"NEXT WAVE ACID PUNX DEUX SECRET CUTS" VS. "ZEITGEIST CHROME VOL. 02": AUS ERFAHRUNG GUT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"NEXT WAVE ACID PUNX DEUX SECRET CUTS" VS. "ZEITGEIST CHROME VOL. 02": AUS ERFAHRUNG GUT

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Seine Vorlieben reichen von Ennio Morricone bis hin zu Front 242. Curses, der eigentlich Luca Venezia heißt, gebürtig aus den Staaten kommt, aber in Berlin seinen Lebensmittelpunkt hat, passt nur zu gut in diese Stadt, ist seine musikalische Sozialisation offenkundig sehr europäisch geprägt. Doch mehr noch als ein Freund dunkler elektronischer Musik, ist er ein Vermittler zwischen den Welten. Wenn er selbst an die Maschinen tritt, entstehen eigenwillige Stücke, die den Nihilismus und die Dekadenz des Studio 54 in sich tragen, in ihrem schummrigen Arrangement jedoch klar im dunklen Wave der 1980er und 90er Jahre verwurzelt sind. Dark Disco nennt sich das, was er macht, und Curses hat damit steten Erfolg.

Als DJ ist der Mann aber natürlich auch auf der Suche sowohl nach den neuesten Trends, als auch nach den vergessenen Schätzen. Sie fanden sich jüngst auf der zweiten Folge seiner "Next Wave Acid Punx"-Reihe. Auf drei CDs baut Curses Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart, lässt neue Projekte auf altbekannte Heroen elektronischer Klangerzeugung treffen und verweist mit noch frischen, ungehörten Acts auf das, was im Untergrund tanztechnisch noch alles auf uns zukommen wird.

Szenemagazine wie das Faze Mag lobten die Zusammenstellung, der Radiosender BBC 6 machte "Next Wave Acid Punx Deux" zum Sampler der Woche. Ohne Zweifel war dieses Kompendium ein vielbeachtetes im vergangenen Jahr. Doch konnte Curses seine ganzen Lieblinge nicht unter einen Hut bringen. Den Sampler aber noch weiter vollstopfen wäre des Guten zu viel gewesen. Doch der Mann vergleicht seine kuratierende Arbeit mit einem Live-Konzert: Man muss noch einige gute Nummern für die Zugabe in petto haben.

Diese werden nun als Sequel unter dem Banner "Secret Cuts" veröffentlicht. Wie versprochen, handelt es sich hierbei nicht um hastig zusammengeklöppeltes Kompendium, bei dem man den Trend ausschlachtet und noch auf einen schnellen Euro hofft, während man bei der Qualität der Ware mehr als ein Auge zudrückt. Das würde auch gar nicht zu Curses' Philosophie passen.

Vielmehr krendenzt uns der Zauberer im dunklen Raum noch einmal eine spannende auditive Reise, die in vielen Momenten ein großartiges Nostalgiegefühl heraufbeschwört. "Get Lost" von Curses selbst produziert, ist dem Old-School-EBM der großen Namen wie Front 242 oder Nitzer Ebb nachempfunden, wie es auch bei "Body Attestation" von Chrome Corps der Fall ist. "In My Dreams" der formidablen Nuovo Testamento wird im bislang unveröffentlichen Powerhouse Mix zu einem Rückverweis auf die frühe Euro-Dance-Epoche und die Redux Version von "The Deep End", wieder vom Meister höchstpersönlich, winkt mit seinen verschlankten Disco-Beats und den transparenten Sounds John Carpenter freundlich zu.

Die "Secret Cuts" bringen einmal mehr einen großartigen Sound aufs Tablett, der sich aus der Vergangenheit speist, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Curses mausert sich dafür immer mehr zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt in der Szene. Doch das ist erst der Anfang, da wird noch mehr kommen.

