MEMORY INDEX "EROSION" VS. YNNERSPEAKER "KEINE DISTANZ" VS. PILOD "ANTICIPATE THE FALL": SCHWEBEND ABWÄRTS
Kling & Klang > REVIEWS TONTRÄGER > P > PILOD

In einer solchen Phase befinden wir uns gefühlt auch gerade. Alte Werte verlieren an Bedeutung und werden durch zweifelhafte neue ersetzt, die aber eine zerstörerische Kraft in sich tragen. An diesem Punkt setzt das Projekt Memory Index des amerikanischen Musikers Jackson VanHorn an. Sein Album "Erosion" trägt bereits im Titel den Prozess des Verfalls in sich.
Die große Überraschung ist aber, dass der aus Indianapolis stammende Künstler sich nicht in ein larmoyantes Verfluchen der Gesellschaft verdingt, sondern mit fast stoischem Gleichmut die Probleme anspricht - keine Theatralik in der Stimme, keine fatalistischen Melodien. Dafür legt er auf sein Organ einen Verzerrer, der allerdings wie ein Weichzeichner funktioniert. Zusammen mit dem verträumten Post-Punk, der einerseits alle klassischen Elemente besitzt, andererseits sehr in der Gegenwart verankert ist, entsteht ein wie durch Milchglas gerichteter Blick auf die schleichenden Verfallsprozesse unserer Gesellschaft.
Das beginnt bereits mit "Hyper Violence" und dem auffälligen "Transpose", in dem sich der Mann Gedanken über das Individuum in Zeiten digitaler Welten macht. Dabei liefert er nicht Antworten, sondern beschreibt nur die Istzustände. An uns liegt es, daraus Konsequenzen für unser eigenes Leben zu ziehen.
In "Ecto" (mit einem markant schleppenden Beat, der an Kraftwerks "Radioaktivität" erinnert) und "Wake Up" weiten sich seine Beobachtungen auf gesellschaftliche und politische (Um)brüche aus - auch hier nur in beobachtender Manier und ohne moralischen Zeigefinger.
"Erosion" ist ein introvertiertes Album geworden, dass aber sehr konzise den aktuellen Zustand einer Welt, die zunehmend aus den Fugen gerät, beschreibt und bei aller Rückgriffe auf tradierte Elemente nie rückwärtsgewandt oder nostalgietrunken klingt. Im Gegenteil: Memory Index legen mit dem ersten Album den Finger zwar sacht, aber doch bestimmt auf die Wunden unserer Gegenwart.

Die beiden Musiker Jan Loges und Markus Wiese sind seit Jugendtagen eng befreundet. Geeint hat sie die Liebe zur Musik, der sie bis heute treu geblieben sind. Zwar laufen die Lebenswege nicht mehr parallel und die Männer müssen eine Distanz von 500 Kilometern überbrücken, aber dank moderner Technik kommen die beiden immer noch zusammen, um Musik zu machen.
Ynnerspeaker ist daher zu einem digitalen Projekt geworden. Die Jungs schickten sich die Files hin und her und bauen auf diese Weise ihre Nummern auf. Nach wie vor gilt das Gebot der künstlerischen Freiheit. Das Duo schränkt sich nicht ein, sondern bringt unterschiedliche Ideen mit, die es zu atmosphärisch dichten, melancholischen Ambient-Songs ausarbeitet. Das Hauptaugenmerk liegt dabei ganz klar in der klanglichen Ausdifferenzierung und der Gegenüberstellung akustischer Gitarren und elektronischer Rhythmen und Sounds, während Texte eine untergeordnete Rolle spielen, aber wie in "Bleiglas" von dunkler Eleganz und einem stillen Feuer durchzogen sind.
Obgleich es mit "Scamillus" und "Silberelektrisch" Stücke gibt, die dank ihres straighten Beats durchaus das Zeug besitzen, in Clubs gespielt werden zu können, ist der Tenor von "Keine Distanz" unzweifelhaft ein kontemplativer. Ynnerspeakers Stücke wollen berühren, ohne dabei zu sehr in althergebrachte Muster zurückzufallen. So brechen sie auf "Nesseln" das fast schon hippieeske Korsett mit seinem redundanten Chorgesang (im Grunde wie bei "Hey Jude" von den Beatles) durch einen surrealistischen Text auf.
Und wenn der Bass wie ein amorphes Gebilde durch "Circulum" wabert, wird der Ansatz der beiden, Musik als spirituell erfahrbares Medium zu sehen, so deutlich wie nie. Der Erstling von Ynnerspeaker kommt nicht mit großem Getöse oder Pauken und Trompeten daher, sondern auf leisen Sohlen, um dann aber umso nachhaltiger und energischer sich in die Gehörgänge des Publikums festzubeißen.

