11/24: PLASTIC ESTATE, IAMNOONE, YODELICE, BLACK DOLDRUMS, THE SILENCE INDUSTRY - DEEP IMPACT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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11/24: PLASTIC ESTATE, IAMNOONE, YODELICE, BLACK DOLDRUMS, THE SILENCE INDUSTRY - DEEP IMPACT

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2024
Es gibt sie noch: junge Bands, die sich trauen, Popmusik zu  erschaffen, die nicht die Abgebrühtheit (aber auch Seelenlosigkeit) der  aktuellen Hitproduktionen übernehmen, sondern sich auf die aufregende  Zeit vor ihrer Zeit besinnen. Denn Plastic Estate  aus Cardiff besteht aus zwei Millennials, die von den 80ern höchstens  noch durch der Eltern CD-Schrank erfahren haben. Dennoch klingt viel von  dem, was man auf "Code D'amour" zu hören bekommt, sehr aus einer Zeit,  als die Popmusik ihre vielleicht ihre schönsten Blüten hervorbrachte.  Hört man sich beispielsweise "2000 Ways" an, mit seinen offenen  Melodien, der latenten Melancholie und dem leicht manirierten Gesang,  ist man schnell bei einer Band wie Cock Robin  als Referenzgröße angelangt. Natürlich merkt man aber auch, dass  Plastic Estate keine reinen Epigonen sind. "Tonight" mit seinen  trancigen Melodien sowie die straighten Club-Beats in "Meet You There"  verraten "Code D'amour" als aktuelle Produktion. Dass Plastic Estate  aber unter anderem die Unterstützung von Simon LeBon von Duran Duran  genießt, ist kaum verwunderlich. Schließlich strahlt das zweite Album  der Waliser eine gewisse Zuversicht aus. Gerade in den dunklen Zeiten,  in denen wir uns befinden, wirken Songs wie "Open Eyes" oder "Helping  Hand" wie ein Stimmungsaufheller, den man gerade jetzt dringend nötig  hat. Dabei sind die Texte nicht unbedingt von Positivität durchzogen  (man höre sich einfach letztgenannten Song mal aufmerksam an). Dennoch  sind allen Stücke des Duos eine erkennbare Zuversicht implementiert -  vor allem in den entspannten Sounds, die an die unbeschwerten Momente  des Lebens erinnern wollen.

In Sachen Popverständnis hat auch das italienische Projekt iamnoone  einige Schritte nach vorne gemacht. Vor allem, wenn man sich den  letzten Song ihres neuen Albums "The Joy Of Sorrow" anhört. "Pain" kommt  mit tröpfelnden Pianoklängen und einem schnittigen 80s-Synthiesound  daher. Damit weichen sie von ihrem bisherigen tanzbaren Coldwave  ziemlich ab. Doch auch in diesem Stück steckt hinter der anheimelnden  Fassade ein dunkler Korridor. "Pain is the only light that I can see"  heißt es da: Der Schmerz als eine willkommene Emotion; erst in den  schwierigsten Stunden spürt sich das Individuum, nimmt sich wahr. Damit  greift das Stück noch einmal die Prämisse des Albumtitels auf: "The Joy  Of Sorrow" - Leitbild für die Grufties dieser Welt, die erst in den  melancholischen Momenten ihren Seelenfrieden finden. Doch all zu  tiefgründig wollen wir das Album nicht interpretieeren, denn in erster  Linie steht das Duo für üppige, tanzbare Elektronik mit Hang zur  Weltschmerz-Geste. Sänger Philippe Marlat erinnert dabei in Stimmfarbe  und Duktus entfernt an Peter Spilles (Project Pitchfork)  in seiner Frühphase. Das helle, leicht kratzige Timbre fügt sich  nahtlos ein in die Songs, die im Vergleich zum Vorgänger "Togehter  Alone" keine Gefangenen mehr nimmt und in jedem Moment funkeln. Vor  allem "Third, Fourth And Fifth" sowie "Soulless" und "The Age Of  Sadness" sind großartige Nummern mit einem hohen Wiedererkennungswert  geworden und zeigen iamnoone auf dem Zenit ihres Schaffens. Die Beats  sind knackiger, die Melodien ausladender und die ganze Produktion  einfach mutiger. "The Joy Of Sorrow" hat das Zeug, ganz groß in der  Szene einzuschlagen.

