BINGOS BÜRO "ZUFALLSGENERATOR" VS. RUPERT FALSCH "QUERSCHLAF ABER HALBNERVÖS" VS. BRAUSEPÖTER "FREI VON ALL DEM HIER": DAS UNAUSSPRECHLICHE HINTER DEN WÖRTERN
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Bereits unter HisDogBingo hat Stephan Greminger bei uns ohne überkandidelte Präsentation um eine Rezension seines Werkes angefragt. Nun hat sich nicht nur der Name, sondern auch der künstlerische Ansatz verändert. Unter dem Moniker Bingos Büro wird nun auf deutsch gesungen, und auch klanglich weicht man vom elektronischen Grundgerüst etwas ab und lässt mehr erdigen Indie-Pop in die Kompositionen einfließen.Nun können solche Stilwechsel sehr schnell in eine Lächerlichkeit abdriften. Besonders die Frage, ob Stephan die gleiche poetische Strahlkraft besitzen wird, wenn er in seiner Muttersprache singt, dürfte sicherlich manch einen Fan umgetrieben haben. Vor allem, weil das letzte Album "Lazy Boy" in vielen Momenten nicht nur einen internationalen Standard besaß, sondern auch in seiner ganzen Konzeption reif und gleichzeitig spielfreudig gewesen ist.
Auch wenn der Albumtitel nach Willkürlichkeit klingt, ist das, was Bingos Büro auf diesem ersten Album nach HisDogBingo gezaubert haben, alles andere als eine lose Zusammenstellung von Songs, die irgendwann irgendwie eingespielt wurden. Vielmehr ist die Langrille eine Ausgeburt an Coolness und klanglicher Raffinesse. Hier treffen tiefenentspannte Sound auf unterschwellig melancholische Stücke, die aber am Ende doch das Leben feiern - zwar nicht laut, aber dafür intensiv.
Sobald "Zufallsgenerator" beginnt, baut sich stante pede eine Kulisse von sonnenlichtdurchfluteten Szenarien auf. Ein leichter Tag am Meer, ein wohliges Zusammensein am Baggersee. Und stets befinden wir uns kurz vor dem Sonnenuntergang, wenn die Gegenden in einen ganz speziellen Goldton getaucht werden. All das vermittelt dieses Album, das ebenfalls kleine goldene Kleinode beherbergt.
Das schönste von denen dürfte wohl "Das letzte Stück" sein. Ein unprätentiöser, aber bildgewaltiger Song, bei dem wir das lyrische Ich am Ende einer Beziehung treffen, der es aber nicht mit Vorwürfen oder Schuldzuweisungen, sondern mit Akzeptanz und Zuwendung begegnet. Ein Stück von so entrückter melancholischer Liebe hat es seit langem nicht im deutschsprachigen Raum gegeben.
Fürderhin werden auch Stücke wie "Kleines Nichts" mit seinen feinen Synthielinien, das tiefenentspannte "Gedanken am Fenster" oder "Mitternacht", ein klassischer Singer/Songwriter-Track, das mit ein paar Orgeltönen einen leichten 70s touch erhält, seine Fans finden. "Zufallsgenerator" ist alles andere als zufällig gut geworden.
Apropos Wortspiele (und der Autor dieser Zeilen bittet schon vorab um Entschuldigung für diesen Kalauer): Rupert Falsch macht auf seinem Album "Querschlaf aber halbnervös" so ziemlich alles richtig. Denn der Berliner, der sich auf seiner Internetseite als "Oldcomer" bezeichnet, hat ein ganz feines Gespür, wenn es darum geht, Songs nicht nur zu komponieren, sondern tief atmen zu lassen.Die Mittel dafür sind mannigfaltig. Falsch ist ein Freund elektronischer Musik, die wie bei "Overkill, langsam" kraftwerksche Wurzen besitzt. Doch seine assoziativen, surrealen Texte lassen Querverweise auf Songpoeten wie Peterlicht zu. Am Ende steht aber Rupert Falsch ziemlich solitär in der Musiklandschaft da. Vordergründig könnte "Querschlaf aber halbnervös" als urbanes Hipster-Club-Album verstanden werden, als Untermalung für die vielen Pop-up-Cafés, in denen Männern mit langen Bärten und Frauen mit zu viel Zeit ihren Kaffee mit Hafermilch schlürfen, während sie an ihren Influencer-Contents für die Follower rumdoktern.