Vielleicht besitzt das aktuelle Album "Anticipate The Fall" deswegen eine melancholischere, aber auch hoffnungsvolle Note. "I guess you don't know where we are going, but that's allright. You just need to know, how to break a fall." Diese Zeilen aus dem Titelsongs stehen programmatisch für eine Band, an denen die letzten Jahre ebenfalls nicht spurlos vorbeigegangen sind. Alte Weggefährten verließen Pilod, neue kamen hinzu, allen voran Wouter Voorspoels, der 2024 den vakanten Posten des Gitarristen übernahm. Mit ihm haben sie "ihren Groove wiedergefunden", wie sie auf der Bandcamp-Seite erklären.
Konkret schlagen sich die neuen Synergien in kompositorisch aufgeräumte Songs nieder. So darf in "Lead Me Astray" die gesamte Mannschaft Sänger Fré Bervoets mit ihrer ganzen klanglichen Kraft unterstützen. Das gleiche Muster findet sich auch bei "Teacher Of Fools". Man merkt, dass die neun Jahre (Zwangs)Pause Pilod gut getan haben. Das Album jedenfalls ist von einer neuen Frische durchzogen, die einzelnen Komponenten ihres Sounds greifen noch besser ineinander und Fré holt aus seiner Stimme ungehörte Nuancen heraus. Alles wirkt reifer und dennoch ungezwungen.
Und dann sind da noch die Texte, die sich wie bei dem Titelsong als verklausulierte Zustandsbeschreibung einer Generation zwischen Hoffen und Bangen lesen kann, aber auch als persönliche Betrachtungen im engsten Bekanntenkreis. Songs wie "Life Opportunity" bieten allgemeingültige Sätze, in denen sich bei aller Problematik in der Gegenwart eine blühende Zukunft dennoch bewerkstelligen lässt. "No Adjustment" dagegen blickt auf eine schmerzvolle Vergangenheit, die nun überwunden ist. "And yes, hell yes, here comes the happy-go-lucky" klingt es geradezu kämpferisch unter stets anschmiegsamen Indie-Rock-Klängen mit latenten Shoegaze-Anleihen.
Pilod predigen Resilienz, sind fast schon zweckoptimistisch. Sicherlich spielt da auch ihre eigene turbulente Geschichte mit. Eine Geschichte, die nach "Black Swan" fast ein jähes Ende genommen hätte. Es scheint fast so, als würde "Anticipate The Fall" all die Fallstricke auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene in ihre Lyrics und Songs mit einbeziehen. Umso erstaunlicher, dass das Album dann doch wesentlich lebensbejahender klingt. Pilod fallen schwebend abwärts.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.10.25 | KONTAKT | WEITER: COBOL PONGIDE VS. LUCKYANDLOVE>
Webseite:
Webseite:
Alle Texte werden Dir kostenfrei in einer leserfreundlichen Umgebung ohne blinkende Banner, alles blockierende Werbe-Popups oder gar unseriöse Speicherung Deiner persönlichen Daten zur Verfügung gestellt.
Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du etwas für dieses kurzweilige Lesevergnügen zurückgeben möchtest, kannst Du Folgendes tun:
Druck' diesen Artikel aus, reich' ihn weiter - oder verbreite den Link zum Text ganz modern über das weltweite Netz.
Alleine können wir wenig verändern; gemeinsam jedoch sehr viel.
Wir bedanken uns für jede Unterstützung!
Unabhängige Medien sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich.
Deine UNTER-TON Redaktion
POP-SHOPPING



Du möchtest diese CD (oder einen anderen Artikel Deiner Wahl) online bestellen? Über den oben stehenden Link kommst Du auf die Amazon.de-Seite - und wir erhalten über das Partner-Programm eine kleine Provision, mit der wir einen Bruchteil der laufenden Kosten für UNTER.TON decken können. Es kostet Dich keinen Cent extra - und ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein unabhängiges Magazin sind, das für seine Inhalte und Meinungen keine finanziellen Zuwendungen von Dritten Personen bekommt. Mit Deiner aktiven Unterstützung leistest Du einen winzig kleinen, aber dennoch feinen Beitrag zum Erhalt dieser Seite - ganz einfach und nebenbei - für den wir natürlich außerordentlich dankbar sind.
Cover © Cold Transmission (Memory Index), How To Destroy The Divine Records (Ynnerspeaker), Pilod Recordings (Pilod)
ANDERE ARTIKEL AUF UNTER.TON
Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.
© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||