule (viens-ici)", das auf 45 abgespielt werden muss. Zwei Jahre später erschien mit "Face De Crabe" allerdings auch schon das dritte und letzte Album der Band. "Swoop" und "Face De Crabe", die für das Re-Release nun mit drei unveröffentlichten Stücken aus dem Ptôse-Archiv angereichert wurden, belegen beispielhaft, wie anarchisch-elektronische Musik klang, bevor Bands wie à;grumh und Pankow kurze Zeit später daraus einen tanzbaren, eingängigeren Sound bastelten. Ptôse indes saß der Schalk im Nacken: Ihre minimalen Stücke wirken wie billige, augenzwinkernde Hammer-Horror-Streifen. Kaum einer kann sich ein Lächeln verkneifen, wenn er beispielsweise "The Bogyman" hört. Das liegt auch am knödeligen Gesang, der an sprachbehinderte Muppet-Monster erinnert. Auf der anderen Seite überrascht das Duo am Ende mit "Flabby Shell", einem fernöstlich angehauchten Instrumental, das einmal mehr belegt, welch musikalisches Wissen die beiden Jungs besaßen. Schade, dass nach "Face De Crabe" alles zu Ende war: Hier fingen sie nämlich an, ihren Stil zu perfektionieren.


MARCEL KANCHE: AIMER L'EUNUQUE AVANT DE GLAUQUER

DIY, die Zweite: Marcel Kanche zählt mittlerweile stolze 60 Lenze und musiziert immer noch. Wer beispielsweise in sein 2006er Album "Vertiges De Lenteurs" reinhört, entdeckt einen Mann, der es sich zwischen Mick Harvey [Plattenkritik hier] und Serge Gainsbourg gemütlich gemacht hat. Düster-jazziger Cocktail-Pop und mollschwangere Piano-Balladen sind sein Metier. Das war aber nicht immer so: Mit der Avantgarde-Truppe Un Département begann Mitte der 70er Jahre seine musikalische Laufbahn. Die Band experimentierte mit Jazz und Punk und bewegte sich im Dunstkreis von Pere Ubu und ähnlich exaltierten Gestalten. Bis zu Kanches offiziellem Debüt "Je Souris Et Je Fume" Anno 1990, wanderte der aus Toulouse stammende Musiker mit seiner Kunst zeitweise ziellos umher. Neben seiner Arbeit bei Un Département brachte er 1983 im Eigenvertrieb die Kassette "Aimer l'eunuque Avant De Glauquer" heraus. Das Tape ist exemplarisch für eine Zeit, in der selbst die grenzwertigsten Heimaufnahmen irgendwie ihre Berechtigung hatten. Dementsprechend dumpf und suppig klingen die unbetitelten Lieder. Texte, so vorhanden, sind kaum zu verstehen. Wirr, konfus und wie auf einem schlechten Drogentrip aufgenommen: So hört sich das, was Marcel Kanche in kleiner Auflage verbreitete, an. Mastering? Nachbearbeitung? Fehlanzeige! Das Album hält den impulsiven Moment fest, will gar nicht sterile Perfektion erlangen. Schroff wütende Loops, ungelenke Rhythmen, vergewaltigte Gitarren, Schreie, Stöhnen: Der Mann zeigt sein ganzes Können als Nicht-Musiker, der jeglicher Harmonie eine klare Absage erteilt. Unter diesem Berg von klanglichem Schrott verbirgt sich aber bereits jene Nachtclub-Stimmung, die Kanche später in geregeltere Bahnen lenken und in seine Alben kanalisieren sollte. So wie bei "Descente De Loire", dem Bonus-Track der Wiederveröffentlichung: Kreischende, vor sich hin sterbende Blasinstrumente werden von einer Orgel im Hintergrund begleitet. Das sind zwei Minuten Todeskampf eines DIY-Spzialisten, der mittlerweile nonchalant die Melancholie pflegt – und bis heute immer noch viel zu wenig Bewunderung erfährt.

|| TEXT: DANIEL DRESSLER // DATUM: 03.06.2014|




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