8/25: PSYCHE, STAATSEINDE, CAMY HUOT, A SHRINE TO FAILURE, RASKOLNIKOV - ALT EINGESESSENE UND NEU ZUGEZOGENE - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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8/25: PSYCHE, STAATSEINDE, CAMY HUOT, A SHRINE TO FAILURE, RASKOLNIKOV - ALT EINGESESSENE UND NEU ZUGEZOGENE

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Psyche sind ein Phänomen. Seit über 40 Jahren bereichern sie den Musikzirkus mit einem dunkel bepinselten Synth-Pop, der einige größere Hits wie "Unveiling The Secret" oder "Prisoner To Desire" hervorbrachte, seinen Mastermind Darrin Huss aber nie zur Szenegröße hat avancieren lassen. Mit "Future Memories" wird besonders die Frühzeit des Projekts noch einmal beleuchtet. Das Album ist eine Ansammlung verschiedener rarer Maxi-Versionen, darunter einer ihrer Meilensteine: "Goodbye Horses" (im Original von Q Lazzarus) erstrahlt im Immortality Mix geradezu, während der klassische 12" Remix von "Unveiling The Secret" in erster Linie viel Zeitkolorit enthält. Ohnehin sind die Versionen auf dieser Zusammenstellung nicht nur ein wunderbarer Überblick über das Schaffen von Psyche, die aufgrund von Darrins Gesang immer wie eine melancholischere Version von Soft Cell wirkten, sondern vor allem eine Dokumentation über die Kunst ausufernder Songverlängerungen. Die aufgeblasene Version von "Uncivilized" arbeitet mit Synthiefanfaren und einigen Italo-Disco-Versatzstücken, und "Prisoner To Desire" im Re-Animated Mix fängt die leicht fiebrige Atmosphäre dieser Zeit perfekt ein. Während ein Beat stoisch vor sich hintaktet, passiert auf gesanglicher Ebene einiges: Da hat jemand die große Kiste mit den Stimmeffekten und Sampletechniken aufgemacht und einfach mal alles ausprobiert. Genau diese Unbedarftheit, gepaart mit dem hörbaren Kampf der Menschen gegen die Maschinen, macht den Charme und Charakter damaliger Maxi-Versionen aus. Dagegen wirkt die Joy-Division-Neuinterpretation von "Disorder (Elegy Mix)" geradezu züchtig, liefert aber den entscheidenden Hinweis auf die musikalische Sozialisation von Psyche. "Future Memories" ist nicht nur eine gelungene Best-Of-Variante, sondern auch ein guter Überblick für all diejenigen, die Psyche erst im neuen Jahrtausend für sich entdeckt haben.

Relativ jung dagegen ist das niederländische Projekt Staatseinde, deren Mitglieder namens Der Neo und Andy Dufter sich bereits in unterschiedlichsten Genres ausgetobt haben - von Shoegaze über Industrial und Grunge. Seit den mittleren 00er Jahren haben Staatseinde ihren Sound kultiviert und bringen mit "Artificial Renaissance" einen überzeugenden Longplayer auf den Markt, bei dem das Zweiergespann einen perfekte Mischung aus anschmiegsamen Pop-Sounds und neckischen Klängen gefunden hat. "Tanzverbot" mit seinem holprigen Deutsch und den klassischen EBM-Strukturen oder das ebenfalls schrullig-surrende "Une Memoire Sans Fin" sind im Kern eigentlich Punk-Songs, während "Suicide Tuesday" dank seiner schimmernden Synthiesequenzen einen angenehm melancholischen 80er-Flair verbreitet. Bei "The Trip" deutet man sogar Drum'n'Bass und Dub an, und "Freight" ist ein rumpeliger, aber charmanter Italo-Disco-Stomper. Trotz der vielen Ausflüge in die verschiedenen Bereich elektronischer Klagerzeugung bleiben Der Neo und Andy Dufter immer auf dem Weg, den sie eingeschlagen haben. Während Staatseinde musikalisch also unverhohlen den Blick gen Vergangenheit richtet, sind die Texte "Artificial Renaissance" Auseinandersetzungen mit unserer gegenwärtigen Situation. So war es eine abgesagte Show der Band an einem Karfreitag, die das Duo zu "Tanzverbot" inspirierte. "The Trip" dagegen blickt mit voller Sorge auf eine Menschheit, die sehenden Auges ihre Lebensgrundlage für immer zerstört. Die Aussicht in die Weiten des Weltalls wie in "Space Scream" wirkt dabei wenig verheißend. Schließlich verliert bei "The Mansion" auch die Sprache ihre Kraft und wird zu einem unverständlichen Gemurmel. Was vordergründig locker und fröhlich klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinhören als ein extrem pessimistisches Werk.

