LAURA SCHEN VS. S Y Z Y G Y X VS. DINA SUMMER: DER RHYTHMUS DES NACHTLEBENS
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Das wiederholte Entdecken der Zahl Elf interpretieren daher viele als einen Kommunikationsversuch der Engel mit einem irdischen Individuum. Das mag manche ungläubig dreinblicken oder die Stirn in Falten legen lassen. Die in Berlin lebende, gebürtige Italienerin Laura Schen zieht jedenfalls Kraft aus dieser Mystik und bettet sie in ihr fünftes Album "11:11" ein. Damit steht sie in einer Linie mit Regina Spektor und dem Rapper Cro, die ebenfalls Alben unter diesem Titel veröffentlicht haben.
Doch keiner der beiden kann nur annähernd die enigmatische Tiefe erreichen wie Laura. Aus subbassigen Regionen steigen brummende Synthielinien hervor, das Schlagwerk vermeidet den marschierenden Vierviertelbeat und erinnert eher an schamanische Trommelstücke. Und dann ist da auch noch die Musikerin selbst, die mit großer Geste ihre Texte darbringt. Worum es geht? Ist eigentlich schon Nebensache. Laura Schen könnte ebenso das Telefonbuch von Berlin einsingen. Denn ihr beschwörender Gesang wird zu einem weiteren Instrument, welches Wörter überflüssig macht und die Reine Emotion transportiert.
Besonders in den redundanten, Mantra artigen Gesängen (besonders bei "Desire" perfekt vorgetragen) gelangen wir zusammen mit der Künstlerin auf eine höhere Bewusstseinsebene. Ebenso bringt "Kiss" mit seinem donnernden Rhythmen und den fast schon flüsternden Gesang das Gefühl einer geisterhaften Beschwörung hervor.
Bei "11:11" geht es dunkel und bedrohlich zu, doch manchmal lichten sich die Schleier. Dann können "Destination Love" und "Model" als vergleichsweise anschmiegsam und eingängig bezeichnet werden. Es dominieren aber die dunklen Klänge einer Ausnahmeerscheinung im elektronischen Sektor. Nach fünf Jahren Stille zeigt sich Laura Schen kompromissloser und klanggewaltiger als je zuvor.

Auf "Sinner" beleuchtet die Amerikanerin die Frage nach sündhaftem Tun. Dabei geht es nicht mal um das religiös aufgeladene Schuldverhalten, sondern um die unscheinbaren, oft unbeabsichtigt sündigen Verhalten. Sich beispielsweise glücklich zu fühlen, auch wenn die Welt um einen in Traurigkeit versinkt. Oder die vielen kleinen und großen Fehler, die man begeht: Bei Luna sind sie nicht zwingend negativ konotiert, sondern eine Notwendigkeiten in der persönlichen Entwicklung. "Fehler sind Helfer - nur anders geschrieben", lautet ein Sprichwort. Treffender könnte es nicht für den Inhalt von "Sinner" stehen.
Völlig ohne Fehler behaftet muten dagegen die Songs an, die trotz unkonventioneller Sounds und einer Produktion, die konträr gegen alle aktuellen Hörgewohnheiten läuft, so punktgenau ins Schwarze trifft. Wenn in "Game Over" ein poröser Beat von einem Schrammelgitarrensample begleitet und 80s-Synthesizerlinien umwölkt wird, ist das so ziemlich das einzigartigste, was es heutzutage zu hören gibt. "Unsedated/Complicated" dagegen arbeitet sich an metallischen EBM-Sequenzen ab, die an das Album "Volle Kraft voraus" von den Krupps erinnert.
Wie Luna selbst in einem Interview erzählte, ist sie ein großer Fan von den Filmmusiken eines John Carpenter. Das mag den latenten 80er-Drall des Albums erklären. Vor allem "Next To You" mit seinen neonleuchtenden Synthwave-Strukturen legt das überzeugendste Zeugnis davon ab. Auch "Ruby Red" ist so ein getarnter Eighties-Schinken, das an Italo-Disco oder frühe Electro-Pop-Kombos erinnert. Letzten Endes verraten aber einige Effekte innerhalb der Komposition, dass es sich um ein Werk der Gegenwart handelt.
Um das Album zusammenfassend zu beschreiben, hat uns S Y Z Y G Y X auch einen perfekten Abschlusssong mitgeliefert, der gleichzeitig die Conclusio von "Sinner" bedeutet. "People Pleaser" - mehr muss man über dieses Album eigentlich nicht mehr sagen.

Der Erfolg zog zuletzt eine Remixscheibe nach sich, auf dem sich unter anderem DJ Hell tummelte. Dies war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich. Auf "Girls Gang Remixes Vol. 2" kommen die nächsten befreundeten DJs sowie Produzentinnen und Produzenten zu ihren Ehren. Jeder modelt das Originalmaterial erfolgreich um und deckt die verschiedenen musikalischen Facetten der Songs auf. So verwandelt Karla Lynch den Song "Hypnotized" in einen dunkel vor sich hin rollenden House-Felsbrocken, während "No More Tears" in der Nachbearbeitung vom deutschen Projekt The World Domination mit einem ballernden Beat und 90s-Rave-Atmosphäre geradezu prädestiniert für die Dark-Disco-Nächte ist.
Der queere griechische Act Boys' Short dagegen bleibt nah am Sound von Dina Summer und setzt akzentuierte Klänge auf einem von treibenden Rhythmen beherrschten "Promise Me". Das intensiviert den Gesang von Curses, der wie ein Geist durch die Komposition wandelt: "Please don't miss me when I'm gone" - eine Textzeile, die in dieser Version noch apokalyptischer klingt.
Die geballte Ladung 80er-Feeling hat der in Paris ansässige DJ Krassimeon bei "Zombie" herausgeholt. Das nach vorne geschobene Schlagzeug mit den dekadetypischen Fills, dazu noch ein bisschen Arpeggiospielereien und ein Pseudo-Horror-Ambiente garantieren einen wohligen Schauer und die unbändige Lust, sich in Richtung Tanzflur zu bewegen.
Wieder einmal haben Dina Summer bewiesen, dass eine Zweitverwertung von Musik in Form von Neuinterpretationen nicht immer schief laufen muss. Auch beim zweiten Mal hat sich die Mehrarbeit gelohnt; die Stücke erstrahlen in neuem Licht und ändern unseren Blick auf sie. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es noch einen dritten Teil geben würde. Die "Girls Gang" zieht weiter um die Häuser.
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COVER © LAURA SCHEN, COLD TRANSMISSION (S Y Z Y G Y X), IPTAMENOS DISKOS (DINA SUMMER)
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