Tatsächlich handelt es sich aber bei dem Musiker um einen konzisen Feingeist, der in verklausulierten Texten die Hörerschaft dazu auffordert, über das Gesungene nachzudenken und seine Schlüsse daraus zu ziehen. Das setzt aber voraus, dass man das Album nicht als bloße Klagtapete versteht, sondern ihr ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. So werden Songs wie das sprießende "Moose und Farne" zu einem übersinnliches Manifest, und "Amateur Amateur" mit seinen hypnotischen Klängen wirkt wie eine Meditation über die eigenen Unzulänglichkeiten.
Rupert Falsch ist ein Poet, der vielleicht nicht unbedingt will, dass man seine Texte auf Anhieb versteht oder ihren Sinn entdeckt. Aber er ist ein Schaffer von Emotionen, ohne konkrete Worte zu nutzen. Seine Texte sind vielsagend, aber seine Emotionen sind eindeutig: In seinen Nummern schwingen Melancholie und introspektive Betrachtung. "Eine Selbstbefragung in elf Kapiteln" lautet die treffende Conclusio auf Falschs Internetseite. Trotz der verstiegenen Art seiner Kunst, die leicht hätte kopflastig werden können, schafft es Rupert, eine unglaubliche Lässigkeit in seine Kompositionen einzubauen.
Diese kulminiert im finalen "Vergebung", dem vielleicht besten deutschen Bossa-Nova-Soundalike. Es ist eine tiefe Verbeugung vor Größen wie Stan Getz und Joao Gilberto - und doch ist es ein typischer Rupert Falsch und ein gelungener Ausklang eines Albums, das auch Stunden später noch in einem nachhallt.

Das Leben schreibt manchmal skurrile Geschichten. Die Karriere der ostwestfälschen Band Brausepöter ist so eine. 1978 gegründet, waren sie die ungehörten Pioniere deutschsprachiger Punkmusik. Manch Kritiker bemerkte zurecht, dass sie einfach zu gut waren, um wirklich bekannt werden zu können. Obgleich nach wenigen Jahren und noch weniger Veröffentlichungen schon wieder das Kapitel Brausepöter geschlossen wurde, konnte sich ihr Liedgut über die Jahre retten - und schaffte es via Internet zurück ins kollektive Gedächtnis.
Mit der Wiederentdeckung ihres ersten kleinen Hits "Bundeswehr" war die Band erneut in aller Munde. Immer noch in Originalbesetzung erleben sie nun seit den 2010ern einen zweiten Frühling, der in dem neuen Album "Frei von all dem hier" prachtvollste Blüten hervorbringt. Dabei basiert der Titel auf einen Song, den die Brausepöters in ihrer Frühphase komponierten. Heißt also: Wir machen da weiter, wo wir einst aufgehört haben? Jein.
Natürlich sind mehr als 40 Jahre ins Land gezogen, Sänger Martin Lück trägt weißes Haar, und auch Bassist Bernd Hanhardt und Drummer Klaus Feldmann alias Kemper bewegen sich stramm in Richtung Renteneintrittsalter. Da bleibt eine andere Sicht auf die Dinge der Welt nicht aus, wie man bei "Wie Weezer" oder "Desolat" besonders heraushört. Doch was die Band aus ihren Anfangstagen über die Dekaden gerettet haben, ist die unbändige, explosive Energie, mit der das Trio ihren Longplayer eingespielt haben.
Ein großes Glück bildet dabei Martins Stimme, die nicht ein Mü gealtert zu sein scheint. Ohne das Wissen über Brausepöters Vita könnte man den Sänger locker als Twentysomething durchgehen lassen. Ihm ist es jedenfalls zu verdanken, dass Brausepöter energischer, frischer und dringlicher klingen als viele junge Combos aus der gleichen Spiele-Ecke.
Das musikalische Wissen, das die Jungs mitbringen, gepaart mit Wortwitz und sprachlichem Feingefühl, heben das Dreiergespann über den üblichen Standard hinaus. Die zackigen Sounds und das herrlich gegenläufige Spiel im Refrain in "Letzte Rettung", aber auch die wavigen, leicht dubbigen Sounds (Public Image Ltd. klopft zart an die Tür) in "Eine Stimme sagt" und die knalligen Riffs in "Abhängig von Musik" (ein Song für alle Musikkritikerinnen und -Kritiker) geben ein diverses und vielschichtiges Bild einer Band ab, bei der man einfach nur dankbar sein muss, dass sie wieder in die Saiten hauen. Brausepöter sind so wichtig und "Frei von all dem hier" eine große Offenbarung.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 1.12.25 | KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "BURN IT UP: THE RISE OF BRITISH DANCE MUSIC 1986-1991">
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COVER © KEKSE PRODUKTION (BINGOS BÜRO), RUPERT FALSCH, NWE MUSIK (BRAUSEPÖTER)
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