Einige Bekanntheit hat Camy Huot bereits auf anderer Ebene erlangt. Als DJ und Performerin umgab die in Utrecht lebende Französin die ganze Zeit Musik. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Menschen in diesem Metier früher öder später selber zum Mikro greifen oder zumindest die Maschinen anwerfen, um eigene Songs zu kreieren. Und ebenso vorhersehbar ist es, dass diese Menschen ihrem Lieblingssound nacheifern. Camy, tief in der elektronischen Musik verwurzelt, arbeitet sich daher auf ihrer ersten EP "Echoes In My Room" an einem schneidenden Coldwave ab, den sie schnell, fodernd und kompromisslos arrangiert hat. Bereits "Damage" drückt mit einer sägenden Basslinie, die bei voller Lautstärke die Magengegend kitzelt. Auch beim Titelsong verlässt sich die Musikerin auf einen verzerrten Synth-Punk mit viel Dreck und Schmutz sowie auf trockene Beats, während Camy ihre assoziativ gehaltenen Texte geradezu somnambul vorträgt. Die EP lebt von einer bewusst unperfekten Produktion, bei der vor allem die Unmittelbarkeit der Kompositionen im Vordergrund steht. Die Songs wirken teilweise wie aus der Hüfte geschossen, was nicht ihr Makel, sondern ihre Stärke ist. Stücke wie "No Thank You" werden in etwas mehr als zwei Minuten durcherzählt, ohne aber das Gefühl zu haben, dass etwas fehlt. "Echoes In My Room" klingt nach einem kinky Kellerclub, bei dem zwielichtige Gestalten, dubiose Selbstdarsteller und sonstige seltsame Pflänzchen ihre Andersartigkeit und Nonkonfromität feiern. Mit dieser Veröffentlichung bringt die Französin sich nicht nur weitläufiger ins Gespräch, sondern treibt den momentanen Trend, elektronische Musik mit markant weiblichen Stimmen, erfreulich voran. Auch hier ist die Hoffnung groß, dass Camy Huot nicht eine Eintagsfliege bleibt.

Die Frage, ob und wie eine Künstlerin, ein Künstler, ein Projekt oder eine Band erfolgreich sein wird, kann immer erst in der Retrospektive beantwortet werden. Dennoch würde man sich bei A Shrine To Failure ein paar hellseherische Fähigkeiten wünschen, um herauszufinden, ob dieses nebulöse Projekt (außer der Information, dass es sich um eine deutsch-englische Gemeinschaftsarbeit handelt, ist nichts weiter über sie bekannt) in Zukunft auch noch so großartig ist, wie es ihr erstes Werk "Undone" gerade vormacht. Die weiblichen Vocals pendeln zwischen Melancholie und Hoffnungslosigkeit und veredeln den kühlen Sound, der sich gar nicht erst anschickt, sich bei der Hörerschaft anzubiedern - und gerade dadurch dies erreicht. Ihr Bandname, eine Zeile aus ihrem Song "Black Room Memory", ist Programm: Auf ihrem ersten Album wird dem Scheitern Raum gegeben und diesen ausweglosen Gefühlen Klang und Wort verliehen. Zwischen blubbernden Basslinien, pumpenden Beats und intensiven Melodien verdunkelt "Undone" die Sonne und lässt im Schatten die quälenden Gefühle überborden. Wenngleich auch ihr Album über ausnahmslose gute Nummern verfügt, orientiert sich A Shrine To Failure deutlich an den Ursprüngen melancholischer Elektronik. Deswegen ist ein Stück wie "The Silence She Became" geradezu typisch für das Klangkonzept, welches das Projekt verfolgt. In dieser Uptempo-Nummer werden Reminiszenzen an die 80er überdeutlich, während das arrangierte Tonmaterial keinen Zweifel daran lässt, dass wir es hier mit einem Newcomer zu tun haben, bei dem sich die aktuellen Hörgewohnheiten manifestieren. "There's no future here" heißt es in "This Is Surrender" - für dieses Duo sollte, ja darf das nicht gelten. "Undone" ist ein großer Cold-Wave-Höhepunkt in diesem Jahr.

Kurz dahinter steht Mathieu Pawelski-Szpiechowycz mit seiner Truppe Raskolnikov. Das schweizerisch-spanisch-französische Trio hat sich seit Beginn ihrer Karriere mit ihrem ätherischen, stimmungsvollen Darkwave-Shoegaze-Gemisch eine solide Fangemeinde erspielt. Songs wie "Fall Colours" zählen nach wie vor zu den schönsten der vergangenen zehn Jahre. Mit "Stockholm" haben sie ein Zwischending aus neuem Album und Best-Of-Scheibe erschaffen. Die "Stockholm"-Stücke ziehen sich nämlich wie ein roter Faden durch die ersten dreiAlben. Sie setzen, ähnlich wie die Albumcover, deren Bilder immer auf ein bestimmtes Kunstwerk verweisen, die Werke auf höherer Ebene in Verbindung (dieses Mal ziert "Orpheus, der Eurydike aus der Unterwelt zurückbringt" vom französischen Maler Jean-Baptiste Camille Corot aus dem 18. Jahrhundert den Longplayer). Die ersten fünf Stücke existierten bereits, wurden neu eingespielt und um drei zusätzliche Teile erweitert. In dieser fortlaufenden Reihe erkennt man die stilistische Weiterentwicklung der Band, die zunächst noch dezent klassischen Indie-Rock in ihren Kompositionen mitschwingen ließ. Erst ab der vierten "Stockholm"-Auflage weitete der Sound sich in Richtung breitwandiger Traurigkeit, während Mathieu besonders bei dieser Nummer fast schon David-Bowie-Vibes aussendet. Die neu eingespielten "Stockholm VI", "Stockholm VII" und "Stockholm VIII" repräsentieren Raskolnikovs aktuelles Können. Ähnlich wie Principe Valiente leben auch die Songs des Trios von einer wohldosierten Mischung aus Elegie, Fatalismus und poetischer Traurigkeit, getragen von einer markanten, höchst eigenständigen Stimme. Auch hier muss man eigentlich monieren, dass die Band - trotz ihrer oben erwähnten Fanbasis - immer noch viel zu wenig Bekanntheit genießt. Bleibt nur zu hoffen, dass sich das in Bälde ändert.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 05.08.25 | KONTAKT | WEITER: LEDFOOT "PLAIN SIMPLE HONESTY">

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