KISSING THE PINK "ANTHOLOGY 1982-2024": UNTERBEWERTETE POP-FREIGEISTER - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

Direkt zum Seiteninhalt

KISSING THE PINK "ANTHOLOGY 1982-2024": UNTERBEWERTETE POP-FREIGEISTER

Kling & Klang > REVIEWS TONTRÄGER > K > KISSING THE PINK
Es war einfach nicht genug Platz da: Zwischen all den großartigen Bands, die sich Anfang der 1980er in den Charts tummelten, mussten zwangsläufig einige hintenüberfallen. Aber nicht, weil sie qualitativ schlechter waren. Eher lag es an den Begleitumständen wie Support der Plattenfirma oder auch der Mut zum Außergewöhnlichen. Wobei letzteres Kriterium gerade ausschlaggebend war für diese Dekade. Je bunter, je schriller, desto besser.

Bei Kissing The Pink ist es wohl einerseits der sophistische Nimbus der ursprünglich siebenköpfigen Band gewesen, die ihre Stücke immer etwas unberechenbar machten, aber auch der radikale stilistische Wechsel: weg vom Synthie-Pop, hin zu Soul und Dance. Doch der Reihe nach:

Sänger Nicholas Whitecross, die Keyboarder Jon Kingsley Hall und Peter George Stewart, Saxophonistin Josephine Wells, Bassist Peter Barnett, Schlagzeuger Stevie Cusack und Gitarrist Simon Aldridge gründeten sich im Dunstkreis des renommierten Royal College Of Music in London auf und bewohnten sogar das selbe Haus. 1980 beschloss man, gemeinsam Musik zu machen. Kaum ein anderes Jahrzehnt war besser für neue, kreative Köpfe, wie sie Kissing The Pink beherbergte. Ihre erste Single "Don't Hide in The Shadows" blieb jedoch ein Ladenhüter.

Es benötigte erst ein Label- und Produzentenwechsel, um erste kleinere Erfolge feiern zu können. Das 1983 veröffentlichte Debüt "Naked" strotzt dabei noch von überbordenden Ideen und außergewöhnlichen Arrangements, wie sie im surrealen "All For You" zu hören sind. Das erste Album orientierte sich noch stark am New Romantic. "Love Lasts Forever" beispielsweise klingt wie eine freigeistigere Version eines Liedes von Spandau Ballet in seiner Frühphase. Schon da wurde der Funk und Soul späterer Veröffentlichungen zaghaft angetestet. Noch aber dominierten die elektronischen Nummern wie "Watching Their Eyes" oder das marschierende "The Last Film", der es auch zu einem kleinen Achtungserfolg in Großbritannien schaffte.

Der Nachfolger "What Noise", nur ein Jahr später nach "Naked" erschienen, spielte nun auch vermehrt ihr Merkmal als mehrköpfige Band aus. Der vielstimmige Gesang wird zu einem deutlichen Stilmittel von Kissing The Pink, während man sich musikalisch weiterhin in einen etwas verstiegenen, leicht überheblichen, aber stets kunstvoll geklöppelten Elektro-Pop verdingte. Dabei griff "The Other Side Of Heaven" bereits das vor, was ein paar Jahre später Konsens in der Poplandschaft werden sollte. Daneben zeigen "Greenham", "The Rain It Never Stops" und "Each Day In Nine" ihre immer noch heiße Liebe für die unkonventionellen Sounds, die sie wie selbstverständlich in ein Popgewand kleiden. Interessiert hat die Platte allerdings kaum einen, was im Nachhinein eigentlich unbegreiflich ist.

Der große Durchbruch erfolgte dann mit einem Bruch. Auf Druck von Seiten der Plattenfirma, die den kommerziellen Flop von "What Noise" vielleicht wieder gerade biegen wollte, änderte die Band einige ihrer Trademarks. Das ausgedünnte Line- Up sollte nach Wunsch von Magnet Records nämlich auch auf der anderen Seite des großen Teichs bekannt werden. Dass sie sich in Amerika nicht Kissing The Pink, sondern nur KTP nannten, war der Berfürchtung geschuldet, die Gruppe könnte dort wegen des Namens, der auch als Anspielung für den Cunnilingus verstanden werden kann, der Zensur durch die Sitte anheimfallen.