Generell steht die Frage ja im Raum: Wie kann sich eine Szene organisch weiterentwickeln? Das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation ist unterschiedlichen äußeren Einflüssen ausgesetzt und ändert sich daher fortwährend. Gab es zu Beginn des neuen Jahrtausends Bestrebungen, Trance-Elemente mit EBM-Strukturen zu verweben - was als Future Pop Erfolge über die Szenegrenzen hinaus feierte -, sind in den letzten Jahren der minimale Cold Wave und Post-Punk der ersten Generation die Anknüpfungspunkte vieler Musiker, um Gothic als musikalisches Feld neu zu bestellen.

Wenn es um die neuen Kräfte in der Subkultur geht, gehört das Label Cold Transmission zweifellos zu den progressivsten. Die Plattenfirma sucht weltweit nach Gruppen sowie Musikerinnen und Musikern, die mit ihren Sounds eine neue Facette in die schwarze Musiklandschaft bringen. Noromakina beispielsweise ist ein Projekt des Musikers Juan Manuel aus Bogotà, der Hauptstadt Kolumbiens. Auch dort wird unterkühlter Dark Wave gehört - und sogar sehr gut selbst hergestellt.

Er ist einer der Gäste auf der zweiten Folge der "Zeitgeist Chrome"-Reihe; vertreten ist er mit dem feinen "Dopamine". Das Konzept dieser Zusammenstellung bleibt weiterhin gleich: Songs, die es bislang noch nicht auf einen haptischen Tonträger gab, werden nun, neben des obligatorischen Downloads, auf Vinyl veröffentlicht. Der musikalische Rahmen ist dabei schon vorgegeben: Tanzbar soll es sein. Wieder einmal eröffnet S Y Z Y G Y X aus den Staaten den musikalischen Reigen. Luna Blancs Solo-Projekt zeichnet sich seit jeher durch postapokalyptische Sounds aus, die sie mit ihren emotionalen Texten zu kompromisslosen Tracks mit einer dunkelerotischen Grandezza formt. "Your Sex Is An Accelerant" bildet da erfreulicherweise erwartungsgemäß keine Ausnahme.

Im Laufe der Platte finden sich organischere Songs wie "Our Moments Are Answers" von Kalte Nacht aus Athen und "Destroy" von Deus Ex Lumina (Wahlberliner mit Wurzeln in Buenos Aires) und Antipole sowie herrlich verwaschene Coldwave Nummern, von denen vor allem Oliver Decrow aus Dresden heraussticht. Sein "I Close My Eyes" setzt den Song bis zum Anschlag in Hall und generiert so eine trübneblige Stimmung, ein jenseitiges Gefühl.

Auch auf der zweiten Folge von "Zeitgeist Chrome" zeigen die Musizierenden, mit welchen musikalischen Talenten sie beschlagen sind. Das Label präsentiert sowohl seine Künstler, als auch mit Permanent Daylight und ihrer Nummer "Temptress" eine schottisch-indische Formation, die ihre Zelte in Berlin aufgeschlagen hat und nicht zum Cold-Transmission-Roster gehört. Denn  die Macher der Plattenfirma waren und sind nie darauf aus, nur ihre eigenen Bands zu pushen, sondern auch - im Sinne einer sich stetig weiterentwickelten Szene - den interessanten Acts Platz zu geben, ganz gleich ob sie der Label-Familie angehören oder nicht. Das ist vorgelebte Liebe für die Sache und überaus vorbildlich.

Zu behaupten, dass "Next Wave Acid Punx Deux - Secret Cuts" und "Zeitgeist Chrome Vol.02" die großen Überraschungen auf dem Samplermarkt sind, wäre eine Lüge. Ehrlicherweise muss man zugeben, dass man schon im Vorfeld hohe Erwartungen an diese Zusammenstellungen setzt; die Erfahrung hat gezeigt, zu was Curses und Cold Transmission fähig sind. Gut, dass sie auch dieses Mal wieder den Erwartungen in vollem Umfang gerecht geworden sind.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.02.24 | KONTAKT | WEITER: ZINN "CHTHULUZÄN">

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COVER © ESKIMO RECORDINGS ("NEXT WAVE ACID PUNX DEUX SECRET CUTS"), COLD TRANSMISSION ("ZEITGEIST CHROME VOL. 02")

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