Ebenfalls könnte das bei Yodelices  neuestem Werk "What's The Cure" passieren. Und das wäre sicherlich eine  kleine Sensation. Schließlich hat der 45-jährige Franzose, der  bürgerlich eigentlich Maxime Nouchy heißt, bislang einen komplett  anderen Weg eingeschlagen. Waren seine früheren Werke noch stark vom  Blues und Singer/Songwriter beeinflusst, wird auf "What's The Cure" ein  ganz neuerYodelice offenbar, der den Post-Punk der späten 70er Jahre  sowie die feinen Vorzüge elektronischer Klanggenerierung favorisiert und  in Verbindung setzt. Seine Stimme begräbt er unter einer Menge Effekte,  sodass am Ende eine Gesangsspur dabei herauskommt, die an Dave Gahan von Depeche Mode  erinnert. Das liegt sicherlich auch an den Songs, die in ihrer Ästhetik  den Jungs aus Basildon nachempfunden ist. So könnte "Cutting Like A  Knife" und "Muse In Motion" auch aus einem Gahan-Soloalbum oder dem  letzten guten DM-Werk "Playing The Angel" stammen. Für die Elektronik  zeichnet übrigens kein geringerer als Gesaffelstein  verantwortlich, der mit seinen Programmierungen den Songs die nötige  Weirdness verpasst. Auf dem Album findet sich allerlei: von  gesellschaftskritischen Tönen im Titelsong bis hin zu breitbeinigem  Gegniedel in "Desert Song". Und "Vampire" könnte, wie schon eingangs  erwähnt, mit seinem staubigen Glam-Shuffle (wer hat noch Goldfrapps  "Ooh la la" im Ohr?) und der verhandelten Thematik auch in der  alternativen Szene einschlagen. Yodelice gelingt mit "What's The Cure?"  ein Album, das zwar in seiner ganzen Ästhetik eigentlilch 20 Jahre zu  spät kommt. Aber gute Musik kennt bekanntermaßen kein Verfallsdatum.

Manchmal braucht es nur einen Moment eines Songs, um sofort von ihm vereinnahmt zu sein. Bei den Black Doldrums  ist es der Opener ihrer zweiten Platte "In Limerence", namentlich  "Hideaway": Die sirenenhafte, in viel Hall eingewickelte Gitarre und die  alerte Stimme von Kevin Goddard verfangen beim ersten Hören. Mit diesem  akustischen Pfund kann das Londoner Trio gut wuchern - "Hideaway" hat  die Band folgerichtig als Singleauskopplung auf den Markt geworfen, um  die Erwartungen an das neue Album zu schüren. Das bedeutet aber auch,  dass Black Doldrums abliefern müssen. Und das machen sie auch: "Dying  For You" kommt in einem schleppenden, reduzierten Sound daher, "Summer  Breeze" liebkost den Hörer mit schön traurigen Saitenspielen, die  unweigerlich The Cure auf den  Vergleichsplan rufen. Hervorzuheben ist vor allem Schlagzeugerin Sophie  Landers, die den Songs das perfekte rhythmische Korsett verpasst.  Zwischen minimalem Beat und mit üppigen Fills ausgestatteter Performance  verleiht sie den Nummern eine ganz eigene Note. "Need" mag da  exemplarisch stehen für ihr Talent, auch weil die Nummer mit den  archaisch-hypnotischen Pattern beginnt. Ohnehin ist "In Limerence" von  einer ursprünglichen Kraft durchzogen, die sicherlich Zeugen des  Post-Punk-Urknalls goutieren werden. Viel Joy Division,   die schon erwähnten The Cure, aber in "Changing Of A Season" auch  viele Merkmale der neuen Generation von Traurigkeits-Rockern lassen sich  ausmachen. Unter dem Strich bietet "In Limerence" ein großartiges  Hörerlebnis. Die Kleinstadt Kusel in Rheinland-Pfalz darf sich freuen:  Sie ist bislang der einzige Ort in Deutschland, wo The Black Doldrums  auftreten werden.

Einen Fleißpunkt verschenken wir The Silence Industry  schon einmal für den Titel ihres neuesten Werkes: "The Lamest Cyberpunk  Dystopia You Could Imagine". Was für ein herausragender Name! Aber der  ist nicht von Ungefähr gewählt. Das Projekt aus Vancouver liebt das  Spiel mit den klischeebhafteten Erwartungen seitens der Hörerschaft.  Denn Silence Industry kann man zwar in die Gothic-Rock-Schublade stecken  - aber man kriegt diese nicht zu. Dafür finden sich immer wieder  unerwartete Ecken und Kanten, die so gar nicht in das Bild passen  wollen. "As The Walls Close In" beginnt noch mit klassischem Dunkelrock,  der unmissverständlich zu sein scheint. Auch "Forward And/Or Dust"  bringt das Gefühl klassischer Gothic-Rocker im Zeitalter des Kalten  Krieges wieder zurück (was nicht schwer ist angesichts der Tatsache,  dass wir zum Teil mit den selben Zukunftsängsten konfrontiert sind wie  vor 40 Jahren). Doch dann sind da diese experimentellen Kleinode wie  "Misery Machines Go Brrr", das lediglich aus einem 20-sekündigen Surren  besteht, oder "And Echoes In The Sounds Of Violence", welches mit seiner  monoton vor sich hin wabernden Soundfläche, den Sprachsamples und einem  fernen Schlagzeuggrollen wie das Intro einer Nummer von Pink Floyd  wirkt. Doch genau diese Mischung aus tradiertem Endzeit-Rock und  experimentellen Einschüben, die sich weit von den Genregrenzen  wegbewegen, machen die packende Dynamik von der angeblich lahmen  Cyperbunk Dystopie aus. Endzeitlich geht es aber auf jeden Fall bei  Mastermind Graham Jackson zu. Sein Album ist der Versuch einer  Existenzdefinition in Zeiten unüberschaubarer gesamtgesellschaftlicher  Probleme und Herausforderungen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 23.10.24 | KONTAKT | WEITER: SYNTHBOX VS. CREATING.PARADISE>

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