Wesentlich drastischer waren jedoch die stilistischen Einschnitte. "Certain Things Are Likely" ist ein glattgebügeltes, für Fans der ersten Stunde sicherlich schwer zu schluckendes Yuppie-Album. Aber selbst in dieser - teilweise aufoktroyierten - Neuorientierung wirken sie unglaublich kreativ und auch stilsicher. Songs wie "One Step", "Never Too Late To Love You" und dem kommerziell erfolgreichen Titelsong (der wenigstens im fiebrigen Synthie-Rhythmus noch die frühere New-Wave-Ausrichtung durchscheinen lässt) bleiben sofort im Ohr hängen und besitzen auch fast 40 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung eine Zeitlosigkeit. Heimliche Favoriten sind aber nachwievor jene Songs aufdem Album, die - allen Zugeständnissen zum Trotz - immer noch ein bisschen nach Revolte klingen. "No One's On The Same Side" spielt mit der aufkommenden Samplertechnik und einer atonalen Synthiespur und "Dream Dream" wirkt so energetisch wie "You Spin Me Round" von Dead Or Alive.

Diese ersten drei Alben finden sich in voller Länge auf "Anthology 1982-2024" wieder, dazu noch einige Raritäten und eine Menge großartiger Remixe und Extended Versionen der Singleauskopplungen. Um ausnehmend gute Re-Issues hat sich das Label Cherry Red große Verdienste gemacht, und auch beim Zusammentragen des KTP-Material konnte man aus  dem Vollen schöpfen. Dass man "Sugarland" von 1993, das letzte Album der Band, außen vor gelassen hat, liegt wohl daran, dass Kissing The Pink hier schon den Zenit überschritten hatte und ein ungares Werk aus Dance, HipHop und psychedelischen Madchester-Nummern veröffentlichte, das nun wirklich keinen mehr hinter dem Ofenrohr hervorlockte.

Dafür haben Whitecross und die noch verbliebenen Musiker tief in ihren Archiven gewühlt und einige spannende Versionen ihrer Singles ausfindig gemacht, unter anderem der Phgogomix ihrer letzten Single "Stand Up"  von 1988, der den Zeitgeist damaliger Pop-Produktionen perfekt einfängt. Hier ist der Einsatz der Samplertechnik bis zum Exzess ausgereizt, während die Rhythmussektion mit geringen Variationen durch die Neuabmischung stapft. M/A/R/R/S oder Beat Dis lassen grüßen.

Doch der Titel des Kompendiums hat es bereits verraten: Kissing The Pink sind immer noch unterwegs, und die neueren Stücke, die sich auf CD Nummer fünf befinden, zeigt die Gruppe mit sich selbst im Reinen. "Imagine Everyone" ist am Ende das, was Kissing The Pink seit Anbeginn vermitteln wollten. Freude an der Musik. Ein neues Album von Kissing The Pink ist übrigens auch schon in Arbeit.

Schwelgen wir jedoch erst noch einmal in Erinnerungen und rufen wir uns ins Gedächtnis zurück, mit wieviel großartigen Songs uns Kisiing The Pink beschenkt hat. Eine Wiederentdeckung, die sich von der ersten bis zur letzten Nummer lohnt. Damals war kein Platz da, vielleicht ist es ja jetzt anders.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 27.02.24| KONTAKT | WEITER: KLEZ.E "ERREGUNG">

Webseite:

Kurze Info in eigener Sache
Alle Texte werden Dir kostenfrei in einer leserfreundlichen Umgebung ohne blinkende Banner, alles blockierende Werbe-Popups oder gar unseriöse Speicherung Deiner persönlichen Daten zur Verfügung gestellt.
Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du etwas für dieses kurzweilige Lesevergnügen zurückgeben möchtest, kannst Du Folgendes tun:
Druck' diesen Artikel aus, reich' ihn weiter - oder verbreite den Link zum Text ganz modern über das weltweite Netz.
Alleine können wir wenig verändern; gemeinsam jedoch sehr viel.
Wir bedanken uns für jede Unterstützung!
Unabhängige Medien sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich.
Deine UNTER-TON Redaktion


POP-SHOPPING


"ANTHOLOGY 1982-2024" BEI AMAZON




Du möchtest diese CD (oder einen anderen Artikel Deiner Wahl) online bestellen? Über den oben stehenden Link kommst Du auf die Amazon.de-Seite - und wir erhalten über das Partner-Programm eine kleine Provision, mit der wir einen Bruchteil der laufenden Kosten für UNTER.TON decken können. Es kostet Dich keinen Cent extra - und ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein unabhängiges Magazin sind, das für seine Inhalte und Meinungen keine finanziellen Zuwendungen von Dritten Personen bekommt. Mit Deiner aktiven Unterstützung leistest Du einen winzig kleinen, aber dennoch feinen Beitrag zum Erhalt dieser Seite - ganz einfach und nebenbei - für den wir natürlich außerordentlich dankbar sind.

COVER © CHERRY RED RECORDS

ANDERE ARTIKEL AUF UNTER.TON

Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.



                                                      © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
Zurück zum Seiteninhalt