ASSEMBLAGE 23 "NULL" VS. DOMINIK EULBERG "LEPIDOPTERA": ZWISCHEN LEERE UND LEICHTIGKEIT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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ASSEMBLAGE 23 "NULL" VS. DOMINIK EULBERG "LEPIDOPTERA": ZWISCHEN LEERE UND LEICHTIGKEIT

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Man könnte natürlich "Null" in Grund und Boden rezensieren. Eine typische Assemblage-Platte, mit den bekannten Ingredienzien: klare Synthieriffs, knackige Beats und Shears markante Stimme. Keine Innovation, keine neuen Erkenntnis. Wie gesagt: Man könnte. Es würde aber dem zehnten Album des Amerikaners nicht im Ansatz gerecht werden.

Zunächst einmal: Ist es denn wirklich schlimm, dass Assemblage 23 nach Assemblage 23 klingt? Ebenso könnte man bemängeln, dass Pasta aglio e olio nach Knoblauch und Öl schmeckt. Eher muss man ihm hoch anrechnen, dass er seine musikalische Vision weiter verfolgt und sich nicht beispielsweise verleiten lässt, auf aktuelle Strömungen zu schielen. Zwar ist die große Zeit des Future Pop vorbei, doch das ficht den Mann nicht an. Seine Songs bewahren die Lust an ausladenden Melodien und opulenten Arrangements. Ein Song wie "Tolerate" zieht selbstbewusst und stilsicher alle Register, angefangen von den körnigen Sequenzen bis hin zu einem eingängigen Refrain.

Doch es gibt auch interessante Ausreißer. Diese finden sich zu Beginn von "Null": Schon "Believe" wirkt ein wenig fordernder als die letzten Shear-Kompositionen. Besonderes Augenmerk verdient aber "Lunatics", ein gesellschaftskritischer Song, bei dem die hektischen Sound den Unruhezustand einer Welt im Fieber perfekt einfängt. "The lunatics have taken the asylum", eine Sentenz, die bereits Fun Boy Three Anfang der 1980er für ihre musikalischen Zwecke ähnlich nutzten, findet bei Assemblage 23 eine düstere Wiederverwertung. Denn noch nie war die Anzahl größenwahnsinniger Despoten so hoch wie es momentan der Fall ist.

"Null" mag auf klanglicher Ebene sicherlich verfangen und in seiner feierlich-hymnischen Anordnung ein Lächeln ins Gesicht zaubern (besonders das finale "Waited" ist ein überbordendes Stück mit ganz viel wärmenden Harmonien), die Lyrik steht dem aber oft konträr gegenüber. Der Musiker ist ein Suchender, will in der Welt, die immer kälter und antipathischer wird, das Menschsein nicht verlieren und sucht Halt in seinem unerschütterlichen Glauben an das Gute. Der Musiker  beobachtet und schlussfolgert - mit dem Ziel, einigermaßen unbeschadet durch diese wirren Zeiten durchzukommen. Das ist die große Stärke von "Null": Es ist in seiner Aussage so nah an den Gedanken jedes einzelnen, dass man sich von der Musik verstanden fühlt.

Um Verständnis geht es auch bei Dominik Eulberg. Allerdings will der Musiker unser Verständnis für die Wunder, die in unserer heimischen Fauna und Flora vorkommen, wecken. Zuletzt setzte er mit "Avichrom" den gefiederten Freunden, die leider im Zuge des Klimawandels und schwindenden Lebensraums immer stärker um ihre Existenz bangen müssen, ein tönernes Denkmal. Nun geht er eine Stufe runter in der Nahrungskette und landet bei den "Lepidoptera" - den Schmetterlingen, wie der Fachmann sagt.

Die Parallelen zum Vorgänger sind deutlich: Auch hier geht es um die flügelige Farbpracht und Vielfalt dieser Gattung. Aus rund 3700 bekannten heimischen Arten hat der Soundtüftler sich zwölf rausgepickt und ihre Einzigartigkeit in Noten gegossen. Man muss kein ausgewiesener Fan der Wiesentorkler sein, um die fein gewirkten, auf produktionstechnisch höchstem Niveau gestalteten Electro-Tracks gut zu finden. Es hilft aber doch, die Absicht hinter den Instrumentalen zu erkennen.

Der "Große Schillerfalter" trägt diesen Namen, da seine schwarzen Flügel bei entsprechendem Lichteinfall bläulich funkeln. Dementsprechend irisierend und schimmernd ertönen die Sequenzen. Und wie es der Name schon sagt, fliegt - wie übrigens ein Großteil aller Schmetterlingsarten - das "Kleine Nachtpfauenauge" (dessen Bruder, das "Große Nachtpfauenauge" mit bis zu 16 cm Spannweite zu den größten europäischen Schmetterlingen gehört) in der Nacht. Daher auch die ruhigen, an die hereinbrechende Dämmerung gemahnenden Sequenzen.

So geht der musizierende Ökologe durch die verschiedenen Falter, die auf dem Cover ebenfalls zu bewundern sind. Dort sind alle Arten, denen Eulberg seine Musik widmete, zu sehen. Auch der "Mittlere Weinschwärmer" und "Totenkopfschwärmer" werden hier verewigt. Die Gattung der Schwärmer (Sphingidae) ist ohnehin eine faszinierende. Die Falter bewegen sich, ähnlich wie Kolibris, im Schwirrflug vor den Blüten, um Nektar zu holen (bekanntester Vertreter ist das Taubenschwänzchen, das man im Sommer tagsüber beispielsweise an Fliederbüschen oft sehen kann).

Der Totenkopfschwärmer besitzt sogar Hörorgane, um Ortungslaute von Fledermäusen, seinen Fressfeinden, zu erkennen. Was er wohl zu Dominiks musikalischer Hommage sagen würde? Sicherlich wäre ihm der stets melancholische Unterton von "Lepidoptera" aufgefallen sein. Was aber nicht verwundert, schließlich sind seit einigen Jahren die Insekten im Allgemeinen und die Schmetterlinge im Besonderen stark dezimiert worden. Das Album klagt aber nicht an, sondern will die Augen für die Schönheit und das Bewahren dieser Einzigartigkeiten öffnen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 18.11.25 | KONTAKT | WEITER: KILLING KIND VS. MAGIC WANDS VS. GREY GALLOWS>

Webseite:
www.assemblage23.com
www.dominik-eulberg.de

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COVER © METROPOLIS RECORDS (ASSEMBLAGE 23), !K7 RECORDS (DOMINIK EULBERG)

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