SYNTHBOX "STILL ALIVE" VS. CREATING.PARADISE "COULD YOU HURRY": GRÜSSE AUS DER SUB-SUBKULTUR
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Eine "einfache und unspektakuläre Version von Synth-Pop". So beschreibt Jens Nagel sein neuestes Projekt SynthBox.
Klingt beim ersten Lesen nicht gerade spannend. Gieren wir bei
musikalischen Neuheiten eben nicht gerade nach Spektakel, nach dem
Außergewöhnlichen, dem Inkommensurablen? Genau das liefert uns aber der
Mann, der uns bereits mit seinem Projekt Real von seiner musikalischen Expertise überzeugt hat, mit dem Album "Still Alive".
Denn
was er macht, ist nichts weniger als eine Komplettverweigerung aller
momentan vorherrschenden Trends, die den Hang zur Opulenz und zu
technisch perfekten, aber auch ziemlich seelenlosen Popsongs
favorisiert. "Still Alive" will nicht cool sein, schon gar nicht
irgendwie hip oder auf Augenhöhe mit den aktuellen Produktionen.
Aufgewachsen in den Anfangstagen der elektronischen Popmusik, zieht es
Jens Nagel zu den einfachen Songstrukturen, die er in neun Songs
erstaunlich souverän aufzieht. Zudem erlaubt er sich, die gängigen
Strophe-Refrain-Strophe-Schemata zu verlassen, wenn das Lied es
erfordert.
Teilweise überlässt Jens
die Bühne komplett der Musik wie bei "Dancy". Der Titel ist dabei
wörtlich zu nehmen, wobei seine Tanzmusik dem Trance entnommen, aber in
ein Low-Fi-Korsett gesteckt wurde. Einige unerwartete Einschübe wie die
filigrane Akustikgitarre im Titelsong erhalten durch das reduzierte
Arrangement eine erhöhte Aufmerksamkeit. "The Light" weckt mit seiner
frostigen Minimalelektronik Erinnerungen an Acts wie The Klinik.
Auch "Deep Side Of The Moon" lässt die Anfangszeit der elektronischen
Popmusik, als diese noch mehr einer großen Spielwiese glich, wieder
aufleben.
Und
wie damals auch mit bestehenden Stilen gespielt wurde, ist "Still
Alive" ein Reigen an Querverweisen. "C. Future" bezieht sich lose auf
den kultigen Soundtrack von "Captain Future", geschrieben vom
Schlagerkomponisten Christian Bruhn, "The Deputy" pfeift sich gleich
einem Westernstreifen durch die Komposition. Man merkt dem Musiker die
Freude an diesem Projekt an, das ihm erlaubt, sich einfachster Rhythmen
und körniger Analog-Synthesizer zu bedienen. Keine wummernden Beats,
keine breiten Flächen: Hier werden die Musikmaschinen so benutzt, als
habe der Musiker das erste Mal mit ihnen einen Song geschrieben.
"Still
Alive" ist die naive Freude an der rudimentären Elektronik, weswegen
man es ungeprüft hinnehmen würde, wenn jemand behaupte, SynthBox ist ein
verschollenes Projekt aus den frühen 80ern, das man wieder ausgegraben
hat. Nagels Nummern würden sich auf jeden Fall nahtlos in eine Reihe
anderer DIY-Elektronikern aus der Pionierzeit einfügen.
Bei creating.paradise
ist der momentane Zeitgeist ebenfalls abstinent. Die Band der beiden
Björns (Mühlnickel und Honert) hat sich einem sehr eisigen Electrosound
verschrieben, der sich im Dunstkreis von verschiedenen Electro-Bands aus
den mittleren und späten 1990ern befindet. Wer sich an das leider sehr
kurzlebige, aber großartige Projekt Analogue Brain (die es nur zu einem
Album gebracht haben) erinnert, wird ungefährt die musikalische Richtung
von creating.paradise einschätzen. Hier kommen knorrige Beats, klarer
Gesang und klaustrophobische Synthesizer zum Einsatz, die den Titelsong
der EP "Could You Hurry" zu einem Eisblock der Emotionen macht.
Ihre
Liebe für Sprachsamples wird vor allem beim nachfolgenden "ABC-Alarm"
deutlich. Was allerdings geradezu erschreckend ist: Das Musikstück
scheint sich eher auf die Zeit des Kalten Krieges zu verweisen, wirkt
aber erschreckend aktuell, weil auch in diesen jetzigen Zeiten die Frage
nach einem atomaren Krieg leider so erschreckend nah wie schon lange
nicht mehr ist. Da bleibt einem fast nichts anderes mehr übrig, als in
die innere Emigration zu gehen.
Das
tun creating.paradise auch - in Form vom dritten und letzten Stück
"Night Patrol". Dabei handelt es sich um einen Song des Musikers Oliver Jordan,
einem Künstler, der von schwerer geistiger Krankheit gezeichnet ist und
im Schreiben von Songs eine Art Selbsttherapie vollzieht. Sein
aktuelles Werk trägt den beredten Titel "Greetings From The Mental
Hospital".
Während
Jordan aber den harten Gitarrenklängen frönt, ist die Neuinterpretation
des Hamburger Duos mit anderen Mitteln der depressiven Grundstimmung
sehr nah. Der wabernde Track kommt fast ohne Schlagwerk aus, lässt
gedankenverlorene Synthesizerklänge und einer durch Effekte verwaschene
Stimme auf den Hörer los. Wenn am Ende immer wieder "I have lost my
mind" angestimmt wird, dann wirkt es tatsächlich so, als sei das
lyrische Ich in seinen unüberwindbaren Gedanken gefangen. Die EP
überbrückt überzeugend die Zeit bis zum neuen Album, dessen
Veröffentlichung aber noch nicht genauer terminiert ist.
Der
Wunsch nach künstlerischer Abgrenzung und das finden einer "eigenen
musikalischen Sprache" steht immer im Zentrum jedes Menschen, der sich
für diesen Weg entschieden hat. SynthBox und creating.paradise gehen
dabei den Pfad des größten Widerstandes. Dafür bescheren sie uns
Kunstwerke voller authentischer Schönheit und großer Freude am Spiel.
"Einfach und unspektakulär" kann manchmal schon verdammt cool sein.
www.creatingparadise.de
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COVER © Nagelwork (SynthBox), creating.paradise
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Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.
© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
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